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# taz.de -- Psychologe Bernhard Kalicki über Kitas: „Viele Fachkräfte verli…
> Die Arbeit in Kitas muss attraktiver werden, fordert Bernhard Kalicki vom
> Deutschen Jugendinstitut. Sonst lässt sich Personalmangel nicht beheben.
Bild: Dominosteine bleiben, Sprachkitas nicht
taz: Herr Kalicki, seit Jahren treiben Bund und Länder den Ausbau von Kita-
und Ganztagsbetreuung massiv voran. Dennoch fehlen vor allem in den
westdeutschen Bundesländern Plätze und im Osten betreut eine Fachkraft in
der Regel zu viele Kinder. Was heißt das für die Qualität der
frühkindlichen Bildung?
Bernhard Kalicki: Wir haben in den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren die
Betreuungsinfrastruktur und damit die Teilhabe an früher Bildung massiv
ausgebaut. Mit dem Ausbau ist auch die Nachfrage gestiegen. Das ist
zunächst mal eine Erfolgsgeschichte. Heute ist es Konsens, dass
frühkindliche Bildung als gesellschaftliche Aufgabe begriffen wird. Der
massive Kitaausbau ist übrigens nicht zulasten der Qualität gegangen – die
Fachkraft-Kind-Relation hat sich tendenziell sogar verbessert. Da muss man
sagen: Hut ab! Gleichzeitig, da haben Sie recht, ist noch nicht alles gut.
Wir wollen die Qualität der Einrichtungen weiter verbessern und die
Betreuungsangebote auch quantitativ weiter ausbauen.
Aber wie? Im Jahr 2025 fehlen Schätzungen zufolge 73.000 Fachkräfte. Der
[1][Nationale Bildungsbericht] hat kürzlich den Personalnotstand als
drängendstes Problem in der frühkindlichen Bildung bezeichnet.
Der Fachkräftemangel bremst uns aus bei der Qualität. Für eine gute
pädagogische Arbeit – also beispielsweise eine intensive Sprachanregung und
-begleitung – brauche ich eine dichte Interaktion. Dialoge mit jedem Kind
sind kaum möglich, wenn ich für zehn oder mehr Kindergartenkinder
verantwortlich bin. Deshalb brauchen wir auf jeden Fall mehr Fachkräfte.
Dafür muss man unter anderem auch die Möglichkeit eines Quereinstiegs mit
entsprechender Nachqualifizierung oder die schnelle Anerkennung von
ausländischen Berufsabschlüssen weiter nutzen. Da gibt es aber nicht die
eine Lösung, sondern viele Stellschrauben. Übrigens ist auch die Anzahl der
Ausbildungsplätze und der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher an den
Fachschulen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Das zeigt: Der Beruf
ist attraktiv.
Wirklich? Viele Mitarbeiter:innen in den [2][Kitas klagen über eine
hohe Belastung] und wenig Geld. Einige Bundesländer wie Hamburg sagen auch,
dass sie wesentlich mehr Erzieher:innen ausbilden könnten, aber die
Bewerber:innen fehlen.
Die Arbeitsbelastung in den Kitas ist immens und die Bezahlung noch zu
niedrig. Das mindert natürlich die Attraktivität. Insgesamt haben wir aber
eine hohe Identifikation mit der Tätigkeit. Es wäre deshalb sinnvoll,
Erzieherinnen und Erziehern bessere Entwicklungsmöglichkeiten in der Kita
anzubieten. Momentan ist das ein Sackgassenberuf. Viele Fachkräfte
verlieren wir. Wer sich weiterqualifiziert, sucht sich oft später eine
Stelle außerhalb der Kita. Vor allem die vergangenen zwei Jahre haben
gezeigt: Das System Kita ist auf Kante genäht. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter haben wir während der Pandemie alleingelassen. Ich bin
gespannt, wie viele das System deshalb noch verlassen werden.
Was könnte eine kluge Politik ihnen denn bieten?
Eine Möglichkeit wäre, neben der Kitaleitung Stellen für bestimmte
Fachspezialisierungen zu schaffen, die entsprechend besser bezahlt würden,
aber auch eine persönliche Weiterentwicklung zulassen. Solche Stellen
könnte man für Sprachbildung, inklusive Pädagogik, Praxisanleitung
schaffen. Einzelne Länder wie Rheinland-Pfalz gehen schon solche Schritte.
Das klingt nach viel Klein-Klein. Reicht das aus?
Wir haben in der Kinder- und Jugendhilfe ja das Subsidiaritätsprinzip: Der
Staat muss nicht alles regeln. Wenn wir freie Träger finden, die ein
Angebot unterbreiten, werden diese bevorzugt. Der Staat springt nur als
Gewährleister ein. Gleichzeitig haben die Familien ein starkes Wahlrecht,
welche Einrichtungen sie bevorzugen. Das System der Kitas kann man also
nicht so einfach am grünen Tisch planen, vor allem nicht auf Bundesebene.
Die Kernverantwortung liegt ja bei den Ländern.
Aber die Länder nehmen – auch bei den Kitas – gerne Bundesgelder. Das
zeigen die Reaktionen auf die Entscheidung der Bundesregierung, das
Bundesprogramm „Sprachkitas“ Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Aktuell
werden darüber etwa 8.000 halbe Stellen finanziert, jede achte Kita
profitiert davon. Ist das eine kluge Entscheidung?
Die Stellen werden wegfallen. Die Fachkräfte, die momentan diese Stellen
innehaben, werden bei ihren Trägern aber sicher Anschlussperspektiven
finden. Natürlich kann man kritisieren, dass so ein erfolgreiches Programm
jetzt wegfällt. Ich komme jedoch zu einem anderen Urteil: Die Sprachbildung
ist Kerngeschäft, jede Fachkraft braucht diese Kompetenz. Das
Bundesprogramm Sprachkitas ist aber selektiv. Wenn jede achte Kita eine
Sprachkita ist, dann frage ich, was ist mit den sieben anderen? Dazu kommt,
dass solche Programme nicht nachhaltig sind, sondern immer für vier, fünf
Jahre aufgelegt werden.
Im Koalitionsvertrag hat die Ampel noch versprochen, die Sprachkitas zu
verstetigen …
Ja, aber es reicht nicht aus, dass wir an einer Stellschraube Fachkräfte in
Sprachförderung qualifizieren, sondern wir brauchen ein kompetentes System.
Deshalb halte ich den Ansatz des sogenannten Gute-Kita-Gesetzes für
vielversprechender: Also Bundesmittel an die Länder auszuschütten, um die
Qualität der Kitas nachhaltig zu verbessern, die dann alle erreicht. Das
Bundesfamilienministerium hat angekündigt, dieses Gesetz weiterzuentwickeln
und das Thema Sprachbildung dabei zu priorisieren. Das halte ich für sehr
klug.
Die Länder kritisieren, dass mit dem Ende der Sprachkitas ein bewährtes
Programm zur Sprachförderung und damit zur Chancengleichheit ausläuft.
Ausgerechnet jetzt, wo die Pandemie die soziale Ungleichheit noch
verschärft hat.
Das Sprachkitas-Programm ist auf jeden Fall wertvoll und es wäre
wünschenswert, wenn dieser Ansatz fortgeführt würde. Die pandemiebedingten
Folgen kann man aber auch anders auffangen. Zum Beispiel, indem man Mittel
abhängig von sozialen Indikatoren verteilt. Man gibt mehr Ressourcen an
Kitas, die von sozial benachteiligten Kindern besucht werden.
Manche Kommunen wie München haben diesen Ansatz früh verankert. Bayern,
Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz etwa haben ihn mittlerweile auch
landesweit umgesetzt. Ein anderes Konzept zielt darauf ab, die sozial
benachteiligten und belasteten Familien über die Kitas zu stärken,
beispielsweise im Rahmen der frühen Hilfen. Die herkunftsbedingten
Benachteiligungen aufzufangen ist eine Kernaufgabe der frühen Bildung – und
Sprachförderung ist dabei ein Ansatz.
Dennoch steht ein gutes Programm der Sprachförderung vor dem Aus, weil die
Bundesregierung im kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten
möchte. Auch andere Bildungsprogramme sollen gekürzt werden. Spart der Bund
nicht am falschen Ende?
Wenn er in Summe die Investitionen zurückfahren würde, dann würde er an der
falschen Stelle sparen. Ich kann aber angesichts der Haushaltslage
nachvollziehen, dass der Bund priorisieren muss. Ich bin sehr froh, dass
das sogenannte Gute-Kita-Gesetz mit den jährlich 2 Milliarden Euro
fortgeführt wird. Aber natürlich ist es gut, dieses Gesetz in den kommenden
beiden Jahren zu evaluieren und zu prüfen: Was wollten wir mit dem
Bundesgesetz erreichen? Welche anderen guten Ideen gibt es?
Und zwar?
Wir haben gute Konzepte. Was fehlt, ist eine hinreichende Verbindlichkeit
bei der Planung des Ausbaus und der Qualitätsentwicklung.
17 Aug 2022
## LINKS
[1] /Folgen-von-Corona-fuers-Bildungssystem/!5859851
[2] /Protest-gegen-fehlende-Kitaplaetze/!5498611
## AUTOREN
Ralf Pauli
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