# taz.de -- Musikproduzent Tricky im Interview: „Um elf Uhr gehe ich ins Bett… | |
> In L.A. verplemperte er viel Zeit mit Partymachen, in London dachte er | |
> immerzu ans Geldverdienen. In Berlin aber findet Tricky den richtigen | |
> Beat. | |
Bild: „Ich bin nicht besessen vom Musikmachen“, sagt Tricky, hier backstage… | |
taz: Tricky, Sie leben seit zwei Jahren in Berlin. Fühlen sie sich wohl | |
hier? | |
Tricky: Ja, Berlin hat für mich das richtige Tempo. London ist mir ein | |
bisschen zu hektisch. Und Los Angeles war mir wiederum ein bisschen zu | |
langsam, auch wenn man dort viel unternehmen kann. Du kannst so viel Zeit | |
dort verplempern! Ich habe fünf Jahre nur durch Partymachen verloren dort. | |
Wenn man einen 9-to-5-Job hat und diszipliniert ist, ist L. A. gut. Ein | |
Ort, an dem man alles hat, was man braucht: gutes Essen, gutes Wetter, | |
jegliche Art von Sport- und Freizeitaktivitäten, die man sich vorstellen | |
kann. | |
Und wo ist der Haken? | |
Als Musiker ist es schwierig. Man kann drei Monate nonstop arbeiten, aber | |
dann auch wieder drei Monate nichts tun. Und wenn man nichts zu tun hat, | |
ist es so einfach, sich ablenken zu lassen – man trifft ständig und überall | |
Leute. Mit denen hängt man dann um zwei Uhr nachmittags rum und trinkt | |
einen Wodka. Und dann noch einen. Und auf einmal ist es vier Uhr morgens. | |
Und in Berlin passiert Ihnen das nicht? | |
Berlin ist mehr so ein Daytime-Ding. Die Leute machen hier Spaziergänge und | |
laufen einfach nur herum. In L. A. würde das keiner machen. | |
Also ist Berlin eine Flanierstadt? | |
Ja. Viele Leute gehen einfach herum oder fahren Rad. Die Leute sind nicht | |
so geldbesessen hier. In London geht es nur um Arbeit und um Geld, Geld, | |
Geld. Weil es so teuer ist. Wenn ich jetzt manchmal nach London reise, | |
registriere ich erst, wie hoch das Stresslevel, wie aggressiv die | |
Atmosphäre in der Stadt ist. Vorher habe ich das gar nicht gemerkt. Es ist | |
auch kein Ort zum Flanieren, eher eine Stadt für Touristen. | |
War die politische Entwicklung in Großbritannien auch ein Grund, nicht | |
zurückzugehen? | |
Nein. Politik ist mir egal. Alles, was in Sachen Brexit entschieden wird, | |
wird von Leuten mit Geld entschieden. Die Armen bestimmen nicht darüber. | |
Brexit oder kein Brexit, es macht keinen Unterschied – die Reichen werden | |
reicher, und die Armen werden ärmer. Das meine ich, wenn ich sage, in | |
London denken alle nur an Geld. Wenn man in Berlin herumläuft, sieht man | |
Menschen, die einfach nur entspannt ein Bier vor dem Späti trinken. Man | |
braucht sich nirgendwo zu verabreden, um in Berlin ein Bier zu trinken. In | |
England musst du in den Pub oder in den Club gehen, niemand sitzt dort im | |
Park bei einem Drink zusammen. In London bin ich viel ausgegangen. Nicht | |
weil ich ausgehen wollte, sondern einfach weil ich so gelangweilt war. In | |
Berlin war ich bislang überhaupt erst zweimal in Clubs. | |
In welchen? | |
Einmal war ich in einem Schwulenclub, und dann war ich in einem anderen | |
Laden in Neukölln, wo ein Freund von mir gespielt hat. Ich erinnere mich | |
nicht an die Namen. | |
Und ansonsten führen Sie ein diszipliniertes Leben in Berlin? | |
Mit Disziplin hat das nicht so viel zu tun. In Berlin gibt es tagsüber so | |
viele Dinge zu machen, dass es für mich völlig in Ordnung ist, abends nicht | |
mehr auszugehen. Wenn mein Gehirn den ganzen Tag über schon Input hat, will | |
ich abends nicht noch einen draufmachen. Dann ist es okay, einfach nur | |
einen Film zu gucken. Um elf Uhr gehe ich ins Bett. | |
Von Ihren Berlin-Exkursionen posten Sie auch oft Bilder auf Instagram. | |
Ja. In London würde das niemand machen. | |
Haben Sie eigentlich einen Lieblingsort in Berlin? | |
Nein. Das Gute an Berlin ist: Es ist so klein. Man kann gut überall | |
hingehen. Ich wähle einfach eine Himmelsrichtung und laufe los. | |
Wie oft in der Woche arbeiten Sie denn im Studio an neuer Musik? | |
Manchmal mache ich monatelang gar nichts. Und dann habe ich wieder | |
Arbeitsphasen. Ich bin nicht besessen vom Musikmachen. | |
Dabei arbeiten Sie doch viel mit anderen Musikern zusammen – auf Ihrem | |
neuen Album sind zum Beispiel drei russische Künstler dabei. | |
Bei zwei oder drei Songs, ja. An den Moskauer Produzenten Kryptonite bin | |
ich zufällig geraten, weil ein Freund von mir ihn kannte. | |
Was war die Grundidee bei der Kooperation mit Kryptonite? | |
Ich gehe nicht mit Ideen ins Studio. Ich mache einfach Musik, that’s it. | |
Und dann packe ich den Gesang darüber. | |
„Ununiform“ heißt das neue Album. Ist das ein Titel, der auf Ihr gesamtes | |
Werk zutrifft, oder passt er nur speziell für dieses Album? | |
Den Titel hätte ich für alle anderen Alben auch schon nehmen können. Ich | |
passe nirgendwo rein, ich mache keine Radiomusik. Der britische Sender | |
Radio One würde mich niemals in der täglichen Rotation spielen, dazu bin | |
ich nicht Pop genug. Meine Musik passt in kein Genre, sie ist nicht HipHop, | |
Rock oder Reggae. Diese Tatsache hat einerseits dazu beigetragen, dass | |
meine Karriere so lange andauert, aber es verhindert auch, dass ich in | |
bestimmte Kategorien einzuordnen wäre. Aber das ist okay für mich. | |
Es sind sehr unterschiedliche Stücke auf „Ununiform“; auch weil so viele | |
verschiedene Musiker beteiligt sind. Ist Ihr gesamter musikalischer Kosmos | |
auf dem Album zu finden? | |
Es ist viel verschiedenes Zeug. Es ist Musik, die ich gerne in Clubs hören | |
würde. Wenn ich in einen Club gehe, will ich nicht immer nur die gleiche | |
Musik hören. Ich kann zum Beispiel nicht in einen House-Club gehen, da | |
würde ich nach einer Stunde verrückt werden. Überhaupt: Auf zehn Songs | |
kommt in den Clubs einer, der mich wirklich kickt – die anderen neun sind | |
nur ganz okay. Auf meinem neuen Album ist das drauf, was ich auflegen | |
würde. | |
Passt „Ununiform“ auch als Attribut für Ihre Biografie? | |
Ja. Und für eine Menge Leute aus meiner Gegend, dem Westen Bristols, | |
genauso. Viele sind so aufgewachsen wie ich. Es ist eine arme Gegend, du | |
bekommst einen Job auf dem Bau, stehst auf dem Gerüst; wenn du Glück hast, | |
wirst du Fußballer. In der Regel versucht man auf unterschiedliche Arten | |
und Weisen zu überleben. Manche nehmen Drogen. Ein strukturiertes Leben | |
gibt es in dem Viertel nicht. | |
Für mich haben viele Ihrer neuen Stücke eine sehr weiche Atmosphäre, wenig | |
von der harten Straße, die Sie schildern. Ist „Ununiform“ ein sanftes | |
Album? | |
Das ist einfach so gekommen. Ich analysiere meine Musik nicht. Deshalb kann | |
ich die Frage nicht beantworten. | |
Sie haben erstmals wieder mit Ihrer ehemaligen Freundin, der britischen | |
Sängerin Martina Topley-Bird, zusammengearbeitet. Wie kam das? | |
Ach, das ist keine große Sache. Wir sind sowieso in Kontakt, wir haben eine | |
gemeinsame Tochter, 21 Jahre ist die nun schon, sie lebt in London. Ich | |
schickte Martina einfach die Musik, und sie schickte mir die | |
Gesangsaufnahmen. | |
Könnten Sie sich noch mal eine intensive Zusammenarbeit mit Massive Attack | |
vorstellen? | |
Vorstellen kann man sich viel. Ich kann mir auch vorstellen, mit Brigitte | |
Bardot zu schlafen. | |
Anders: Würden Sie gern wieder mehr mit Massive Attack machen? | |
Ich denke nicht darüber nach. | |
Auf Ihrem aktuellen Album gibt es noch eine Zusammenarbeit mit der | |
Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento. Woher kennen Sie sie? | |
Ich traf sie vor einigen Jahren in Italien, ich habe aber nie einen ihrer | |
Filme gesehen. | |
Sie haben mit vielen großen Musikern zusammengearbeitet. Wer steht noch auf | |
Ihrer Liste? | |
Alle Musiker mit den großen Namen kamen zu mir. Sie haben mich gefragt, ob | |
ich für sie arbeiten kann, ob das nun Björk oder die Red Hot Chili Peppers | |
waren. Es sind meistens die unbekannten Künstler, die ich selbst auswähle, | |
um etwas mit ihnen zu machen. | |
Wenn man manche Leute auf Tricky anspricht, fragen sie verwundert: „Ach, | |
der macht immer noch Musik?“ Ist es ein Problem für einen Musiker wie Sie, | |
wenn man so früh Erfolg hat und dann im Laufe der Jahre in Vergessenheit | |
gerät? | |
Nein. Viele Leute kennen sich einfach nicht mit Musik aus. Leute, die so | |
etwas fragen, sind nicht die Leute, die Musik leben und lieben. Die wissen, | |
wer Kanye West ist, und dann hört es auch schon fast wieder auf. Würde ich | |
denen zum Beispiel von dem britischen Musiker Casisdead erzählen, wüssten | |
sie nicht, wer das ist, dabei ist er einer der aktuell besten Künstler. Das | |
ist, wie wenn du in den Supermarkt gehst und nur die großen Marken kennst. | |
Aber wem seine Ernährung wirklich etwas bedeutet, der kennt auch die | |
anderen Marken. | |
Sie haben vor einigen Jahren Ihr eigenes Label gegründet. Wollen Sie die | |
Kontrolle über all Ihre Veröffentlichungen haben? | |
Seit ich Anfang der nuller Jahre nicht mehr bei Island Records | |
veröffentlichte, war es mein Ziel, ein eigenes Label zu gründen. Denn | |
Island war nicht einfach nur ein Label, sondern eine große Stütze. Ihnen | |
ging es um Künstlerförderung, nicht nur ums Geld. Island war am Ende zwar | |
ein Majorlabel, aber die Einstellung war independent. Als Manager Chris | |
Blackwell ging, war abzusehen, in welche Richtung Island sich entwickelt. | |
Außerdem war es die Zeit, als die Musikindustrie den Bach runterging. | |
Gibt es aktuell weitere Projekte, an denen Sie arbeiten? | |
Ich will mein nächstes Album eigentlich bald schon fertig machen. Acht | |
Stücke sind fertig; ich bin keiner, der 40 Songs fertig macht und dann | |
auswählt. Eigentlich könnte ich das Album in vier Wochen fertig machen, | |
aber jetzt geht es erst mal auf Tour, und dann kommen Radio- und | |
Fernsehgeschichten und so. Eigentlich bin ich bis Ende nächsten Sommer | |
gearscht, denn zwischendurch kommen auch noch die ganzen Festivals, die ich | |
spiele. Ich komme wohl erst danach dazu, das nächste Album zu produzieren. | |
Stimmt es, dass Sie in Ihrer Freizeit viel Sport treiben? | |
„Viel“ nicht. Zwei-, dreimal die Woche gehe ich ins Fitnessstudio. | |
Und Sie gehen Boxen, oder? | |
Ja, damit habe ich angefangen, als ich fünfzehn war. Boxen war das Ding in | |
meiner Gegend. Ich hatte Freunde, die boxten, das war wie eine kleine | |
Community. Als Jugendlicher habe ich auch bei einigen Turnieren gekämpft. | |
In der Familie liegt es auch: Mein Großvater boxte mit bloßen Händen. Und | |
drei meiner Onkel waren Amateurboxer, einer war ein professioneller Boxer. | |
Apropos Familie: Ihr anderer Großvater, Hector Thaws, war auch der Musik | |
verbunden, oder? | |
Ja, er ist fast eine Legende in England, weil er der Erste war, der | |
jamaikanische Soundsystems importiert hat. | |
Sie selbst werden in wenigen Monate 50. Machen Sie sich über Ihr Alter | |
Gedanken? | |
Nicht wirklich. Ich denke weniger an mich als an meine Kinder. Ich habe | |
zwei Töchter, eine meiner Töchter hat, während wir hier gerade sprechen, | |
einen Termin mit einem Manager. Sie startet ihre Karriere als Musikerin. | |
Sie hat schon Musik gemacht, seit sie klein ist. Jetzt interessiert es | |
mich, was aus ihr wird. Hoffentlich findet sie einen Manager, mit dem sie | |
gut klarkommt. Sie spielt auch schon Shows, sie ist in einer Band. | |
Wie heißt die Band? | |
Sie haben noch keinen Namen. Sie machen seit ein paar Jahren Musik zusammen | |
und treten hin und wieder auf. Erst jetzt wollen sie Ernst machen. | |
Reden Sie viel über Musik mit ihr? | |
Sie zeigt mir eine Menge Sachen, die ich nicht kenne. So komme auch ich an | |
neue Musik. Sie kennt fast alles, ob es Rock, House oder HipHop ist. Sie | |
schickt mir dann Sachen und schreibt: Check das mal. | |
Kommen wir zum Abschluss noch mal zu Berlin zurück. Es gibt viele Musiker, | |
die speziell Alben oder Songs über Berlin gemacht haben. Wäre das auch | |
etwas für Sie? | |
(verzieht das Gesicht zu einer Grimasse) Naah … | |
9 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
André wunstorf | |
## TAGS | |
Beat | |
Steve McQueen | |
Björk | |
Dubstep | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gespräche mit Steve McQueen im Internet: Das Funkeln von Trickys Goldzähnen | |
Steve McQueen war der Erste, der Ausstellungen in beiden Tate-Galerien in | |
London hatte. Nun sind sie wegen Corona geschlossen. | |
Album „Utopia“ von Björk: In Zeiten von Hass Liebe predigen | |
Auf ihrem letzten Album verarbeitete die isländische Popsängerin Björk eine | |
Trennung. Auf „Utopia“ singt sie von Hoffnung und empowert Frauen. | |
Album des britischen Popstars Jamie xx: Euphorie, Bass und Melancholie | |
Jamie xx gelingt auf „In Colour“ ein Spagat zwischen den Klangsignaturen | |
von elektronischem Dancefloor und den Hooklines des Indierock. | |
Postpunk-Legende The Pop Group: Paranoide Musik für paranoide Zeiten | |
„We are time“: Warum The Pop Group aus Bristol das radikalste britische | |
Album der frühen Achtziger gemacht hat und als Band wieder aktiv ist. | |
Plattenlabel mit Grammy-Nominierungen: Keine falsche Bescheidenheit | |
Pop-Archäologie im Bremer Umland: Eine CD-Box über die Anfänge der | |
Country-Musik könnte dem Plattenlabel Bear Family Records aus | |
Holste-Oldendorf nun zwei Grammy Awards einbringen. |