| # taz.de -- Mobilisierung durch das rechte Lager: Gegen Armut, gegen rechts | |
| > Wegen explodierender Kosten droht eine neue Armutswelle. Rechte machen | |
| > sich bereit, die Not für sich zu nutzen. Wo bleibt die Mobilisierung von | |
| > links? | |
| Bild: Bereits während der Corona-Pandemie wurden Sozialproteste vom rechten La… | |
| Es ist Ende September 2022. Hohe Nachforderungen für Heizkosten treffen | |
| viele Menschen hart. Infolge der Inflation haben sich die | |
| Einkommenschwächsten bereits in den Monaten zuvor einschränken müssen. Nun | |
| kommt die Angst die Wohnung zu verlieren, in Armut zu enden hinzu. Andere, | |
| die die explodierten Lebenshaltungskosten bislang noch abfangen konnten, | |
| sorgen sich jetzt vor dem sozialen Abstieg. Viele suchen frustriert nach | |
| individuellen Lösungen, andere aber sind wütend und wollen ihren Frust | |
| herauslassen: Wieso tut die Politik nichts? | |
| Diese Vorhersage, die als sicher gelten kann, wird sich zur Dystopie | |
| steigern, wenn die Linke der sozialen Misere weiter tatenlos zuschaut. Was | |
| dann droht, ist eine durchaus reale Gefahr: Neue Montagsdemos breiten sich | |
| aus, organisiert von den Akteur:innen und mit den Strukturen der | |
| Corona-Proteste und der AfD. Als gemeinsames Feindbild und alleiniger | |
| Schuldiger dient die Bundesregierung, die die „normalen Menschen“ im Stich | |
| lasse. Soziale Forderungen mischen sich mit Kritik an angeblich | |
| beschnittener Meinungsfreiheit, unsinniger Coronapolitik und einem falschen | |
| Umgang mit Russland, der für die aktuelle Misere verantwortlich sei. | |
| Diesmal ist auch die AfD mit allem, was sie hat dabei. Die euphorische | |
| Hoffnung, das verhasste demokratische System zu stürzen, eint die Rechte | |
| wie nie. Eine übergreifende Kampagne beutet die Abstiegsangst populistisch | |
| aus und verzichtet auf allzu offensichtlichen Rassismus. Angesprochen | |
| werden auch Menschen, die bislang nicht ins Netz von Alternativmedien und | |
| Verschwörungserzählungen geraten waren. Wo anders sollen sie mit ihren | |
| Forderungen nach sinkenden Preisen und staatlicher Unterstützung auch hin? | |
| Andere Proteste gibt es – zumindest in der Fläche – nicht. | |
| ## Drohende Sozialproteste von rechts | |
| Diese Szenerie der Sozialproteste von rechts ist so dystopisch wie | |
| greifbar. Das verschwörungsaffine und rechte Lager hat sich während der | |
| Coronapandemie bestens vernetzt und giert nach neuen Aufregerthemen. | |
| Thüringens Verfassungsschutzchef [1][Stephan Kramer prophezeit gar], die | |
| Querdenken-Proteste könnten „ein Kindergeburtstag im Vergleich zum | |
| kommenden Herbst und Winter“ gewesen sein. | |
| Der heimliche AfD-Chef Björn Höcke heizt die Sorgen der „deutschen Bürger�… | |
| an, die „für ein anderes Land im Winter frieren sollen“. Ein | |
| AfD-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt berichtet triumphierend: | |
| „Wenn spätestens im Herbst der Unmut der Bevölkerung wieder auf die Straßen | |
| tritt, sind wir nun gut vorbereitet.“ | |
| Und was macht die Linke? Die gleichnamige Partei ist in ihrer tiefsten | |
| Krise, kaum handlungs- oder mobilisierungsfähig. Die Gewerkschaften haben | |
| an Kampfkraft und gesellschaftlichem Gestaltungswillen nicht mehr viel zu | |
| bieten – und sind durch Tarifauseinandersetzungen gebunden, mit denen | |
| zumindest ein Teil des Kaufkraftverlusts ausgeglichen werden soll. | |
| Und die außerparlamentarische Linke ist segmentiert, steckt in | |
| Teilbereichskämpfen und ist kaum mehr imstande, Menschen außerhalb der | |
| eigenen Szene anzusprechen. Die letzte Sozialbewegung, die ihren Namen | |
| verdient, richtete sich vor fast 20 Jahren gegen die Einführung von Hartz | |
| IV. Die Bearbeitung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit ist der | |
| Linken abhanden gekommen, ein Nischenthema neben vielen. | |
| ## Deutungshoheit über Proteste zurückgewinnen | |
| Doch schafft es die gesellschaftliche Linke nicht, in der größten sozialen | |
| Krise seit den 1990er Jahren aktiv zu werden, und überlässt stattdessen den | |
| Rechten das Feld, wäre das der Worst Case: für sie selbst, weil sie sich | |
| dann endgültig überflüssig macht, genauso wie für das Thema. Denn | |
| Sozialproteste von rechts verdienen schon die Bezeichnung nicht: Sie stehen | |
| für die Suche nach Schuldigen statt einer Analyse kapitalistischer | |
| Strukturen, für Neiddebatten zwischen Abstiegsgefährdeten statt für | |
| Solidarität über alle Betroffenengruppen hinweg. | |
| Zumindest leise Hoffnungsschimmer aber gibt es: Das vor allem in Hamburg | |
| präsente linke Bündnis „Wer hat, der gibt“ demonstrierte zuletzt unter | |
| großem medialen Interesse [2][auf Sylt für Umverteilung]. In Bremen gelingt | |
| es gar über Symbolpolitik hinaus ein Protestangebot zu kreieren, das sich | |
| auf die Lebenssituation der Armen fokussiert. Zusammengetan haben sich | |
| verschiedene Gruppen zum [3][Bündnis gegen Preiserhöhungen], mit populärer | |
| Ansprache und einem vorausschauenden Blick: „Starke solidarische Proteste | |
| gegen die Preiserhöhungen können deswegen auch vor rechten | |
| Vereinnahmungsversuchen schützen und ihnen den Boden entziehen, bevor sie | |
| überhaupt da sind.“ Der Ansatz ist richtig, denn läuft es andersherum, | |
| stehen Linke nur noch vor der Frage, wie sie auf die von rechts gesteuerten | |
| Proteste der Armen reagieren: Resignieren? Gegen sie demonstrieren? Eine | |
| Lose-lose-Situation. | |
| Womöglich aber kommt der Anstoß für Proteste auch aus unbekannter Ecke; von | |
| ganz neuen Akteuren, die in der Links-rechts-Frage nicht eindeutig | |
| positioniert sind. Während sich Rechte nicht lange mit Analysen aufhalten | |
| werden, stehen Linke vor der strategischen Frage: Wären sie bereit, sich | |
| die Hände schmutzig zu machen, um die Deutungshoheit und Abgrenzung nach | |
| rechts zu erkämpfen, so wie es bei den Gelbwesten in Frankreich gelang? | |
| Für Linke ist es an der Zeit, die Herausforderungen anzunehmen, auch wenn | |
| die Ausgangsbedingungen nicht gut sind. Doch jeder Flyer, jede Kundgebung, | |
| jedes Bündnis, das die sozialen Sorgen der Menschen in den Mittelpunkt | |
| stellt, ist wichtig: für den Kampf gegen die neue Armut – und gegen die | |
| Rechten. | |
| 23 Jul 2022 | |
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| Erik Peter | |
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