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# taz.de -- Abstammungsrecht und Neuwahlen: Eine Familie, die es rechtlich nich…
> Mit dem Ampel-Aus ist wohl auch die Reform des Familienrechts vom Tisch.
> An der Realität geht das häufig vorbei, wie bei Michi und seinen drei
> Eltern.
Bild: Nur Ronja (Mitte) ist rechtlich ein Elternteil von Michi, dabei erziehen …
Es war frühmorgens, als Ronja H. vom Bruch der Ampelkoalition erfuhr. H.
hatte in der Küche das Radio aufgedreht, ihr Sohn Michi putzte sich im Bad
die Zähne. „Ich hab erst mal einen Heulkrampf bekommen“, erzählt H. einige
Wochen später am Telefon. Und dass sie sich schnell zu beruhigen versuchte,
weil Michi* nichts von ihren Sorgen mitbekommen sollte.
Michi ist zwölf Jahre alt, möchte später mal Youtuber werden und hat drei
Eltern: Ronja H., Tommy S. und Mia M. Sie wollen zum Schutz ihrer
Privatsphäre nicht, dass ihre vollständigen Namen in der Zeitung stehen.
Die Familie hatte sehnlichst auf die [1][Reform des Abstammungsrechts]
gewartet. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel abgekündigt, das
Familienrecht zu modernisieren. Sie wollte der [2][Stiefkindadoption für
lesbische Paare] ein Ende bereiten, die häufig langwierige Überprüfung
durch Ämter sollte es nicht mehr geben.
Außerdem hätten die Ampel-Vorhaben den Alltag von Mehrelternfamilien
verbessert: Die rechtlichen Eltern – weiterhin laut Gesetz maximal zwei –
hätten bis zu zwei weiteren Personen für Alltagsangelegenheiten ein kleines
Sorgerecht einräumen können. Doch dass die Reform noch kommt, ist
inzwischen nahezu ausgeschlossen.
Ronja H. hat Michi auf die Welt gebracht und ist deswegen auf dem Papier
alleinerziehend. Mia M. war schon damals Ronja H.s Mitbewohnerin und
kümmerte sich mit um das Baby, dessen Vater sich kaum sorgte. Als Mia M.
die Ausbildung zur Tischlerin abgeschlossen und endlich mehr Zeit hatte,
übernahm sie Michi mehr und mehr. Und stellte fest: Sie will für ihn nicht
nur eine enge Bezugsperson, sondern Elternteil sein. Rund ein Jahr später
kam noch Tommy S. hinzu, mit dem Ronja H. mittlerweile seit vielen Jahren
in einer Partnerschaft lebt.
## Die Unsicherheit macht Angst
Die drei Eltern halten in einem Wochenplan fest, wer sich wann um Michi
kümmert. Der 12-Jährige wechselt zwischen Tommy S.’ Hausprojekt im Dresdner
Süden und dem Hausprojekt, in dem Mia M. und Ronja H. wohnen. Bei Tommy S.
wohnen Kinder in Michas Alter, aber bei Ronja H. und Mia M. hat er ein
größeres Zimmer – beides gute Orte, findet der Junge.
Familien wie die von Michi existieren im deutschen Recht bislang nicht. Als
einzige der drei Eltern konnte Ronja H. deswegen Elternzeit nehmen. Auf
Kinderkrankentage hat ebenfalls nur H. Anspruch. Wenn Michi mit den anderen
beiden Eltern zum Arzt geht, muss H. ihnen eine Vollmacht mitgeben.
Elternbriefe wollen die Lehrer*innen nur von Ronja H. unterschrieben
wissen. Weil Mehrelternfamilien im Gesetz nicht vorkommen, gibt es für
Situationen, in der Familien auseinanderbrechen, keine Regelung von
Unterhaltsansprüchen. Und wenn Ronja H. etwas zustoßen sollte, hätte Michi
keine Sorgeberechtigten.
Die Eltern haben deswegen eine Sorgerechtsverfügung geschrieben und darin
notiert, wie sie sich den Umgang mit Michi wünschen, wenn Ronja H. etwas
passiert. Ob das Familiengericht sich danach richten würde, wissen sie
nicht. Die Rechtsunsicherheit macht ihnen Angst, aber es geht um mehr:
„Jede Vollmacht ist auch die Botschaft: Ihr seid keine richtigen Eltern“,
sagt Mia M. „Mia und Tommy wischen auch Michis Kotze weg, was man halt so
macht als Eltern“, sagt Ronja H. „Es macht mich so wütend, dass sie auf dem
Papier nichts sind für ihn.“
Gesellschaftspolitische Themen schienen eigentlich die, auf die sich SPD,
Grüne und FDP noch am besten einigen konnten: Die Ampel legalisierte den
Konsum von Cannabis, führte das Selbstbestimmungsgesetz ein und ließ durch
eine Kommission die Entkirminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
prüfen.
## Bisheriges Recht passt nicht zur Realität
Im Januar 2024 legte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ein
Eckpunktepapier zum Abstammungsrecht vor. Im September folgte sein
Gesetzentwurf, doch er hing schon vor dem Ampelbruch zwischen den
Koalitionsparteien fest. Denn Buschmann wollte die Reform im Paket
verabschieden – unter anderem mit einem Gesetz zum Unterhaltsrecht, das
Väter von Trennungskindern finanziell entlasten sollte, wenn sie
mindestens 29 Prozent der Kindebetreuung übernehmen. Das wiederum
blockierte die Grüne Familienministerin Lisa Paus, weil sie Nachteile für
alleinerziehende Mütter fürchtete.
Das Recht hinke der gesellschaftlichen Realität hinterher, findet Ronja H.
Zusammen mit ihrer Kollegin Lisa T., die ebenfalls als Sozialarbeiterin
junge Menschen bei ihrem Freiwilligendienst begleitet, hat sie [3][eine
Petition] für die Reform des Abstammungsrechts gestartet. Mittlerweile
haben mehr als 5.000 Menschen unterschrieben. Auch für Lisa T. würde eine
Gesetzesreform viel verändern. Mit ihrer Partnerin plant Lisa T. gerade ein
gemeinsames Kind. Das Paar hatte gehofft, die Prozedur der
Stiefkindadoption nicht über sich ergehen lassen zu müssen.
Denn während Hetero-Paare ledigliche eine Sorgerechtserklärung ausfüllen,
um gemeinsam rechtlich Eltern zu werden, müssen die Co-Mütter sich darauf
einstellen, dass sie ihre Finanzen offen- und ärztliche Atteste vorlegen
müssen. Manche Jugendämter bestehen darauf, dass die Adoption erst nach
einem sogenannten Probejahr stattfinden darf, obwohl die Kinder als
Wunschkinder in bestehende Beziehungen hineingeboren werden.
## Zu wenig Wissen zu queeren Verhältnissen
„Vielen Jugendämtern fehlt schlicht das tiefergehende Wissen über queere
Lebensverhältnisse“, sagt Michel Röhricht vom sächsischen LSVD – Verband
queere Vielfalt. Es komme vor, dass die queeren Familien oder solche, die
es noch werden wollen, wie ein tatsächlicher Adoptionsfall behandelt
würden. „Es hängt sehr von der sachbearbeitetenden Person ab, wie es
läuft“. Trans Personen und non-binäre Menschen, queere Migrant*innen und
Asylsuchende müssten noch zusätzliche Hürden überwinden. „Viele Leute
trauen sich nicht, den Weg zu gehen, obwohl sie eigentlich gern Kinder
haben möchten“, sagt Röhricht.
„Niemand sonst muss seine Eignung zur Elternschaft unter Beweis stellen“,
sagt Lisa T., „das ist so entwürdigend.“ In Berlin oder Hamburg seien die
Jugendämter kulanter, an Regenbogenfamilien gewohnt. „Aber in Sachsen weiß
man nie, an wen man gerät.“ Lisa T. und ihre Freundin haben beschlossen,
vorsorglich schon mal zu heiraten.
Den lesbischen Paaren bleibt nun nur noch, auf das Bundesverfassungsgericht
zu hoffen. Sechs Fälle sind dort mittlerweile anhängig. Auch Christina
Klitzsch-Eulenburg ist vor Gericht gezogen. Die Juristin ist selbst Mutter
zweier Kinder und hat mit ihrer Frau die [4][Initiative Nodoption]
gegründet – gegen die Stiefkindadoption. Seit ihr erster Sohn 2020 von
ihrer Frau geboren wurde, kämpft sie dafür, dass auch sie rechtlich Mutter
ihres Kindes wird, ohne das demütigende Adoptionsverfahren zu durchlaufen.
## Schwindende Hoffnung
„Dass die Reform nicht kommt, ist erschütternd für alle Kinder und Eltern
in queeren Familien“, sagt Klitzsch-Eulenburg, „Sie haben sich darauf
verlassen, dass dieser verfassungswidrige Zustand nun endlich beseitigt und
sie genau so gut abgesichert werden wie alle anderen Familien.“ Als die
Ampel ihren Koalitionsvertrag verabschiedete, habe sie kurz Hoffnung
gehabt. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr schwand die Hoffnung, sagt
Klitzsch-Eulenburg. Immer weiter wurde das Gesetzesvorhaben ans Ende der
Legislaturperiode geschoben.
Der Entwurf, der letztendlich bei den Koalitionspartnern landete,
berücksichtigte trans und inter Eltern in keiner Weise. Ernüchternd war für
Klitzsch-Eulenburg zudem, dass Buschmanns Paket auch ein sogenanntes Gesetz
gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen durch ausländische
Staatsangehörige beinhaltete. Eltern mit einem „Aufenthaltsrechtsgefälle“,
also mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln, stellte der Entwurf unter
Generalverdacht einer Scheinvaterschaft. Nun wird wohl das komplette
Gesetzespaket nicht mehr verabschiedet.
In Sachen Abstammungsrecht scheint es auch beim Bundesverfassungsgericht
nicht voranzugehen. Seit 2021 liegt das erste der sechs Verfahren beim
Bundesverfassungsgericht. Noch keiner der Fälle ist entschieden worden.
Richter Henning Radtke, der beim Gericht zuständig für die Verfahren ist,
begründet dies damit, dem Gesetzgeber nicht zuvorkommen zu wollen – und
eine Reform hatte die Ampel ja vorgesehen. Radtke ist als Berichterstatter
innerhalb des Gerichts dafür zuständig, die familienrechtlichen Fälle für
die Verhandlung in der Kammer vorzubereiten.
## Verzögerungen und Klagen
Doch aufgeschobene Gerechtigkeit ist verwehrte Gerechtigkeit, finden viele
der Betroffenen. Kindern wie Eltern würden ihre Rechte vorenthalten.
„Radtke ist nicht verpflichtet, die Verfahren weiterzuleiten, aber der
Vorgang ist schon sehr ungewöhnlich“, sagt Klitzsch-Eulenburg, „zumal fünf
Gerichte von der Verfassungswidrigkeit der momentanen Rechtslage so
überzeugt waren, dass sie die Verfahren ans Bundesverfassungsgericht
weitergeleitet haben.“
Im Oktober haben klagende Familien Verzögerungsrügen in Karlsruhe
eingereicht und zudem einen Befangenheitsantrag gegen Radtke gestellt.
Jetzt bleibt ihnen nur noch, aufs Bundesverfassungsgericht zu warten.
Michis Familie würde auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Stiefkindadoption nicht weiterhelfen. Seine Eltern gehen davon aus, dass er
18 wird, bevor eine Reform des Abstammungsrechts für Mehrelternfamilien vom
Bundestag verabschiedet wird. „Ich bin trotzdem total happy über unsere
Konstellation und dass Michi drei super Bezugspersonen hat“, sagt Ronja H.
Ihre Kollegin Lisa T. ist mit ihrer Partnerin gerade auf der Suche nach
einem privaten Samenspender: „sehr aufregend!“ Indes hoffen die beiden,
dass noch viel mehr Menschen ihre Petition unterschreiben werden.
Aber auch jetzt schon habe sie durch die Organisation der Petition viele
Menschen kennengelernt, die in einer ähnlichen Situation sind wie sie, sagt
Lisa T. Ihr habe das viel Kraft gegeben: „Es tut gut zu wissen, dass wir
nicht allein sind.“
*Name geändert
23 Jan 2025
## LINKS
[1] /Famillienrechtsreformen-der-Ampel/!5982576
[2] /Benachteiligung-bei-der-Ehe-fuer-alle/!6049140
[3] https://weact.campact.de/petitions/fur-ein-ende-der-staatliche-diskriminier…
[4] https://www.nodoption.de/
## AUTOREN
Franziska Schindler
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Familienrecht
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