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# taz.de -- Umstrittene Leihmutterschaft: Sorgerecht für Leihmütter
> Es funktioniert nicht, die Debatte um Leihmutterschaft auf ein simples Ja
> oder Nein zu reduzieren. Insbesondere über das Wie muss geredet werden.
Bild: Ein Paternalismus, der vor allem Frauen vor „sich selbst schützt“, s…
Leihmutterschaft ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz
verboten. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt klar, dass die Person, die das
Kind zur Welt bringt, automatisch die erste Elternstelle einnimmt. Im
Klartext also: Wer das Kind zur Welt bringt, wird rechtlich Mutter. Mit
dieser Lösung haben wir uns eingerichtet, mit dieser Regelung sind Debatten
nicht mehr nötig. So scheint es zumindest.
Denn spätestens seit dem großflächigen Überfall Russlands auf die Ukraine
und Berichten über nicht abgeholte Wunschkinder ist das Thema
Leihmutterschaft in Deutschland wieder ins öffentliche Bewusstsein
zurückgekehrt. Und damit die simple Einsicht: Leihmutterschaft findet immer
schon statt, nur eben nicht hier. Eltern aus Deutschland erfüllen sich in
anderen Ländern ihren Kinderwunsch. Wer es sich leisten kann, in den USA.
Wer über weniger Geld verfügt, geht den [1][rechtlich unsicheren Weg in
Osteuropa]. Leihmutterschaft ist längst Teil der Realität, nur eben ein
ausgelagerter Teil. Die Deutschen begnügen sich mit dem schlichten Verbot
und verschließen die Augen vor allem, was außerhalb passiert. Diese
gesellschaftliche Scheinheiligkeit halten wir für wenig hilfreich und
plädieren deshalb eindringlich für [2][eine gesellschaftliche Debatte].
Die aktuelle Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf
geeinigt, das Thema Leihmutterschaft zunächst durch eine Kommission zu
„reproduktiver Selbstbestimmung“ bearbeiten zu lassen. Wir möchten hiermit
unsere Impulse zur Debatte beitragen. Zu einer Debatte, die deutlich
komplexer geführt werden sollte als mit einem simplen Ja oder Nein.
## Kein Anspruch auf ein genetisches Kind
Im Zentrum jeder Betrachtung steht für uns die Perspektive des Kindes. Wir
sind davon überzeugt, dass es keinen wie auch immer gearteten „Anspruch auf
ein genetisch eigenes Kind“ gibt. Ein Kind ist kein Objekt, keine
Projektionsfläche eigener Wünsche, kein Besitz. Ein Kind ist spätestes mit
der UN-Kinderrechtskonvention ein Träger eigener Rechte, auch wenn wir uns
damit in Deutschland noch an zahlreichen Stellen schwertun.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung das Recht des
Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung betont. Diesem Recht müsste also
zwingend auch bei einer Regelung zu Leihmutterschaft Rechnung getragen
werden – wobei egal ist, ob die zugrundeliegende Eizelle von der Leihmutter
kommt oder nicht. Während der Schwangerschaft wird zwischen dem Embryo und
der schwangeren Frau Genmaterial ausgetauscht, sodass das Kind in jedem
Fall auch im genetischen Sinne von der Leihmutter abstammt.
Wir sind der Überzeugung, dass die Leihmutter deshalb im Leben des Kindes
eine Rolle spielen sollte. Rechtlich lässt sich das beispielsweise über ein
kleines Sorge- und ein reziprokes Umgangsrecht mit dem Kind lösen. Die
Ausweitung des „kleinen Sorgerechts“ auf bis zu zwei Personen neben den
rechtlichen Eltern wird ohnehin [3][von der aktuellen Regierung geplant].
Im Alltag sind solche Konstellationen schon heute beispielsweise mit
Tanten-Bezeichnungen geläufig.
Neben der Verwirklichung des Rechtes auf Kenntnis der eigenen Abstammung
hätte eine solche [4][triadische Beziehung] als von vornherein eindeutige
Bedingung auch den Vorteil einer relativen Absicherung der
Freiverantwortlichkeit der Leihmutterschaft. Während das Konzept anonymer
Leihmutterschaft immer auch das Potenzial von Ausbeutung beinhaltet,
richtet sich das hier vorgeschlagene Model explizit an Menschen, die aus
altruistischen Motiven Paare in ihrem Umfeld unterstützen möchten und
diesen Familien auch später verbunden bleiben.
## Klärung der Elternschaft vor Zeugung
Eine nachträgliche Überprüfung der Freiverantwortlichkeit und
Rechtmäßigkeit wie etwa in Großbritannien kommt nach unserem Verständnis in
Deutschland nicht infrage: Dort ergeht die Gerichtsentscheidung zur
rechtlichen Anerkennung der Wunscheltern erst, nachdem entschieden wurde,
dass während der Schwangerschaft alles korrekt abgelaufen ist. Das bedeutet
aber auch, dass das Neugeborene im Zweifelsfall nicht den Wunscheltern
zugeordnet wird.
Nein, wenn in Deutschland konkret über Regelungen für Leihmutterschaft
nachgedacht wird, dann muss damit bereits vor der Zeugung des Kindes
rechtliche Klarheit darüber bestehen, wer später die Elternschaft
übernimmt. Dass ein Kind von Anfang an zwei Eltern hat, darf nicht an
Verfahrensfragen scheitern. Nun plant die aktuelle Bundesregierung mit der
Reform des Abstammungsrechts aktuell schon die Möglichkeit einer solchen
präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung – nur eben für die zweite
Elternstelle.
Das Konzept auf die erste Elternstelle zu übertragen, wäre also immanent.
Die Vereinbarung sollte zwar zum Schutz der Leihmutter durch sie anfechtbar
sein, wie auch heute die Vaterschaft anfechtbar ist. Aber Rechtssicherheit
stärkt in jedem Fall die Situation des Kindes. In den wenigen Debatten, die
wir in den letzten Jahren gesellschaftlich geführt haben, kam die Sorge zum
Ausdruck, Frauen würden aus einer finanziellen Abhängigkeit
Leihmutterschaft anbieten, damit sich selbst schaden und letztlich die
Abhängigkeit nur weiter befördern.
Insbesondere mit Blick auf Länder in Osteuropa sehen wir dieses Potenzial.
Wir sehen die strukturelle Asymmetrie und damit das Problem, wenn sich
wohlhabende Menschen aus Deutschland mit Geld ihren Kinderwunsch in anderen
Ländern erfüllen. Und wir sehen auch, dass es in Deutschland trotz aller
rechtlicher Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter noch
erhebliche strukturelle Benachteiligungen gibt: Geschlechtsspezifische
Gewalt ist ein eklatantes Problem.
## Nicht unbedingt altruistisch
Aber auch bei Bildung, Einkommen und damit Armut sind erhebliche
[5][Unterschiede zwischen Geschlechtern] noch immer Realität. Wir halten es
jedoch für entschieden unterkomplex, paternalistisch und falsch, aus einer
moralischen Überzeugung und aus einer privilegierten Position heraus das
Selbstbestimmungsrecht der Menschen einzuschränken.
Vor allem, weil die Erfahrung in zahlreichen anderen Ländern auch deutlich
zeigt: Ein Kind insbesondere für nahestehende Menschen auszutragen, ist für
einige Frauen auch etwas aus tiefer Überzeugung Vorstellbares – das ist die
Zielgruppe für das von uns vorgeschlagene Regelungsmodell. Klar ist: Wir
müssen dringend gesellschaftliche Benachteiligungen zwischen den
Geschlechtern abbauen. Aber wir sollten ebenso dringend das
Selbstbestimmungsrecht achten.
Ein Paternalismus, der vor allem Frauen vor „sich selbst schützt“, steht
uns als Gesellschaft nicht gut zu Gesicht. Hinsichtlich der Rechte und der
Position von Frauen, die für nahestehende Menschen ein Kind austragen
wollen, spricht die von der Ampel beauftragte Kommission von
„altruistischer Leihmutterschaft“. Der Gedanke dahinter ist simpel: Ein
Geschäftsfeld, in dem Frauen mit Leihmutterschaft Geld verdienen, könnte
Ausbeutung befördern und soll deswegen ausgeschlossen werden.
Ob dieser Gedanke der Komplexität der Lebensrealität gerecht wird, sollte
debattiert werden. Schließlich leben wir in kapitalistischen
Gesellschaften, in denen man insbesondere mit Geld und eigenen Einnahmen
Abhängigkeiten hinter sich lassen kann – in denen also finanzielle
Ressourcen Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein bringen können.
## Vorsicht vor Geschäftemachern
Und ist es nicht auch ein zutiefst abstoßender Gedanke, dass ausgerechnet
Frauen, die noch immer so unendlich viel unbezahlte Care-Arbeit leisten,
dann auch diesen Dienst noch unbezahlt leisten sollen? Im Zusammenhang mit
Geld ist für uns aber eine andere Frage viel entscheidender:
Leihmutterschaft, wie sie gewöhnlich gedacht und in einigen Ländern
praktiziert wird, findet medizinisch assistiert statt.
Eine oftmals von einer dritten Person gespendete Eizelle wird eingefroren,
später in vitro befruchtet und der Leihmutter eingesetzt. Das bringt im
Vergleich zu einer konventionellen Zeugung für alle beteiligten Frauen und
möglicherweise auch für das Kind erhöhte medizinische Risiken mit sich. Und
das bedeutet vor allem exorbitante Gewinne für reproduktionsmedizinisch
tätige Privatunternehmen, die vom Kinderwunsch der Menschen profitieren.
Wir finden es medizinisch nicht sicher, aber vor allem moralisch
fragwürdig, Leihmutterschaft zu einem solchen Geschäftsmodell für Dritte zu
machen: Im Zusammenhang mit Sterbehilfe haben wir gesellschaftlich längst
anerkannt, dass ein Geschäftsfeld diametral der unabdingbaren Voraussetzung
einer Freiverantwortlichkeit gegenübersteht. Der freie Wille wird
beeinflusst, wenn marktwirtschaftliche Unternehmen ein finanzielles
Interesse an einer spezifischen Entscheidung haben.
Wir plädieren vor diesem Hintergrund eindringlich für ein Verbot
geschäftsmäßiger Förderung von Leihmutterschaft zum Schutz der
Freiverantwortlichkeit. Ein solches Verbot sollte jedoch selbstverständlich
nicht Information, gemeinnützige Vermittlungsplattformen oder auch
Routineuntersuchungen während der Schwangerschaft umfassen. Wenn Menschen
sich vorgeburtlich und verbindlich einigen, wer die rechtliche Elternschaft
übernimmt.
Wenn einer solchen Vereinbarung zum Schutz der Freiverantwortlichkeit
womöglich auch das positive Votum eines Ethikkomitees vorausgegangen ist.
Wenn dann im Sinne des Kindes auch von vornherein rechtlich klargestellt
ist, dass mit einem Abtreten der Elternschaft ein kleines Sorgerecht für
die Leihmutter und ein reziprokes Umgangsrecht mit dem Kind entstehen –
dass die Leihmutter also auch später im Leben eine Rolle spielt.
Wenn diese Bedingungen klar gesetzlich geregelt sind, dann sehen wir nicht,
dass die Verantwortung für ein mittels privater Becherspende gezeugtes Kind
nicht auch auf Wunscheltern übertragen werden kann.
26 Mar 2024
## LINKS
[1] /Leihmuetter-aus-der-Ukraine/!5685327
[2] /Streitgespraech-zu-Eizellspenden/!5751293
[3] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_…
[4] /Vaterschaft-vor-dem-Verfassungsgericht/!5959780
[5] /Gender-Pay-Gap/!t5011897
## AUTOREN
Clara Markurt
Nicole Schmidt
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