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# taz.de -- Betroffene über Gewalt bei der Geburt: „Ich fühlte mich völlig…
> Nahia Alkorta klagte nach einem Kaiserschnitt gegen Spanien wegen
> „geburtshilflicher Gewalt“ und gewann. Ihre Kritik am Gesundheitssystem
> bleibt.
Bild: Symbolbild einer Kaiserschnittnarbe mit Wundklammern
taz: Frau Alkorta, Sie haben Spanien vor dem Hochkommissariat für
Menschenrechte der UN wegen [1][Gewalt bei der Geburt] angeklagt und
gewonnen. Was ist vorgefallen?
Nahia Alkorta: Es war bei der Geburt meines ersten Sohnes vor zehn Jahren.
Ich hatte mich vorbereitet und dem Krankenhaus in San Sebastián einen
Geburtsplan vorgelegt. Damals war das nicht üblich, doch meine Hebamme
hatte es mir empfohlen.
Wie sah der aus?
Ich verlangte, dass mir und meinem Partner alles, was im Rahmen der Geburt
stattfinden würde, erklärt und mit uns abgestimmt werden solle. Und dass
mein Partner bei allem dabei ist.
Hielten die Ärzte sich daran?
Nein, das war das Problem. Als die Fruchtblase platzte, ging ich ins
Krankenhaus. Sie erklärten mir, dass wir erst einmal 24 Stunden warten, ob
die Wehen beginnen und die Geburt ohne Hilfsmittel abläuft. Doch nach 12
Stunden kamen sie, um mir ein Mittel, das Wehen provoziert, zu
verabreichen. Ich weigerte mich und verwies auf die versprochenen 24
Stunden. Ich fühlte mich gut und hatte erste Krämpfe. Doch sie ignorierten
das und verabreichten mir das Mittel. Das war das erste Mal, dass ich
völlig übergangen wurde.
Dann kamen die Wehen?
Sie gaben mir sofort das stärkste Mittel. Die Wehen waren viel
schmerzhafter als natürliche Wehen. Das weiß ich heute nach zwei weiteren
Geburten. Dennoch kamen dann irgendwann drei Gynäkologen und sagten, dass
sie einen Kaiserschnitt vornehmen würden.
Wieso, gab es zu dem Zeitpunkt Komplikationen?
Nein, alle Werte auf den Bildschirmen waren okay. Ich fühlte mich stark
genug für eine Geburt und sagte, dass ich keinen Kaiserschnitt wolle. Sie
reagierten sehr angespannt und sagten mir, dass ich im Krankenhaus auf die
Ärzte zu hören habe. Ich verlangte eine ph-Probe, mit der sich feststellen
lässt, ob das Baby genügend mit Sauerstoff versorgt wird. Sie entgegneten,
dass die Entscheidung schon getroffen sei.
Sie weigerten sich?
Ich fragte die Hebamme, die die ganze Nacht bei mir geblieben war, was los
sei. Sie sah keinerlei Risikofaktoren. Sie untersuchte mich erneut und kam
zum Schluss, dass das Baby weiter nach unten gerutscht war seit dem letzten
Mal. Sie ging und teilte dies den Ärzten mit.
Doch das überzeugte die Ärzte nicht?
Nein, sie bestanden auf den Kaiserschnitt. Ich war völlig erschöpft und bat
sie inständig darum, dass sie mir detailliert erklären, was jetzt geschehen
würde. Das einzige, was mir einer der drei Ärzte erklärte, war, dass sie
mich in den OP bringen würden und in 40 Minuten würden sie das Baby holen.
Sie ließen uns ein paar Minuten mit der Hebamme alleine. Diese
entschuldigte sich, sie könne nichts weiter tun.
[2][Wie war der Eingriff]?
Plötzlich kamen um die zehn Personen und nahmen mich mit. Ich hörte, wie
sie meinen Partner anschnauzten, er könne auf keinen Fall mit. Ich konnte
mich nicht einmal von ihm verabschieden. Sie sagten mir, dass sich im OP
keine zusätzlichen Personen aufhalten dürften. Doch dann kamen plötzlich
immer mehr Menschen herein. Sie unterhielten sich, als wäre ich nicht da,
über ihren Urlaub und andere persönliche Dinge. Ich weinte, zitterte, ich
fühlte mich völlig ausgeliefert.
Ohne Ihre Zustimmung?
Ich hörte während des ganzen Eingriffs Erklärungen, wie im Unterricht.
Meine Narbe zeigt ganz deutlich unterschiedliche Arten von Stichen, als
hätte jemand verschiedene Techniken vorgeführt, wie eine Wunde genäht
werden kann. Ein Kaiserschnitt findet unter Teilnarkose statt. Es wird nur
ein Teil der Körpers betäubt. Plötzlich schrie ein Baby. Ich sah eine Frau,
die es wegbrachte. Später brachten sie meinen Sohn ganz kurz für einen Kuss
zu mir und nahmen ihn wieder mit. Wirklich bekommen habe ich ihn erst vier
Stunden später. Bis dahin wusste ich nichts und meinen Partner konnte ich
auch nicht anrufen. Am vierten Tag schickten sie mich nach Hause, obwohl
ich noch immer geschwächt war. Bis ich mich einigermaßen erholt hatte,
vergingen zwei Wochen.
Wann beschlossen Sie, die Klinik zu verklagen?
Das dauerte. Ich war monatelang völlig blockiert. Irgendwann erzählte ich
meiner Frauenärztin, was geschehen war. Sie war die erste, die mir sagte,
dass dies nicht normal war. Zudem hatte ich im Krankenhaus nichts
unterschrieben. Ich begann mich zu informieren und beschloss schließlich,
zu klagen.
Wie ging der juristische Weg vonstatten?
Zuerst reichte ich eine Beschwerde im Krankenhaus ein. Sie antworteten
nicht. Dann klagte ich vor dem Amtsgericht in San Sebastián.
Wie war das Verfahren?
Beschämend. Als ich den Gerichtssaal betrat, sagte mir der Richter: „Ich
habe viele Verwandte, die Ärzte sind.“ Das war der einzige Satz auf
baskisch. Das Verfahren an sich war auf spanisch, da weder meine Anwältin
noch die von mir berufenen Sachverständigen baskisch sprechen. So begann
die Gerichtsverhandlung.
Den Prozess haben Sie allerdings verloren.
Und das, obwohl ich Gutachten hatte, die belegten, das die Behandlung in
der Form unnötig war, dass ich nicht zugestimmt hatte und dass ich unter
posttraumatischem Stress litt. Der Richter hörte meine Gutachter nicht an,
ließ aber ein Gutachten im Auftrag der baskischen Gesundheitsbehörde zu.
Darin stand, dass keine Belastungsstörungen vorlagen, von einem
Sachverständigen, der mich nie gesehen hatte. Ich verlor. Wir beantragten
Berufung. Das Gericht lehnte ab. Wir wollten vor das Verfassungsgericht und
wurden auch dort nicht zugelassen. Damit blieb nur noch der Weg zur UN.
Sind Sie die einzige Betroffene?
Meine Anwältin betreut insgesamt vier Frauen. Ich bin die zweite ihrer
Mandantinnen, die ein Urteil gegen Spanien erwirkt hat. Zwei weitere Fälle
stehen noch aus.
Wie waren die Reaktionen auf das Urteil?
Zwei Tage nach dem Urteil veröffentlichte die baskische Regierung eine
Presseerklärung, in der sie alles leugnet und davon spricht, dass wir ein
hervorragendes Gesundheitssystem haben. Die Zentralregierung schweigt.
Das Urteil spricht von der „Autonomie der Frau über ihren Körper, um zu
entscheiden“ und verlangt, dass Spanien etwas unternimmt, um dies zu
gewährleisten. Ist das passiert?
Nein, seit dem ersten Urteil, das schon vor zwei Jahren gefallen ist, ist
nichts geschehen. Wir sind keine Einzelfälle. Alleine bei mir haben sich in
den ersten vier Tagen nach dem Urteil über hundert Frauen gemeldet, die
ähnliche Erfahrungen haben wie ich.
Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diese Misshandlung von Frauen
während der Geburt?
Im aktuellen Gesundheitssystem ist die Frau kein Subjekt mit Rechten. Das
Gesundheitssystem ist ein System, dass sich an dem orientiert, was
männliche Patienten brauchen. Hinzu kommt, dass es ein sehr hierarchisches
und stark reglementiertes System ist. Eine Hebamme hat nichts mehr zu
melden, sobald ein Arzt einschreitet.
Was müsste sich ändern?
Eine Frau, die ein Kind gebärt, ist nicht krank. Das heißt, sie braucht
keine strikten Behandlungsprotokolle, sondern Verständnis und jemanden, der
sie durch den gesamten Geburtsprozess begleitet. Die Hebammen müssten viel
mehr im Vordergrund stehen. Hinzu kommt die Tradition. Sehr wenige stellen
in Frage, was in den Kreißsälen passiert. Der Spanische Verband der
Gynäkologen und Geburtshelfer leugnet bis heute, dass es sowas wie Gewalt
bei der Geburt gibt. Solange niemand den Frauen zuhört, wird sich nichts
ändern.
23 Oct 2022
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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