# taz.de -- Co-Parenting und Samenspende: Der Superspreader | |
> Mihai B. zeugt Kinder – auf der ganzen Welt, so viele er kann. Warum | |
> macht er das? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von ihm wollen? | |
Bild: Mit jedem Samenerguss verlassen 40 bis einige hundert Millionen Spermien … | |
Sucht er nach Frauen, die seine Kinder austragen möchten, gibt er sich | |
Decknamen wie „Fabian“ oder „James“. In Kontaktanzeigen schreibt er: | |
„Intelligenter, gesunder Mann (40/185/85) sucht Frau zur Erfüllung ihres | |
Kinderwunsches. Melde dich!“ | |
An einem Junimorgen sitzt dieser Mann in einer norddeutschen Fußgängerzone | |
im Außenbereich einer Bäckerei, trinkt Kaffee und schaut hinaus in den | |
Regen, der wie ein Wasserfall von den Rändern des Sonnenschirms prasselt. | |
Das schulterlange braune Haar trägt er offen, der Bart ist voll und | |
gepflegt. Das Hemd ist hellblau und knitterig, der Mann wirkt erschöpft. | |
Neben ihm auf der Bank steht eine abgegriffene Einkaufstüte, die Ecken | |
eines Laptops drücken durchs weiße Plastik. Es ist seine Reisetasche, | |
später muss er zum Zug. Die norddeutsche Stadt ist nur eine | |
Zwischenstation. Eine von vielen. | |
Die letzten Tage hat er in Zügen, auf Sofas und in Hotelzimmern verbracht. | |
Er war in Berlin, im Ruhrgebiet und in Süddeutschland. Seit Jahren geht das | |
so, er reist umher, immer dahin, wo man ihn braucht – bei jedem | |
Zwischenstopp hat er nur ein Ziel: die Zeugung eines Kindes. Mihai B. ist | |
Samenspender. | |
Massenspender, so werden Männer wie er in Internetforen genannt, wo sich | |
fremde Menschen suchen und finden, um gemeinsam Kinder zu bekommen. | |
Wie viele Kinder er in den vergangenen Jahren gezeugt hat, will Mihai B. | |
nicht verraten, nur, dass es viele sind – und, das ist ihm wichtig, dass es | |
noch mehr werden sollen. Einen Mann, den er bewundert und wohl auch | |
beneidet – „er ist noch nicht mal Akademiker!“ –, ein Fremdenführer au… | |
Niederlanden, hat es bereits auf 100 Kinder gebracht, dessen Angaben | |
zufolge. | |
## Geht es um Geld oder Narzissmus? | |
100 Kinder sollen es bei Mihai B. nicht werden, aber ein paar mehr eben | |
schon. Deswegen hat er kürzlich eine Website angelegt mit Informationen zu | |
seiner akademischen Karriere, seiner Familie und seinem gesundheitlichen | |
Zustand. Es gibt auch ein Video: Er sitzt vor einer Bücherwand, trägt | |
ebenfalls ein hellblaues Hemd, schaut in die Kamera und sagt: „Wir können | |
uns überall in Deutschland treffen, auch Europa ist leicht. Asien, | |
Australien oder Nordamerika ist ein bisschen schwieriger, aber nicht zu | |
schwierig.“ | |
Die Website hat ein eigenes Motto, einen Aufruf, der lautet: „Let’s have a | |
baby“. | |
Warum macht er das? Warum spendet er fremden Frauen seinen Samen? Warum | |
zeugt er massenhaft Kinder? Für das Lebensglück anderer, für Geld oder aus | |
narzisstischen Gründen? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von Mihai B. | |
wollen? | |
Anna Bode ist eine. Vor etwa drei Jahren legte sie auf einem Internetportal | |
für Co-Elternschaft ein Profil an: Frau sucht Mann für Familiengründung. | |
Einer der Ersten, die ihr schrieben, war B. Seither versuchen sie ein Kind | |
zu zeugen. | |
„Ich wusste nicht, wie ich vorgehen soll, bis ich Mihai traf. Der kannte | |
sich aus“, sagt Anna Bode, eine rundliche Frau mit braunen Locken und | |
Sommersprossen, Anfang 40, die eigentlich anders heißt. Sie sitzt an diesem | |
Vormittag neben Mihai B. vor dem Café. Sie ist bereit, über ihren | |
Kinderwunsch zu sprechen. | |
Sie, die Schüchterne, die lacht, wenn sie verlegen ist, und in manchen | |
Momenten so wirkt, als wäre sie lieber woanders. Er, der Laute, der gerne | |
redet – über sich und seine Potenz als Spender –, der mit seinen Gedanken | |
mal hier ist und mal da. | |
## Der beste Vater für ihr Kind | |
Nur zwei ihrer engsten Freundinnen wissen, dass Bode im Internet nach einem | |
Vater für ihr Kind gesucht hat. Ihre Familie hält Mihai B. für einen netten | |
Bekannten. „Ich will keinen Erwartungsdruck aufbauen“, erklärt Bode die | |
Geheimhaltung. | |
Anna Bode war 37, als ihr klar wurde, dass sie Kinder möchte – und dass ihr | |
nicht mehr ewig Zeit blieb. Die Fruchtbarkeit von Frauen nimmt nach dem 35. | |
Lebensjahr ab, das Risiko einer Fehlgeburt steigt. Bodes damaliger Partner | |
wollte keine Familie, die beiden trennten sich, danach blieb sie allein. | |
Wie kommt eine Frau an ein Kind, wenn der Mann keines will oder der | |
richtige nicht da ist? | |
Bode beschloss, den Kinderwunsch von der romantischen Liebe zu entkoppeln. | |
„Eine Befreiung“, sagt sie. Aber auch ein Abschied vom eigentlichen Plan, | |
der Vater-Mutter-Kind-Idee. Für Bode nicht unbedingt leicht. Wer gesteht | |
sich schon gerne ein, dass das Leben anders läuft als erhofft? | |
Wenn es mit Mihai B. klappt, will Anna Bode das Kind allein großziehen. Und | |
was ist mit der Liebe? Auch wenn sie jetzt einen Mann kennenlernen würde, | |
sagt Bode, wäre Mihai B. der beste Vater für ihr Kind. Willig, ihr den | |
Wunsch nach einer eigenen Familie zu erfüllen, ohne Ansprüche, aber immer | |
ansprechbar. | |
Co-Parenting nennt sich diese Form der Elternschaft, in der sich Fremde | |
zusammentun, um eine Familie zu gründen, die je nach Bedürfnis und | |
Konstellation anders aussehen kann. Mal kümmern sich die biologischen | |
Eltern gemeinsam, aber ohne ein Paar zu sein. Mal nur die Mutter, zwei | |
Mütter oder Väter oder eben die biologische Mutter und der soziale Vater. | |
Fragt man bei den Betreibern der Onlineforen nach, geben sie an, dass dort | |
mehrere Tausend Nutzer:innen aktiv seien und die Nachfrage steige, vor | |
allem unter alleinstehenden Frauen. | |
## „Okay, der Typ ist verrückt“ | |
„Äußerlichkeiten waren mir egal. Wichtig war mir vor allem, dass er keinen | |
Sex haben will, also kein Spinner ist“, sagt Bode. Wichtig sei ihr auch | |
gewesen, dass der Mann gesund sei und das Kind den Vater kennenlernen | |
könne. | |
Mihai B. bringe das alles mit. Anna Bode lacht und schaut rüber zu ihm. | |
„Als ich seine erste Mail gelesen habe, dachte ich: Okay, der Typ ist | |
verrückt. Aber dann habe ich gedacht: Wenn er viele Kinder hat, dann stehen | |
die Chancen gut, dass er noch eins machen kann.“ Sie sagt das liebevoll, | |
fast neckisch und gibt B. einen Klaps aufs Bein. Der Laute und die Leise, | |
in diesem Moment wirken sie wie ein Paar. | |
Später wird B. sagen, dass er glaubt, Anna Bode habe sich vielleicht in ihn | |
verliebt. Und dass er sie auch liebe, aber als gute Freundin, nicht als | |
Frau. Vielleicht ist es manchmal doch schwierig, die Kinder und die Liebe | |
völlig voneinander zu trennen. | |
Und vielleicht hören sich deswegen die Geschichten, die Mihai B. über die | |
Frauen erzählt, die seine Kinder großziehen, oft wie Geschichten der Liebe | |
an und nicht wie solche über flüchtige Begegnungen, bei denen es vor allem | |
um B.s Sperma geht. | |
## Er schreibt kleine Dossiers über die Frauen | |
Auch wenn Mihai B. ein Geheimnis um die genaue Zahl seiner Kinder macht, | |
lässt sich die Zahl anhand von Gesprächen und E-Mails ungefähr abschätzen, | |
in denen Frauen von Kindern berichten, die sie von ihm haben. Und anhand | |
eines Videointerviews mit B.s Schwester, die in Rumänien lebt und von | |
weiteren Frauen und Kindern erzählt, mit denen sie hier und da Kontakt | |
habe. | |
Mihai B. hat vier Kinder in Großbritannien, eins in China und mindestens | |
vier in Deutschland. Dazu kommen Kinder aus Samenbanken in den USA und in | |
Dänemark. | |
Er selbst schickt per Mail kleine Dossiers über ein paar der Frauen, die er | |
geschwängert hat – oder die er zumindest schwängern wollte. Sie tragen im | |
Folgenden einen anderen Namen, auch zum Schutz der Kinder. | |
B. über Tanja: „Das Bild, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Tanja | |
denke, ist das einer schönen Blume, die auf einer Klippe wächst. Nur die | |
Vögel können sie erreichen. Die Vögel und ich. Ich liebe Felsklettern.“ | |
B. über Sylvia: „Sie ist eine wundervolle französische Dame, die sich | |
geschmackvoll kleidet. Sie ist erfolgreiche Unternehmerin.“ | |
Mal hat Mihai B. Kontakt zu seinem Nachwuchs, mal nicht; je nachdem, was | |
die Frauen oder Paare, denen Mihai B. seinen Samen überlasst, sich | |
wünschen. 20 Prozent der Frauen, mit denen er ein Kind zu zeugen versuche, | |
würden schwanger, sagt Mihai B. | |
## In einer Spritze: sein Sperma | |
Bei Anna Bode hat es bisher nicht geklappt, obwohl sie und B. es seit mehr | |
als zwei Jahren versuchen. | |
Beim ersten Treffen mit B. habe sie ein wenig Angst gehabt, sagt Bode, ein | |
fremder Mann in der Wohnung, der gekommen sei, ein Kind zu machen. „Ich war | |
unfassbar nervös.“ | |
Sie hätten sich ein paar Stunden unterhalten, erinnert sich Bode, und | |
langsam sei die Anspannung gewichen. „Ich fand ihn einfach sehr nett.“ | |
Irgendwann ging B. ins Badezimmer und kam wenig später mit einer | |
daumendicken Spritze wieder hinaus. In der Spritze sein Sperma, das sich | |
Bode anschließend einführte – eine Form der Befruchtung, die Bechermethode | |
genannt wird. | |
Seit diesem ersten Abend reist Mihai B. fast monatlich an, immer im | |
Rhythmus von Anna Bodes Zyklus. Wenn er nicht bei Bode ist, reist er durch | |
die Welt – zumindest war das vor Corona so. Wohin genau und wozu, das wird | |
im Gespräch mit Mihai B. nicht ganz deutlich, wie so vieles. Reist er von | |
Frau zu Frau? | |
B. ist ein sprunghafter Erzähler, der von einem zum nächsten Thema | |
übergeht. Unterbricht man ihn nicht, verliert sich der Gesprächsfaden, und | |
so ist die Geschichte von Mihai B. und seinen Kindern ein Flickenteppich | |
aus Informationen, bestehend aus mehreren Treffen und E-Mail-Verläufen. | |
Manches will er auch nicht preisgeben. | |
Klar ist: In den letzten Wochen hat er viel Zeit in Deutschland verbracht, | |
lebte bei den Frauen, die seine Kinder wollen oder bereits haben. B. | |
schießt die Reisekosten vor, die Frauen geben ihm das Geld dafür sonst | |
später. Es kam aber auch schon vor, dass er auf den Kosten sitzen geblieben | |
ist. Er spricht nicht gern über Geld. Eine der Frauen sagt etwas über einen | |
Immobilienfonds, den B. verwalte. | |
## Geld kann nicht das Motiv sein | |
Worüber B. dagegen gern spricht, ist seine akademische Karriere. Mihai B. | |
ist Physiker, eine kurze Zeit lang ging es für ihn steil nach oben: Studium | |
der Physik in Deutschland, den Doktor machte er in den USA, er war | |
studentischer Mitarbeiter bei einem Projekt, das 2017 den Nobelpreis | |
gewann. Belege dafür schickt B. ungefragt per Mail, auch auf seiner | |
Co-Parenting-Website gibt es dazu einen ausführlichen Text. | |
Wie und warum Mihai B. zum Massenspender wurde, steht dort nicht. Seine | |
Schwester sagt, dass es mit der wissenschaftlichen Karriere doch nicht so | |
gelaufen sei, wie er es sich gewünscht habe. Aber Geld kann nicht das Motiv | |
sein, denn Geld fließt nicht. | |
Mihai B. sagt: „Ich kann schönen Frauen helfen, Kinder zu bekommen, welcher | |
Mann würde das nicht wollen?“ Also geht es doch um Attraktivität? Später | |
sagt B., dass dieser Satz ein Witz gewesen sei. | |
Vielleicht ist er auch ein Missverständnis, ein Sprachproblem. Mihai B. | |
spricht besser Englisch als Deutsch, seine Muttersprache ist Rumänisch. Er | |
meine „wundervolle Frauen“, sagt B., nicht unbedingt schön im klassischen | |
Sinn. Wundervolle Frauen, die ihn brauchen. | |
Anna Bode sagt, dass es sicherlich auch Narzissmus sei, der B. dazu bringe, | |
massenhaft Kinder in die Welt zu setzen. Eine Meinung, die andere Frauen | |
teilen. | |
Ein Mann, dessen Motive nicht ganz greifbar sind, ein Treffen mit einem | |
Unbekannten, das Überreichen von Sperma in einer Spritze: Was sich ein | |
wenig nach Hinterzimmer anhört, ist für viele die einzige Option auf ein | |
Kind. | |
## Ein rechtlicher Graubereich | |
Denn während Heteropaare ihren Nachwuchs zu Hause oder in der klinischen | |
Umgebung von Kinderwunschzentren und offiziellen Samenbanken zeugen, | |
bleibt homosexuellen Paaren und Singles oft nur die private Samenspende. | |
Der offizielle Weg ist teuer, er kann mehrere Tausend Euro kosten. Und | |
finanzielle Unterstützung von den Krankenkassen bekommen nur die, die einen | |
Trauschein haben: Vater, Mutter, Kind. | |
Unverheiratete Paare müssen selber zahlen. Paare, die nicht ins Raster | |
passen, und alleinstehende Frauen werden in vielen Fällen nicht von | |
Kliniken und Samenbanken betreut. | |
Die private Samenspende ist rechtlich ein Graubereich und basiert vor allem | |
auf gegenseitigem Vertrauen. Die gesetzlichen Definitionen von Elternschaft | |
mit all ihren Regeln und Pflichten greifen hier nicht. Nirgends ist | |
beispielsweise geregelt, was passiert, wenn der Samenspender sich als | |
Hochstapler entpuppt und gar nicht so gesund oder schlau ist wie behauptet; | |
oder wenn sich von der Idee, das Kind gemeinsam großzuziehen, einseitig | |
verabschiedet wird. | |
Portale, wo sich die künftigen Eltern treffen, heißen [1][familyship.de] | |
oder [2][spendesperma.com]. Das Konzept erinnert an Ebay-Kleinanzeigen. | |
Ein 64-jähriger Samenspender schreibt: „Ich will mein Erbgut weitergeben. | |
Der Gedanke gefällt mir sehr. (…) Ich will euch nicht anlügen und hier auf | |
Samariter und Superheld machen, der das ganz selbstlos macht. Ich bin ein | |
Mann, natürlich will ich auch Spaß haben.:-) Ich biete also auch eine | |
natürliche Befruchtung an!“ In einem weiteren Absatz beschreibt er seinen | |
Körperbau. | |
Die Nutzerin Dine sucht „einen netten Mann, mit dem ich ein Kind bekommen | |
und es dann gemeinschaftlich und gleichberechtigt aufziehen kann.“ | |
Ein weiterer Nutzer, der auf seinem Profilbild eine Kochuniform trägt, | |
bietet an, den Kinderwunsch für 500 Euro „schnell und unkompliziert“ zu | |
erfüllen. | |
## Auch die Männer tragen ein Risiko | |
Zahlen zu den Kindern, die so entstehen, gibt es nicht. Auch sonst ist die | |
private Samenspende eher undurchsichtig. | |
Es gibt Foren, in denen Frauen von unseriösen Angeboten berichten. Auch | |
Anna Bode sagt, sie habe seltsame Zuschriften erhalten. Kind nur gegen Sex. | |
Oder Geld. | |
Auch die Männer tragen ein Risiko. Sie können von den Müttern auf Unterhalt | |
verklagt werden – obwohl sie vorher Verträge aufgesetzt haben, die sie vor | |
finanziellen Forderungen schützen sollten. Meistens gewinnen die Frauen. | |
Eine DNA-Probe reicht, um die Vaterschaft bestätigen zu lassen und damit | |
auch das Recht auf Unterhalt und Erbe einzufordern. | |
Auch Mihai B. hat mit den Müttern seiner Kinder Verträge abgeschlossen. In | |
den Geburtsurkunden taucht er nicht als Vater auf. Bisher habe es keine | |
Probleme gegeben, sagt er. Wieso geht er dieses Risiko ein? Was hat er | |
davon – von den vielen Kindern, den Frauen? | |
Mihai B. lacht, wenn man ihn danach fragt, und erzählt von den Frauen, die | |
ihn geprägt hätten. Seine Mutter sei Ärztin, seine Schwester Physikerin. | |
Beide hätten Karriere gemacht und Kinder bekommen. | |
## Wird man ihn für einen Spinner halten? | |
Es ist Mitte Mai, ein paar Wochen vor dem gemeinsamen Treffen mit Anna Bode | |
in Norddeutschland. B. sitzt auf einer Bank vor dem Berliner Hauptbahnhof, | |
gerade ist er aus dem Zug gestiegen, er ist extra aus dem Ruhrgebiet | |
angereist für dieses Gespräch. | |
Er sagt: „Ich habe ein bisschen Angst vor dem Interview.“ Er frage sich, ob | |
er in diesem Text wirklich mit seinem echten Vornamen auftauchen solle. Was | |
würden seine ehemaligen Universitätskolleg:innen sagen? Wird man ihn | |
für einen Spinner halten? Wird man ihn verstehen? | |
Bevor Mihai B. zum Massenspender wurde, führte er ein bürgerliches Leben in | |
Kalifornien, war verheiratet, machte seinen Doktor. Aus dieser Ehe stammen | |
zwei Kinder. Der ältere Sohn lebt bei B.s Familie in Rumänien, der jüngere | |
bei der Mutter in den USA. Spricht Mihai B. über diese beiden Söhne, wird | |
er emotional, schaut auf den Boden, es wirkt, als drücke er ein paar | |
Tränen weg. Aus seiner weißen Plastiktasche zieht er ein schmales Büchlein, | |
ein Kinderbuch über Gravitationswellen, geschrieben von seinem älteren | |
Sohn. Mihai B. hat es verlegt und dem 13-Jährigen erste Vorträge | |
organisiert. Die Bildung der beiden sei ihm wichtig. Trotzdem sagt B.: „Ich | |
bin ein schlechter Vater.“ Zumindest ist er ein abwesender Vater. Auch für | |
die Kinder aus seiner Ehe. | |
Ein paar Tage später in Düsseldorf. Laura Schneider öffnet die Tür zu ihrer | |
Wohnung, auf ihrer Hüfte trägt sie den acht Monate alten Tom. Ein blonder | |
Junge mit den Mandelaugen seines Vaters, Mihai B. | |
Laura Schneider, blonder Zopf und schmale Brille, ist Mitte 30 und lebt mit | |
ihrem älteren Sohn aus einer früheren Ehe und dem kleinen Tom in einer | |
großen hellen Wohnung. Überall hängen Kinderbilder. „Tom“, steht in bunt… | |
Buchstaben an der Tür zum Schlafzimmer. | |
## Ein absolutes Wunschkind | |
Mihai B. ist hier oft Gast. Auch an diesem Nachmittag sitzt er auf | |
Schneiders riesenhafter Couch. Wie immer im blauen Hemd. Schneider setzt | |
sich neben B., stillt das Baby, schiebt ihre Bluse zurecht und reicht ihm | |
dann das Kind. | |
„Nimmst du ihn bitte?“, fragt sie. | |
„Okay“, sagt Mihai B. und geht mit Tom auf dem Arm ins Schlafzimmer. | |
Es sind Abläufe, die routiniert aussehen, nach Familie. Vater, Mutter, | |
Kind. Später wird Mihai B. Tom in den Schlaf zu singen versuchen, | |
erfolglos. | |
Wie Anna Bode hat auch Laura Schneider Mihai B. im Internet kennengelernt. | |
„Ich wollte ein zweites Kind, aber keinen Mann dazu“, sagt Schneider. Ihr | |
erster Sohn stammt aus einer schwierigen Ehe. „Da hatte ich keine Lust mehr | |
drauf.“ | |
B. sei perfekt, sagt Schneider, lächelt und schaut rüber Richtung | |
Schlafzimmer. Nett, schlau, selten anwesend, aber erreichbar. Ein Jahr lang | |
probierten sie es mit der Bechermethode, irgendwann klappte es. „Mein Sohn | |
ist ein absolutes Wunschkind“, sagt sie. „Dafür bin ich Mihai sehr | |
dankbar.“ | |
Seit Tom auf der Welt ist, kommt Mihai B. öfter zu Besuch, er bleibt ein | |
paar Tage, spielt mit Tom, macht mit Schneiders großem Sohn Matheaufgaben. | |
Als Schneider nach der Geburt Probleme beim Stillen hatte, gab Mihai B. ihr | |
die Nummer von einer der anderen Frauen. Seither sind Schneider und sie in | |
Kontakt. Auch mit weiteren Frauen, die Kinder von Mihai B. haben, hat | |
Schneider gesprochen. „Das ist ein schöner Austausch“, sagt sie. | |
Ihre Familie weiß Bescheid über Mihai B., die Freunde auch. Hört man | |
Schneider zu, wie sie über B. spricht, über ihre Entscheidung, ein Kind mit | |
einem Samenspender zu bekommen, hat man das Gefühl, sie ist mit sich im | |
Reinen. Da schwingt keine Sehnsucht nach romantischer Liebe oder einer | |
klassischen Kleinfamilie mit. Da ist nur Freude über das Kind. | |
## Eine große Liebe, eine platonische | |
Irgendwann, sagt Schneider, könne sie sich vorstellen, in einem Hausprojekt | |
zu wohnen – nur die Frauen und die Kinder von Mihai B. Eine große Familie. | |
Sie meint das ernst. „Wäre doch schön“, sagt sie und lacht. | |
In diesem Moment weicht das Bild eines Hinterzimmers, in dem zwei Fremde | |
mit abgefülltem Sperma hantieren, dem einer großen Tafel, an der alle ihren | |
Platz finden. Vielleicht liegt es daran, wie offen und selbstbewusst | |
Schneider über ihre Entscheidung und die Beziehung zu Mihai B. spricht. | |
„Da ist eine große Liebe“, sagt sie. „Aber eine platonische. Mihai ist w… | |
ein Kind, völlig chaotisch im Alltag, aber er ist Teil meiner Familie.“ | |
Ihrem älteren Sohn habe sie die neue Konstellation so erklärt: Mihai sei | |
der Vater von Tom, aber nicht ihr Partner. | |
Schneider denkt darüber nach, Mihai B. doch in Toms Geburtsurkunde | |
eintragen zu lassen. Bisher taucht B. offiziell nirgends als Vater auf. | |
Mihai B. sagt, ihm sei es recht, auch offiziell Toms Vater zu sein. Mit | |
eventuellem Unterhalt, den er zahlen müsste, hätte er kein Problem. Ändern | |
werde sich an der Situation aber nichts. Schneider sei die Mutter, die | |
Erziehung liege bei ihr, sagt B. „Ich kann gerne beraten, bin aber nicht | |
ständig da.“ | |
Der abwesende Vater – wie lebt man damit als Kind? | |
Spricht man mit Spenderkindern und liest Erfahrungsberichte über diese Form | |
der Familienzusammenstellung, erfährt man immer wieder, dass Transparenz | |
das Wichtigste sei. Nicht zu wissen, wer der Vater ist, kann schlimmer sein | |
als das Wissen um viele Halbgeschwister. | |
Ein paar Wochen nach dem Treffen in Düsseldorf schreibt Mihai B. in einer | |
E-Mail, dass er gerade Vater von zwei weiteren Mädchen geworden sei. Die | |
Mütter seien eine Frau, die bereits ein Kind von ihm habe, und ein | |
lesbisches Paar. Er habe auch weiteren Samen gespendet, schreibt er. Zum | |
Beispiel an eine Frau in Tschechien. Bisher haben sie aber noch kein Glück | |
gehabt. Aber das könne sich bald ändern. | |
26 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.familyship.org/ | |
[2] http://www.spendesperma.com | |
## AUTOREN | |
Gesa Steeger | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Samenspende | |
Familie | |
Patchwork | |
IG | |
Samenspende | |
Eltern | |
künstliche Befruchtung | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Abstammung | |
Homosexualität | |
Transgender | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
BGH-Urteil zu Umgangsrecht: Samenspender darf Kind öfter sehen | |
Ein lesbisches Paar zeugte ein Kind mit einem Samenspender. Der Mann hat | |
ein Umgangsrecht, auch wenn das Paar anderer Meinung ist. | |
Soziologin über Co-Parenting: „Alle Familien sind richtig“ | |
Kindererziehung kann auch ohne romantische Liebe auskommen, sagt Soziologin | |
Christine Wimbauer. Sie hat ein Buch über Co-Elternschaft geschrieben. | |
Künstliche Befruchtung für alle Frauen: Frankreichs Parlament billigt Gesetz | |
Macrons Wahlversprechen nimmt eine weitere Hürde. Damit Lesben und | |
Alleinstehende ihren Kinderwunsch verwirklichen können, muss nur noch der | |
Senat ja sagen. | |
Adoptionen in Regenbogenfamilien: Ungleichbehandlung festgeschrieben | |
Der Bundestag reformiert das Adoptionshilfegesetz. Dabei wird für lesbische | |
Partnerinnen eine Zwangsberatung eingeführt. | |
Wenn zwei Lesben ein Kind erwarten: Mutter mit Malus | |
Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann können nach deutschem Recht | |
nicht beide Mütter sein. Dagegen will das Paar klagen. | |
Fünf Jahre Regenbogen-Familienzentrum: Bullerbü für alle | |
Wie bekommen zwei Lesben oder Schwule ein Kind? Der Beratungsbedarf ist | |
groß. Doch es gibt auch Angst vor einem gesellschaftlichen Rollback. | |
Urteil zu geschlechtlicher Elterndefinition: Transmann muss Mutter sein | |
Ein Transsexueller bekommt ein Kind und will als Vater eingetragen werden. | |
Der Bundesgerichtshof entschied nun: Wer gebiert, gilt als Mutter. |