| # taz.de -- Die Freundschaftsfamilie: Co-Parenting | |
| > Seit acht Jahren sind Teresa und Flo eng miteinander befreundet. Er ist | |
| > schwul, sie single. Sie bekommen ein Kind. Wie sieht ihr Leben jetzt aus? | |
| Bild: Eine Familie, aber kein Paar | |
| Erschöpft lässt sich Teresa Trabert auf das Sofa in der Küche fallen und | |
| hüllt sich in eine Decke ein. Ihr Sohn, anderthalb Jahre alt, ist gerade | |
| eingeschlafen. Es ist halb acht an einem Abend im April, eine Wohnung in | |
| Rostock. Florian Kasch räumt Besteck in die Spülmaschine ein. Seit knapp | |
| zwei Jahren wohnen die beiden zusammen in einer WG. Er schrubbt mit der | |
| Bürste über Schüsseln, mit dem Lappen wischt er über den Tisch. Dann sinkt | |
| auch Florian auf das Sofa, reibt sich die Augen. Teresa gähnt. Sie | |
| umklammert ihre Teetasse. | |
| Teresa Trabert, 35, und Florian Kasch, 32, haben sich vor vier Jahren | |
| entschieden, zusammen Eltern zu werden – als Freunde und Co-Eltern. Sie | |
| haben ohne romantische Beziehung ein Kind zusammen bekommen und wollen es | |
| gemeinsam aufziehen. [1][Co-Parenting] nennen Soziologen, was Trabert und | |
| Kasch leben. Obwohl es keine einheitliche und genaue Definition in der | |
| Wissenschaft gibt, beschreibt Co-Parenting oft das Elternsein als eine | |
| Beziehung von zwei oder mehr Menschen, die eine Familie gründen, sich aber | |
| nicht lieben und nicht als Paar miteinander leben. Egal, welches Geschlecht | |
| die Eltern haben oder welche sexuelle Orientierung. Florian, Teresa und ich | |
| kennen uns seit drei, vier Jahren, sind lose befreundet. Beide werden | |
| deshalb in diesem Text auch bei ihren Vornamen genannt. Heute besuche ich | |
| sie aber als Journalistin, will über ihr Elternmodell berichten. | |
| Als erstes blicken wir zurück auf den Sommer von vor vier Jahren. Wir | |
| spielen ein Kartenspiel, das sie auch damals gespielt haben. Eine Freundin | |
| hatte das Spiel für sie gebastelt, Dutzende Aussagen überlegt und auf | |
| Kärtchen gedruckt. Dazu ein Block mit Herzen. Stimmten Florian und Teresa | |
| den Aussagen beide zu, sammelten sie Herzen. Je mehr gemeinsame Herzen, | |
| desto sicherer schien die Entscheidung für ein Kind. | |
| Nun spielen wir eine Neuauflage des Spiels. Ich will wissen, was sich | |
| verändert hat, seitdem die beiden Eltern geworden sind. Teresa zieht eine | |
| Karte. Liest vor: „Ich bin bereit – so beides unvereinbar ist –, das Wohl | |
| des Familienzusammenhalts im Zweifel über eine Liebesbeziehung zu stellen.“ | |
| Diese Karte haben sie damals schon gezogen. | |
| Florian scherzt: „Ich erinnere mich. Es ging vor allem darum, was passiert, | |
| wenn jemand von uns wegzieht. Wenn ich zum Beispiel [2][einen heißen Boy | |
| auf dem CSD in Berlin aufgabele] und zu ihm ziehe.“ | |
| Teresa lacht. | |
| Florian: „Ich weiß, was wir geantwortet haben. Das wäre unvereinbar, wenn | |
| die Partner, in die wir uns verlieben, keinen Bock auf unser Familienmodell | |
| haben. Aber in solche Typen würden wir uns nicht verlieben.“ | |
| Teresa: „Genau, oder wir lassen sie nicht weiter in unser Leben, sondern | |
| nur die, die für unser Familienmodell offen sind.“ | |
| Florian: „Ja, aber ein neuer Partner würde auf jeden Fall Veränderungen mit | |
| sich bringen, für uns als Familie.“ | |
| Teresa: „Und so war es ja auch, als du vor ein paar Monaten mit Karl eine | |
| Romanze hattest. Da war dieser Hauch der Veränderung. Da war ja diese | |
| Freude und gleichzeitig ein Loslassen von dem, was zwischen uns ist.“ | |
| Es gibt wenige Wissenschaftler:innen im deutschen Raum, die zu | |
| Co-Parenting forschen, eine davon ist die Soziologin Christine Wimbauer an | |
| der Humboldt-Universität Berlin. In ihrem Buch „Co-Parenting und die | |
| Zukunft der Liebe“ fragt Wimbauer, [3][ob die romantische Liebe] überhaupt | |
| noch notwendig dafür sei, ein glückliches und gelungenes Familienleben zu | |
| führen. Oder ob nicht andere Werte wichtig seien, die eine bewusst geplante | |
| Co-Elternschaft bieten könne: Verlässlichkeit, Verantwortung, Zuneigung | |
| zueinander. Vielleicht sogar im bewussten Gegensatz zur unbeständigen und | |
| unvernünftigen Paarliebe. | |
| Denn die Hälfte der Ehepaare in Deutschland, die sich scheiden lassen, | |
| haben minderjährige Kinder. Kann also eine Co-Elternschaft, wie Teresa und | |
| Florian sie leben, ein einfacher, auch schmerzfreierer Weg sein? Und kann | |
| das Modell auch für unfreiwillige Singles eine Chance sein, eine Familie zu | |
| gründen? Können wir von Co-Eltern wie Flo und Teresa lernen? Oder bröckeln | |
| auch Freundschaften, ächzen sie unter der Last des Elternseins? | |
| ## Seelenverwandtschaft | |
| Teresa und Florian lernen sich 2016 kennen. Teresa arbeitet als Event- und | |
| Projektmanagerin, hat in Rostock ein Kreativquartier mitbegründet. Sie | |
| läuft auf fast jeder Demo für das Klima oder gegen Rechtsextremismus mit | |
| und trägt zu ihrem Pixie-Haarschnitt immer Ohrringe und Ketten. Wenn sie | |
| sich mit Freund:innen in Gespräche vertieft, fühlt sie sich immer tief | |
| ein, hört genau zu. Als Florian sich als Praktikant in ihrem Büro bewirbt, | |
| freunden sie sich an. Er ist freier Illustrator, unterrichtet heute an | |
| einer Berufsschule. Er ist über zwei Meter groß. Florian macht gern Späße; | |
| wenn er auf Spielplätzen herumhängt, kann er so mit seinen Lippen flattern, | |
| dass sie wie Trompeten klingen und die Kinder darüber lachen. | |
| Als sie eine gemeinsame Freundin besuchen, fegt diese ihren Kindern nach | |
| dem Abendbrot hinterher, Florian und Teresa räumen das Geschirr ab. Die | |
| Freundin sagt im Vorbeiflitzen: „Ihr könntet auch ein Kind zusammen haben, | |
| so gut, wie ihr harmoniert.“ | |
| Florian und Teresa schauen sich an. Stille. Teresa sagt: „Warum fühlt sich | |
| das jetzt nicht komisch an?“ So erinnern sie sich an diesen Abend und bald | |
| wächst in ihnen die Idee heran, ein Kind zusammen zu bekommen. | |
| Wenige Monate später, im Winter 2020, bastelt dieselbe Freundin ihnen das | |
| Kartenspiel, das sie in ihrem Wunsch bestärkt. In dem Spiel werden sie | |
| gefragt, ob sie ihre eigenen Bedürfnisse für die Familie zurückstellen, | |
| berufliche Chancen sausen lassen würden oder wie und ob sie zusammenwohnen | |
| wollen würden. | |
| An Weihnachten geben sie sich das „Ja-Wort“, so sagt es Teresa heute | |
| scherzhaft. Sie fragen sich: Wollen wir Sex miteinander haben? Und | |
| schütteln sich. Nee. Eine Kinderwunschklinik, die Teresa Florians Sperma | |
| einsetzt, kommt vorerst nicht in Frage. Sie entscheiden sich für die | |
| Bechermethode. | |
| ## Praktische Wege zum Kind | |
| Wenn Menschen sich ein Kind wünschen, das aber nicht durch Penetrationssex | |
| natürlich geschehen kann oder soll, können sie verschiedene Wege gehen: Es | |
| gibt Solo-Mütter, die mit einer Samenspende schwanger werden, im Rahmen | |
| einer [4][medizinischen Kinderwunschbehandlung]. Es gibt Paare, die Kinder | |
| adoptieren. Manche werden Pflegeeltern, andere suchen sich im Ausland eine | |
| Leihmutter, die ein Kind für das Paar austrägt. Alleinstehende oder | |
| homosexuelle Paare können inzwischen online nach einem Mitglied zur | |
| Familiengründung suchen, wenn sie niemanden im Bekanntenkreis finden. Auf | |
| wenigen Plattformen im Internet können sich Menschen mit Kinderwunsch | |
| kennenlernen und freundschaftlich daten. Und dann gibt es: die | |
| Heiminsemination. Die private Samenspende. | |
| Teresa erinnert sich. „Wir haben es uns in meiner Wohnung nett gemacht, | |
| jeder mit sich selbst. Flo war im Wohnzimmer, ich in meinem Schlafzimmer. | |
| Dann kam er rein mit dem Becher. Und ich habe die Beine an die Wand nach | |
| oben gelegt und mit der Spritze das Sperma vaginal eingeführt.“ | |
| Danach kuscheln beide miteinander. Gucken Filme. Quatschen. Beim vierten | |
| Mal klappt’s. Teresa ist schwanger. | |
| ## Verantwortung übernehmen | |
| Beide, Florian und Teresa, sind jeweils mit vier Geschwistern aufgewachsen. | |
| Teresa im Saarland, Florian in Vorpommern. Als ich Teresa bei einem | |
| Gespräch einmal danach frage, was Familie für sie bedeutet, sagt sie: | |
| „Unsere engen Freundinnen betrachten wir auch als Familie. Das ist etwas | |
| anderes als die Familie, in der ich groß geworden bin, aber ich weiß, die | |
| sind genauso da.“ | |
| Ich hake nach: „Aber wenn du über Familie und Verantwortung sprichst, | |
| übernehmen eure Freund:innen auch Verantwortung für euer Kind?“ | |
| Teresa: „Nicht so, wie ich es mir wünschen würde.“ | |
| Florian, Teresa und ihr Kind – sie sind die Kernfamilie. Auch Florian | |
| empfindet das so. „Wer kann das als schwuler Mann schon so sagen. Klar, es | |
| gibt die queeren Drag-Familien, die zusammengewürfelten Freundeskreise, die | |
| sich als Familie sehen, weil sie zum Beispiel bei ihren leiblichen Familien | |
| rausgeflogen sind oder nicht erwünscht sind, weil sie eben queer sind. | |
| Meine Familie supportet mich, und trotzdem habe ich auch den Wunsch, ein | |
| Zuhause zu haben. Teresa und unser Kind sind gerade mein Zuhause, und das | |
| ist ein schönes Gefühl.“ | |
| ## Pläne für das „kleine Sorgerecht“ | |
| Familien heute sehen unterschiedlich aus. Das Bundesfamilienministerium | |
| schätzt, dass etwa 10.000 Regenbogenfamilien mit Kindern in Deutschland | |
| leben. Das Ministerium definiert diese als Familien aus | |
| gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern. Alle anderen Familienmodelle – | |
| auch das Co-Parenting – erfasst die Behörde nicht. Um es diesen Menschen | |
| rechtlich einfacher zu machen, startete das Bundesjustizministerium Anfang | |
| dieses Jahres eine Offensive. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) | |
| veröffentlichte ein Papier, das das Familienrecht in Teilen ändern soll. Er | |
| schlägt unter anderen ein „kleines Sorgerecht“ vor, bei dem die Eltern in | |
| Zukunft bis zu zwei weiteren Personen sorgerechtliche Befugnisse einräumen | |
| können. Das wären zum Beispiel neue Partner:innen von Florian und | |
| Teresa. Bisher teilen sich beide das Sorgerecht. | |
| Allerdings schreibt das Ministerium auch: „An bewährten Grundsätzen des | |
| geltenden Rechts werden wir dabei festhalten: Auch künftig wird die Frau, | |
| die das Kind geboren hat, immer Mutter des Kindes sein. Und auch künftig | |
| gilt: Ein Kind kann nur zwei rechtliche Eltern haben.“ Wie diese Offensive | |
| weitergeht, ist aktuell unklar. | |
| Dass das Modell der Co-Elternschaft außergewöhnlich ist, merkt Teresa schon | |
| in der Schwangerschaft. In Rostock, der einzigen Großstadt in | |
| Mecklenburg-Vorpommern, findet sie kaum eine Veranstaltung, kaum ein | |
| Angebot zu dem Thema. Überhaupt: Offizielle Zahlen oder Statistiken, wie | |
| viele Co-Eltern in Deutschland leben, werden aktuell nicht erhoben. Bis | |
| Teresa im Frühjahr 2022 auf eine Lesung zum Thema Feministische | |
| Elternschaft in einem Rostocker Kulturhaus stößt. Dort betritt sie einen | |
| Seminarraum mit leeren Stuhlreihen. Nur die Referentin, die das Buch | |
| vorstellt, und zwei Studierende der Gender Studies sind gekommen. Teresa | |
| erzählt von dem Abend. Sie habe irgendwann preisgegeben, warum und in | |
| welcher Rolle sie da sei: als schwangere Co-Mutter. | |
| Es prasseln Fragen auf Teresa ein. Sie fühlt sich wie ein | |
| Versuchskaninchen. Warum entscheiden sich Menschen dafür? Gibt es Studien | |
| darüber, wie es den Kindern damit geht? Was ist, wenn sich eine Person | |
| verliebt? Die Referentin habe keine Antworten auf die Fragen gehabt. Teresa | |
| habe nur von Dokumentationen im Fernsehen berichten können, die sie gesehen | |
| habe: „Ich habe da gelernt, dass es am Ende nicht darum geht, in welchem | |
| Familiensystem ein Kind aufwächst. Sondern entscheidend ist, dass da | |
| Menschen sind, die es lieben. Egal, wie viele Personen es sind.“ | |
| ## Kein Austausch mit Gleichgesinnten | |
| Eigentlich hatte Teresa sich an diesem Abend gewünscht, offen über ihre | |
| Gedanken zu sprechen. So ein Austausch fehlt ihr bis heute. Ob und wie sich | |
| Co-Parenting auf Kinder auswirkt, ist nicht bis kaum erforscht. Es gibt | |
| allerdings Wissen darüber, wie sich Kinder, die durch Samenspende gezeugt | |
| wurden, entwickeln – egal in welcher Familienkonstellation. Das | |
| Bundesministerium für Familien weist darauf hin, dass sich diese Kinder in | |
| der Entwicklung nicht von natürlich gezeugten Kindern unterschieden. Das | |
| zeigten wissenschaftliche Studien. So hat sich etwa Susan Golombok, | |
| Professorin für Familienforschung an der Universität Cambridge, | |
| jahrzehntelang mit neuen Familienformen beschäftigt, mit lesbischen und | |
| schwulen Familien, mit Eizellenspenden, Solo-Müttern, Leihmüttern. In einer | |
| Längsschnittstudie aus dem Jahr 2023 fragte sie: Wie geht es Müttern und | |
| ihren Kindern, die mit Hilfe Dritter gezeugt wurden? Wie gut ist deren | |
| Beziehung? | |
| Das Team um Golombok führte über mehrere Jahre hinweg Interviews mit den | |
| Müttern und ihren Kindern durch, ließ sie Fragebögen ausfüllen, um Daten | |
| über deren Wohlbefinden zu sammeln. Das Ergebnis: Die Bindungen und | |
| Beziehungen sind positiv, egal, ob die Kinder mithilfe Dritter oder auf | |
| natürlichem Wege gezeugt und geboren wurden – sofern Eltern mit ihren | |
| Kindern vor Beginn der Schulzeit offen darüber reden würden, wie sie | |
| gezeugt wurden. | |
| „Ich glaube nicht, dass ich unserem Kind unsere Familie erklären muss, | |
| sondern es lernt halt von Beginn an, auch mit den Büchern und was wir ihm | |
| im Leben zeigen, dass das, was wir hier leben, ganz normal ist“, sagt | |
| Teresa in einem unserer Gespräche. | |
| Im Sommer 2022 tragen Flo und Teresa die Vaterschaft beim Jugendamt ein, | |
| wie viele andere Eltern auch, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie | |
| ziehen zusammen in einer Dreizimmerwohnung. Aber sie können sich beide | |
| nicht vorstellen, ewig zu dritt zusammen wohnen zu bleiben. Im Oktober 2022 | |
| kommt ihr Sohn zur Welt. Sie erleben die Geburt zusammen, das Wochenbett | |
| und landen direkt im Strudel des Elternseins, müssen einkaufen, Essen | |
| kochen, wickeln, das Baby tragen, mit ihm spazieren, Termine bei | |
| Ärzt:innen und Hebammen ausmachen, putzen, Wäsche waschen, vor Ermüdung | |
| schlafen. Teresa nimmt zwölf Monate Elternzeit, Florian zwei Monate – eine | |
| eher klassische Aufteilung, auch wenn er nur an zwei Tagen pro Woche fest | |
| arbeitet. Florian sagt dazu: „Ja. Im Nachhinein betrachtet, habe ich | |
| trotzdem immer ein bisschen zu viel gearbeitet.“ | |
| Florian sagt zu Teresa: „Du hast viel weniger Zeit, abends dein Ding zu | |
| machen, weil du stillst und unser Sohn bisher bei dir schläft. Ich gehe | |
| rüber in mein Bett und kann durchschlafen. Du hast seit eineinhalb Jahren | |
| keine erholsame Nacht mehr gehabt. Das ist schon der größte Unterschied.“ | |
| Teresa sagt, das sei das eine. Die Zeit mit ihrem Kind. Sie haben das so | |
| entschieden, für das erste Jahr. „Dafür hat Flo sich klassisch um die | |
| Waschmaschine gekümmert. Aber ich habe nie gedacht, Flo könnte auch mal | |
| wieder spülen oder die Wäsche machen.“ | |
| ## Mit Konflikten umgehen | |
| Florian und Teresa streiten kaum, necken sich eher. Als Florian einmal den | |
| Kinderrucksack ihres Sohnes verliert, rollt Teresa zwar mit den Augen. Aber | |
| sie druckt Fotos des Rucksacks aus, laminiert die Blätter, hängt die Bilder | |
| überall an Laternenmasten im Viertel auf. Sie sagt: „Es könnte irgendwann | |
| ein Konflikt sein. Weil Flo so gerne Dinge verliert. Ich wünsche mir für | |
| meinen Sohn, dass er lernt, auf seine Sachen achtzugeben.“ | |
| Ich frage Florian: Nervt dich etwas an Teresa? | |
| Erst schüttelt er den Kopf. | |
| Flo: „Doch. Du findest manchmal so Sachen auf dem Sperrmüll und sagst: Och, | |
| da könnte ich was Schönes draus machen. Und dann stehen die Sachen hier | |
| eine Million Jahre herum und damit passiert überhaupt nichts mehr. Dann | |
| denke ich: Lass es doch einfach sein.“ | |
| Teresa lacht. | |
| Viele andere Elternpaaren streiten, wer welche Sorgearbeiten übernimmt, | |
| über finanzielle Fragen, über Intimität nach der Geburt, oder wie sehr sich | |
| Großeltern in die Erziehung einmischen dürfen. Florian und Teresa haben | |
| vieles – auch dank des Kartenspiels – schon vor der Geburt besprochen. | |
| An einem lauen Wochenende im Februar 2024, fast eineinhalb Jahre nach der | |
| Geburt des Sohnes, versammelt sich Teresa mit ihrer Familie in einem | |
| Ferienhaus auf dem Darß in Mecklenburg-Vorpommern: Drei ihrer Geschwister, | |
| ihre Mutter, ihre Nichte – und Teresas Sohn. Im hinteren Teil des Gartens | |
| sitzen Teresas Mutter und ihre Schwester in einem Holzpavillon, trinken | |
| Kaffee. Teresa steht davor. | |
| ## Die Mutter freut sich auf Enkelkinder | |
| Ich bin als Journalistin dabei und frage ihre Mutter im Gespräch: „Was hast | |
| du gedacht, als Teresa dir von ihrem Plan erzählte, mit Florian ein Kind zu | |
| bekommen?“ Sie lacht. „Gut, endlich mehr Enkelkinder.“ | |
| Florian war ein Freund der Familie, schon bevor er überhaupt Vater werden | |
| sollte. „Er ist anders als meine anderen Schwiegersöhne“, sagt Teresas | |
| Mama. Nur, dass Florian kein Schwiegersohn ist, eigentlich. „Er hilft sehr | |
| viel.“ | |
| Teresas Schwester grätscht hinein. „Bei uns ist das halt anders, mein Mann | |
| arbeitet in der Woche in einer anderen Stadt, kommt nur am Wochenende nach | |
| Hause. Ich bin selbstständig, er hat einen festen Job.“ | |
| Teresas Mutter schaut Teresa an, sagt: „Madämchen hat es gut und wird ganz | |
| schön verwöhnt.“ Sie meint: von Flo. | |
| ## Die Sache mit der Intimität | |
| Auch deshalb feiert Teresa, dass sie sich für das Co-Parenting entschieden | |
| haben. Sie wusste, welchen feministischen, gleichberechtigten Anspruch Flo | |
| an die Elternschaft hatte und erzählt davon, dass die beiden Stoffwindeln | |
| für ihr Kind nutzen, keine Einwegwindeln. Das bedeutet auch: Zwei bis drei | |
| Extrawaschgänge in der Woche nur für Windeln, um die sich auch Flo kümmert. | |
| „Er hat sich so viele Youtube-Videos angeguckt, was für Windelsysteme und | |
| Wickelformen es gibt“, sagt Teresa. Die beiden haben keinen Koch-, keinen | |
| Putzplan, „sondern das geschieht alles ganz natürlich. Wir haben uns | |
| neulich kurz gefragt: Geht es uns beiden so, dass sich das cool anfühlt? | |
| Das haben wir beide bejaht.“ | |
| Im Garten des Ferienhauses frage ich die Mutter weiter: „Wünschst du Teresa | |
| dennoch eine partnerschaftliche Beziehung?“ Sie antwortet: „Natürlich, das | |
| gehört doch auch dazu. Oder?“ Sie blickt zu Teresa. Hängt ein großes | |
| Fragezeichen dran. | |
| Die schaut in die Ferne, schweigt. | |
| Später erzählt sie mir von einem Gespräch zwischen ihr und ihrem Bruder. Er | |
| habe gefragt: „Euer Kind sieht euch nie in einer romantischen Beziehung. | |
| Findest du das nicht problematisch?“ Teresa antwortete ihm: „Wir sind | |
| Scheidungskinder. Hast du Mama und Papa jemals in einer liebevollen | |
| Beziehung gesehen?“ | |
| Da ist es, dieses Bild der Familie, das tief in unseren Köpfen steckt. | |
| Dabei war das nicht immer so. | |
| Wenn wir einen Blick zurückwerfen, waren bis in die neueste Geschichte | |
| hinein Liebe und Ehe getrennt. „Dabei waren die Familienstrukturen immer | |
| dynamisch und nie statisch. Die statische Kernfamilie, wie wir sie kennen, | |
| existiert eigentlich erst ab dem 20. Jahrhundert“, schreibt die | |
| Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes in ihrem Buch „Die Erfindung der | |
| Hausfrau – Geschichte einer Entwertung“. Lange Zeit hätten Menschen aus | |
| ökonomischen Gründen Ehen geschlossen, aus Vernunft, weil deren Eltern das | |
| so entschieden haben. | |
| ## Manchmal fehlt Teresa die Romantik | |
| Als wir uns nach dem Familienwochenende auf dem Darß in einem Rostocker | |
| Café wiedertreffen, sagt Teresa, dass ihr die intime, die romantische Liebe | |
| manchmal schon fehle. „Wir sind halt so sozialisiert, als ob wir ohne eine | |
| romantische Beziehung keine vollständigen Menschen seien. Meine Mutter hat | |
| es ja auch gesagt. Dabei hätte sie mich auch fragen können, wie es mir | |
| damit geht, nicht in einer romantischen Beziehung zu sein, ja sogar noch | |
| nie gewesen zu sein.“ | |
| Viele Menschen in Deutschland heiraten heute aus Liebe. Dabei gibt es noch | |
| andere Lieben: die platonische Liebe aus dem antiken Griechenland, die | |
| Minne, die Liebesdichtung unter Adligen, die christliche Nächstenliebe. Und | |
| Menschen, die meditieren, kennen die Metta, die liebende Güte. Trotzdem: | |
| Das Motiv der romantischen und körperlichen Liebe hat sich in unsere | |
| Gehirne eingebrannt. Die Soziologin Christine Wimbauer schreibt in ihrem | |
| Buch über die Zukunft der Liebe: „Gerade in der entzauberten, nicht selten | |
| feindseligen Moderne wurde die romantische Liebe kulturell enorm | |
| aufgewertet und zum höchst erstrebenswerten Gut, zum Hafen in einer | |
| herzlosen Welt.“ | |
| ## Ein intensiver Dreiklang | |
| Teresa und Florian sind in freundschaftlicher Liebe verbunden, sind ein | |
| intensiver Dreiklang, wie Teresa sagt. Eine Familie. „Und trotzdem spielt | |
| auch Intimität eine wichtige Rolle in meinem Leben. Die lebe ich mit Flo | |
| nicht aus“, sagt Teresa. Florian dagegen lebe sich aus, zumindest | |
| gelegentlich, in Liebschaften. „Da wird mir natürlich gespiegelt, was mir | |
| fehlt. Nicht zwischen uns, aber mir für mich.“ Auch Teresas Alltag macht es | |
| ihr schwer. „Meine Zeitfenster, neue Menschen kennenzulernen, sind tagsüber | |
| zwischen neun und fünfzehn Uhr. Das ist jetzt nicht so die romantische | |
| Tageszeit.“ Am Abend kann sie nicht weg, weil sie stillt. Gleichzeitig kann | |
| sie sich aktuell nicht vorstellen, einen Partner oder eine Partnerin zu | |
| haben und das, was sie als Familie zu dritt teilen, zu verändern. | |
| Teresa hat vor ein paar Monaten miterlebt, wie Florian sich verliebt. In | |
| Karl. Er blieb gern mal zum Essen. Dann saßen sie als Familie mit ihm am | |
| Tisch. Sie hatten nicht vereinbart, dass sie um Erlaubnis bitten müssen, | |
| wenn jemand übernachtet, Florian hat Teresa trotzdem immer eine Nachricht | |
| geschickt, wenn jemand mit ihm nach Hause gegangen ist. | |
| An einem Abend vergisst Florian, ihr Bescheid zu geben, schickt ihr keine | |
| Nachricht aufs Handy. Und wenn Teresa aus ihrem Zimmer kommt, steht sie | |
| direkt in der Küche, muss hindurch gehen, um ins Bad oder nach draußen zu | |
| kommen. So betritt sie am nächsten Morgen die Küche, nach einer schwierigen | |
| Nacht, in der ihr Sohn oft wachgeworden ist. So steht sie da mit | |
| strubbeligem Haar und fühlt sich überrumpelt: Karl ist ja da. | |
| „Dieser Morgen hat mir total gespiegelt: Ihr habt was am Laufen, und ich | |
| kann so was gerade nicht ausleben.“ Florian brummt. „Hmm.“ Und sagt: „J… | |
| in so einer kleinen Wohnung ist es schon netter, wenn man Bescheid sagt.“ | |
| ## Schwuler Sex | |
| Ein paar Wochen später treffe ich mich mit Florian allein. Das mit dem Sex | |
| sei kein Problem für ihn, das könne er schnell und einfach organisieren. | |
| Aber auch er sei noch nicht bereit, jemanden wirklich in sein Leben zu | |
| lassen. In das gemeinsame Leben mit seinem Sohn und Teresa. Er will nicht, | |
| dass noch jemand jeden Tag mit beim Frühstück sitzt. Einem neuen Partner | |
| würde er Zeit und Aufmerksamkeit schenken wollen, das sei ihm zu viel. | |
| „Wenn mein Sohn um mich herumläuft, neue Sachen lernt, da will ich voll im | |
| Fokus bei ihm sein und mich nicht zweiteilen“, sagt er. So sei Karl nach | |
| wenigen Wochen wieder aus seinem und ihrem gemeinsamen Leben verschwunden. | |
| Florian denkt nach, zwirbelt mit seinen Fingern über den Stoppelbart an | |
| Backen und Kinn, dann sagt er: „Es fühlt sich natürlich schon sehr | |
| klassisch an, so zu dritt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mit Teresa | |
| auf ewig und immer zu dritt zu sein.“ | |
| Er spricht an diesem Abend viel von Freiheit und von Identität. Jetzt erst, | |
| eineinhalb Jahre nach der Geburt, habe er verstanden, was es bedeute, Vater | |
| zu sein, Vater zu werden. Er sagt, er habe Angst. Angst davor, seine | |
| Identitäten nicht entwickeln zu können, weil er sich so sehr für die | |
| Vaterrolle aufopfere. „Ich sehe mich nicht zu einhundert Prozent als | |
| 24/7-Vater. Das bin nicht ich.“ Er spürt die Bedürfnisse, die an diesem | |
| anderen Leben hängen, nach Liebe, nach Nähe, Intimität, und Sex. „Ich bin | |
| ein schwuler Mann und manchmal fällt es mir schwer, Mutter-Vater-Kind zu | |
| spielen.“ | |
| Das auszusprechen wühlt ihn auf, sein Tonfall wird energischer, lauter, in | |
| seinem Stuhl beugt er sich erst vor, dann zurück und sagt: „Ich will mich | |
| verlieben, will an einer Beziehung wachsen, will mich ausleben, weil es zu | |
| mir gehört.“ Dann lenkt er ein: „Vielleicht sind diese Dinge aber gerade | |
| auch einfach nicht dran.“ | |
| ## Die Freundschaft hat sich verändert | |
| Als wir zu dritt zum letzten Mal für diesen Text zusammensitzen, geht es um | |
| ihre Freundschaft. Denn nicht nur Florian, nicht nur Teresa haben sich | |
| jeder für sich verändert, auch ihre Freundschaft sei nicht mehr dieselbe. | |
| Früher haben sie zusammen herumgelungert, sagt Florian. Netflix gesuchtet, | |
| zusammen gekocht. Jetzt sitzen sie, wie viele andere Eltern, abends am | |
| Tisch, reiben sich die Augen und gähnen. | |
| Teresa sagt: „Eigentlich bräuchte ich ein Freundschaftsdate mit Flo.“ | |
| Ich frage: „Seid ihr denn gerade eher mehr Eltern oder mehr Freunde?“ | |
| Teresa sagt: „Mehr Eltern.“ | |
| Florian stimmt zu. | |
| Auch sie können sich als Eltern zerstreiten, können sich trennen, | |
| freundschaftlich und räumlich. Florian sagt: „Auch wir sind nicht davor | |
| gefeit, uns einander zu verletzen.“ | |
| Was Florian und Teresa vielleicht am meisten von anderen Elternpaaren | |
| unterscheidet: Sie sind offener für Veränderungen. Weil eine Freundschaft | |
| weniger Selbstverständlichkeit in der Befriedigung von Bedürfnissen | |
| bedeutet, weil man nicht automatisch „zuständig“ ist, etwa für Intimität, | |
| wie bei den meisten Liebespaaren. Bedürfnisse werden öfter besprochen und | |
| verhandelt, auch wenn sich etwas ändert, wie etwa der Wunsch nach einer | |
| Liebesbeziehung oder mehr Freiheiten. Florian muss für Teresa nicht alles | |
| erfüllen, muss nicht all ihre emotionalen Themen auffangen. „Flo ist halt | |
| der eine Freund. Ich tausche mich mit ihm aus – und mit einer Freundin | |
| teile ich andere Themen“, sagt Teresa. Florian fügt hinzu, für ihn liege | |
| eine große Freiheit ihres Modells in der „Möglichkeit, sich als Individuum | |
| zu entwickeln, und gleichzeitig das Gefühl zu haben, zu einer Familie zu | |
| gehören“. | |
| Als sie heute das Kartenspiel wieder spielen, fallen alle Antworten so aus | |
| wie damals. Ja, sie stellen ihre Bedürfnisse für die Familie zurück. Ja, | |
| sie lassen einander Freiheiten. Ja, sie finden immer eine Lösung. Fast zwei | |
| Jahre nach der Geburt ihres Sohnes hat sich viel im Leben von Florian und | |
| Teresa verändert, aber eines ist gleich geblieben: der Wunsch der beiden, | |
| eine Familie zu sein. | |
| Vor Kurzem sind sie in eine neue, größere Wohnung gezogen – zu dritt. Aber: | |
| Sie planen schon das nächste Gespräch, wie sie in Zukunft leben wollen. | |
| Vielleicht zu dritt, vielleicht in getrennten Wohnungen, mit individuellen | |
| Tagen für das Kind. Aber immer mit einem gemeinsamen Abendbrot und immer | |
| so, dass sich alle drei wohl dabei fühlen. | |
| 7 Sep 2024 | |
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| Streitgespräch zu Eizellspenden: „Mit zweierlei Maß“ | |
| Eizellspende und Leihmutterschaft sind verboten. Medizinethikerin Claudia | |
| Wiesemann und Mediziner Taleo Stüwe sind dabei unterschiedlicher Meinung. | |
| Soziologin über Co-Parenting: „Alle Familien sind richtig“ | |
| Kindererziehung kann auch ohne romantische Liebe auskommen, sagt Soziologin | |
| Christine Wimbauer. Sie hat ein Buch über Co-Elternschaft geschrieben. | |
| Co-Parenting und Samenspende: Der Superspreader | |
| Mihai B. zeugt Kinder – auf der ganzen Welt, so viele er kann. Warum macht | |
| er das? Und wer sind die Frauen, die ein Kind von ihm wollen? |