Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wenn zwei Lesben ein Kind erwarten: Mutter mit Malus
> Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann können nach deutschem Recht
> nicht beide Mütter sein. Dagegen will das Paar klagen.
Bild: Die Sache ist eilig, denn Anfang Februar ist Geburtstermin. Gesa Teichert…
Berlin taz | Es war ein langer Weg bis hierhin. Vierundzwanzig Jahre
Partnerschaft, sieben Jahre Kinderwunsch. Dreimal der Versuch über eine
Samenspende, dreimal Hormonbehandlung, dreimal Schwangerschaft – und
dreimal der Verlust des ungeborenen Kindes. Dann entschieden sie sich für
eine Embryonenspende, also der Übertragung eines Embryos in die
Gebärmutter, einen in Deutschland sehr seltenen Eingriff, bei dem die
biologischen Eltern anonym bleiben.
Nach Monaten auf der Warteliste hatten sie Glück, fuhren für den Eingriff
nach München. Zählten dann bangend die Wochen und Ultraschallbilder, bis
endlich feststand: Ihr Kind ist gesund, Anfang Februar ist der
Geburtstermin. Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann werden Eltern.
Mutter wird laut Geburtsurkunde jedoch nur eine von beiden.
In dem kleinen katholischen Dorf Schellerten bei Hildesheim sitzen die
Frauen in ihrem Wohnzimmer. Im Kamin brennt ein Feuer, der Esstisch ist
immer noch weihnachtlich dekoriert. Nebenan im Hellgrün gestrichenen
Kinderzimmer muss noch ein Laufstall aufgebaut werden.
Eben ist die Hebamme gegangen und hat eine maßstabsgetreue Babypuppe
dagelassen, zum Üben. Den Strampler schmückt die Aufschrift: „I love Mom
and Dad“. Die werdenden Mütter können darüber nur lachen. Gesa
Teichert-Akkermann erzählt von ihrem letzten Einkauf, bei dem sie fast
einen ähnlichen Strampler gekauft hätte, auf dem stand „Mom + Dad = Me“.
„Da sind bei uns schon ein paar mehr beteiligt gewesen“, sagt die
44-Jährige und streichelt ihren hochschwangeren Bauch.
## Deutsches Recht: Ein Paar mit allein erziehender Mutter
Die Geburtsurkunde wird diese Entstehungsgeschichte verschweigen. Und auch
das Gesetz schweigt. Denn bis heute sieht das Abstammungsrecht vor, dass
ein Neugeborenes einen Vater und eine Mutter hat. Gleichgeschlechtliche
Paare, Bi-, Inter- und Transsexuelle sowie Mehrelternschaften können
rechtlich nicht abgebildet werden. Gesa Teichert gilt als alleinerziehend.
Damit Verena Akkermann das Sorgerecht für ihr Kind erhält, muss sie die
Stiefkindadoption beantragen – ein mühsamer Weg durch Jugendamt und
Familiengericht, bei dem ihr Haus begutachtet und sie mit Fragen zu ihrer
Familiengeschichte konfrontiert wird. Das kann – je nachdem, wer auf dem
Richterstuhl sitzt – bis zu eineinhalb Jahren dauern. In der Zwischenzeit
benötigt sie ein Formular ihrer Frau, das ihr das „kleine Sorgerecht“
überträgt, wenn sie ihr Kind von der Kita abholen oder zum Arzt bringen
will. Akkermann fühlt sich unter Generalverdacht gestellt. „Durch die Ehe
für alle wurde fast alles gleichgestellt“, sagt die 46-Jährige.
Ihr Kind wird sogar den gleichen Nachnamen haben wie sie, da Akkermann seit
November letzten Jahres der eingetragene Familienname ist. „Nur das
Abstammungsrecht hat man nicht angefasst.“ Bewusst, wie Gesa
Teichert-Akkermann ergänzt. Die rechtliche Vorgabe, dass ein Kind nicht
ohne Vater auf die Welt kommen kann, sei die heilige Kuh einer
patriarchalen Gesellschaft.
## Der Bundestag berät – das kann dauern
Dabei gibt es im Bundestag schon länger Bemühungen um die rechtliche
Gleichstellung lesbischer Mütter. Bereits zwischen 2015 bis 2017
erarbeitete ein Arbeitskreis Abstammungsrecht erste Reformvorschläge. Im
Juni 2018 brachten die Grünen einen Gesetzentwurf ein – im März 2019 folgte
ein Diskussionsteilentwurf der damaligen Justizministerin Katarina Barley
(SPD). Dieser sieht neben weiteren Neuerungen analog zu der Vaterschaft im
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die Mit-Mutterschaft vor. Dadurch wird zweite
Mutter, wer zu dem Zeitpunkt der Geburt Ehefrau der gebärenden Mutter ist,
schriftlich die Mit-Mutterschaft anerkennt oder durch ein Gericht als
solche festgestellt wird.
Der Entwurf des Ministeriums liegt nun fast ein Jahr zurück, seitdem hängt
die Reform in der Schwebe. Auf Anfrage der taz ebenso wie auf
parlamentarische Fragen der Grünen und Linken im Bundestag Ende 2019 kommt
die gleiche Antwort: Derzeit werte man die Stellungnahmen zu dem Entwurf
aus – ein Terminplan stehe noch nicht fest.
Ulle Schauws, queerpolitische Sprecherin der Grünen und Mitinitiatorin des
Gesetzesentwurfs, geht die Reform nicht schnell genug. „Diese Planlosigkeit
kritisiere ich sehr deutlich“, sagt sie. 95 Prozent der Regenbogenfamilien
bestünden aus zwei Lesben als Mütter. Diese könne man nicht länger als
Familien zweiter Klasse mit der Stiefkindadoption im Regen stehen lassen.
Verena Akkermann sieht Christine Lambrecht (SPD), die Nachfolgerin von
Katarina Barley an der Spitze des Justizministeriums, in der Pflicht. Die
habe die Gleichstellung homosexueller Paare nicht auf der Agenda.
Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im
Bundestag, macht dagegen die Koalitionspartner von der Union für die
Verzögerung verantwortlich. Es herrsche eine Blockadehaltung bei der Union,
deren Abgeordnete zum Teil massive Bedenken gegen den Entwurf des
Ministeriums hätten. Derzeit sei für das zweite Halbjahr 2020 die nächste
Diskussion geplant.
Jan-Marco Luczak, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,
erklärt, es sei auch für die Union „klar, dass wir angesichts der
Fortschritte in der Reproduktionsmedizin, aber auch des Aufkommens neuer
Familienmodelle einige grundlegende Anpassungen werden vornehmen müssen“.
Das Adoptionsrecht böte dabei gute Anknüpfungspunkte. Die Vorschläge der
Grünen nennt Luczak „übereilt und nicht ausgereift“, da dort der
Elternwunsch von Erwachsenen im Zentrum stünde, nicht aber die Interessen
des Kindes.
SPD-Mitarbeiter Nakoinz hofft, dass es nicht bei der Teilreform bleibt. „Es
ist nur ein erster Schritt hin zu einem modernen und flexiblen
Abstammungsrecht“, sagt er. Der Rest der LGBTI-Community werde in dem
Entwurf noch nicht bedacht. Das bemängelt auch das Paar aus Hildesheim.
„Warum heißt es nicht einfach Elternteil 1 und Elternteil 2?“, fragt Gesa
Teichert-Akkermann. „Davon geht doch die Welt nicht unter.“
## Eine Stiefkindadoption? Kommt nicht infrage!
Als sie schwanger wurde, hofften sie und ihre Frau noch, dass sie bis zu
der Geburt ihres Kindes gleichberechtigt in der Geburtsurkunde stehen
könnten. Nicht nur aus politischer Überzeugung: Gesa Teichert-Akkermann hat
das seltene Turner-Kieser-Syndrom, durch das ihre Gelenke übermäßig
verschleißen. Sie sitzt im Rollstuhl, das Kind muss per Kaiserschnitt
entbunden werden. Sollte ihr während der Narkose etwas zustoßen, wäre das
Kind Vollwaise. Trotz des Risikos kommt eine Stiefkindadoption für Verena
Akkermann nicht infrage. „Ich fand diese Prozedur schon immer
diskriminierend“, sagt sie. „Wie das schon klingt: Stiefkind.“
Als wohl erstes lesbisches Paar wollen sie nun einen neuen Weg gehen: vor
das Gericht und die Augen der Öffentlichkeit. Beim örtlichen Standesamt
reichten sie die Anerkennung der Mit-Mutterschaft ein. Ein Blatt Papier,
ein paar kurze Zeilen und zwei Unterschriften; ebenso viel, wie es für ein
heterosexuelles Paar braucht, das die Vaterschaft des Mannes anerkennen
lassen möchte.
„Wir dachten, wir tun einfach mal so, als ginge das“, sagt Gesa
Teichert-Akkermann, die bei der Magnus Hirschfeld Stiftung arbeitet. In der
Rechtssprache nennt man das einen Analogieschluss: die Anwendung einer
Rechtsnorm auf einen ähnlichen, noch ungeregelten Tatbestand. Für den Fall,
dass der Gesetzgeber eine unbeabsichtigte Lücke im Gesetz gelassen hat,
kann dann eine Regelung wie die Vaterschaftsanerkennung im Bürgerlichen
Gesetzbuch auch auf die Mit-Mutterschaft angewendet werden. Doch eine Woche
später kam die Ablehnung des Standesamtes: nicht durchführbar aufgrund
fehlender Rechtsgrundlage. Auch den Analogieschluss lehnt die Behörde ab.
Die Frauen reichten Widerspruch beim Standesamt ein. Sie sehen sich in
ihren Grundrechten verletzt. „Es geht um meine Würde“, sagt Verena
Akkermann. „Wäre ich ein Mann, wäre die Anerkennung von mir als Elternteil
eine Sache von wenigen Minuten – ein Wisch und ein Glas Sekt zum Anstoßen.
Ich fühle mich als lesbische Frau ganz grundlegend diskriminiert, und zwar
in einer Plattheit, wie ich es seit Langem nicht mehr erlebt habe.“ Auch
die Würde des Kindes werde verletzt, sagt Gesa Teichert-Akkermann, weil
seine Lebensrealität nicht anerkannt werde. „Der Staat macht sich der
Kindswohlgefährdung schuldig“, sagt sie. „Ein Kind hat Anspruch auf zwei
Eltern.“
Diese Ansicht teilt auch Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen
Juristinnenbundes. „Es ist eine diskriminierende Gesetzeslage“, urteilt
sie. Der Wandel von Familie stelle das Abstammungsrecht vor Probleme – ein
Rundumschlag sei nötig. Doch der Knoten sei noch nicht geplatzt. Wersig ist
skeptisch, ob die Reform diese Legislaturperiode noch kommt. Dass das Paar
aus Schellerten klagen will, findet sie gut. „Fakten brauchen Gesichter“,
sagt die Juristin. „Ein Gerichtsverfahren erzeugt Aufmerksamkeit und kann
politischen Wandel vorantreiben.“ Derzeit liegt die Klage beim Amtsgericht
in Hildesheim – ob dieses den Fall annimmt oder wegen übergeordneter
Interessen an ein Bundesgericht gibt, ist offen. Wenn nötig, will das Paar
durch alle Instanzen gehen. „Bis auf die Ehe für alle hat es für jede
Gleichstellungsreform eine Verfassungsklage gebraucht“, sagt Gesa
Teichert-Akkermann.
Trotz des anstehenden Prozesses und der gesundheitlichen Sorgen freuen sich
die Frauen auf die Geburt. „Wir werden bald Mütter sein“, sagt Gesa
Teichert-Akkermann. Es sei skurril – fügt sie nach kurzer Stille hinzu –,
dass sie eigentlich nichts von anderen werdenden Eltern unterscheide und
gleichzeitig etwas so Grundlegendes trenne.
29 Jan 2020
## AUTOREN
Helena Weise
## TAGS
Abstammung
Eltern
Familie
Homosexualität
IG
Queer
Familie
Lesestück Recherche und Reportage
Adoptionsrecht
Homosexualität
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt LGBTQIA
Kinder
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechtsanwältin über Abstammungsrecht: „Die Reform ist seit Jahren überfäl…
Die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter sei nicht hinnehmbar, sagt
Anwältin Lucy Chebout. Das Bundesverfassungsgericht müsse endlich
entscheiden.
Benachteiligung bei der Ehe für alle: Menschenrecht auf Muttersein
Queere Mütter müssen in Deutschland immer noch um Anerkennung kämpfen. Das
Abstammungsgesetz sollte endlich reformiert werden.
Entscheidung zum Abstammungsrecht: Vom Recht, Mutter zu sein
Gesa und Verena Akkermann sind Mütter einer Tochter. Doch nur Gesa darf
sich Mutter nennen. Ist das rechtens? Karlsruhe muss das nun klären.
Ungleichbehandlung durch geltendes Abstammungsrecht: Queere Mütter klagen
Mit der Iniative „nodoption“ machen queere Mütter darauf aufmerksam, dass
sie ihre eigenen Kinder adoptieren müssen. Jetzt gehen sie vor Gericht.
Gesetzesentwurf Abstammungsrecht: Mutter, Mutter, Kind
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant eine Reform des
Abstammungsrechts: Lesbische Paare sollen ohne Adoption Mütter werden
können.
Co-Parenting und Samenspende: Der Superspreader
Mihai B. zeugt Kinder – auf der ganzen Welt, so viele er kann. Warum macht
er das? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von ihm wollen?
Familien mit mehr als zwei Eltern: Alles andere als kompliziert
Statt lesbische Mütter gleichzustellen, wird ihnen eine Beratung
aufgedrückt. Besser wäre es, endlich Mehrelternschaft anzuerkennen.
Abstammungsrecht in Deutschland: 91 Thesen für Neuregelung
Sachverständige legen ihren Bericht zur Reform des Abstammungsrechts vor.
Sie fordern mehr Rechte für genetische Väter und lesbische Paare.
Diskussion über Homo-Ehe: Schieben ist angesagt
Bundestagsabgeordnete diskutierten am Montag in Berlin über politische
Verantwortung und Initiativen in Sachen Homo-Ehe – und was die nächsten
Baustellen sind.
Kommentar zum Väter-Urteil: Recht auf den leiblichen Vater
Gerichte stärken Väterrechte immer mehr. Und das ist richtig so. Denn
irgendwann muss die Wahrheit auf den Tisch, auch wenn es den Eltern
schwerfällt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.