| # taz.de -- Leihmütter in der Ukraine: Deutschlands exportiertes Dilemma | |
| > Schwangere Leihmütter sollen in der Ukraine bleiben, Babys liegen in | |
| > Luftschutzbunkern. Eine Situation, an der auch Deutschland eine Mitschuld | |
| > trägt. | |
| Bild: Spezieller Bunker für neugeborene Babys von Leihmüttern in Kyjiv am 15.… | |
| Kartons voller Windeln und Konservendosen stapeln sich vom Boden bis zur | |
| Decke. Auf dem Fußboden sind Schlafsäcke in Tarnmuster aneinandergereiht, | |
| an einer Seite des Raumes liegen Gasmasken. Eine Frau führt durch die Räume | |
| eines Luftschutzbunkers, vorbei an herumstehenden Menschen und sagt: „Es | |
| gibt genug Schlafsäcke und Gasmasken für alle Beteiligten.“ Und weiter: | |
| „Die Neugeborenen werden sich hier sehr wohlfühlen“. | |
| Diese skurril wirkenden Szenen sind [1][in einem Video] zu sehen, das von | |
| BioTextCom, dem größten Dienstleister für Reproduktionsmedizin in der | |
| Ukraine, vor ein paar Wochen bei YouTube hochgeladen wurde. Es richtet sich | |
| an werdende Eltern aus dem Ausland, die ihr Baby von einer Leihmutter in | |
| der Ukraine ausgetragen lassen. Es soll ihnen das Gefühl vermitteln: Ihr | |
| Baby ist in guten Händen – komme, was wolle. Das Video erschien drei Tage | |
| vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. | |
| Die gezeigte Situation ist mittlerweile Realität. Mindestens 18 Babys | |
| befinden sich [2][laut Medienberichten] momentan in dem Bunker in einem | |
| Vorort von Kyjiw, werden von Krankenpflegerinnen versorgt und warten | |
| darauf, von ihren Wunscheltern aus dem Ausland abgeholt zu werden. Aber | |
| nicht nur die Neugeborenen sind im Krieg gefangen. Hunderte Frauen in der | |
| Ukraine sind momentan schwanger mit einem Kind, das nicht ihres ist. Sie | |
| sind als Leihmütter tätig, bekommen also Geld dafür, ein Kind für jemand | |
| anderen auszutragen. BioTexCom warnt sie in einem Facebook-Post: Sie sollen | |
| trotz des Krieges nicht ins Ausland gehen, denn das könnte ihre Lage | |
| erheblich erschweren. Also bleiben sie im Kriegsgebiet. Dass sie das | |
| müssen, dafür ist neben anderen Ländern auch Deutschland verantwortlich. | |
| Denn Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Häufig wird das Verbot | |
| damit begründet, dass die Praxis nicht mit der Würde des Menschen vereinbar | |
| sei. Konkrete Zahlen dazu, wie viele ungewollt kinderlose Paare deswegen | |
| auf Leihmütter im Ausland zurückgreifen, fehlen. Laut Medienberichten | |
| reisen 15.000 Paare aus Deutschland jedes Jahr ins Ausland, um eine | |
| Leihmutter zu beauftragen, 6.000 von diesen Paare gehen in die Ukraine. | |
| ## Austragen verboten, austragen-lassen erlaubt | |
| Seitdem mehrere asiatische Länder, wie Indien und Thailand, in den | |
| vergangenen Jahren die Gesetzeslage diesbezüglich verschärft haben, ist die | |
| Ukraine noch mehr zu einem Hotspot für Leihmutterschaft geworden. Hinzu | |
| kommt, dass das Geschäft dort verhältnismäßig günstig ist. 40.000 bis | |
| 60.000 Euro müssen Wunscheltern zahlen, in den USA ist es ungefähr das | |
| Doppelte. Nach Abzügen für die Gesundheitsversorgung und die | |
| Vermittlungsagentur bekommt die Leihmutter das Geld in Raten ausgezahlt, | |
| die größte gibt es erst nach der Geburt des Babys. | |
| Die deutsche Gesetzgebung erleichtert es kinderlosen Paaren, Leihmütter im | |
| Ausland zu beauftragen. Hierzulande werden nämlich nicht die Wunscheltern, | |
| sondern die Vermittler:innen und behandelnden Ärzt:innen bestraft. | |
| Aber wenn die Wunscheltern wollen, dass das Kind bei ihnen leben kann, dann | |
| muss die Geburt und der anschließende bürokratische Prozess in dem Land | |
| stattfinden, wo die Schwangerschaft beauftragt worden ist. Das hat damit zu | |
| tun, dass Mutterschaft in Deutschland danach definiert ist, wer das Kind | |
| austrägt, nicht aus welcher befruchteten Eizelle es entsteht. | |
| Auch deswegen können die Leihmütter nicht nach Deutschland fliehen. | |
| BioTexCom warnt: „Die Geburt des Kindes außerhalb der Ukraine ist nicht | |
| legal und wird rechtliche Konsequenzen haben: Die Leihmutter wird als | |
| Mutter gelten und der Versuch der Übergabe des Kindes wird als Kinderhandel | |
| bezeichnet.“ | |
| Verurteilungen wegen Kinderhandels sind zwar eher selten. Aber es gibt noch | |
| andere, größere Hindernisse für die schwangeren Frauen, aktuell nach | |
| Deutschland zu fliehen: bürokratische Hürden. Der Adoptionsprozess nimmt | |
| viel Zeit in Anspruch. Bis er abgeschlossen ist, gilt die Leihmutter als | |
| rechtmäßige Mutter des Babys, erhält die letzte Auszahlung für ihren Job | |
| noch nicht – und ist gleichzeitig in jeglicher Hinsicht verantwortlich für | |
| das Neugeborene. | |
| ## Sicherheit Schwangerer hat Vorrang | |
| Die internationale Leihmutterschaft und Deutschlands Umgang damit ist nicht | |
| erst ein Problem, seitdem Babys und Schwangere in Bunkern sitzen müssen. | |
| Der Krieg in der Ukraine wirft nur erneut ein Schlaglicht darauf. Die | |
| deutsche Argumentation, dass Leihmutterschaft wegen Frauenrechten und | |
| Menschenwürde verboten gehöre, wird unterlaufen durch die Tatsache, dass | |
| mittels Schlupflöchern zugelassen wird, die Praxis ins Ausland zu | |
| verlagern. Das ist scheinheilig. Ausbeutung bleibt auch dann Ausbeutung, | |
| wenn sie in der Ukraine stattfindet. | |
| In der aktuellen Situation sollte die Sicherheit der schwangeren Frauen und | |
| der Neugeborenen aus der Ukraine Priorität haben. Ausnahmeregelungen müssen | |
| her: beispielsweise ein bürokratisch unaufwendiger und beschleunigter | |
| Adoptionsprozess, damit die austragenden Frauen nach Deutschland fliehen | |
| können. | |
| Doch auch langfristig muss das Thema angegangen werden. Kommerzielle | |
| Reproduktion ist für viele ungewollt kinderlose Menschen die einzige | |
| vorstellbare Möglichkeit, ein biologisch eigenes Kind zu haben (wobei in | |
| der Ukraine das Beauftragen einer Leihmutter wohlgemerkt nur verheirateten | |
| heterosexuellen Paaren gestattet ist). Aber diese Möglichkeit hängt eben | |
| meist zusammen mit einem großen sozioökonomischen Gefälle zwischen | |
| Wunscheltern und Leihmutter, welches Ausbeutung begünstigt. Umso mehr, | |
| wenn das Geschäft mit Menschen aus ärmeren Regionen gemacht wird. | |
| Den moralischen Fragen, die daran hängen, ist nicht aus dem Weg zu gehen. | |
| Könnte eine Lösung die altruistische, also unbezahlte Leihmutterschaft | |
| sein, wie sie die FDP fordert und wie sie in einigen europäischen Ländern | |
| wie Griechenland und den Niederlanden schon Alltag ist? Gibt es ein Recht | |
| auf ein genetisch eigenes Kind? Was braucht es, um Ausbeutungsverhältnisse | |
| zu verhindern? Wollen wir Menschen mit Gebärmutter wirklich vorschreiben, | |
| was sie mit ihrem Körper tun dürfen und was nicht? | |
| Solchen Fragen der reproduktiven Gerechtigkeit muss eine Gesellschaft sich | |
| stellen. Sie muss sie in einer Debatte aufwerfen, in der alle Beteiligten | |
| zu Wort kommen; muss prüfen, welches Modell die Interessen aller | |
| berücksichtigt. Was sie nicht darf, ist, das Dilemma säuberlich outsourcen. | |
| 22 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?time_continue=40&v=JAY4rrZSkVA&featur… | |
| [2] https://www.spiegel.de/ausland/leihmutterschaft-in-der-ukraine-ein-bunker-v… | |
| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
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