| # taz.de -- Kinderwunsch bei schwulen Paaren: Born in the USA | |
| > Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Bei einem Event in Berlin | |
| > rät eine Organisation nach der passenden Leihmutter in den USA zu suchen. | |
| Bild: Heile Welt mit Baby. Aber zu welchem Preis? | |
| Im ersten Stock des Marriott-Hotels am Berliner Potsdamer Platz empfangen | |
| mich Regenbogenfahnen mit Blumen und Babystramplern auf Stehtischen | |
| drapiert. Auf den Stramplern steht das Logo der US-Organisation [1][„Men | |
| Having Babies“ (MHB)], die an diesem Freitagnachmittag Ende April zu einer | |
| Infoveranstaltung zum Thema „Möglichkeiten der Elternschaft für europäische | |
| schwule Männer“ einlädt. | |
| Bei der Anmeldung begrüßt mich Vanessa, Managerin für Finanzen und | |
| Kundenbeziehungen. Ob ich über die Regeln Bescheid wisse? „Ja“, sage ich | |
| „Ron und ich haben letzte Woche miteinander gesprochen.“ Ron Poole-Dayan | |
| ist Vorstandsmitglied und Geschäftsführender Direktor von MHB. Als ich mich | |
| für die Veranstaltung akkreditieren wollte, bat Ron mich um ein | |
| Vorabgespräch via Zoom. | |
| „Wissen Sie“, sagte er, „wir haben schlechte Erfahrungen gemacht. Ein | |
| russischer Journalist hat nach der Teilnahme einen homophoben Artikel | |
| veröffentlicht, und eine schwedische Journalistin ignorierte unsere | |
| Forderung, keine Fotos oder Videos während der Veranstaltung zu machen.“ | |
| Sein Rechtsberater ist auch mit im Call. Da ich über die Veranstaltung | |
| berichten möchte, akzeptiere ich die Vorgaben: Ich darf mit niemandem | |
| sprechen, keine Fotos oder Videos machen. | |
| Nachdem Vanessa das nochmal wiederholt hat, kann ich den großen Saal mit | |
| Bühne und Videoleinwand betreten. Ich bleibe die einzige akkreditierte | |
| Medienvertreterin. Wie ich später erfahre, nahm eine Journalistin der NZZ | |
| verdeckt an der Veranstaltung teil, da sie über den offiziellen Weg | |
| abgelehnt wurde. | |
| ## Nur Infos, keine Vermittlung? | |
| Im Verlauf des Abends wird Ron auf die Frage aus dem Publikum, warum keine | |
| Medien hier seien, auf mich verweisen: „Immerhin haben wir eine Reporterin | |
| hier.“ Der Saal ist gut besucht. Mit etwa 120 Personen nehmen hauptsächlich | |
| schwule Paare an der Veranstaltung teil, wobei auch vereinzelt Männer ohne | |
| Begleitung die Veranstaltung besuchen. | |
| Bei MHB geht es darum, schwule Männer über den Zugang zur Leihmutterschaft | |
| zu informieren. Die Veranstaltung ist öffentlich, Mitglieder zahlen 30, | |
| Nichtmitglieder 40 Euro für zweieinhalb Tage Programm. Auf ihrer Webseite | |
| bezeichnet sich MHB als „not-for-profit-corporation“, [2][bei Instagram] | |
| als „International nonprofit“ und verspricht ausführliche Vorträge und | |
| persönliche Beratungen von Rechtsexpert:innen und Kinderwunschzentren. | |
| Bevor der erste Redner die Bühne betritt, werden zwei Filme gezeigt: Väter | |
| mit ihrem Baby vor einem Weihnachtsbaum im Partnerlook, Väter, die mit | |
| ihrem Baby auf dem Sofa kuscheln, Väter, die mit ihren Babys und der | |
| Leihmutter zusammen glücklich in die Kamera schauen. | |
| ## Leihmutterschaft in Deutschland verboten | |
| Musikalisch untermalt ist der Film von Elton Johns „Blessed“. [3][Wie | |
| passend, Elton John und sein Partner haben auch mithilfe einer Leihmutter | |
| Kinder bekommen.] Im zweiten Film kann das Publikum dann ohne Vorwarnung | |
| sehen, wie ein Baby bei einer Hausgeburt geboren wird. In der nächsten | |
| Einstellung trägt das Baby einen Strampler mit der Aufschrift „Made with | |
| love and science“ (gemacht mit Liebe und Wissenschaft). Beide Clips sind | |
| ziemlich kitschig, denke ich. Aber sie zeigen wohl genau den Moment, nach | |
| dem sich viele schwule Paare sehnen: eine eigene Familie mit Kindern zu | |
| gründen. | |
| Ich bin eine cis-Frau Mitte 20. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie | |
| belastend ein unerfüllter Kinderwunsch sein muss. Und ich freue mich für | |
| das Glück der Paare auf der Leinwand mit ihren Kindern. Doch warum braucht | |
| es überhaupt „Men Having Babies“? | |
| Schwule Paare können in Deutschland keine leiblichen Kinder bekommen. Denn | |
| Methoden der assistierten Reproduktion, welche unter anderem zu einer | |
| Leihmutterschaft führen, stehen hierzulande für Ärzt:innen unter Strafe. | |
| So ist es nach dem Embryonenschutzgesetz von 1990 verboten, eine Leihmutter | |
| künstlich zu befruchten sowie eine fremde Eizelle im Rahmen einer | |
| künstlichen Befruchtung einzusetzen. | |
| ## Lockerere Gesetze in den USA | |
| Ziel ist es, gespaltene Mutterschaften zu verhindern. Diese liegen vor, | |
| wenn die genetische und die austragende Mutter nicht identisch sind. Es ist | |
| auch verboten, dass eine Frau ihr Kind nach der Geburt dauerhaft an Dritte | |
| übergibt. [4][Für Deutsche ist es aber in der Regel kein Problem, ihr in | |
| den USA geborenes Kind mit nach Deutschland zu nehmen, sofern sie in der | |
| Geburtsurkunde als Eltern eingetragen sind.] Ein strafrechtliches Verbot | |
| liegt nur für die im Inland begangenen Taten vor. | |
| In den USA ist die Lage anders. Dort gibt es keine einheitlichen Regelungen | |
| für Leihmutterschaften. So ist beispielsweise in Bundesstaaten wie Florida, | |
| Illinois und Kalifornien Leihmutterschaft unter bestimmten Voraussetzungen | |
| erlaubt. In Kalifornien ist das Gesetz zur Leihmutterschaft besonders | |
| locker. Dort müssen die Wunscheltern beispielsweise nicht die genetischen | |
| Eltern des Kindes sein. In Florida wiederum muss ein Elternteil der | |
| Wunscheltern das genetische Elternteil sein. | |
| In den USA sind Formen der kommerziellen Leihmutterschaft erlaubt. Das | |
| heißt, dass Frauen für die Austragung eines Kindes über eine finanzielle | |
| Aufwandsentschädigung, beispielsweise für psychische und physische | |
| Unannehmlichkeiten erhalten dürfen. In Kanada hingegen ist ausschließlich | |
| die Form der altruistischen Leihmutterschaft erlaubt. Die Frau darf für die | |
| Austragung kein Geld erhalten. Der Verstoß gegen die kommerzielle | |
| Leihmutterschaft wird in Kanada mit Freiheitsstrafen und Geldstrafen hart | |
| sanktioniert. | |
| ## Leihmutterschaft ethisch praktiziert | |
| Im April 2024 hat in Deutschland die Kommission zur reproduktiven | |
| Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, bestehend aus 18 Expert:innen, | |
| welche sich ein Jahr lang zum Thema Fortpflanzungsmedizin beraten haben, | |
| [5][ihren Abschlussbericht] der Bundesregierung vorgelegt. | |
| Sie sprechen sich dafür aus, dass altruistische Leihmutterschaft in | |
| Deutschland unter bestimmten Bedingungen ermöglicht werden sollte. Dies | |
| beinhaltet ebenfalls, dass die Frauen eine angemessene | |
| Aufwandsentschädigung erhalten sollten. Der Bericht der Kommission enthält | |
| jedoch lediglich Empfehlungen an die Bundesregierung, welche zurzeit nicht | |
| in Erwägung zieht, die Gesetzeslage in Deutschland zu ändern. | |
| Nach den Filmen hält Jenny Congiardo, die Eventmangerin von MHB, einen | |
| Vortrag. Immer wieder fällt der Satz, dass Leihmutterschaft ethisch | |
| praktiziert werden könne. Betont wird, wie toll es sei, sich die Eizelle | |
| einer Frau auszusuchen: Das gebe so viele Optionen bei der Auswahl von | |
| Aussehen und Charaktereigenschaften! Ich möchte glauben, dass sie es | |
| eigentlich nicht so meint und nur ihre Wortwahl ungeschickt war. | |
| ## „Ihr werdet zu meinen Söhnen“ | |
| Nach diesem Einstieg folgt eine Dauerwerbesendung für das Konzept von MHB. | |
| [6][Mit Videos stellen sich sechs Kinderwunschzentren aus den USA und | |
| Kanada vor]. Zu Beginn oder am Ende spricht der jeweilige Leiter des | |
| Zentrums und garantiert, dass sie eine der Kliniken mit den höchsten | |
| Erfolgschancen seien. Eine Klinik gibt eine Geld-zurück-Garantie, sollte | |
| die Frau nicht schwanger werden, eine andere betont, dass das Sperma zur | |
| Befruchtung der Eizelle durch eine Partnerklinik in den Niederlanden in die | |
| USA überführt werden könne und man nur für die Abholung des Babys in die | |
| USA reisen müsse. | |
| Eine Rechtsanwältin sagt: „Ich weiß, es klingt kitschig, aber wenn ihr mit | |
| uns arbeitet, dann werdet ihr zu meinen Söhnen.“ Ron sagt: „Wenn ihr ein | |
| Teil von ‚Men having Babies‘ werdet, werdet ihr ein Teil der Familie.“ | |
| In einer nun folgenden Paneldiskussion haben alle Teilnehmenden die gleiche | |
| Perspektive auf das Thema: Leihmutterschwangerschaft sei ethisch | |
| vertretbar, weil die Frauen einen Ausgleich für die Schwangerschaft | |
| erhielten. Dennoch versichert eine Leihmutter weiter, dass Frauen es nicht | |
| für das Geld tun, sondern weil Frauen es intrinsisch in sich haben, anderen | |
| Menschen zu helfen. Mir wird übel. | |
| ## Sektenhaftes Vokabular | |
| Die Diskussion verläuft sich. Einer der Teilnehmer ist frustriert, dass in | |
| vielen Ländern Leihmutterschaft immer noch illegal ist und unter | |
| strafrechtlicher Verfolgung steht. Und so ist auf einmal Thema, dass keine | |
| Organisation aus der LGBTQI+ Community mit einem Stand vor Ort sein wollte, | |
| um die Rechte der schwulen Männer zu unterstützen. | |
| Und auch das Fehlen von Medienvertreter:innen wird nun bemerkt. Ron | |
| sagt, was er mir auch schon gesagt hat: „Die Medien schreiben sowieso | |
| nichts Gutes über uns. Die konservativen Medien schreiben homophobe | |
| Artikel, die linken Medien sagen, dass Leihmutterschaft ausbeuterisch ist.“ | |
| Der erste Tag der Konferenz endet mit der Einladung, sich bei einem | |
| Aperitif über das Gehörte auszutauschen. Ich gehe nach Hause. Ich habe | |
| genug von einer Dauerwerbesendung, bei der es keinen Platz für eine | |
| Aufklärung über die konkreten Kosten und Risiken einer | |
| Leihmutterschwangerschaft gab und die Gefahr der Ausbeutung von Frauen | |
| souverän ignoriert wurde. Auch die ständige Betonung, dass die Männer ein | |
| Teil der Familie werden sollten, wenn sie mit MHB ein Kind bekommen, | |
| erinnert fast schon an Sektenvokabular und lässt mich unwohl fühlen. | |
| [7][Andererseits stelle ich mir die Frage: Was sollen schwule Paare tun, | |
| die sich ein leibliches Kind wünschen?] Viele Möglichkeiten haben sie | |
| nicht. MHB jedenfalls serviert ihnen eine Option auf dem Silbertablett. | |
| 9 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://menhavingbabies.org/ | |
| [2] https://www.instagram.com/menhavingbabies/?hl=en | |
| [3] https://www.spiegel.de/panorama/leute/vaterglueck-per-leihmutter-elton-john… | |
| [4] /Gericht-entscheidet-zur-Leihmutterschaft/!5519364 | |
| [5] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/kommission… | |
| [6] /Eizellspende-und-Leihmutterschaft/!5654142 | |
| [7] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/leihmutterschaft-wie-anbieter-au… | |
| ## AUTOREN | |
| Laura Lückemeyer | |
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