# taz.de -- Der Hausbesuch: Menstruelles Blut ist kein Tabu | |
> Josefine Marwehe ist Hebamme. Außerdem hat sie in Berlin einen | |
> Pop-up-Periodenladen eröffnet – mit nachhaltigen Produkten. | |
Bild: Josefine Marwehe in ihrem Wohnzimmer in Berlin-Friedrichshain | |
Frauen bluten von ihrer ersten Periode bis zu ihrer Menopause jeden Monat | |
und geben viel Geld für Tampons und Wegwerfbinden aus. Das geht auch | |
nachhaltiger, wie Josefine Marwehe zeigt. | |
Draußen: Der Berliner Stadtteil Friedrichshain, vor der Wende gehörte er | |
zur DDR, mittlerweile ist er durchsaniert. Josefine Marwehe lebt in einer | |
ruhigen Seitenstraße unweit des S-Bahnhofs Warschauer Straße. Die Fassaden | |
der vierstöckigen Altbauhäuser sind hell gestrichen, die Eingangstore | |
restauriert. In einem der Häuser wohnt Marwehe mit ihrem Partner und ihrer | |
Tochter im 4. Stock. | |
Drinnen: Beim Betreten fällt der grün gestrichene Flur auf. „Grün wie die | |
Hoffnung“, sagt Marwehe. Die Farbwahl stammt vom Vormieter, überstreichen | |
wollen sie erst mal nicht. Denn leider ist unklar, wie lange sie letztlich | |
hier wohnen bleiben werden. „Die Gentrifizierung hier ist halt irgendwie | |
abgeschlossen“, sagt Marwehe später. Der Staffelmietvertrag ist deutlich zu | |
hoch angesetzt. | |
Duftkräuter: Vor einem großen Fenster im Wohnzimmer steht ein Tisch mit | |
mehreren Stühlen. Daneben ist die Tür zum kleinen Balkon. „Probier mal“, | |
sagt Josefine Marwehe und deutet auf eine Pflanze auf der Fensterbank. | |
Jamaika-Thymian. Die Blätter sind flauschig und schmecken nach einer | |
Mischung aus Thymian und Oregano. Marwehe mag Duftpflanzen und Duftkräuter. | |
Nach ihrem Einzug kaufte sie sich online ein „Fensterbankset“. Was für eine | |
riesige Fensterbank soll das denn sein, auf die alle draufpassen?, fragte | |
sie sich, nachdem die Sendung bei ihr ankam. Seither begrünen die Pflanzen | |
das Wohnzimmer passend zum Flur. | |
Mutter: Marwehe hockt auf einem Stuhl am Tisch und schenkt Tee ein. Obwohl | |
sie gern hier zwischen Bücherregal, Sofas und Saxofon sitzt, ist ihr | |
Lieblingsplatz ein anderer. Das Kinderzimmer. Da ist es am buntesten, sagt | |
sie. Doch auch außerhalb des Zuhauses mag sie es bunt für ihre Tochter. | |
Denn Reiterhof und Fußballverein, die es auf dem Dorf gäbe, reichten nicht | |
aus, um den eigenen Horizont zu erweitern, findet sie. Berlin biete ganz | |
andere Möglichkeiten und mehr Diversität. Hier feiert man auch mal | |
Kindergeburtstage im Berghain, diesem legendären Club um die Ecke, so wie | |
ihre Tochter kürzlich. Oder zumindest im Park davor. | |
Tochter: „Wegen der Freiheit und wegen der Liebe“ zieht Josefine Marwehes | |
Mutter aus Braunschweig nach Berlin. Damals, 1998, war sie 12 Jahre alt. In | |
ihrer Schule am Rosenthaler Platz – ehemals war der in Ostberlin – merkt | |
sie das erste Mal, dass es hier anders ist. Sie fällt auf, als Wessi: „Alle | |
dachten, ich wäre reich.“ Sie wohnte damals in Kreuzberg. Ihr gefiel der | |
verrückte Kiez, in dem sie umgeben war von queerer Szene und | |
Kulturschaffenden. | |
Disneyland: Zum Studieren zog sie dann aber aus Berlin weg. Kiel und | |
Hamburg waren Stationen. Seit ein paar Jahren wohnt sie wieder in Berlin. | |
Manchmal stört es sie, wenn das zehnte mexikanische Restaurant im selben | |
Kiez aufmacht. | |
Logisch: Nach einigen Berufsjahren als Kostümbildnerin und einem Studium in | |
Kulturwissenschaften merkt sie, dass es auch außerhalb des Kunst- und | |
Kulturkosmos interessante Arbeitsfelder gibt. Ganz logisch, dass eine | |
Kostümbildnerin sich in der Geburtshilfe wohlfühlt, findet die erste | |
Hebamme, bei der sie ein Praktikum macht. Es gebe viele Gemeinsamkeiten, | |
etwa jene, Menschen aufmerksam und schnell einschätzen zu können. Der Beruf | |
fasziniert Marwehe. Vor zehn Jahren begann sie eine Hebammenausbildung. | |
Gebären: Normal werde es nie werden, eine Frau dabei zu begleiten, ein Kind | |
auf die Welt zu bringen. Die Arbeit im Kreißsaal gibt ihr immer noch einen | |
krassen Adrenalinschub: Auftrag erhalten, durchführen, fertig. Zwölf | |
Stunden lang. Manchmal erinnert sie das an einen früheren Job als | |
Radkurierin. Bevor sie ihre Arbeit im Kreißsaal begann, begleitete Marwehe | |
Familien als ambulante Hebamme auch zu Hause während des Geburtsprozesses. | |
Das gab ihr intime Einblicke in das alltägliche Leben von Familien. Häufig | |
fand sie es schwer, sich abzugrenzen. Unter anderem deshalb arbeitet | |
Josefine mittlerweile nur noch im Kreißsaal, in Teilzeit. Und in ihrem | |
„Periodenladen“. Auch was die Arbeitszeiten betrifft, ist das angenehmer. | |
Jetzt hat sie irgendwann Feierabend, das ist gut. Geburtshilfe würde sie | |
immer noch gerne machen, aber nur von 10 bis 16 Uhr. | |
Der Periodenladen: „Ich frag mich, warum noch niemand anderes darauf | |
gekommen ist“, sagt sie. Darauf, Dinge zu verkaufen für die weibliche | |
Periode. [1][Cups, Slips, Schwämme – alles was nachhaltig ist und den | |
Tampon- und Bindenherstellern Paroli bietet.] Eine unabhängige Beratung für | |
nachhaltige Periodenprodukte gab es in Deutschland vorher so noch nicht. | |
Mütter und Töchter: Den entscheidenden Anstoß, den Periodenladen zu | |
eröffnen, gab ihr eine Periodenpantyparty. Ähnlich wie eine Tupperparty, | |
nur mit Periodenprodukten, erklärt Marwehe. Bei dieser Party waren | |
[2][Frauen und Mädchen] von der Menarche bis zur Menopause dabei. Besonders | |
in Erinnerung blieben ihr drei Frauen mit ihren 13-jährigen Töchtern. | |
Anfängliche Ängste und die Verlegenheit, so offen übers Bluten zu sprechen, | |
verflogen schnell. [3][Schon nach kurzer Zeit zog man sich die | |
Periodenunterwäsche über die Leggins und sprang damit durch den Raum.] Es | |
war ein „Abend, wo man beim Erwachsenwerden zuschauen konnte“. | |
Berührungsängste: Der Periodenladen Berlin ist deshalb für Marwehe nicht | |
nur ein Geschäft. Viel eher soll er ein politischer Ort sein, der | |
Möglichkeiten für Aufklärung, zum Austausch und Vernetzen bietet. Auch | |
ganze Schulklassen seien schon vorbeigekommen. Die „Panties“ sind ihr | |
Steckenpferd. Daneben verkauft sie verschiedenste Menstruationsprodukte, | |
etwa Tassen, Scheiben oder Softtampons. Eine Onlineberatung gibt es auch. | |
Und natürlich noch die Pantypartys. | |
Risiko: Finanziell gesehen war das Risiko, den Pop-up-Laden zu eröffnen, | |
recht gering. Das liegt daran, dass sich Marwehe mit zwei anderen Frauen | |
zusammengetan hat und der kollektiv organisierte Raum relativ geringe | |
Kosten birgt. Viel größer beurteilt sie das emotionale Risiko: „Es ist | |
schon ein familiäres Desaster, so einen Laden zu gründen. Häufig denke ich | |
mir: ‚Ich habe jetzt echt gar keine Zeit, das Kind abzuholen.‘ “ Trotzdem | |
hofft sie, dass sie bald an einem festen Standort einen eigenen Laden | |
eröffnen kann. Sie würde gerne ausschließlich davon leben können. | |
Kritik am Gesundheitswesen: Der Laden ist auch eine Form für sie, ihren | |
Unmut zu äußern. So kann sie etwas Eigenes machen und dadurch politische | |
Forderungen, die sie im Großen hat, im Kleinen umsetzen. Wenn sie die | |
aktuellen Debatten zur Budgetierung von Hebammen in Krankenhäusern hört, | |
wird ihr anders. Klein und hilflos kommt sie sich dann vor. „Kreißsäle | |
schließen, geht’s noch?“, sagt sie. Was sie politisch ändern würde? Den | |
Gesundheitssektor entprivatisieren und das Krankenhaussystem ändern. Andere | |
Arbeitszeiten für das Pflegepersonal einführen. Und ein bedingungsloses | |
Grundeinkommen für alle dazu. | |
1 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jakob Guttenbacher | |
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