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# taz.de -- Covid-19-Impfung und Menstruation: Wenn die Regel später kommt
> Falschinformationen erschweren die Debatte über Zyklusstörungen nach der
> Covid-Impfung. Dabei muss über erste Studiendaten gesprochen werden.
Bild: Von stärkerer oder verspäteter Regelblutung nach der Impfung berichten …
Wie ein Uhrwerk. Das sagt Marianne Kern (Name geändert) über die bisherige
Pünktlichkeit ihrer Periode. Doch nachdem sie im Juli 2021 die zweite
Covid-19-Impfung erhalten hatte, verspätete sich die Regelblutung um 25
Tage. „Das war für meine Verhältnisse so ungewöhnlich, dass ich einen
Schwangerschaftstest gemacht habe“, sagt Kern. Nach der Booster-Impfung im
Dezember musste sie sogar 38 Tage auf die Periode warten. Das verunsichert.
Es gibt mögliche Erklärungen in ihrem Fall: Vielleicht fielen die Impfungen
bei der Mitte-40-Jährigen zufällig mit den ersten spürbaren Auswirkungen
der Wechseljahre zusammen. Vielleicht, und das ist bei Zyklusschwankungen
eine gern bemühte Erklärung, war es auch Stress. Auf jeden Fall fehlten ihr
Informationen. „Das Thema wird bagatellisiert und die Frauengesundheit
kippt mal wieder hinten über“, klagt Marianne Kern.
Tatsache ist, dass in mehreren Ländern mit Überwachung von Impfreaktionen
gehäuft über Zyklusveränderungen berichtet wird. In Großbritannien
beispielsweise wurden [1][mehr als 38.000 Verdachtsmeldungen] erfasst – was
bei 71,8 Millionen Impfungen an Frauen als nicht besorgniserregend
eingestuft wird, eine ursächliche Verbindung zur Impfung gilt bislang als
nicht erwiesen.
In den USA sind die Signale ähnlich, hier haben die National Institutes for
Health [2][1,67 Millionen Dollar für die Erforschung] möglicher
Zusammenhänge von Zyklusveränderungen mit der Covid-Impfung bereitgestellt.
## Keine Zahlen für Deutschland
In Deutschland veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) regelmäßig
Einschätzungen und Zahlen zu Impfreaktionen. Über Meldungen zu
Zyklusstörungen hat das PEI erstmals in seinem [3][Sicherheitsbericht vom
August 2021] informiert. Demnach waren bis zum 31. Juli 2021 rund 310
entsprechende Verdachtsfallmeldungen eingegangen. Zu berücksichtigen ist
dabei, dass die Impfung erst ab Mai 2021 für eine größere Anzahl der
relevanten Personengruppe – also Frauen zwischen 18 und 50 – verfügbar war.
Das PEI schätzte die Meldungen zu diesem Zeitpunkt so ein: „Unter
Berücksichtigung der Anzahl geimpfter Frauen in den relevanten
Altersgruppen und der Häufigkeit von Zyklusstörungen erscheint die Zahl
der Meldungen nicht ungewöhnlich hoch zu sein, wenngleich davon auszugehen
ist, dass viele, insbesondere vorübergehende Zyklusstörungen, nicht
berichtet werden.“
In den vier Sicherheitsberichten, die seitdem erschienen sind, wird auf
Zyklusstörungen als mögliche Nebenwirkungen nicht mehr eingegangen.
Lediglich für die Impfung an Jugendlichen wird eine „menstruelle
Erkrankung“ mit einer Häufigkeit von rund 0,03 Fällen je 1.000 Impfungen
[4][ohne weitere Erläuterung aufgelistet].
Auf Nachfrage erklärt das PEI, man habe nur einmalig aufgrund des
öffentlichen Interesses über das Thema berichtet. Aus den Meldungen zu
Zyklusstörungen ergebe sich aber kein Risikosignal für das gehäufte
Auftreten durch die Covid-19-Impfungen. Aktuelle Zahlen wollte das Institut
nicht herausgeben, weil „allein die Anzahl der Verdachtsfallmeldungen keine
Aussagen in Bezug auf mögliche Risiken der Impfstoffe“ erlaube.
Beim Berufsverband der Frauenärzte (BVF) scheint man das Thema
Zyklusstörungen ernster zu nehmen. „Die Berichte in den sozialen Medien
scheinen zwar deutlich häufiger zu sein als die Besuche in den Arztpraxen,
aber es kommen immer wieder Frauen, die von Zyklusveränderungen nach der
Impfung berichten“, sagt Klaus Doubek, neuer Vorsitzender des BVF. Die
Berichte reichten von stärkeren und längeren Blutungen bis zu
Verschiebungen im Zyklus.
Teils würden bei Untersuchungen dann auch andere, ernsthafte Ursachen für
die Veränderungen gefunden, die mit der Impfung nichts zu tun hätten.
Aufgrund der engen Vernetzung von Immun- und Hormonsystem sei eine
Auswirkung der Impfung auf den Zyklus aber nicht auszuschließen, so Doubek.
„Das Beruhigende ist, die ersten Studien zeigen, dass diese Veränderungen
insgesamt gering sind und sich vor allem nach spätestens zwei Zyklen wieder
normalisieren.“
## Zyklusüberwachung per App
Diese Studien profitieren zum Teil von einer technischen Neuerung, die die
Zyklusüberwachung in den vergangenen Jahren revolutioniert hat. Die
Zykluskalender auf Papier, die Gynäkolog:innen ihren
Patient:innen oft mit mäßigem Erfolg ans Herz legten, werden mehr und
mehr abgelöst durch entsprechende Apps. Das habe nicht nur die Sensibilität
für den Zyklus vergrößert, so Doubek. Auch Veränderungen würden dadurch
schneller sichtbar.
So nutzte eine Anfang Januar veröffentlichte [5][amerikanische Studie] die
Daten von knapp 4.000 Personen, die in einer solchen App ihre Menstruation
über mindestens sechs Zyklen erfasst hatten. Rund 2.400 von ihnen wurden in
diesem Zeitraum geimpft, der Rest diente als Kontrollgruppe. Nach der
ersten Impfdosis zeigte sich demnach keine Zyklusveränderung.
Nach der zweiten ergaben sich geringfügige Verschiebungen von
durchschnittlich knapp einem Tag. Besonders groß war die Veränderung
allerdings bei denen, die die zweite Impfdosis im selben Zyklus erhalten
hatten: Durchschnittlich um 2 Tage verzögerte sich hier die Blutung, über
10 Prozent erfassten sogar mehr als 8 Tage – in der Kontrollgruppe waren es
nur 4,3 Prozent. Bei allen Gruppen normalisierte sich die Zykluslänge
spätestens innerhalb von zwei Zyklen nach der Impfung.
[6][Auch in Großbritannien läuft aktuell die Auswertung von
User:innendaten] einer App zur Zyklusüberwachung. In Deutschland, das
vermutet BVF-Vorsitzender Doubek, würden solche breiten Auswertungen durch
Datenschutzbedenken erschwert.
In einer jüngst veröffentlichten [7][Studie aus Norwegen] wurden knapp
5.700 Frauen befragt, ob sie vor und nach den jeweiligen Impfdosen eine
Veränderung ihres Zyklus bemerkt hätten. Eine Erkenntnis: Auch aus der Zeit
vor der Impfung berichteten fast 40 Prozent der Befragten von mindestens
einer Abweichung. Als häufigste Veränderung nach der Impfung erfasst die
norwegische Studie eine Verstärkung der Blutung.
Noch einen Schritt weiter als die Apps, in die User:innen ihre
Zyklusdaten weiterhin händisch eintragen müssen, gehen medizinische
Neuerungen, die direkt am Körper der Menstruierenden den Zyklus überwachen
– etwa über Messung der Körperkerntemperatur. Diese kommen häufig in der
Kinderwunschbehandlung zum Einsatz. Ein Leipziger Anbieter hat Ende Januar
die [8][Daten von 182 geimpften deutschen Anwender:innen
veröffentlicht].
Das Ergebnis: Die Corona-Impfung könne vereinzelt die Zykluslänge
beeinflussen. Der sogenannte Ovula-Ring hatte demnach rund 9 Prozent
Abweichungen der Zykluslänge nach der Impfung erfasst – die
Anwender:innen hatten also früher oder später als erwartet ihre Regel
bekommen. Unabhängig von der Impfung traten 6 bis 7 Prozent Abweichungen
auf. In einer zusätzlichen Befragung sollen allerdings bis zu 31 Prozent
der Anwender:innen von einer Veränderung der Zykluslänge berichtet
haben. Das Medizintechnikunternehmen schließt daraus, dass die subjektive
Wahrnehmung in einer Vielzahl der Fälle nicht den objektiven Daten
entspricht.
## EMA will Zusammenhang erneut prüfen
Die bisherigen Erkenntnisse klingen beruhigend. Aber die Spannbreite
dahinter sei groß und einzelne Patient:innen entsprechend besorgt, so
Doubek. „Die betroffenen Frauen gehören in jedem Fall informiert,
aufgeklärt und gegebenenfalls untersucht.“ Die Daten müssten noch weiter
analysiert werden, um die Auswirkungen auf bestimmte Gruppen – etwa
Personen mit Schilddrüsenerkrankungen oder Endometriose – genauer bestimmen
zu können.
„Die immunologische Vernetzung von Immun- und Hormonsystem ist schon lange
bekannt, die konkreten Auswirkungen sind aber erst jetzt in den Fokus
gerückt“, fasst Doubek zusammen. Das gestiegene öffentliche Interesse hänge
nicht zuletzt damit zusammen, dass Fehlinformationen über Auswirkungen der
Impfung auf die Fruchtbarkeit kursierten, so der Gynäkologe. Gerade deshalb
sei es aber wichtig, die beruhigenden Studiendaten breit zu kommunizieren.
Doubek hofft, dass das erhöhte Bewusstsein zusammen mit dem technischen
Fortschritt auch die Forschung zum Zyklus und Wechselwirkungen mit
Impfungen und anderen Medikamenten weiter vorantreibt. „Die differenzierte
Betrachtung hat angefangen, der Prozess muss weitergehen“, so der
BVF-Vorsitzende.
Die Europäische Arzneimittelbehörde [9][EMA hat in der vergangenen Woche
angekündigt], einen möglichen Zusammenhang zwischen der Covid-19-Impfung
und Zyklusstörungen aufgrund neuerer Daten noch einmal tiefgehend prüfen zu
wollen. In der Vergangenheit war auch die EMA zunächst zu dem Schluss
gekommen, dass es keinen Zusammenhang gebe.
Bei der Impfaufklärung wird jedenfalls bislang nicht auf mögliche
Zyklusveränderungen hingewiesen. „Für mich wäre das überhaupt kein Grund,
mich nicht impfen zu lassen“, stellt Marianne Kern klar. „Aber wenn ich
vorher erfahre, das kann passieren und ist nicht von Dauer, wäre das doch
sehr beruhigend.“
18 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.gov.uk/government/publications/coronavirus-covid-19-vaccine-adv…
[2] https://www.nichd.nih.gov/newsroom/news/083021-COVID-19-vaccination-menstru…
[3] https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsber…
[4] https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsber…
[5] https://www.nih.gov/news-events/news-releases/covid-19-vaccination-associat…
[6] http://press.psprings.co.uk/bmj/january/menstrualchanges.pdf)
[7] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3998180
[8] https://app.box.com/s/fksdnj47966fckuzypp79asi91twd0pl
[9] https://www.ema.europa.eu/en/news/meeting-highlights-pharmacovigilance-risk…
## AUTOREN
Manuela Heim
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Kirsten Kappert-Gonther
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