# taz.de -- Inflation in Europa: Auf die Straße, fertig, los | |
> Europa könnte wegen steigender Preise ein Wutwinter bevorstehen. In | |
> Frankreich bereiten sich die Gelbwesten darauf vor, in Österreich die | |
> Querdenker. | |
Bild: Die Gelbwesten wollen an ihre Anfänge 2018 anknüpfen, doch viele haben … | |
Als wir angefangen haben, kostete ein Liter Diesel 1,54 Euro. Jetzt sind es | |
1,84 Euro,“ sagt Damien Mallot*. Der Klempner aus Melun, eine Autostunde | |
südöstlich von Paris, war 2018 von Anfang an bei den [1][Protesten der | |
Gelbwesten] dabei. Seine Frau sitzt seit einigen Jahren im Rollstuhl, ist | |
chronisch krank, arbeitsunfähig. Das Paar lebt mit der 14-jährigen Tochter | |
in einer 65-Quadratmeter-Wohnung. Mallot hat zwei Jobs, 2.200 Euro im Monat | |
bringen die insgesamt ein. Nach Abzug aller festen Kosten bleiben ihnen 800 | |
Euro zum Leben, sagt er. Und bei den Energiepreisen kommt die große | |
Teuerungswelle erst noch. | |
Frankreichs Regierung versuche, die Situation unter Kontrolle zu halten – | |
etwa durch eine Ausweitung des „Kaufkraftpakets“ – scheitere damit aber, | |
sagt Mallot. „Die Leute haben die Nase voll von den Steuern. Miete und | |
Heizung bringen viele in sehr große Schwierigkeiten.“ Die Teuerungsrate lag | |
im Juli bei 6,1 Prozent pro Jahr – ein Jahr zuvor waren es 1,2 Prozent. | |
„Das sollte die Menschen auf die Straße treiben“, sagt Mallot. | |
Vom drohenden „Wutwinter“ in Europa ist gerade viel zu hören: Die einen | |
fürchten, dass er als Konjunkturprogramm für die extreme Rechte wirken | |
könne. Andere hoffen, mit Druck von der Straße, linke Forderungen wie | |
Preiskontrollen und Lohnerhöhungen durchsetzen zu können. | |
In Deutschland warnt der Verfassungsschutz davor, dass Rechtsextreme die | |
Protestbewegungen kapern könnten, Sozialverbände beklagen eine | |
Vorab-Diffamierung legitimer Proteste und die grüne Außenministerin | |
Annalena Baerbock spricht gar [2][von möglichen „Volksaufständen“] gegen | |
die hohen Gaspreise. | |
## Kommen sie wieder? | |
Sicher ist: Die Inflation von 8,9 Prozent im Juli in der Eurozone ist | |
Treibstoff für Frust und Widerstand. | |
Wie in den Ländern Europas der Unmut über die [3][steigenden | |
Lebenshaltungskosten] politisch zu kanalisieren versucht wird, ist höchst | |
unterschiedlich. Stets werden drei Themen mitverhandelt: [4][Klimaschutz], | |
der [5][Ukrainekrieg] und die [6][Coronapolitik]. Die Preisexplosion | |
verschmilzt mit den anderen Großkrisen dieser Zeit zu einem teils | |
hochtoxischen Gefüge. | |
In Frankreich etwa geschieht dies in einer politischen Landschaft, die mit | |
den Gelbwesten erst kürzlich ein ideologisch heterogenes, aber äußerst | |
[7][mobilisierungsfähiges Protestmilieu] hervorgebracht hat. Der Regierung | |
von Emmanuel Macron wurde dies so gefährlich, dass der Schatten der | |
Gelbwesten bis heute durch Klimaschutzverhandlungen geistert. Und das nicht | |
nur in Frankreich: Übertreibt es nicht, sonst kommen wir wieder. | |
„Frankreich in Wut“ so nannten sich die Gelbwesten selbst, es passt zu | |
einem drohenden „Wutwinter“, es passt auch zu Mallot, der sich eine | |
Zigarette nach der anderen ansteckt, wie um Druck abzulassen, während er | |
erzählt, wie das damals war, im Herbst 2018, mit den Sternmärschen und | |
Großdemos. | |
Über Facebook, den Messengerdienst Discord und Whatsapp verabredeten sie | |
sich zur Blockade der Straßenkreuzungen – zunächst, um [8][Emmanuel | |
Macrons] Pläne für eine CO2-Steuer von 6,5 Cent pro Liter Diesel und 2,9 | |
Cent für Benzin zu kippen. Die Idee, „alles Fossile zu stoppen, war eine | |
Dummheit, das ist extrem teuer für die kleinen Leute“, sagt Mallot. | |
Ihn selbst hatte damals aufgebracht, dass sein Einkommen für die Berechnung | |
der Behindertenbeihilfe seiner Frau mit angerechnet wurde. So bekam sie | |
statt 500 nur 185 Euro Beihilfe – während er selbst immer weniger arbeiten | |
konnte, weil er sich um seine zunehmend hilfsbedürftige Frau kümmern musste | |
Von Beginn an hat er in seiner Heimatstadt die Aktionen der Gelbwesten | |
koordiniert. Jede Woche freitags von 19 bis 23 Uhr, samstags von 9 bis 19 | |
Uhr, standen sie an der Europa-Kreuzung, zu Hochzeiten mit 80 Aktiven. „Ich | |
habe es geliebt, ich habe unglaubliche Leute kennengelernt“, sagt er. Sie | |
wollten nicht nur stabile Preise an der Zapfsäule, sondern mehr im | |
Geldbeutel: höhere Löhne, niedrigere Steuern, mehr Sozialleistungen. | |
„Umverteilung des Reichtums, darum ging es letztlich“, sagt Mallot. | |
„Bürgerproteste“ seien das gewesen, ein wenig wie jene der Französischen | |
Revolution 1789, getragen von der Mittelschicht, das ist Mallot wichtig: | |
„Denn die zahlt für den ganzen Rest. Für die Reichen, die keine Steuern | |
zahlen, und für die Armen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.“ | |
Melun ist für die Gelbwesten ein besonderer Ort: Hier lebt auch der | |
Lkw-Fahrer [9][Eric Drouet], der Ende Oktober 2018 zu einer | |
Autofahrer-Kundgebung auf der Pariser Ringautobahn aufruft. 300.000 machen | |
schließlich landesweit mit. Die Gelbwesten sind geboren und Drouet ruft zum | |
Sturm auf den Élysée-Palast. | |
Alle, die gegen Präsident Macron waren, versuchen damals, die Gelbwesten zu | |
vereinnahmen. Marine Le Pen, Anführerin des rechten Rassemblement National | |
(RN), versichert, sie unterstütze die Gelbwesten „seit der ersten Stunde“. | |
Der Linke Jean-Luc Melenchon, Anführer der populistischen Bewegung La | |
France Insoumise („Unbeugsames Frankreich“, LFI), bejubelt die Gelbwesten | |
als „Bürgerrevolution“ und bezeugte Drouet öffentlich seine Bewunderung. | |
Beide, so sagt Drouet später, hätten ihn erfolglos als Kandidat für die | |
EU-Wahl im Mai 2019 zu gewinnen versucht. | |
Auf den großen Gelbwesten-Demos gibt es teils Krawalle, die Polizei | |
reagiert mit extremer Gewalt. Mitte 2019 flauen die Proteste wieder ab. | |
Verschwunden aber sind die Westenträger nicht. | |
Macron führt in diesem Jahr vor den Parlamentswahlen am 19. Juni zwar einen | |
mittlerweile auf satte 30 Cent pro Liter angehobenen Tankrabatt ein. Der | |
soll die Preiserhöhungen durch die Russland-Sanktionen abdämpfen und so den | |
Populisten das Thema entziehen. Doch der Rabatt läuft Ende August aus. | |
Ideale Voraussetzungen für ein Comeback der Gelbwesten also. | |
Die seien allerdings nicht mehr das, was sie mal waren, findet Damien | |
Mallot. Er hat die Bewegung mittlerweile verlassen. „Destruktiv“ sei diese | |
geworden. „Es gibt keinen Anführer. Denn jeder, der dies werden wollte, | |
wurde angegriffen, vom Staat und von innen.“ Dazu komme der „Black Block“, | |
der Repression der Polizei provoziert hätte, sagt Mallot. | |
Für die nächsten Wochen planen die Gelbwesten mindestens zwei Großproteste. | |
Doch das, was da nun komme, sei nicht zu vergleichen mit 2018: Die Aktionen | |
gehen „mehr von Gewerkschaften und Parteien, nicht mehr von den Bürgern | |
aus“, sagt Mallot. Vor allem Mélenchons LFI versuche seit jeher die | |
Gelbwesten zu vereinnahmen und habe dabei zuletzt wachsenden Erfolg. „Eher | |
nicht mein Ding“, sagt Mallot. Auch viele andere hätten die Bewegung | |
deshalb verlassen. | |
Das rechte RN werde die Proteste nicht dominieren können, glaubt er. „Die | |
Wurzeln des RN liegen in der Kollaboration mit den Nationalsozialisten. Sie | |
sind keine republikanische Partei.“ | |
Doch tatsächlich hatten einer Umfrage von 2019 zufolge 44 Prozent der | |
Gelbwesten bei den damaligen EU-Wahlen das RN gewählt, mehr als jede andere | |
Partei. Und auch heute hat das RN eine bessere Ausgangslage, um von | |
Protestierenden als politische Repräsentanz anerkannt zu werden. Denn die | |
Partei der Putin-Freundin Le Pen ist seit jeher gegen Russland-Sanktionen. | |
Der Linke Mélenchon hingegen hält diese im Ukrainekrieg, bei aller Skepsis, | |
für „das Einzige, was zu tun bleibt.“ | |
Und auch das, was derzeit in den Aufrufen zur Pariser Gelbwesten-Demo zu | |
lesen ist, ist durchaus anschlussfähig für Le Pen: Neben Maßnahmen gegen | |
die Inflation und für mehr öffentliche Dienstleistungen wird ein Ende der | |
„totalitären“ Gesundheitspolitik – gemeint sind Coronamaßnahmen – sow… | |
Austritt Frankreichs aus Nato, EU, WHO und „jeder supranationalen | |
globalistischen Organisation“ gefordert. | |
Während es also in einem französischen „Wutwinter“ auf das Erbe der | |
Gelbwesten ankommen könnte, dürfte in Österreich die Querdenkerszene eine | |
wichtige Rolle spielen. Viele Corona-Demonstrant*innen marschieren direkt | |
weiter – auf Demos gegen die Teuerung. Etwa im oberösterreichischen Steyer | |
– einer Hochburg der Corona-„Spaziergänge“, mit teils Tausenden | |
Teilnehmer*innen und engen Kontakten zur deutschen Querdenken-Bewegung. | |
Die Wortführerin in Steyer ist die selbst ernannte Schamanin Sabine | |
Brandner. „Es geht mittlerweile um ein leistbares Leben, darum, dass man im | |
Winter nicht bei 13 Grad Innentemperatur dasitzen kann,“ sagte sie beim | |
Spaziergang am vergangenen Sonntag dem Regionalsender RTV. | |
## Heterogenes Milieu | |
Die Querdenkerszene ist dabei stark verbunden mit der rechtsextremen FPÖ, | |
die seit jeher Putin nahe steht. Deren Botschaft: Der Wohlstandsverlust ist | |
zu groß, das Land müsse im Ukrainekrieg deshalb eine neutrale Position | |
einnehmen. Im September wird die FPÖ einen Antrag auf eine Volksbefragung | |
zu den Sanktionen ins Parlament einbringen. Parallel dazu hetzt sie auf | |
allen Kanälen gegen angeblich ankommende Flüchtlingsmassen. „2015 | |
wiederholt sich“ heißt es in einem am vergangenen Sonntag von der FPÖ | |
veröffentlichten Video, das zeigt, wie angeblich „tagtäglich unzählige | |
illegale Einwanderer aufgegriffen“ werden. | |
Mit dem Thema versucht die Partei zu punkten seit es sie gibt. Und seit | |
2015 haben sich zwei Dinge zu ihren Gunsten verändert: Das Ressentiment | |
gegen Flüchtlinge trifft nun auf eine real begründete, wachsende Angst vor | |
Verarmung. Gleichzeitig hat die FPÖ – anders als 2015 – seit den | |
Coronademos eine soziale Basis auf der Straße. Denn gegen die | |
Pandemiepolitik sind Identitäre und andere Rechtsextreme ganz vorn | |
mitmarschiert. | |
Ein zuvor [10][sehr heterogenes Milieu von Coronaskeptikern] hat deshalb | |
fast zwei Jahre lang Verschwörungsideologie und extrem rechte Propaganda | |
aufgesogen. Die „Plandemie“ ist darin nur der Anfang, Ukrainekrieg und | |
Preisexplosion sind die Fortsetzung. Alles Übel wird als Teil des „Great | |
Reset“ hingestellt – einer Art Universal-Verschwörungstheorie. Vor allem | |
[11][über Telegram] abonnieren heute Hunderttausende nonstop abstruseste | |
Fake News, die vor allem eine Wirkung haben: Immer mehr Menschen wenden | |
sich vom demokratischen Gemeinwesen ab. | |
Konstantina Rösch, eine Allgemeinmedizinerin, der im Februar die Zulassung | |
als Ärztin entzogen wurde, ist eine der bekanntesten Figuren der | |
Corona-Demonstrant*innen in Österreich. Die Maskenpflicht nennt sie die | |
„vorderste Frontline“ im Kampf gegen den „feigen, erbärmlichen und so | |
lächerlichen Gegner“ – gemeint ist die ÖVP-Grünen-Regierung. | |
„Die allermeisten Menschen im Land wissen, dass mit der Politik etwas nicht | |
stimmt, dass das im besten Fall Kasper sind, dass nichts hinhaut“, sagte | |
Rösch dem extrem rechten Online-Fernsehsender Auf1-TV. „Was sie aber noch | |
nicht verknüpfen können, ist, dass die Menschen, die sie belogen haben, | |
schuld am wirtschaftlichen Niedergang, am Verlust der Lebensqualität sind. | |
Diese Verknüpfung fehlt noch. Wenn die da ist, wird der Zorn der Menschen | |
sehr ungut werden.“ | |
Auf1-TV hat allein auf Telegram 210.000 Follower und [12][seit Kurzem ein | |
Büro in Berlin] – geführt von Martin Müller-Mertens, einem Redakteur des | |
rechtsextremen Magazins Compact. Wer hier zuschaut kriegt ein | |
Verschwörungs-Vollprogramm: Die US-Regierung als „Marionetten der | |
Globalisten“, Klimaschutz als Gesundheitsgefahr und Bill Gates, der „uns zu | |
überwachten Cyborgs machen will“. | |
Der Gewerkschaftsbund ÖGB ist indes nach Kräften bemüht, den Rechten nicht | |
das Feld zu überlassen. Für den 17. September ruft er in vielen | |
Landeshauptstädten zu „Preise runter“-Demos auf. „Wir sehen es als wicht… | |
an, über den Kreis der Gewerkschaftsmitglieder hinaus zu demonstrieren“, | |
sagt ÖGB-Sprecher Patrick Fischer der taz. Das Problem, dass auch | |
Rechtsextreme zu den Protesten aufrufen „ist uns bewusst. | |
Wir wollen nicht, dass die bei uns mitlaufen und setzen da eine klare | |
Schranke“. Dazu biete man „seriöse Ansätze, Analysen und Vorschläge unse… | |
Experten“. So erhebt der ÖGB Forderungen wie Übergewinnsteuer, | |
Energiepreisdeckel, Verbrauchersteuersenkungen oder Mietobergrenzen. | |
So soll die extreme Rechte nicht nur bei den Sozialprotesten, sondern auch | |
im anstehenden Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft am 9. Oktober | |
ausgebremst werden. | |
Auch in der Schweiz bereiten sich die Gewerkschaften auf harte | |
Auseinandersetzungen vor. „Als Gewerkschafter weiß man, dass Argumente | |
nicht immer ausreichen. Manchmal braucht es mehr“, sagte Pierre-Yves | |
Maillard, der Präsident des Gewerkschaftsbundes, Anfang August dem | |
Tages-Anzeiger. „Wenn die Arbeitgeber die Löhne nicht erhöhen, wird es | |
soziale und politische Unruhen geben.“ Ein Teil der Menschen werde schon | |
bald echte Probleme haben, die Fixkosten zu stemmen. | |
„Denken Sie an Heizung, Lebensmittel, aber auch die Krankenkassenprämien.“ | |
Maillard will der Inflation auf dem klassischen Weg beikommen: durch | |
Tarifverhandlungen und Streiks. Weil die Inflationsrate in der Schweiz bei | |
vergleichsweise niedrigen 3,2 Prozent liegt, strebt er Lohnabschlüsse von | |
rund 5 Prozent an. „Alles andere wäre katastrophal für den Arbeitsmarkt und | |
den Konsum“, sagt Maillard. | |
Mit Verweis auf Kaufkraft und Teuerung hatte 2021 die nationalkonservative | |
SVP das geplante CO2-Gesetz per Referendum gestoppt. „Heizen, Pendeln und | |
Ferien – alles wird teurer“, warnte die Partei. Und so argumentierte sie | |
auch gegen andere Maßnahmen zur CO2-Reduktion, die nur dann akzeptabel | |
seien, wenn sie mit finanziellen Entlastungen einhergingen. Die SVP | |
forderte Steuersenkungen statt der Erhöhung bestehender Abgaben. | |
Während sich in der Schweiz die Diskussion um höhere Löhne und Klimaschutz | |
dreht, ist das südliche Nachbarland Italien – Inflationsrate: 7,9 Prozent – | |
[13][voll im Wahlkampf]. | |
Eigentlich wäre Regierungschef und Ex-EZB-Präsident Mario Draghi noch bis | |
zum kommenden Frühsommer im Amt. Doch im Juli entzogen die | |
Koalitionspartner ihm das Vertrauen. Am 25. September wird nun gewählt, die | |
Lage ist kompliziert. | |
Die Rechten stehen möglicherweise vor der Regierungsübernahme, eine große | |
Mobilisierung über das Inflationsthema ist für sie aber kaum möglich. Denn | |
die extrem rechte Lega von Matteo Salvini und die ebenfalls rechte | |
Berlusconi-Partei Forza Italia sind Teil von Draghis noch amtierendem | |
Regierungsbündnis. Sozialproteste gegen sich selber anzuführen ist | |
schwierig. | |
Gleichzeitig streben die beiden Parteien nach der Wahl ein neues | |
Regierungsbündnis mit der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia und | |
deren Vorsitzenden Giorgia Meloni an. Die steht jüngsten Umfragen zufolge | |
weit oben in der Wählergunst. Gemeinsam müsste der Rechtsblock nach der | |
Wahl mit der dann wohl voll durchschlagenden Energieteuerung umgehen. Da | |
fällt es schwer, jetzt unerfüllbare Forderungen zu erheben. | |
Draghi hatte zuletzt einiges getan, um Italiens Gasversorgung sicher zu | |
stellen. Er schloss Lieferverträge mit Libyen und Algerien und schaffte | |
zwei schwimmende Flüssiggasterminals an. Doch auch Italien importiert | |
bislang noch 46 Prozent seines Gases aus Russland. | |
Zusätzlich kompliziert ist die Lage, weil sowohl Berlusconi als auch | |
Salvini seit langem enge Verbindungen zu Russland pflegen, was derzeit in | |
Italien nicht gut ankommt. Als klar war, dass Draghis Regierung aufgelöst | |
wird, tat Salvini deshalb das, was er immer tut: Er hetzte gegen | |
Immigranten. | |
Um das Inflationsthema kommt die Lega trotzdem nicht herum. Italien soll | |
mit rund 200 Milliarden Euro die meisten Gelder aus dem | |
EU-Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ erhalten. Auf dieses Geld | |
wird auch eine mögliche Rechtsregierung angewiesen sein. Anders als früher | |
lehnt die Lega die EU deshalb heute nicht mehr ab, sondern beschränkt sich | |
darauf, mehr nationale Souveränität zu fordern – eine Art „ungarischer | |
Ansatz“, mit dem sich wohl auch eine mögliche postfaschistische | |
Ministerpräsidentin Meloni arrangieren würde. Linke – sowohl | |
antikapitalistisch-außerparlamentarische als auch Gewerkschafter*innen | |
– argumentieren indes, dass die Milliarden vor allem für Sozialprogramme | |
statt für Unternehmensrettung genutzt werden sollen. | |
Eine der wichtigsten Stellschrauben dabei ist das sogenannte Bürgergeld, | |
dass 2019 auf Initiative der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt wurde und den | |
Staat derzeit etwa neun Milliarden Euro im Jahr kostet. Die neue Regierung | |
wird entscheiden müssen, ob und wie sie es als Hilfsmaßnahme gegen die | |
Inflation weiterführt. | |
Die Rechten wollen es auf „arbeitsunfähige“ Empfänger*innen beschränken | |
und dafür Einkommenssteuern senken, Linke wollen es mit | |
Anti-Betrugs-Maßnahmen und aktivierender Arbeitsmarktpolitik reformieren. | |
Zumindest vor den Wahlen taugen diese Differenzen vor allem angesichts der | |
realpolitischen Eingebundenheit der extremen Rechten kaum zur großen | |
Straßenmobilisierung. | |
Der Ex-Gelbwesten-Koordinator Damien Mallot hofft indes weiter darauf, | |
dass die Franzosen mit Druck von der Straße ihre Regierung zwingen, das | |
Leben bezahlbar zu halten. An Massenproteste wie zu den Hochzeiten der | |
Gelbwesten 2018 hofft er zwar, glaubt daran aber nicht. „Die Franzosen sind | |
noch nicht wütend genug.“ | |
*Name geändert | |
28 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gelbwesten-Protest-in-Frankreich/!5553899 | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/krieg-folgen-von-gas-stopp-baerbock-bef… | |
[3] /Rekordplus-bei-den-Erzeugerpreisen/!5873115 | |
[4] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[5] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[6] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[7] /Prozess-gegen-Gelbwesten-in-Frankreich/!5756894 | |
[8] /Schwerpunkt-Emmanuel-Macron/!t5367717 | |
[9] /Wortfuehrer-der-Gelbwesten-in-Paris/!5560148 | |
[10] /Bewegung-der-Corona-Leugner/!5790017 | |
[11] /Corona-Leugnung-auf-Telegram/!5781112 | |
[12] /Von-Compact-zu-Auf1/!5871851 | |
[13] /Vor-den-Wahlen-in-Italien/!5873493 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Gelbwesten | |
Schwerpunkt Armut | |
Österreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Inflation | |
GNS | |
Sozialproteste | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Energiekrise | |
Sozialproteste | |
Russland | |
Sozialproteste | |
Rechte Szene | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Festnahme französischer Umweltaktivisten: Nachtragende Staatsmacht | |
Der französische Staat kriminalisiert friedliche Umweltaktive als | |
„Ökoterroristen“. Die Frage ist nur: Wer terrorisiert da wen? | |
Protest gegen Bewässerungsprojekte: Der „Wasserkrieg der Deux Sèvres“ | |
In Frankreich kommt es bei Protesten gegen ein öffentlich finanziertes | |
Bewässerungsprojekt zu Zusammenstößen. Bilanz: Dutzende Verletzte. | |
Nach Ende des Tankrabatts: Sprit wieder richtig teuer | |
Nach Auslaufen des Tankrabatts kostet Benzin in Deutschland deutlich mehr | |
als in den Nachbarländern. Bei Diesel ist der Unterschied sogar noch | |
größer. | |
Verfassungsschutz zum „Heißen Herbst“: Rechte mobilisieren mehr | |
Der Berliner Verfassungsschutz erwartet im Herbst keine Unruhen „über die | |
Schärfe der Coronaproteste hinaus“. Linke würden kaum mobilisieren. | |
Sozialproteste und Russlandpolitik: Wo ist die Linkspartei? | |
Der Linken fehlt der Wille zum Bruch mit Putins Sprechpuppen. Dabei braucht | |
es die Partei angesichts der elitären Krisenpolitik der Ampel dringend. | |
Sozialprotest vor FDP-Parteizentrale: Das erste Zucken der Sozialproteste | |
Am Mittwoch fand ein Sozialprotest vor der FDP-Zentrale statt. Einiges | |
spricht dafür, dass der Protest noch wachsen wird. Ein Wochenkommentar. | |
Mobilisierung durch das rechte Lager: Gegen Armut, gegen rechts | |
Wegen explodierender Kosten droht eine neue Armutswelle. Rechte machen sich | |
bereit, die Not für sich zu nutzen. Wo bleibt die Mobilisierung von links? |