# taz.de -- Album „Utopia“ von Björk: In Zeiten von Hass Liebe predigen | |
> Auf ihrem letzten Album verarbeitete die isländische Popsängerin Björk | |
> eine Trennung. Auf „Utopia“ singt sie von Hoffnung und empowert Frauen. | |
Bild: Das Cover von Björks Album „Utopia“ | |
Die Liebe. Immer ist sie an- oder abwesend, und manchmal ist sie auch | |
beides zugleich. Erst recht im Werk der isländischen Künstlerin Björk, die | |
1997 auf einem ersten Höhepunkt ihrer Karriere „All Is Full Of Love“ sang | |
und darin die universelle Liebe lehrte. Zuletzt aber litt die Liebe bei | |
Björk: „Vulnicura“ (2015) war ein Trennungsalbum, mit dem die Isländerin | |
das Scheitern ihrer Beziehung mit US-Künstler Matthew Barney verarbeitete | |
und auf Heilung („Cura“) der Wunde („Vulnus“) hoffte. | |
Nun erlebt diese Wunde eine wundersame Wandlung. Man kann das im Videoclip | |
zu „The Gate“, einem Track aus ihrem neuen Album „Utopia“, sehen. Währ… | |
die Künstlerin als Glitzer- und Glibberwesen durch eine dieser Björk’schen | |
Fantasywelten stromert, wird aus dem Mal in der Brust ein Organ, ein | |
„Gate“, das wieder Liebe senden und empfangen kann. „My healed chestwound… | |
transformed into a gate / where I receive love from / where I give love | |
from“, singt sie. | |
Typisch Björk, könnte man denken. In Zeiten von Hass predigt sie Liebe. | |
Dass es zugleich auch ein bisschen albern sei, aktuell von Hoffnung zu | |
singen und ein Album „Utopia“ zu nennen, sagte sie kürzlich in einem | |
Interview. Aber so sei sie eben. Sie habe nach dem Trump-Schock unbedingt | |
ein optimistisches Album machen wollen – wenn die Welt die falsche Richtung | |
einschlage, sei es umso wichtiger, eigene kleine Festungen zu errichten. | |
Björks elftem Studioalbum ist dieser Wille deutlich anzuhören. Es wirkt wie | |
der zweite, ins Positive gewendete Part von „Vulnicura“: Gleich zu Beginn | |
zirpen Vögel, es gibt zarte Breakbeats statt harter Bretter, und zwölf | |
Flötistinnen begleiten Björk durch die insgesamt 14 Songs. | |
## Die Message ist Empowerment | |
Zweieinhalb Jahre hat die Isländerin, die gerade ihren 52. Geburtstag | |
gefeiert hat, an „Utopia“ gearbeitet. Wie schon das Vorgängeralbum entstand | |
es in enger Zusammenarbeit mit dem New Yorker Produzenten Arca, der auch an | |
fünf Stücken mitkomponierte – das Duo harmoniert dabei hervorragend, wie | |
man in hochgradig verspulten und vertrackten Songs wie „Sue Me“ und | |
„Claimstaker“ hören kann. „Utopia“ trägt durch und durch Björks Hand… | |
– und überrascht doch. | |
Das Flötenorchester etwa rahmt das Album und verleiht ihm Sanftheit – | |
klassische Arrangements wie das Interlude „Paradisia“ und „The Gate“ w�… | |
da beispielhaft. Märchenhaft klingt das zuweilen, und tatsächlich hat sich | |
Björk im Vorfeld des Albums mit Fabeln beschäftigt, in denen Flöten eine | |
Rolle spielen. Sie fand Geschichten von Frauen, die ausbrechen aus | |
tradierten Geschlechterrollen. | |
Damit wäre man bei einer weiteren Bedeutung von Liebe auf diesem Album, | |
denn sie kommt vielgestaltig daher. Zum Beispiel als Solidarität unter | |
Frauen: „Tabula Rasa“ ist ein Song, in dem sie hofft, dass den kommenden | |
Generationen das Geschlechterbild der Vergangenheit erspart bleibt: „Break | |
the chain of the fuckups of the fathers / It is time / for us women to | |
rise“, dichtet Björk da. | |
Die Message an den femininen Nachwuchs ist Empowerment. Zumindest ein Teil | |
des Songs scheint sich direkt an ihre eigene Tochter zu richten: „You will | |
have to deal with shit / soon enough (…) you got the right / to make your | |
own fresh mistakes“, heißt es da, und am Ende: „You are strong.“ Das kö… | |
auch als Björks Kommentar auf #MeToo durchgehen. | |
## Von der Liebe zweier Musiknerds | |
In „Courtship“ („Balz“) dagegen lässt die Liebe der Vergangenheit die | |
Protagonisten nie ganz los und schwebt wie ein Geist über ihnen und ihren | |
Körperöffnungen („the ghosts of old loves / hovering around his orifices“… | |
Apropos Körperöffnungen: Erotisch aufgeladen ist das Album weniger wegen | |
der plastinierten Vulva, die man in Björks Gesicht auf dem Cover sieht, | |
sondern weil körperliche Liebe, auch das eigene Körperempfinden („Body | |
Memory“) sich durch das gesamte Album zieht. | |
Bei aller Liebe liegen unter einer weichen Oberfläche eben jede Menge | |
Trümmer und Erinnerungen. Das kann man auch in der Musik hören: Wie Björk | |
und Arca etwa in „Courtship“, noch deutlicher in „Sue Me“ unterschwellig | |
Beats und Klänge verhackstücken und Hörer mit diesen Bruchteilen | |
zurücklassen, erinnert an Künstler wie Lotic und M.E.S.H. | |
Schönerweise geht die Geschichte diesmal gut aus. Das legen nicht nur das | |
Finale „Future Forever“ und die letzten Worte des Albums, „hold fort for | |
love forever“, nahe. Es zeigt sich beispielsweise auch in dem | |
kammermusikartigen „Blissing Me“, das zu den berührendsten Stücken zählt, | |
die Björk je gemacht hat. | |
Sie singt von der Liebe zweier Musiknerds, die sich unentwegt | |
Textnachrichten schicken und Musikdateien senden. Liebe, sie wird also | |
überleben, lässt Björk uns in 71 Minuten und 38 Sekunden wissen. Man möchte | |
tatsächlich keine einzige Sekunde missen. | |
25 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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