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# taz.de -- Co-Parenting und Samenspende: Der Superspreader
> Mihai B. zeugt Kinder – auf der ganzen Welt, so viele er kann. Warum
> macht er das? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von ihm wollen?
Bild: Mit jedem Samenerguss verlassen 40 bis einige hundert Millionen Spermien …
Sucht er nach Frauen, die seine Kinder austragen möchten, gibt er sich
Decknamen wie „Fabian“ oder „James“. In Kontaktanzeigen schreibt er:
„Intelligenter, gesunder Mann (40/185/85) sucht Frau zur Erfüllung ihres
Kinderwunsches. Melde dich!“
An einem Junimorgen sitzt dieser Mann in einer norddeutschen Fußgängerzone
im Außenbereich einer Bäckerei, trinkt Kaffee und schaut hinaus in den
Regen, der wie ein Wasserfall von den Rändern des Sonnenschirms prasselt.
Das schulterlange braune Haar trägt er offen, der Bart ist voll und
gepflegt. Das Hemd ist hellblau und knitterig, der Mann wirkt erschöpft.
Neben ihm auf der Bank steht eine abgegriffene Einkaufstüte, die Ecken
eines Laptops drücken durchs weiße Plastik. Es ist seine Reisetasche,
später muss er zum Zug. Die norddeutsche Stadt ist nur eine
Zwischenstation. Eine von vielen.
Die letzten Tage hat er in Zügen, auf Sofas und in Hotelzimmern verbracht.
Er war in Berlin, im Ruhrgebiet und in Süddeutschland. Seit Jahren geht das
so, er reist umher, immer dahin, wo man ihn braucht – bei jedem
Zwischenstopp hat er nur ein Ziel: die Zeugung eines Kindes. Mihai B. ist
Samenspender.
Massenspender, so werden Männer wie er in Internetforen genannt, wo sich
fremde Menschen suchen und finden, um gemeinsam Kinder zu bekommen.
Wie viele Kinder er in den vergangenen Jahren gezeugt hat, will Mihai B.
nicht verraten, nur, dass es viele sind – und, das ist ihm wichtig, dass es
noch mehr werden sollen. Einen Mann, den er bewundert und wohl auch
beneidet – „er ist noch nicht mal Akademiker!“ –, ein Fremdenführer au…
Niederlanden, hat es bereits auf 100 Kinder gebracht, dessen Angaben
zufolge.
## Geht es um Geld oder Narzissmus?
100 Kinder sollen es bei Mihai B. nicht werden, aber ein paar mehr eben
schon. Deswegen hat er kürzlich eine Website angelegt mit Informationen zu
seiner akademischen Karriere, seiner Familie und seinem gesundheitlichen
Zustand. Es gibt auch ein Video: Er sitzt vor einer Bücherwand, trägt
ebenfalls ein hellblaues Hemd, schaut in die Kamera und sagt: „Wir können
uns überall in Deutschland treffen, auch Europa ist leicht. Asien,
Australien oder Nordamerika ist ein bisschen schwieriger, aber nicht zu
schwierig.“
Die Website hat ein eigenes Motto, einen Aufruf, der lautet: „Let’s have a
baby“.
Warum macht er das? Warum spendet er fremden Frauen seinen Samen? Warum
zeugt er massenhaft Kinder? Für das Lebensglück anderer, für Geld oder aus
narzisstischen Gründen? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von Mihai B.
wollen?
Anna Bode ist eine. Vor etwa drei Jahren legte sie auf einem Internetportal
für Co-Elternschaft ein Profil an: Frau sucht Mann für Familiengründung.
Einer der Ersten, die ihr schrieben, war B. Seither versuchen sie ein Kind
zu zeugen.
„Ich wusste nicht, wie ich vorgehen soll, bis ich Mihai traf. Der kannte
sich aus“, sagt Anna Bode, eine rundliche Frau mit braunen Locken und
Sommersprossen, Anfang 40, die eigentlich anders heißt. Sie sitzt an diesem
Vormittag neben Mihai B. vor dem Café. Sie ist bereit, über ihren
Kinderwunsch zu sprechen.
Sie, die Schüchterne, die lacht, wenn sie verlegen ist, und in manchen
Momenten so wirkt, als wäre sie lieber woanders. Er, der Laute, der gerne
redet – über sich und seine Potenz als Spender –, der mit seinen Gedanken
mal hier ist und mal da.
## Der beste Vater für ihr Kind
Nur zwei ihrer engsten Freundinnen wissen, dass Bode im Internet nach einem
Vater für ihr Kind gesucht hat. Ihre Familie hält Mihai B. für einen netten
Bekannten. „Ich will keinen Erwartungsdruck aufbauen“, erklärt Bode die
Geheimhaltung.
Anna Bode war 37, als ihr klar wurde, dass sie Kinder möchte – und dass ihr
nicht mehr ewig Zeit blieb. Die Fruchtbarkeit von Frauen nimmt nach dem 35.
Lebensjahr ab, das Risiko einer Fehlgeburt steigt. Bodes damaliger Partner
wollte keine Familie, die beiden trennten sich, danach blieb sie allein.
Wie kommt eine Frau an ein Kind, wenn der Mann keines will oder der
richtige nicht da ist?
Bode beschloss, den Kinderwunsch von der romantischen Liebe zu entkoppeln.
„Eine Befreiung“, sagt sie. Aber auch ein Abschied vom eigentlichen Plan,
der Vater-Mutter-Kind-Idee. Für Bode nicht unbedingt leicht. Wer gesteht
sich schon gerne ein, dass das Leben anders läuft als erhofft?
Wenn es mit Mihai B. klappt, will Anna Bode das Kind allein großziehen. Und
was ist mit der Liebe? Auch wenn sie jetzt einen Mann kennenlernen würde,
sagt Bode, wäre Mihai B. der beste Vater für ihr Kind. Willig, ihr den
Wunsch nach einer eigenen Familie zu erfüllen, ohne Ansprüche, aber immer
ansprechbar.
Co-Parenting nennt sich diese Form der Elternschaft, in der sich Fremde
zusammentun, um eine Familie zu gründen, die je nach Bedürfnis und
Konstellation anders aussehen kann. Mal kümmern sich die biologischen
Eltern gemeinsam, aber ohne ein Paar zu sein. Mal nur die Mutter, zwei
Mütter oder Väter oder eben die biologische Mutter und der soziale Vater.
Fragt man bei den Betreibern der Onlineforen nach, geben sie an, dass dort
mehrere Tausend Nutzer:innen aktiv seien und die Nachfrage steige, vor
allem unter alleinstehenden Frauen.
## „Okay, der Typ ist verrückt“
„Äußerlichkeiten waren mir egal. Wichtig war mir vor allem, dass er keinen
Sex haben will, also kein Spinner ist“, sagt Bode. Wichtig sei ihr auch
gewesen, dass der Mann gesund sei und das Kind den Vater kennenlernen
könne.
Mihai B. bringe das alles mit. Anna Bode lacht und schaut rüber zu ihm.
„Als ich seine erste Mail gelesen habe, dachte ich: Okay, der Typ ist
verrückt. Aber dann habe ich gedacht: Wenn er viele Kinder hat, dann stehen
die Chancen gut, dass er noch eins machen kann.“ Sie sagt das liebevoll,
fast neckisch und gibt B. einen Klaps aufs Bein. Der Laute und die Leise,
in diesem Moment wirken sie wie ein Paar.
Später wird B. sagen, dass er glaubt, Anna Bode habe sich vielleicht in ihn
verliebt. Und dass er sie auch liebe, aber als gute Freundin, nicht als
Frau. Vielleicht ist es manchmal doch schwierig, die Kinder und die Liebe
völlig voneinander zu trennen.
Und vielleicht hören sich deswegen die Geschichten, die Mihai B. über die
Frauen erzählt, die seine Kinder großziehen, oft wie Geschichten der Liebe
an und nicht wie solche über flüchtige Begegnungen, bei denen es vor allem
um B.s Sperma geht.
## Er schreibt kleine Dossiers über die Frauen
Auch wenn Mihai B. ein Geheimnis um die genaue Zahl seiner Kinder macht,
lässt sich die Zahl anhand von Gesprächen und E-Mails ungefähr abschätzen,
in denen Frauen von Kindern berichten, die sie von ihm haben. Und anhand
eines Videointerviews mit B.s Schwester, die in Rumänien lebt und von
weiteren Frauen und Kindern erzählt, mit denen sie hier und da Kontakt
habe.
Mihai B. hat vier Kinder in Großbritannien, eins in China und mindestens
vier in Deutschland. Dazu kommen Kinder aus Samenbanken in den USA und in
Dänemark.
Er selbst schickt per Mail kleine Dossiers über ein paar der Frauen, die er
geschwängert hat – oder die er zumindest schwängern wollte. Sie tragen im
Folgenden einen anderen Namen, auch zum Schutz der Kinder.
B. über Tanja: „Das Bild, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Tanja
denke, ist das einer schönen Blume, die auf einer Klippe wächst. Nur die
Vögel können sie erreichen. Die Vögel und ich. Ich liebe Felsklettern.“
B. über Sylvia: „Sie ist eine wundervolle französische Dame, die sich
geschmackvoll kleidet. Sie ist erfolgreiche Unternehmerin.“
Mal hat Mihai B. Kontakt zu seinem Nachwuchs, mal nicht; je nachdem, was
die Frauen oder Paare, denen Mihai B. seinen Samen überlasst, sich
wünschen. 20 Prozent der Frauen, mit denen er ein Kind zu zeugen versuche,
würden schwanger, sagt Mihai B.
## In einer Spritze: sein Sperma
Bei Anna Bode hat es bisher nicht geklappt, obwohl sie und B. es seit mehr
als zwei Jahren versuchen.
Beim ersten Treffen mit B. habe sie ein wenig Angst gehabt, sagt Bode, ein
fremder Mann in der Wohnung, der gekommen sei, ein Kind zu machen. „Ich war
unfassbar nervös.“
Sie hätten sich ein paar Stunden unterhalten, erinnert sich Bode, und
langsam sei die Anspannung gewichen. „Ich fand ihn einfach sehr nett.“
Irgendwann ging B. ins Badezimmer und kam wenig später mit einer
daumendicken Spritze wieder hinaus. In der Spritze sein Sperma, das sich
Bode anschließend einführte – eine Form der Befruchtung, die Bechermethode
genannt wird.
Seit diesem ersten Abend reist Mihai B. fast monatlich an, immer im
Rhythmus von Anna Bodes Zyklus. Wenn er nicht bei Bode ist, reist er durch
die Welt – zumindest war das vor Corona so. Wohin genau und wozu, das wird
im Gespräch mit Mihai B. nicht ganz deutlich, wie so vieles. Reist er von
Frau zu Frau?
B. ist ein sprunghafter Erzähler, der von einem zum nächsten Thema
übergeht. Unterbricht man ihn nicht, verliert sich der Gesprächsfaden, und
so ist die Geschichte von Mihai B. und seinen Kindern ein Flickenteppich
aus Informationen, bestehend aus mehreren Treffen und E-Mail-Verläufen.
Manches will er auch nicht preisgeben.
Klar ist: In den letzten Wochen hat er viel Zeit in Deutschland verbracht,
lebte bei den Frauen, die seine Kinder wollen oder bereits haben. B.
schießt die Reisekosten vor, die Frauen geben ihm das Geld dafür sonst
später. Es kam aber auch schon vor, dass er auf den Kosten sitzen geblieben
ist. Er spricht nicht gern über Geld. Eine der Frauen sagt etwas über einen
Immobilienfonds, den B. verwalte.
## Geld kann nicht das Motiv sein
Worüber B. dagegen gern spricht, ist seine akademische Karriere. Mihai B.
ist Physiker, eine kurze Zeit lang ging es für ihn steil nach oben: Studium
der Physik in Deutschland, den Doktor machte er in den USA, er war
studentischer Mitarbeiter bei einem Projekt, das 2017 den Nobelpreis
gewann. Belege dafür schickt B. ungefragt per Mail, auch auf seiner
Co-Parenting-Website gibt es dazu einen ausführlichen Text.
Wie und warum Mihai B. zum Massenspender wurde, steht dort nicht. Seine
Schwester sagt, dass es mit der wissenschaftlichen Karriere doch nicht so
gelaufen sei, wie er es sich gewünscht habe. Aber Geld kann nicht das Motiv
sein, denn Geld fließt nicht.
Mihai B. sagt: „Ich kann schönen Frauen helfen, Kinder zu bekommen, welcher
Mann würde das nicht wollen?“ Also geht es doch um Attraktivität? Später
sagt B., dass dieser Satz ein Witz gewesen sei.
Vielleicht ist er auch ein Missverständnis, ein Sprachproblem. Mihai B.
spricht besser Englisch als Deutsch, seine Muttersprache ist Rumänisch. Er
meine „wundervolle Frauen“, sagt B., nicht unbedingt schön im klassischen
Sinn. Wundervolle Frauen, die ihn brauchen.
Anna Bode sagt, dass es sicherlich auch Narzissmus sei, der B. dazu bringe,
massenhaft Kinder in die Welt zu setzen. Eine Meinung, die andere Frauen
teilen.
Ein Mann, dessen Motive nicht ganz greifbar sind, ein Treffen mit einem
Unbekannten, das Überreichen von Sperma in einer Spritze: Was sich ein
wenig nach Hinterzimmer anhört, ist für viele die einzige Option auf ein
Kind.
## Ein rechtlicher Graubereich
Denn während Heteropaare ihren Nachwuchs zu Hause oder in der klinischen
Umgebung von Kinderwunschzentren und offiziellen Samenbanken zeugen,
bleibt homosexuellen Paaren und Singles oft nur die private Samenspende.
Der offizielle Weg ist teuer, er kann mehrere Tausend Euro kosten. Und
finanzielle Unterstützung von den Krankenkassen bekommen nur die, die einen
Trauschein haben: Vater, Mutter, Kind.
Unverheiratete Paare müssen selber zahlen. Paare, die nicht ins Raster
passen, und alleinstehende Frauen werden in vielen Fällen nicht von
Kliniken und Samenbanken betreut.
Die private Samenspende ist rechtlich ein Graubereich und basiert vor allem
auf gegenseitigem Vertrauen. Die gesetzlichen Definitionen von Elternschaft
mit all ihren Regeln und Pflichten greifen hier nicht. Nirgends ist
beispielsweise geregelt, was passiert, wenn der Samenspender sich als
Hochstapler entpuppt und gar nicht so gesund oder schlau ist wie behauptet;
oder wenn sich von der Idee, das Kind gemeinsam großzuziehen, einseitig
verabschiedet wird.
Portale, wo sich die künftigen Eltern treffen, heißen [1][familyship.de]
oder [2][spendesperma.com]. Das Konzept erinnert an Ebay-Kleinanzeigen.
Ein 64-jähriger Samenspender schreibt: „Ich will mein Erbgut weitergeben.
Der Gedanke gefällt mir sehr. (…) Ich will euch nicht anlügen und hier auf
Samariter und Superheld machen, der das ganz selbstlos macht. Ich bin ein
Mann, natürlich will ich auch Spaß haben.:-) Ich biete also auch eine
natürliche Befruchtung an!“ In einem weiteren Absatz beschreibt er seinen
Körperbau.
Die Nutzerin Dine sucht „einen netten Mann, mit dem ich ein Kind bekommen
und es dann gemeinschaftlich und gleichberechtigt aufziehen kann.“
Ein weiterer Nutzer, der auf seinem Profilbild eine Kochuniform trägt,
bietet an, den Kinderwunsch für 500 Euro „schnell und unkompliziert“ zu
erfüllen.
## Auch die Männer tragen ein Risiko
Zahlen zu den Kindern, die so entstehen, gibt es nicht. Auch sonst ist die
private Samenspende eher undurchsichtig.
Es gibt Foren, in denen Frauen von unseriösen Angeboten berichten. Auch
Anna Bode sagt, sie habe seltsame Zuschriften erhalten. Kind nur gegen Sex.
Oder Geld.
Auch die Männer tragen ein Risiko. Sie können von den Müttern auf Unterhalt
verklagt werden – obwohl sie vorher Verträge aufgesetzt haben, die sie vor
finanziellen Forderungen schützen sollten. Meistens gewinnen die Frauen.
Eine DNA-Probe reicht, um die Vaterschaft bestätigen zu lassen und damit
auch das Recht auf Unterhalt und Erbe einzufordern.
Auch Mihai B. hat mit den Müttern seiner Kinder Verträge abgeschlossen. In
den Geburtsurkunden taucht er nicht als Vater auf. Bisher habe es keine
Probleme gegeben, sagt er. Wieso geht er dieses Risiko ein? Was hat er
davon – von den vielen Kindern, den Frauen?
Mihai B. lacht, wenn man ihn danach fragt, und erzählt von den Frauen, die
ihn geprägt hätten. Seine Mutter sei Ärztin, seine Schwester Physikerin.
Beide hätten Karriere gemacht und Kinder bekommen.
## Wird man ihn für einen Spinner halten?
Es ist Mitte Mai, ein paar Wochen vor dem gemeinsamen Treffen mit Anna Bode
in Norddeutschland. B. sitzt auf einer Bank vor dem Berliner Hauptbahnhof,
gerade ist er aus dem Zug gestiegen, er ist extra aus dem Ruhrgebiet
angereist für dieses Gespräch.
Er sagt: „Ich habe ein bisschen Angst vor dem Interview.“ Er frage sich, ob
er in diesem Text wirklich mit seinem echten Vornamen auftauchen solle. Was
würden seine ehemaligen Universitätskolleg:innen sagen? Wird man ihn
für einen Spinner halten? Wird man ihn verstehen?
Bevor Mihai B. zum Massenspender wurde, führte er ein bürgerliches Leben in
Kalifornien, war verheiratet, machte seinen Doktor. Aus dieser Ehe stammen
zwei Kinder. Der ältere Sohn lebt bei B.s Familie in Rumänien, der jüngere
bei der Mutter in den USA. Spricht Mihai B. über diese beiden Söhne, wird
er emotional, schaut auf den Boden, es wirkt, als drücke er ein paar
Tränen weg. Aus seiner weißen Plastiktasche zieht er ein schmales Büchlein,
ein Kinderbuch über Gravitationswellen, geschrieben von seinem älteren
Sohn. Mihai B. hat es verlegt und dem 13-Jährigen erste Vorträge
organisiert. Die Bildung der beiden sei ihm wichtig. Trotzdem sagt B.: „Ich
bin ein schlechter Vater.“ Zumindest ist er ein abwesender Vater. Auch für
die Kinder aus seiner Ehe.
Ein paar Tage später in Düsseldorf. Laura Schneider öffnet die Tür zu ihrer
Wohnung, auf ihrer Hüfte trägt sie den acht Monate alten Tom. Ein blonder
Junge mit den Mandelaugen seines Vaters, Mihai B.
Laura Schneider, blonder Zopf und schmale Brille, ist Mitte 30 und lebt mit
ihrem älteren Sohn aus einer früheren Ehe und dem kleinen Tom in einer
großen hellen Wohnung. Überall hängen Kinderbilder. „Tom“, steht in bunt…
Buchstaben an der Tür zum Schlafzimmer.
## Ein absolutes Wunschkind
Mihai B. ist hier oft Gast. Auch an diesem Nachmittag sitzt er auf
Schneiders riesenhafter Couch. Wie immer im blauen Hemd. Schneider setzt
sich neben B., stillt das Baby, schiebt ihre Bluse zurecht und reicht ihm
dann das Kind.
„Nimmst du ihn bitte?“, fragt sie.
„Okay“, sagt Mihai B. und geht mit Tom auf dem Arm ins Schlafzimmer.
Es sind Abläufe, die routiniert aussehen, nach Familie. Vater, Mutter,
Kind. Später wird Mihai B. Tom in den Schlaf zu singen versuchen,
erfolglos.
Wie Anna Bode hat auch Laura Schneider Mihai B. im Internet kennengelernt.
„Ich wollte ein zweites Kind, aber keinen Mann dazu“, sagt Schneider. Ihr
erster Sohn stammt aus einer schwierigen Ehe. „Da hatte ich keine Lust mehr
drauf.“
B. sei perfekt, sagt Schneider, lächelt und schaut rüber Richtung
Schlafzimmer. Nett, schlau, selten anwesend, aber erreichbar. Ein Jahr lang
probierten sie es mit der Bechermethode, irgendwann klappte es. „Mein Sohn
ist ein absolutes Wunschkind“, sagt sie. „Dafür bin ich Mihai sehr
dankbar.“
Seit Tom auf der Welt ist, kommt Mihai B. öfter zu Besuch, er bleibt ein
paar Tage, spielt mit Tom, macht mit Schneiders großem Sohn Matheaufgaben.
Als Schneider nach der Geburt Probleme beim Stillen hatte, gab Mihai B. ihr
die Nummer von einer der anderen Frauen. Seither sind Schneider und sie in
Kontakt. Auch mit weiteren Frauen, die Kinder von Mihai B. haben, hat
Schneider gesprochen. „Das ist ein schöner Austausch“, sagt sie.
Ihre Familie weiß Bescheid über Mihai B., die Freunde auch. Hört man
Schneider zu, wie sie über B. spricht, über ihre Entscheidung, ein Kind mit
einem Samenspender zu bekommen, hat man das Gefühl, sie ist mit sich im
Reinen. Da schwingt keine Sehnsucht nach romantischer Liebe oder einer
klassischen Kleinfamilie mit. Da ist nur Freude über das Kind.
## Eine große Liebe, eine platonische
Irgendwann, sagt Schneider, könne sie sich vorstellen, in einem Hausprojekt
zu wohnen – nur die Frauen und die Kinder von Mihai B. Eine große Familie.
Sie meint das ernst. „Wäre doch schön“, sagt sie und lacht.
In diesem Moment weicht das Bild eines Hinterzimmers, in dem zwei Fremde
mit abgefülltem Sperma hantieren, dem einer großen Tafel, an der alle ihren
Platz finden. Vielleicht liegt es daran, wie offen und selbstbewusst
Schneider über ihre Entscheidung und die Beziehung zu Mihai B. spricht.
„Da ist eine große Liebe“, sagt sie. „Aber eine platonische. Mihai ist w…
ein Kind, völlig chaotisch im Alltag, aber er ist Teil meiner Familie.“
Ihrem älteren Sohn habe sie die neue Konstellation so erklärt: Mihai sei
der Vater von Tom, aber nicht ihr Partner.
Schneider denkt darüber nach, Mihai B. doch in Toms Geburtsurkunde
eintragen zu lassen. Bisher taucht B. offiziell nirgends als Vater auf.
Mihai B. sagt, ihm sei es recht, auch offiziell Toms Vater zu sein. Mit
eventuellem Unterhalt, den er zahlen müsste, hätte er kein Problem. Ändern
werde sich an der Situation aber nichts. Schneider sei die Mutter, die
Erziehung liege bei ihr, sagt B. „Ich kann gerne beraten, bin aber nicht
ständig da.“
Der abwesende Vater – wie lebt man damit als Kind?
Spricht man mit Spenderkindern und liest Erfahrungsberichte über diese Form
der Familienzusammenstellung, erfährt man immer wieder, dass Transparenz
das Wichtigste sei. Nicht zu wissen, wer der Vater ist, kann schlimmer sein
als das Wissen um viele Halbgeschwister.
Ein paar Wochen nach dem Treffen in Düsseldorf schreibt Mihai B. in einer
E-Mail, dass er gerade Vater von zwei weiteren Mädchen geworden sei. Die
Mütter seien eine Frau, die bereits ein Kind von ihm habe, und ein
lesbisches Paar. Er habe auch weiteren Samen gespendet, schreibt er. Zum
Beispiel an eine Frau in Tschechien. Bisher haben sie aber noch kein Glück
gehabt. Aber das könne sich bald ändern.
26 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.familyship.org/
[2] http://www.spendesperma.com
## AUTOREN
Gesa Steeger
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