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# taz.de -- Frauen und Krankheiten: Ungesunde Klischees
> Wer weiß schon, dass die Harnröhre der Frau etwa 18 cm kürzer ist als die
> des Mannes? Acht wenig bekannte Wahrheiten über den weiblichen
> Organismus.
Bild: Die Medizin ist nicht frei von Vorurteilen. Über Endometriose beispielsw…
## Immunsystem
Nicht erst seit der Coronapandemie ist klar: [1][Frauen haben ein stärkeres
Immunsystem als Männer]. Auch bei anderen Infektionskrankheiten wie
Hepatitis B oder Tuberkulose erkranken Männer schwerer. Evolutionsbedingt
ist dieser Unterschied schlüssig, da Frauen das ungeborene Leben während
der Schwangerschaft schützen sollen. Dabei ist eine gute Immunabwehr
hilfreich.
Zusätzlich wirken sich die Sexualhormone unterschiedlich auf das
Immunsystem aus: Abhängig vom Zyklus der Frau stimuliert Östrogen das
Immunsystem und regt die Produktion von Abwehrzellen an. Wohingegen das bei
Männern überwiegende Testosteron das Immunsystem unterdrückt.
Das aktivere Immunsystem birgt aber auch Nachteile: Es reagiert häufiger
über und richtet sich gegen den eigenen Körper. Daher sind [2][Frauen
häufiger von autoimmunen und chronischen Erkrankungen] wie Rheuma oder
Multipler Sklerose betroffen.
## Schmerzen
Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen generell schmerzempfindlicher
sind als Männer. Auf identische Hitze- oder Druckreize reagieren Frauen
schneller und ziehen zum Beispiel die Hand früher von einer heißen
Herdplatte weg. Bisherige Experimente sprechen daher dafür, dass das
Nervensystem von Frauen und Männern unterschiedlich eingestellt ist.
Anscheinend [3][reagiert die Schmerzverarbeitung im Rückenmark und im
Gehirn bei Frauen sensibler], und die Schwelle, was als Schmerz empfunden
wird, ist niedriger.
Allerdings kann der weibliche Körper das Schmerzempfinden während einer
Schwangerschaft mit unterschiedlichen Hormonen wie Östrogen und Progesteron
senken. Ansonsten wären die Geburtsschmerzen wahrscheinlich gar nicht
ertragbar.
## Endometriose
Ein Beispiel dafür, dass Frauengesundheit in den vergangenen Jahren keine
Priorität hatte, ist Endometriose. Die Krankheit betrifft eine von zehn
Frauen in Deutschland, ist aber so unbekannt, dass sie durchschnittlich
erst zehn Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert wird. Bei
Endometriose [4][wächst gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe] außerhalb
der Gebärmutter, was extreme Unterleibsschmerzen verursacht. Die Schmerzen
Betroffener werden auch von Ärzt:innen [5][oft nicht ernst genommen] und
als normale Periodenschmerzen abgetan.
Endometriose führt außerdem oft zu Infertilität – also dazu, dass eine
Schwangerschaft nicht ausgetragen werden kann. Bei 40 bis 60 Prozent der
Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist Endometriose der Grund.
## Medikamentenabhängigkeit
In Deutschland sind [6][zwischen 1,5 und 1,9 Millionen Menschen
medikamentenabhängig.] Dabei zeigt sich seit Jahren, dass vor allem Frauen
von dieser Sucht betroffen sind. Gerade im höheren Alter bekommen Frauen
häufig Psychopharmaka auf längere Zeit verordnet. Beispielsweise nehmen in
der Gruppe der über 65-Jährigen doppelt so viele Frauen wie Männer
Beruhigungsmittel ein.
Gründe für diesen Geschlechterunterschied: Männer meiden Arzttermine, und
Ärzt:innen hören bei ihren weiblichen Patientinnen deutlich mehr
emotionale und psychosoziale Probleme heraus und stellen ihnen
dementsprechend auch vermehrt Rezepte aus. Beim Alkoholkonsum dreht sich
das Verhältnis um. Männer betäuben ihren Schmerz deutlich häufiger mit
Hochprozentigem.
## Hormonelle Verhütung
2011 stoppte die Weltgesundheitsorganisation eine Studie zur hormonellen
Verhütung bei Männern. Eine Hormonspritze [7][sollte die
Spermienproduktion vorübergehend einstellen]. Das funktionierte auch, aber
die Nebenwirkungen der Probanden waren zu stark. Jeder zehnte Mann klagte
über verminderte sexuelle Lust, Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen oder
Depressionen.
Das dürfte einigen Frauen in den Ohren klingen, denn diese Nebenwirkungen
treten auch bei der Antibabypille auf. Migräne, Schmierblutungen und Akne
zählen [8][zu den typischen Nebenwirkungen der Pille], von denen über 80
Prozent der Frauen berichten. Trotzdem zählt die Pille seit knapp 62 Jahren
zu den populärsten Verhütungsmitteln. Wahrscheinlich auch wegen mangelnder
Alternativen für Männer.
Gegen die kostspielige Forschung an hormonellen [9][Verhütungsmethoden für
den Mann] spricht aber vor allem eins: Die Pharmaindustrie würde durch das
schwächere Interesse an der Antibabypille weniger verdienen.
## Crashtests
Frauen sterben und [10][verletzen sich bei Autounfällen häufiger als
Männer]. Grund dafür ist aber nicht – wie das Klischee es will – ihr
Fahrstil, sondern die Konstruktion der Autos. Für den zur Zulassung von
neuen Automodellen [11][vorgeschriebenen Crashtest] werden in den meisten
Fällen Puppen verwendet, die [12][sich am Durchschnittsmann orientieren]:
1,75 Meter groß, 78 Kilo schwer.
Die meisten Frauen sind aber kleiner und müssen mit dem Sitz nach vorne
rutschen, um an die Pedale zu kommen. Dadurch verschiebt sich die Anordnung
von Airbag, Gurt und Lenkrad, wodurch ein deutlich höheres
Verletzungsrisiko entsteht.
Mittlerweile gibt es auch weibliche oder Kinder-Crashtest-Dummys. Die
gängige Frauenpuppe ist mit 1,51 Metern und 48 Kilogramm allerdings sehr
klein und leicht und bei Crashtests nicht immer vorgeschrieben.
## Corona und Periode
Bei den Corona-Impfstoffstudien wurden Menstruationsschwankungen der
Teilnehmer:innen nicht erhoben, was sich als Fehler entpuppte. Als
erste Frauen berichteten, dass sich [13][ihre Periode nach der Impfung
verzögerte], war das ein gefundenes Fressen für Querdenkende. Schnell
verbreitete sich der Mythos, die Impfung könne unfruchtbar machen. Auch
Frauen mit Kinderwunsch außerhalb der Schwurblerszene verunsicherten diese
Gerüchte.
Gut ein Jahr nach dem Start der Impfkampagne [14][wurde im Januar eine
Studie veröffentlicht, die Gewissheit bringt]. Durch die Impfung verschiebt
sich die Periode durchschnittlich um weniger als einen Tag, und auch die
Dauer der Menstruation wird von der Impfung nicht beeinflusst.
Die Ergebnisse der ersten Impfstoffstudie von Biontech und Pfizer zeigen
ebenfalls, dass die Corona-Impfung nicht unfruchtbar macht: Zwölf
Probandinnen der Experimentalgruppe, die also den Impfstoff verabreicht
bekommen haben, wurden noch während der Studie schwanger und haben alle
gesunde Babys geboren. Vielleicht lernt die Forschung aus diesem Mythos und
denkt bei der nächsten Impfstoffstudie an die Periode der Frau.
## Anatomie
Die Organe von Männern und Frauen unterscheiden sich anatomisch. Da
beispielsweise im Bauchraum von Frauen auch die Gebärmutter Platz einnimmt,
ist die weibliche Blase kleiner und der Harndrang setzt entsprechend früher
ein. Auch die Harnröhre ist bei Frauen etwa 18 Zentimeter kürzer als beim
Mann, weshalb Bakterien leichter in die Blase aufsteigen können. Daher sind
Frauen im Vergleich anfälliger für Blasenentzündungen.
2 Oct 2022
## LINKS
[1] http://pharmazeutische-zeitung.de/unterschiede-in-der-immunantwort-119060/
[2] http://zeit.de/2021/07/immunsystem-maenner-frauen-infektionen-proteine-horm…
[3] http://schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/besonderheiten-bei-sch…
[4] http://endometriose-vereinigung.de/was-ist-endometriose.html%20%20
[5] /Unterleibskrankheit-bei-Frauen/!5833768
[6] http://medikamente-und-sucht.de/interessierte-und-betroffene/risiken-in-leb…
[7] http://medizin.uni-muenster.de/fakultaet/news/vorerst-keine-pille-fuer-den-…
[8] https://www.presseportal.de/pm/103509/4348124
[9] /Verhuetungsmethoden-fuer-Maenner/!5874640
[10] http://goslar-institut.de/recherche-tipps/verkehrssicherheit/maennliche-cr…
[11] http://adac.de/rund-ums-fahrzeug/tests/crashtest/test-rueckhaltesysteme/%2…
[12] /Autorin-ueber-Patriarchales-Design/!5784683
[13] /Covid-19-Impfung-und-Menstruation/!5831600
[14] http://journals.lww.com/greenjournal/fulltext/9900/association_between_men…
## AUTOREN
Sophie Fichtner
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