| # taz.de -- Neues Sachbuch über Wechseljahre: „Kein Mann würde das ertragen… | |
| > „Die gereizte Frau“ von Miriam Stein ist ein Buch über die Wechseljahre. | |
| > Im Gespräch erklärt sie, warum das Thema immer noch marginalisiert ist. | |
| Bild: Wechseljahre als Tabu: Der Wert von Menschen hängt nicht von ihrer Fruch… | |
| taz am wochenende: Frau Stein, hatten Sie damit gerechnet, dass sich Ihr | |
| Buch „Die gereizte Frau“ so gut verkaufen würde? | |
| Miriam Stein: Nein, aber ich hatte das Gefühl, dass die Wechseljahre dran | |
| sind. Vorher hatten wir die Periode als Thema. Vor zwei Jahren haben | |
| Aktivistinnen erwirkt, [1][dass die „Tamponsteuer“ abgeschafft wurde]. | |
| Jetzt folgt ein Fokus auf den Wechseljahren: Frauen meiner Generation, die | |
| ihr Leben lang eigenständige Entscheidungen getroffen haben, sind es nicht | |
| gewohnt, dass ihnen ihr Körper so starke Grenzen aufweist, und sehen es | |
| auch nicht ein, dass sie sich jetzt zurückziehen sollen mit ihren | |
| Beschwerden. | |
| In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie völlig unaufgeklärt in die | |
| Wechseljahre gestolpert sind. Nach meiner Erfahrung geht das den meisten | |
| Frauen so. | |
| Ja, das hat mich auch überrascht – aber erklärt vielleicht den Erfolg des | |
| Buchs. | |
| Es beginnt mit einer detaillierten Beschreibung einer heftigen | |
| Regelblutung. | |
| Ich dachte, ich blute aus! Niemand hat mir gesagt, dass die Blutungen in | |
| der Perimenopause stärker werden können. | |
| Ich wusste nicht, dass die Libido stärker werden kann. | |
| Das hat damit zu tun, dass der Östrogenspiegel sinkt – der des | |
| Testosterons aber nicht. | |
| Was ist der Grund für die Ahnungslosigkeit? | |
| Sexismus. Die Medizin hat sich nie mit den Wechseljahren befasst, weil sie | |
| die Funktion der Frau aufs Gebären reduziert. Nach dem Ende der | |
| Fruchtbarkeit gibt es keine Relevanz mehr der Frauen und keinen Grund, sich | |
| um sie kümmern. | |
| Woran machen Sie das fest? | |
| Zum Beispiel bekommen Gynäkolog:innen für eine Beratung zu dem Thema | |
| nur sehr wenig Geld. Zudem werden die Wechseljahre im Grundstudium Medizin | |
| gar nicht behandelt, was bedeutet, dass Allgemeinmediziner:innen | |
| darüber nichts im Studium lernen – obwohl viele Frauen mit ihren | |
| Beschwerden erst mal zu ihnen gehen. | |
| Und in der Facharztausbildung zur Gynäkologin kommt es auch nicht vor? | |
| Doch, aber nur sehr marginal. Die Deutsche Menopause Gesellschaft bietet | |
| tolle Fortbildungen an, aber das muss man wollen. Und leider betreiben | |
| Frauenärzte und -ärztinnen zu oft „Bikinimedizin“. | |
| Was ist das? | |
| Eine Diagnostik, die sich bei Frauen nur auf die Geschlechtsorgane | |
| konzentriert: Brüste und Unterleib. Wenn eine Frau vielleicht mit einem | |
| Erschöpfungssyndrom zum Arzt geht, sagt der: „Ach, Sie sind bestimmt in den | |
| Wechseljahren.“ Oder wenn sie jünger ist: „Sie haben PMS.“ Der guckt sich | |
| nicht an, ob vielleicht etwas anderes organisch nicht in Ordnung sein | |
| könnte. | |
| Das Paradoxe ist, dass Erkrankungen von Frauen über 45 oft mit | |
| Wechseljahren erklärt werden – aber selbst Ärzt:innen meistens keine | |
| Ahnung haben, was genau los ist, und noch weniger, wie sie es behandeln | |
| können. | |
| Das liegt daran, dass es zu wenig Forschung gibt – ein weiteres Zeichen, | |
| wie sexistisch Medizin ist. Erst vor knapp 20 Jahren gab es eine große | |
| Studie der Women’s Health Initiative. Die belegte, dass die bis dahin | |
| verschriebenen Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden zu absurd hohen | |
| Fällen von Thrombose, Brust- und Gebärmutterhalskrebs sowie | |
| Herz-Kreislauf-Krankheiten führen. Daraufhin wurden Hormontherapien für | |
| zwei oder drei Jahre komplett verboten und sind danach öffentlich nie | |
| wieder rehabilitiert worden. Das heißt, sehr viele Frauen, vor allem in | |
| Deutschland, haben Angst vor Hormontherapie. | |
| Obwohl sie die nicht haben müssten? | |
| Nein, sie müssten darüber aufgeklärt werden, dass sich natürlich als | |
| Konsequenz aus der Studie die Produkte verändert haben. Zudem war die | |
| Dosierung viel zu hoch, die Hormone wurden viel zu lange gegeben. Da hatten | |
| Frauen mit über 70 Jahren noch ihre Tage! | |
| Sie selbst nehmen bioidentisches Testosteron, Östrogen und Progesteron – | |
| verschrieben von der Wiesbadener Gynäkologin Sheila de Liz, die ebenfalls | |
| einen Bestseller über das Klimakterium geschrieben hat. | |
| Ja, ich hatte sehr starke Beschwerden, unter anderem furchtbare Hörstürze. | |
| Sobald ich aufgestanden bin, habe ich mich übergeben. Da wurden die | |
| wildesten neurologischen Diagnosen gestellt. Dazu kam eine schwere | |
| Hauterkrankung im Gesicht, Rosazea. Mir hat für die Haut eine | |
| Ernährungsumstellung geholfen, aber auch die Hormone. Mit denen ist auch | |
| meine Libido zurückgekommen, die war komplett verschwunden. Mir ist aber | |
| wichtig, dass jede Frau für sich entscheiden muss, ob sie eine | |
| Hormonbehandlung will. Es haben ja auch nicht alle solche Symptome. Mir | |
| geht es um Aufklärung. Je mehr man weiß, desto besser kann man über den | |
| eigenen Körper frei entscheiden und abwägen, ob eine Hormontherapie infrage | |
| kommt. | |
| Zumal diese bioidentischen Hormone nur von sehr wenigen Ärzt:innen | |
| verschrieben werden und dann auch nur auf Privatrezept. | |
| Ja, leider. Sie sind im Gegensatz zu synthetischen Hormonen mit denen des | |
| eigenen Körpers in ihrer Molekularstruktur identisch – aber auch nicht | |
| unumstritten, denn es gibt noch nicht genug Studien zu ihnen. Es wird | |
| einfach zu wenig geforscht! Meine Hoffnung ist, dass sich das ändern wird, | |
| wenn wir darüber öffentlich zu reden anfangen. Wenn man sich die Zahlen | |
| anguckt, kann man sich nur an den Kopf fassen. Die Hälfte aller Menschen | |
| kommen in die Wechseljahre. Wir werden im Jahr 2025 weltweit eine Milliarde | |
| davon betroffene Frauen haben, weil Gesellschaften älter werden. Wir werden | |
| es uns allein schon wegen des Fachkräftemangels nicht leisten können, dass | |
| zu viele Frauen aus der Arbeit ausscheiden aufgrund von oft nicht einmal | |
| diagnostizierten Wechseljahresproblemen. Deshalb geht das Thema auch | |
| Männer an. Diese Frauen sind ihre Partnerinnen und Kolleginnen. | |
| Sie sprechen sehr offen über ihre Wechseljahre. [2][Mir ist es unangenehm, | |
| das zu tun.] Warum ist das so? | |
| Weil 3.000 Jahre Patriarchat es geschafft haben, Frauen einzureden, dass | |
| sie nichts mehr wert und keine Frau mehr sind, wenn sie nicht mehr | |
| fruchtbar sind. Aber wir können doch im 21. Jahrhundert „Weiblichkeit“ | |
| nicht mehr an Fruchtbarkeit koppeln! Das ist absurd. | |
| Warum? | |
| [3][Machen Sie etwa Ihren Wert von Ihrer Fruchtbarkeit abhängig?!] Wir | |
| können Eizellen einfrieren, und Sie können theoretisch, wenn Sie in die USA | |
| ziehen und die finanziellen Möglichkeiten haben, mit 60 noch per | |
| Leihmutterschaft Mutter werden. | |
| Jetzt verstehe ich, warum das Buch „Die gereizte Frau“ heißt. Sie sind | |
| wirklich wütend. | |
| Gereiztheit ist eins der Symptome, die von vielen Frauen beschrieben | |
| werden, neben Hitzewallungen und Schlafstörungen. Auch ich bin oft sehr | |
| gereizt. Was ja im Übrigen nur bei Frauen als Problem empfunden wird. Aber | |
| mich regt das alles wirklich auf. Wie kann man in so einer Zeit mit solchen | |
| technischen Möglichkeiten noch Menschen, die permanent sehr | |
| beeinträchtigende Beschwerden haben, erklären, Sie müssten das aushalten, | |
| weil das etwas ganz Natürliches sei? Kein Mann würde das ertragen! Vor ein | |
| paar Tagen zogen Menopause-Aktivistinnen im britischen Unterhaus | |
| Abgeordneten Westen an, die Hitzewallungen simulierten. Die sind alle | |
| ausgetickt und wollten nur raus aus den Dingern! | |
| Ich möchte gar nicht wissen, welche Symptome Wechseljahre verursachen | |
| können, mir macht das Angst. | |
| Aber Sie müssen sie ja gar nicht bekommen. Es geht doch darum, dass ich | |
| weiß, was auf mich zukommen kann, um darauf vorbereitet zu sein und | |
| reagieren zu können. Wenn ich wieder einen Hörsturz hätte, wüsste ich, dass | |
| ich nicht sterbe. Die Angst hatte ich ja, weil ich nicht wusste, was mir | |
| passiert. Ich habe mich mit Inka Schneider in einer NDR-Talkshow über | |
| unsere Wechseljahre unterhalten, ganz ruhig und normal: Wie ist es bei dir, | |
| was machst du? So etwas wünsche ich mir mehr – als Austausch über einen | |
| Teil unseres Lebens, das ja immer noch aus viel mehr als | |
| Wechseljahresbeschwerden besteht. | |
| Aber verzichten könnten Sie trotzdem drauf, oder? | |
| Klar, aber ich nehme sie in Kauf als Teil des Älterwerdens. Ich habe mich | |
| nie besser gefühlt in meinem Körper. Ich fand mich als junge Frau nie | |
| ausreichend. Zu asiatisch, zu dick. Seit ich in den Wechseljahren bin, bin | |
| ich total happy mit meinem Körper. Ja, ich schlafe schlecht, und ja, mir | |
| tun manchmal die Brüste wahnsinnig weh. Aber es geht mir, auch dank der | |
| Hormontherapie, gut. Für mich hat das eine wahnsinnige Ruhe in mein Leben | |
| gebracht und viel von diesem äußeren Druck von mir genommen. | |
| 6 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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