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# taz.de -- SRH-Klinikum in Zeitz schließt Geburtsstation: 35 Minuten bis zum …
> Zum 1. Mai schließt die Geburts- und Kinderstation im Zeitzer
> SRH-Klinikum. Das hat dramatische Folgen für die sachsen-anhaltische
> Stadt.
Bild: Sind bald (noch) weniger Kinderwagen in Zeitz zu sehen? Modell aus dem Ki…
Zeitz taz | Viktoria Armann fühlt sich im Stich gelassen. Sie ist in der
23. Woche schwanger, der Geburtstermin ist Anfang September. „Wir hatten
schon alles genau geplant“, sagt Armann, 29, braunes Haar, Dutt, altrosa
Pullover. Zusammen mit ihrem Freund Erik Zimmermann, 42, sitzt sie in einem
Café in Zeitz in Sachsen-Anhalt.
Ihr gemeinsames Kind, erzählt Armann, wollten sie eigentlich im
SRH-Klinikum in Zeitz zur Welt bringen, die Zeitzer Hebamme Gabriele
Knobloch sollte die Geburt begleiten und die Vor- und Nachsorge übernehmen.
„Ich hatte schon das Erstgespräch und fühle mich sehr gut aufgehoben bei
ihr“, sagt die werdende Mutter.
Nun aber hat das SRH-Klinikum den Plan des Paares zunichte gemacht. Ende
März teilte das Krankenhaus mit, die Geburts- und Kinderstation aufgrund
fehlender Ärzt:innen zum 1. Mai zu schließen – trotz massiver Proteste,
die es zuvor gegeben hatte. Im März versammelten sich Hunderte
Bürger:innen auf dem Zeitzer Altmarkt, um für den Erhalt der beiden
Stationen zu demonstrieren, darunter Armann und Zimmermann. Eine Familie
aus Zeitz sammelte 10.000 Unterschriften gegen die Schließung.
Die werdenden Eltern sind nicht nur deswegen sauer, weil sie für die Geburt
im September ins 35 Autominuten entfernte Krankenhaus nach Gera fahren
müssen. Sondern auch und vor allem, weil sie ihre Hebamme dort nicht mit
hinnehmen können. „Die Zeitzer Hebammen haben Verträge mit dem Klinikum in
Zeitz, nicht aber mir dem Klinikum in Gera“, sagt Zimmermann. Nun muss sich
das Paar eine neue Hebamme in Gera suchen.
## Oberbürgermeister will junge Leute für Zeitz begeistern
Dass Armann und Zimmermann ihr Kind nicht wie geplant in Zeitz mit der
Hebamme ihrer Wahl zur Welt bringen können, sondern für die Geburt nach
Gera fahren müssen, ist ärgerlich, aber machbar. Zumindest, wenn es keine
Komplikationen gibt.
Was aber bedeutet die Schließung der Kinderklinik und Geburtsstation für
[1][Zeitz – eine Stadt, die mit der Überalterung der Gesellschaft kämpft]
und mit allen Mitteln versucht, junge Menschen und Familien anzulocken?
Zeitz, knapp 28.900 Einwohner:innen, davon mehr als 32 Prozent über 65
Jahre alt, liegt ganz im Süden Sachsen-Anhalts, in der Braunkohleregion
Mitteldeutsches Revier, 30 Bahnminuten von Leipzig-Plagwitz entfernt. Wer
durch das hügelige Städtchen spaziert, der versteht schnell, warum es den
Spitznamen „Geisterstadt“ trägt: überall leerstehende Gründerzeit-Häuser
und viele dauerhaft geschlossene Geschäfte.
Zu DDR-Zeiten haben in Zeitz noch mehr als 50.000 Menschen gewohnt, nach
der Wende ist die Stadt rasant geschrumpft. 2021 gab es laut Statistischem
Landesamt mehr als dreimal so viele Sterbefälle wie Geburten. Die Behörde
prognostiziert, dass 2035 nur noch 23.700 Menschen in Zeitz leben werden.
## 35 Minuten bis zur nächsten Kinderklinik
Christian Thieme (CDU), seit 2016 Oberbürgermeister von Zeitz, will diesen
Abwärtstrend aufhalten. Um Menschen aus dem Leipziger Umland für Zeitz zu
begeistern, investiert er in Kindergärten, Schulen und Infrastruktur. 2022
ist es der Stadt erstmals gelungen, den Bevölkerungsrückgang zu stoppen.
Der Oberbürgermeister hat das Ziel, noch mehr junge Leute und Familien nach
Zeitz locken. Eigentlich stehen die Chancen dafür auch gar nicht schlecht,
schließlich gibt es in Zeitz zahlreiche freie Flächen, leerstehende
Industriebauten und Häuser – jede Menge Platz also, der im hippen und immer
teurer werdenden Leipzig knapp wird.
Doch die Entscheidung des Zeitzer Klinikums, die Geburts- und Kinderstation
zu schließen, könnte den Plan des Oberbürgermeisters genauso kaputt machen
wie den der werdenden Eltern Armann und Zimmermann.
Denn welche Familien und jungen Menschen mit Kinderwunsch wollen schon in
eine Stadt ziehen, in der es weit und breit keinen Kreißsaal und keine
Kinderklinik gibt? Zu den nächstgelegenen Krankenhäusern mit Pädiatrie und
Geburtshilfe braucht man mit dem Auto 35 bis 40 Minuten.
## Zahl der Geburtsstationen drastisch gesunken
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der
Geburtsstationen in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren fast halbiert:
1991 gab es noch 1.186 Kliniken mit Geburtshilfe, im Jahr 2021 waren es 611
– und das bei steigenden Geburtenraten. Grund für die Schließungen sind
oftmals die hohen Kosten, denn Geburten sind für Kliniken ebenso wenig
rentabel wie die Behandung von Kindern.
Aus ebendiesem Grund standen Pädiatrie und Geburtsstation in Zeitz 2019
schon mal vor dem Aus. Damals gehörte das Klinikum mit den Standorten Zeitz
und Naumburg noch dem Burgenlandkreis. Wegen finanzieller Probleme musste
das Krankenhaus Insolvenz anmelden. Um Kosten zu sparen, wollte die
damalige Geschäftsführung die Geburts- und Kinderstation in Zeitz
schließen.
Die Proteste dagegen waren allerdings so heftig, dass Landrat Götz Ulrich
(CDU) wenig später den Erhalt beider Bereiche versprach. Nachdem das
insolvente Klinikum 2020 vom Krankenhausbetreiber SRH übernommen wurde,
beschloss der Landkreis eine Vereinbarung mit dem Konzern:
Der Kreis zahlt dem Unternehmen pro Jahr bis zu 1,5 Millionen Euro, sofern
es die Kinder- und Geburtsstation in Zeitz und Naumburg aufrecht erhält.
4,2 Millionen Euro hat der Landkreis seitdem an die SRH-Gruppe gezahlt.
## Zu wenig Kinderärzt:innen in Zeitz
Heute, drei Jahre später, mangelt es dem Zeitzer Klinikum nicht an Geld,
sondern an Kinderärzt:innen. So zumindest lautet die Begründung des
Krankenhauses. Neue Fachärzt:innen und Assistent:innen hätten trotz
„intensiver Bemühungen“ nicht gewonnen werden können, teilte
Geschäftsführerin Angret Neubauer mit. Der Erhalt der Stationen sei
„medizinisch nicht verantwortbar“.
Der gebürtige Zeitzer Udo Lange, der damals wie heute die Proteste für den
Erhalt der Geburts- und Kinderstation in Zeitz organisiert hat, glaubt dem
Krankenhaus nicht. „Ich sehe das als Ausrede an“, sagt Lange am Telefon.
„Das Krankenhaus hatte auf seiner Webseite keine Stellen ausgeschrieben.
Eine Initiativbewerbung wurde sogar an den Nachbarstandort Naumburg
umgeleitet.“ Der 53-Jährige wirft dem Klinikum vor, die Schließung der
beiden Station geplant zu haben – zugunsten des Krankenhauses in Naumburg.
Außerdem befürchtet er, dass künftig weitere Stationen geschlossen würden,
es irgendwann „keine medizinische Grundversorgung“ mehr in Zeitz gebe.
## Klinikum weist Vorwürfe zurück
Das Klinikum weist Langes Vorwürfe zurück. „Wir haben seit geraumer Zeit
nach entsprechendem Personal gesucht und bis zuletzt um ein
Aufrechterhalten der Stationen gekämpft“, teilte Neubauer der taz mit.
„Wir hatten seit 2021 über entsprechende Stellenanzeigen in einschlägigen
Fachmagazinen und Kanälen sowie mithilfe von Headhuntern nach
Oberärzt:innen und Fachärzt:innen gesucht.“ Auch sei keine Bewerbung
nach Naumburg umgeleitet worden, sagte Neubauer – und versicherte sie, dass
das Klinikum Zeitz „stationärer Grundversorger mit Notaufnahme“ bleiben
werde.
Landrat Ulrich und Oberbürgermeister Thieme sind enttäuscht von der
Entscheidung des Krankenhauses. Im Februar und März hatten sie sich mit
mehreren Schreiben an die Geschäftsführung gewandt, in denen sie den Erhalt
der Bereiche forderten – und anboten, bei der Suche nach Ärzt:innen und
Pflegepersonal zu helfen. Das Klinikum nahm das Angebot nicht an und lehnte
Gespräche ab.
„Für eine Bergbauregion, die sich durch den Ausstieg aus der Kohle bis Ende
2034 gerade mitten im Strukturwandel befindet“, sei die Entscheidung ein
„schwerer Rückschlag“, sagte Landrat Ulrich der taz. Thieme erklärte, die
Schließung der Geburts- und Kinderstation würden die Bemühungen, junge
Menschen für Zeitz zu begeistern, „ein Stück weit zunichte“ machen.
## Frustration bei den Bürger:innen
Bereits Ende Februar, als bekannt wurde, dass die SRH-Klinik die Kinder-
und Geburtsstation schließen möchte, [2][warnte der Oberbürgermeister das
Krankenhaus vor den Folgen]. Mit dem Erhalt der Kinder- und Geburtsstation
„steht und fällt auch ein Teil der Zukunft von Zeitz“, sagte er damals. Die
Enttäuschung der Zeitzer:innen über die Politik sei „riesengroß“ und
wahrscheinlich nicht wieder gut zu machen, wenn die beiden Bereiche
geschlossen würden.
Spricht man mit Einwohner:innen über die Entscheidung des Klinikums,
begegnet man einer Mischung aus Frustration, Sorge und Wut. „Die Stadt wird
richtig totgemacht“, sagt ein Rentner, der mit seiner sechsjährigen Enkelin
über den Altmarkt spaziert. Schuld an der Schließung der Stationen sei „die
Privatisierung der Krankenhäuser“, ihm zufolge hätte das Klinikum in
kommunaler Hand bleiben sollen.
Ein 24-jähriger Vater bezeichnet die SRH-Klinik als „Dreckskrankenhaus“.
Eine junge Mutter mit kurzem, rot gefärbtem Haar ist besorgt, weil sie kein
Auto hat und demnächst mit dem Zug ins Krankenhaus nach Gera oder Naumburg
fahren muss, falls ihrer anderthalb Jahre alten Tochter mal etwas zustoßen
sollte. Die Fahrzeit beträgt gut eine Stunde pro Strecke.
„Mit meinem Sohn musste ich die ersten drei Jahre sehr oft ins
Krankenhaus“, erzählt eine 33 Jahre alte Zeitzerin, die mit ihrem
zehnjährigen Sohn und ihrer Mutter durch die Fußgängerzone schlendert. Sie
werde es sich nun „gut überlegen“, ob sie noch ein zweites Kind bekommen
möchte. Ihre Mutter sagt: „Zeitz will junge Leute anlocken, die
Entscheidung der Klinik ist dafür mehr als kontraproduktiv.“
## Geburtshaus als mögliche Lösung
Landrat Ulrich will sich nun dafür einsetzen, dass Zeitz „wenigstens ein
ausreichendes ambulantes Angebot für Kindermedizin hat und behält“. Nur
zwei Kinderärzt:innen gibt es in Zeitz, eine davon geht Ende des Jahres
in den Ruhestand. Eine:n Nachfolger:in gibt es bisher noch nicht. „Es
wäre gut, wenn das Klinikum Zeitz Kinder ambulant behandeln dürfte“, sagte
der CDU-Politiker. „Die Kassenärztliche Vereinigung hat angekündigt, mit
uns gemeinsam eine Lösung finden zu wollen.“
Um weiterhin Geburten in Zeitz zu ermöglichen, möchte der Landrat ein
Geburtshaus in Zeitz eröffnen. Demnächst wolle er mit den Zeitzer Hebammen
über diese Idee sprechen. Oberbürgermeister Thieme begrüßt das Vorhaben,
gibt aber zu Bedenken, dass ein Geburtshaus „ein großes Risiko“ für die
Hebammen darstelle, weil diese letztlich die Verantwortung übernähmen.
Für Viktoria Armann und Erik Zimmermann, die im September ihr Kind
erwarten, käme das Geburtshaus ohnehin zu spät. Ihnen bleibt nichts anderes
übrig, als für die Entbindung ins 30 Kilometer entfernte Krankenhaus nach
Gera zu fahren.
29 Apr 2023
## LINKS
[1] /Revitalisierung-schrumpfender-Staedte/!5738231
[2] https://www.zeitz.de/Rathaus-und-Service/Aktuelles/Pressemitteilungen/Offen…
## AUTOREN
Rieke Wiemann
## TAGS
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