# taz.de -- Rechtsanwältin über Abstammungsrecht: „Die Reform ist seit Jahr… | |
> Die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter sei nicht hinnehmbar, sagt | |
> Anwältin Lucy Chebout. Das Bundesverfassungsgericht müsse endlich | |
> entscheiden. | |
Bild: Müssen um ihr Recht kämpfen: Zwei-Mütter-Familien | |
taz: Frau Chebout, die Ampel wollte die Stiefkindadoption für lesbische | |
Paare beenden – also den Umstand, dass Mütter ihre eigenen Kinder durch | |
langwierige Verfahren [1][adoptieren müssen]. Im neuen Koalitionsvertrag | |
kommt das Vorhaben nicht mehr vor. Ist das Projekt gescheitert? | |
Lucy Chebout: Der Koalitionsvertrag kündigt familienrechtliche Reformen an. | |
Zudem enthält er einen Passus, in dem es heißt, queeres Leben solle vor | |
Diskriminierung geschützt werden. Ich interpretierte also wohlwollend, dass | |
die künftige Regierung das Thema auf dem Schirm hat. | |
taz: Bei den familienrechtlichen Reformen geht es um den Gewaltschutz. Das | |
ist gut, hat aber mit der Stiefkindadoption nichts zu tun. Und das queere | |
Leben bekommt nur den einen Satz, den Sie zitieren. Das Projekt findet im | |
Koalitionsvertrag nicht statt. | |
Chebout: Wörtlich kommt das Abstammungsrecht nicht vor. Aber wer ein | |
Familienrecht will, das am Kindeswohl orientiert ist, muss zwingend das | |
Abstammungsrecht reformieren. Dass die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter | |
auch acht Jahre nach [2][Einführung der „Ehe für alle“] noch nicht | |
beseitigt ist, ist nicht hinnehmbar. Kinder queerer Eltern sind rechtlich | |
dadurch nur unzureichend abgesichert. Im Bundesjustizministerium liegen | |
fertige Entwürfe, die diese Diskriminierung beenden können. Es muss in | |
dieser Legislaturperiode etwas kommen. | |
taz: Die Initiative Nodoption, für die Sie einige Familien als Anwältin | |
vertreten, ist seit ihrer Gründung 2020 zweigleisig gefahren: Daneben, dass | |
die Initiative auf eine politische Lösung hinarbeitet, wurden einige Fälle | |
vor Gericht gebracht. Wie viele Fälle liegen derzeit beim | |
Bundesverfassungsgericht? | |
Chebout: Insgesamt sechs. Seit 2021 haben fünf Gerichte, darunter das | |
Kammergericht Berlin und das Oberlandesgericht Celle, Verfahren von | |
Zwei-Mütter-Familien ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht sogenannte | |
konkrete Normenkontrollen vorgelegt. Die Gerichte sind überzeugt, dass die | |
aktuelle Rechtslage diskriminierend und nicht mit der Verfassung vereinbar | |
ist. All diese Fälle betreffen anonyme Samenspenden. Einen weiteren Fall | |
mit privater Samenspende haben wir in Form einer Verfassungsbeschwerde zum | |
Bundesverfassungsgericht gebracht. | |
taz: Bei Nodoption sind rund 200 Familien zusammengeschlossen. Rechnen Sie | |
mit weiteren Fällen in Karlsruhe? | |
Chebout: Es laufen rund 15 weitere familiengerichtliche Verfahren. Die | |
meisten haben die Gerichte aber ausgesetzt. Es gibt in der | |
Familiengerichtsbarkeit seit Jahren die Erwartung, dass das | |
Bundesverfassungsgericht bald entscheiden wird. | |
taz: Ist absehbar, wann das passiert? | |
Chebout: Bei den ersten Vorlagen 2021 dachten wir noch, es sei nur eine | |
Frage der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber | |
zuvorkommen und entscheiden würde. Aber die großen Hoffnungen auf | |
Gerechtigkeit, die insbesondere die betroffenen Familien in das | |
Bundesverfassungsgericht gesetzt haben, wurden bitter enttäuscht. Es | |
passiert seit vier Jahren einfach gar nichts in Karlsruhe. Wir haben | |
deshalb im Herbst 2024 die Verzögerung der Verfahren gerügt. Für die Eltern | |
und ihre Kinder geht es schließlich um gravierende Rechtsunsicherheit und | |
schwerwiegend fehlende rechtliche Absicherung. | |
taz: Wie alt waren die Kinder, als die ersten Verfahren in Karlsruhe | |
vorgelegt wurden? | |
Chebout: Wir haben alle Verfahren gestartet, kurz nachdem die Kinder zur | |
Welt gekommen waren. Nächstes Jahr kommen nun die ersten von ihnen in die | |
Schule. Das ist eine unendlich lange Zeit, gerade im Leben von kleinen | |
Kindern. Und obwohl die Kinder von Anfang an mit zwei fürsorgenden Eltern | |
aufwachsen, haben sie noch immer keine vollständige Geburtsurkunde und | |
gelten rechtlich weiterhin als die Kinder alleinerziehender Mütter. Die | |
zweiten Elternteile sind rechtlich nicht existent. | |
taz: Hätten die Eltern nicht irgendwann aus einem Verantwortungsbewusstsein | |
heraus ihr Kind adoptieren müssen, um diese Rechtsunsicherheit zu | |
vermeiden? | |
Chebout: Man darf diesen Vorwurf nicht den Familien machen. Für die | |
rechtliche Misere ist allein der Gesetzgeber verantwortlich, der Kindern | |
queerer Eltern die automatische Zuordnung eines zweiten Elternteils | |
verwehrt – allein weil der zweite Elternteil kein Mann ist. Man muss sich | |
klarmachen: Wären die Kinder in heterosexuelle Ehen hineingeboren, hätten | |
sie von Anfang einen zweiten rechtlichen Elternteil, auch wenn sie mittels | |
Samenspende eines Dritten gezeugt worden wären. Da geht es also nicht um | |
leibliche Abstammung. Queeren Familien sagt der Staat hingegen: [3][„Ihr | |
seid keine richtigen Familien“] und zwingt sie in das Verfahren der | |
Stiefkindadoption, das im Übrigen selbst anfällig ist für allerlei weitere | |
Diskriminierungen. Wenn sich queere Eltern in dieser Situation entscheiden, | |
den Weg der Stiefkindadoption nicht zu gehen, ist das kein Ausdruck eines | |
mangelnden Verantwortungsbewusstseins für ihre Kinder. Die Familien wehren | |
sich gegen staatliches Unrecht, weil sie eben keine Adoptivfamilien, | |
sondern originäre Herkunftsfamilien sind. | |
taz: Warum dauert es in Karlsruhe so lange? | |
Chebout: Die Frage müssen Sie dem zuständigen Bundesverfassungsrichter, | |
Henning Radtke, stellen. Aus Sicht der Familien lässt er die Verfahren | |
liegen, während er andere Verfahren vorzieht, um etwa die Rechte von | |
leiblichen Vätern zu stärken. Er hat sich auch in einer Weise öffentlich zu | |
den Verfahren geäußert, die bei den Familien die Besorgnis begründet, dass | |
er in der Sache befangen, also voreingenommen, sein könnte. | |
taz: Was hat er gesagt? | |
Chebout: Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Verfassungsrichter überhaupt | |
öffentlich über laufende Verfahren spricht. Herr Radtke äußerte sinngemäß, | |
dass er in der Sache nicht entscheiden wolle, bis der Gesetzgeber das | |
Abstammungsrecht reformiert hat. Erst die neue Regelung wolle er dann | |
überprüfen. | |
taz: Kann man Radtkes Aussage wie folgt verstehen: Sobald der Gesetzgeber | |
tätig wird, muss das Bundesverfassungsgericht es nicht mehr tun? | |
Chebout: Selbstverständlich ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, das | |
Abstammungsrecht diskriminierungsfrei zu regeln. Nur: Solange das nicht | |
passiert, müssen Menschen die Möglichkeit haben, gegenwärtige | |
Grundrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen und sie dadurch zu | |
beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht darf die Frage nicht einfach | |
offenlassen, ob das geltende Abstammungsrecht verfassungsgemäß ist oder | |
nicht. | |
taz: Karlsruhe hat allerdings kürzlich angekündigt, 2025 über die | |
vorgelegten Fälle zu entscheiden. Kommt jetzt Bewegung in die Sache? | |
Chebout: Sie sprechen die Jahresvorschau an, eine Liste, die das | |
Bundesverfassungsgericht jedes Jahr veröffentlicht. Es kündigt damit für | |
die Öffentlichkeit an, mit welchen Fällen es sich in diesem Jahr | |
beschäftigen will. Für die Familien war das ein wichtiges Signal, dass die | |
Fälle nun endlich gesehen werden. Aber die Liste hat keinerlei | |
Bindungswirkung – es gibt Fälle, die schon vier oder fünf Mal angekündigt | |
und trotzdem nicht behandelt wurden. | |
taz: Es gibt keinerlei Deadline für Karlsruhe? | |
Chebout: Nein. | |
taz: Wie machen Sie in nächster Zeit weiter? | |
Chebout: Wir werden rechtspolitisch alles versuchen, um die | |
Abstammungsrechtsreform im Sinne von Zwei-Mütter-Familien voranzubringen. | |
Wir sprechen hier schließlich von einem seit Jahren überfälligen | |
Reformprojekt. In Karlsruhe werden wir den letzten noch verfügbaren Hebel | |
in Bewegung setzen und nach den Verzögerungsrügen nun noch | |
Verzögerungsbeschwerden einreichen. Auch beim Bundesverfassungsgericht muss | |
endlich ankommen: Es ist höchste Zeit, zu entscheiden. | |
3 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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