| # taz.de -- Politisierung der Wechseljahre: Von Hirn und Hormonen | |
| > Die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden ist ein Akt weiblicher | |
| > Selbstermächtigung. Doch dahinter steckt auch neoliberales Denken. | |
| Bild: Unsere Generation von Frauen, die jetzt in ihren 50ern ist, ist eine neue… | |
| Neulich habe ich einen Vortrag von Sheila de Liz gehört, jener Gynäkologin, | |
| die mit ihrem Hormon-Erklärbuch „Woman on Fire“ einer ganzen Generation von | |
| Frauen, nämlich unserer, die Augen geöffnet hat. Sie gilt wahrscheinlich | |
| als Deutschlands bekannteste Gynäkologin. | |
| In diesem Vortrag erklärt sie, welche Funktion Hormone haben, wie es [1][in | |
| den Wechseljahren] zu ihrem Abbau kommt und welche Konsequenzen das für | |
| unsere Befindlichkeit hat. Doch Sheila de Liz bleibt nicht beim Informieren | |
| stehen, sie appelliert. | |
| Daran, diese Umstände – also die [2][Schlappheit, Antriebslosigkeit], die | |
| Depression, die geringe oder verschwundene Libido – nicht mehr hinzunehmen. | |
| Sie sagt Sätze, die seit einigen Jahren im Munde vieler Frauen sind. Sätze | |
| wie: „Das muss so nicht sein.“ „Keine Frau muss das heute aushalten.“ U… | |
| „Warum sollten wir uns nicht helfen lassen, wenn es doch geht?“ | |
| Auch ich habe bei ihrer Rede den Impuls gespürt zu denken: „Ja, vielleicht | |
| wäre es doch nicht so schlecht, etwas einzunehmen. Mir Testosteron-Salbe | |
| auf den Arm zu schmieren, um die Antriebslosigkeit in den Griff zu | |
| bekommen. Oder ein Estradiol-Plaster aufzukleben, damit in Kombination mit | |
| einer Progesteron-Tablette die Hitzewallungen milder ausfallen. | |
| Nach Jahren, in denen es über Wochen keine Nacht ohne drei- bis | |
| vierstündiges Wachsein gab, ein Energieniveau kurz vor dem Nullpunkt und | |
| Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, bei denen mir mitunter nicht | |
| mal mehr der Name meines Vis-à-vis-Nachbarn einfiel oder mir das Wort nicht | |
| in den Kopf kam, wie dieses Ding heißt, das man nimmt, wenn man nicht mit | |
| der U-Bahn fährt, sondern dieses lange Ding nimmt, mit den Rädern, geht es | |
| mir mittlerweile wieder recht gut. | |
| ## Wie Doping | |
| Der Kopf funktioniert wieder, die [3][Schlafstörungen] kommen nur noch | |
| selten vor, Energie ist wieder da und auch die restlichen Beschwerden wie | |
| Herzrasen haben sich weitestgehend verflüchtigt. | |
| Bestimmt, so der verführerische Gedanke, könnte es mir noch besser gehen. | |
| Ich habe mit dem Aufbau meiner Onlineplattform Palais F*luxx eine | |
| anstrengende Zeit vor mir und gleichzeitig große Angst, körperlich nicht | |
| durchzuhalten, dass es doch nicht schaden könnte, sich ein wenig zu helfen | |
| zu lassen. Ein klein wenig Hormone zu nehmen, um sich fitter zu fühlen, um | |
| mehr zu schaffen. Meine Freundin sagte, das wäre wie Doping. Darum könne es | |
| ja wohl nicht gehen. | |
| Ich bin auf der Veranstaltung „Douglas Beauty and Health-Summit“ mit einer | |
| Frau ins Gespräch gekommen, die begeistert davon erzählte, dass sie Hormone | |
| nehme. Ihre [4][Wechseljahresbeschwerden] schienen nicht besonders stark | |
| gewesen zu sein, im Vergleich mit meinen ein kleiner, nerviger Floh. Sie | |
| schien unter leichter depressiver Verstimmung gelitten zu haben, aber | |
| jetzt, wo sie Hormone nimmt, fühlt sie sich so gut und kraftvoll. | |
| Auch sie war von dem Umstand begeistert, das ist ja alles gar nicht so sein | |
| müsse, wie die Natur es eingerichtet hat. Und freute sich, ihr ein | |
| Schnippchen schlagen zu können. Einfach, weil sie es kann. Jetzt, da die | |
| Medizin so weit ist, wir Frauen das Wissen haben und Sheila de Liz uns | |
| geradezu befreit hat von der Geißel der Unwissenheit. | |
| Während ich die Liz-Jüngerin so anschaute und sehr neidisch wurde, ob ihrer | |
| abgeworfenen Skepsis, ihrer hinter sich gelassenen Bedenken und Mahnungen | |
| wegen möglicher erhöhter Krebs-und Thrombose-Risiken und sich mir | |
| stattdessen ihr Wille zur Freiheit offenbarte, meinte ich etwas zu | |
| verstehen. | |
| ## Vermeintliche Selbstermächtigung | |
| Es geht der Frau gar nicht so sehr um die Hormone und die Frage, ob es | |
| wirklich klug ist, sie zu nehmen. Es geht darum, es zu tun, weil sie es | |
| kann. Es ist der Rausch einer vermeintlichen Selbstermächtigung. Es ist die | |
| Freude über eine neu erkämpfte Freiheit, die Frauen wie Sheila de Liz so | |
| beflügelt. | |
| Hier triumphiert nichts anderes als der Kern des Neoliberalismus: etwas, | |
| das im Rahmen des Möglichen liegt, als Freiheit zu verstehen. Und daraus | |
| einen Anspruch zu formulieren, den es umzusetzen gelte, auch, wenn die | |
| Umsetzung unklug sein könne. Es reicht aus, das Gefühl, den Gedanken zu | |
| haben: „Weil ich es kann!“. | |
| Die ständig wiederholte rhetorische Frage „warum man sich nicht helfen | |
| lassen soll, wenn es doch geht“, ist das Mantra der Stunde. Was der | |
| Autofahrer-Lobby „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist, ist uns Frauen „Wa… | |
| was aushalten, was ich nicht aushalten muss?“. Es ist nach Jahrhunderten, | |
| in den Frauen durch Mediziner – häufig in Absprache mit den Ehemännern – | |
| bevormundet wurden, die Ermächtigung, die vermeintliche Selbstbestimmung, | |
| die dahintersteht und die den Hormonkonsum so attraktiv macht. | |
| Die wirksame Suggestion ist die: Bis zu diesem Punkt waren Frauen abhängig | |
| von dem Wissen und der Macht der (meist männlichen) Ärzte. Jetzt sind wir | |
| aufgeklärt. Sheila de Liz hat uns aufgeklärt. Sie hat uns Wissen gegeben, | |
| sie hat uns befreit. | |
| Wir können jetzt Zaubermittel schlucken, die uns aus dem Joch des Leids | |
| herausholen. Wir wären ja dumm, es nicht zu tun. Diese Gedanken in ihrer | |
| lieblichen Verführung und ihrem süßen Versprechen lassen nicht nur die | |
| Skepsis an den Hormonen zur Rede der Dummen werden, sie schalten jeden | |
| relativierenden Gedanken aus. | |
| Was bleibt, ist eine Frau, für die sich Möglichkeiten zu einem | |
| intrinsischen Anspruch wandeln. Die zwischen Können und Wollen nicht mehr | |
| unterscheidet und für die – Kern der neoliberalen Denke – Vernunft nicht | |
| länger eine Währung ist. Was hinter der vermeintlichen Ermächtigung | |
| verschwindet, ist die kapitalistische Knute der uneingeschränkten | |
| Leistungsbereitschaft, die ein gesellschaftliches Thema – Wechseljahre – zu | |
| einem der individuellen Lösung und Ertüchtigung macht. | |
| ## Das letzte Lebensdrittel | |
| Sie erklärt einen natürlichen Prozess, den einer Wandlung, zum vermeidbaren | |
| Übel. Die Natur muss ausgetrickst werden, die Trickserei wird als Triumph | |
| der Selbstbestimmung verkauft. Auf dem Siegertreppchen der neoliberalen | |
| Leistungsgesellschaft stehen die fitten, die hormongefütterten Frauen. Die, | |
| die nicht cremen und schlucken, liegen kollabiert davor. | |
| Klar, jede Frau, die Hormone nehmen will, soll es tun. Es ist gut, dass es | |
| die Möglichkeit gibt, wenn es notwendig und medizinisch unbedenklich ist. | |
| Aber wir sollten uns vielleicht mehr mit der Frage beschäftigen: Nehme ich | |
| sie, weil ich sie brauche oder weil ich die Möglichkeit habe? Weil es zu | |
| tun ein Ausdruck meiner Selbstermächtigung ist, nach den Jahrhunderten der | |
| Bevormundung und Unterdrückung die Entscheidung selbst treffen zu können? | |
| Unsere Entwicklung in den Wechseljahren, unser körperliches und geistiges | |
| Älterwerden hat ihren Sinn. Es ist ein Abschied von der Zeit, als unsere | |
| Fruchtbarkeit unterschiedlichste Türen der Lebensgestaltung geöffnet hat, | |
| gleichzeitig ermöglicht er uns, andere Positionen in der Gesellschaft | |
| einzunehmen. Fern der Kümmernden, der Versorgenden – in manchen Kulturen | |
| steigen wir in die Sphären der Weisen auf, bekleiden angesehene Ämter. | |
| Gleichzeitig sind die Wechseljahre die Vorbereitung auf das, was kommt: das | |
| letzte Lebensdrittel. | |
| Es ist schwierig, diesem Prozess zuzugucken, ihn auszuhalten. Er tut weh. | |
| Gerade, wenn man sich wenig „alt“ fühlt, sich als in der Blüte seines | |
| Lebens empfindet und noch viel vorhat, ist es, als führe ein Zug mit dem | |
| Körper davon, während der Geist noch auf dem Bahnsteig steht. | |
| Unsere Generation von Frauen, die jetzt in ihren 50ern ist, ist eine neue. | |
| Eine, die sich befreit. Die die Zuschreibungen und Bilder von „älteren“ | |
| Frauen hinter sich lässt und neu definiert. Das ist großartig und auch für | |
| mich das Ziel: ein neues Bild von Frauen und von Alter in der Gesellschaft | |
| verankern. Für mich ist es allerdings nicht damit getan, bunte, fancy | |
| Klamotten anzuziehen und auf Instagram zu zeigen, dass wir auch mit 55 noch | |
| „voll jung“ aussehen oder so viel leisten können wie 30-Jährige. | |
| Es geht auch darum, sich mit Alter und dem Älterwerden auseinanderzusetzen, | |
| den Prozess zu begreifen und zu gestalten. Etwas zu schaffen, das mehr ist | |
| als eine Hülle. Das uns erfüllt und auch der Gesellschaft Antworten gibt. | |
| Es ist die anstrengende Art. Die mit Hirn. Nicht nur mit Hormonen. | |
| 11 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Silke Burmester | |
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