# taz.de -- Streitgespräch zu Eizellspenden: „Mit zweierlei Maß“ | |
> Eizellspende und Leihmutterschaft sind verboten. Medizinethikerin Claudia | |
> Wiesemann und Mediziner Taleo Stüwe sind dabei unterschiedlicher Meinung. | |
Bild: Taleo Stüwe und Claudia Wiesemann | |
taz am wochenende: Vor genau 30 Jahren trat das Embryonenschutzgesetz in | |
Kraft, das Eizellspende und Leihmutterschaft verbietet. Ist das heute noch | |
zeitgemäß? | |
Claudia Wiesemann: Nein. Das Gesetz ignoriert 30 Jahre Forschung, zum | |
Schaden der betroffenen Patientinnen und Patienten. | |
Taleo Stüwe: Das Gesetz ist schon vor 30 Jahren kritisiert worden, auch von | |
Feminist*innen. Es konstruiert den Embryo als abstrakte Rechtsperson, die | |
unabhängig gedacht wird vom Körper der Person, die schwanger wird oder ist. | |
Der Fokus bei der Gesetzgebung müsste aber bei der betroffenen Person und | |
deren Körper liegen. Dennoch ist eine rechtliche Regulierung von | |
Reproduktionsmedizin und -technologie absolut zeitgemäß. Das | |
Embryonenschutzgesetz deckt da einige wichtige Punkte ab. | |
Dass einer Frau die befruchtete Eizelle einer anderen Frau eingesetzt wird, | |
will in Deutschland etwa die FDP ändern. Im Gesundheitsausschuss des | |
Bundestags wurden Sie beide deshalb kürzlich angehört. [1][Eizellspende | |
erlauben oder weiter verbieten] – was sagen Sie? | |
Stüwe: Wir vom Gen-ethischen Netzwerk sprechen uns klar für die | |
Aufrechterhaltung des Verbots aus. Wir betrachten die Eizellspende als | |
einen fremdnützigen und risikobehafteten Eingriff, der in aller Regel auf | |
einem sozio-ökonomischen Gefälle aufbaut zwischen den Wunscheltern auf der | |
einen und den Eizellspender*innen auf der anderen Seite. | |
Wiesemann: Ich bin der Meinung, dass die Eizellspende in Deutschland | |
erlaubt werden sollte. International wurden mittlerweile sehr viele | |
Erfahrungen mit deren Auswirkungen gesammelt. Studien sagen ganz klar: Die | |
Risiken sind gering und gut kontrollierbar. Das sogenannte ovarielle | |
Hyperstimulationssyndrom, wenn durch zu starke Hormonbehandlung etwa die | |
Eierstöcke anschwellen, tritt mittlerweile aufgrund der deutlich | |
verbesserten Hormonbehandlung viel seltener auf. Für die Familien und die | |
Kinder, die so gezeugt werden, ergeben sich keine schwerwiegenden | |
Nachteile. Auch dies ist durch sehr gute Studien belegt. Verbote müssten | |
aber begründet werden mit ernsthaften, nachvollziehbaren und nachprüfbaren | |
Gefahren für Dritte. Die sind nicht gegeben. | |
Stüwe: Es ist richtig, dass die Verfahren besser geworden sind. Doch es | |
kommt weiterhin zu Nebenwirkungen und Komplikationen. Es gibt meines | |
Erachtens zu wenige Studienergebnisse zur Eizellspende. Eine Übertragung | |
von Zahlen aus der künstlichen Befruchtung passt hier nicht. Da werden | |
Eizellen einer eher älteren Person entnommen und wieder der gleichen | |
eingesetzt. Jüngere Körper reagieren womöglich stärker auf | |
Hormonstimulation. Diese Zahlen sind also nur eingeschränkt übertragbar. Es | |
ist schön, wenn selten Komplikationen vorkommen. Aber was ist mit den | |
Einzelfällen von Personen, die schwere Komplikationen hatten und sich | |
vielleicht aus einer finanziellen Notsituation heraus dafür entschieden | |
haben, ihren Körper und ihre Eizellen zur Verfügung zu stellen? | |
Wiesemann: Wir beleuchten hier die grundsätzliche Frage: Wovor müssen wir | |
Frauen eigentlich schützen? Wie viel paternalistischen Schutz müssen wir | |
ihnen angedeihen lassen, damit sie sich möglichst nicht in irgendeine | |
körperliche Gefahr begeben? Ich finde, Frauen sind in der Lage, diese | |
Entscheidung selbst zu treffen, sofern sie eine klare, unmissverständliche | |
und korrekte Aufklärung erhalten. [2][Es gibt natürlich im Ausland | |
Zentren], die eine möglichst große Eizellausbeute erreichen wollen, sehr | |
stark hormonell stimulieren und somit entsprechend heftige Nebenwirkungen | |
erzeugen können. Dem können aber die Fachgesellschaften einen Riegel | |
vorschieben. | |
Es ist derzeit ja möglich, dass ich eine meiner beiden Nieren spenden kann. | |
Da kann es sicherlich auch zu starken Komplikationen kommen, trotzdem ist | |
es erlaubt. Was ist der Unterschied zur Eizellspende? | |
Stüwe: Ja, auch Lebendspenden wie Nieren- oder Knochenmarkspende sind | |
fremdnützige medizinische Eingriffe. Die legitimieren sich dadurch, dass | |
sie eine lebensbedrohliche Erkrankung behandeln. Deshalb hakt der Vergleich | |
meines Erachtens. Ich will gar nicht anzweifeln, dass ein unerfüllter | |
Kinderwunsch sehr belastend sein kann, aber er ist nicht lebensbedrohlich | |
oder gesundheitsgefährdend. Dementsprechend wäre eine Legalisierung der | |
Eizellenabgabe ein Paradigmenwechsel. | |
Wiesemann: Ich verstehe die Logik dieses Arguments nicht. Auch eine | |
Nierenspende erfolgt nicht zur Lebensrettung. Sie verbessert die | |
Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig. Und zur Kritik an der Vergütung, | |
die auch oft geäußert wird: Es soll einer Frau nicht erlaubt sein, ein sehr | |
kleines Risiko für sich zugunsten Dritter auf sich zu nehmen und dafür eine | |
Aufwandsentschädigung zu erhalten? Wenn wir das weiterdenken, müssten wir | |
unzählige andere Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft verbieten. | |
Welche zum Beispiel? | |
Wiesemann: Nehmen wir nur einmal Personen, die an den wichtigen Studien zur | |
Arzneimittelforschung teilnehmen, also etwa einen noch nicht erprobten | |
Impfstoff gegen Covid-19 an sich testen lassen. Das wird finanziell | |
vergütet, und den Nutzen haben andere. Wir müssen uns doch konkret fragen: | |
Worin genau besteht die Gefahr, die es dem Staat erlaubt, in die Freiheit | |
des Einzelnen einzugreifen? Eine solche große Gefahr sehe ich bei der | |
Eizellspende nicht. Das war womöglich 1990, als das Embryonenschutzgesetz | |
verabschiedet wurde, noch nicht absehbar, aber jetzt können wir das | |
beurteilen. Deshalb muss das Verbot, das der Staat damals aufgestellt hat, | |
jetzt fallen. | |
Stüwe: Arzneimittel dienen allerdings der Behandlung von Erkrankungen, und | |
das ist für mich der wesentliche Unterschied. Nur, weil etwas jetzt | |
technisch möglich ist, muss es nicht auch erlaubt werden. Beim Argument, | |
dass jede Person selbst über ihren Körper entscheiden könne, würde ich die | |
Frage stellen: Wie frei ist diese Entscheidung in der jetzigen | |
Gesellschaft, in einem kapitalistischen System, unter den herrschenden | |
Machtverhältnissen? | |
Aktuell wird in Deutschland deshalb eine nicht vergütete Eizellspende | |
diskutiert. | |
Stüwe: Die wenigsten Leute spenden eine Eizelle aus rein altruistischen | |
Gründen. Da reicht ein Blick nach Österreich, wo das so ist. Da werden | |
wirklich nur belegte Ausgaben wie die Fahrt zur Reproduktionsklinik | |
rückerstattet und die haben im Jahr 2019 lediglich 41 Versuche von | |
Eizellspenden verzeichnet. Wenn das in Deutschland greifen soll, das | |
Legalisieren der sogenannten altruistischen Eizellspende, dann würde das | |
den Bedarf gar nicht decken. Dafür müsste eine Vergütung eingeführt werden | |
und würden Entscheidungen zur Eizellabgabe aus ökonomischen Notlagen heraus | |
getroffen werden. | |
Wiesemann:[3][Ein unerfüllter Kinderwunsch] ist jedenfalls kein | |
Lifestyle-Problem. Da gibt es zum Beispiel Frauen, die mit 30 Jahren schon | |
in die Wechseljahre kommen und keine Eizellen mehr produzieren können. | |
Meines Erachtens ist das ein Krankheitszustand, und die Eizellspende ist | |
eine Abhilfe für diese spezifische Form der Krankheit. Mein zweites | |
Argument: Eizellspenderinnen haben durchaus gemischte Motive. Wir wissen | |
aus Studien, dass sie die Spende auch aus altruistischen Gründen in | |
Betracht ziehen. Sie finden es gut, einem Paar, das sich schon lange ein | |
Kind gewünscht hat, zu einem Kind zu verhelfen. Natürlich kommt auch eine | |
ökonomische Motivation hinzu. Auch ich arbeite zum Teil aus ökonomischen | |
Motiven. Und zu einem anderen Teil bin ich intrinsisch motiviert, weil ich | |
Wissenschaft faszinierend finde. | |
Ginge das denn – ein Geschäft mit den eigenen Eizellen zu machen? | |
Wiesemann: Das würde voraussetzen, dass es hier in Deutschland eine so | |
prekäre Schicht von Menschen gibt, die ausgerechnet mit der Eizellspende | |
ihren Lebensunterhalt finanzieren würde. Das steht überhaupt nicht zu | |
erwarten. Man könnte etwa festlegen, dass eine Frau nur einmal Eizellen | |
spenden darf. Von den 1500 Euro, die ich für so eine Spende für das Minimum | |
an Entschädigung halten würde, kann man seine Existenz nicht fristen. Das | |
sind weltfremde Argumente. | |
Stüwe: Existenzsichernd sind 1500 Euro bestimmt nicht, aber auch in | |
Deutschland gibt es Menschen, für die diese Summe einen realen finanziellen | |
Anreiz darstellt. Das macht deutlich, wie sehr das Thema auch eine | |
Klassenfrage ist. Junge Menschen mit wenig Geld geben ihre Eizellen an | |
wohlhabendere heterosexuelle, ältere Paare – also reproduktiv älter, wo die | |
Frau über 40 ist – mit unerfülltem Kinderwunsch ab. Das ist nämlich die | |
Hauptzielgruppe. | |
Um das Geschäft mit dem Körper geht es auch, [4][wenn wir über | |
Leihmutterschaft diskutieren]. Also: Mit einer Leihmutter wird ein Vertrag | |
abgeschlossen, sie ist neun Monate lang für Dritte schwanger, trägt das | |
Kind aus und gibt es schließlich ab. In Großbritannien ist dies erlaubt. | |
Welche Erfahrungen werden dort gemacht? | |
Wiesemann: In Großbritannien wird die Leihmutterschaft schon seit | |
Jahrzehnten praktiziert und das ohne größere gesellschaftliche Probleme. Es | |
gibt dort aber mitunter rechtliche Schwierigkeiten. In Einzelfällen hat es | |
sehr lange gedauert, bis die Wunscheltern auch legal die Eltern des Kindes | |
wurden. Das ist weder im Interesse der beteiligten erwachsenen Parteien, | |
aber noch viel weniger im Interesse des Kindes. Solche problematischen | |
Fälle waren allerdings selten. | |
Sie haben Zweifel? | |
Wiesemann: Ich zögere zu sagen, Leihmutterschaft sollte in Deutschland | |
zugelassen werden. Mir fehlt im Moment noch ein überzeugendes Modell, das | |
den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Ich würde mir allerdings | |
wünschen, dass es zum Thema Leihmutterschaft eine offenere | |
gesellschaftliche Debatte gibt unter Beteiligung der Betroffenen und von | |
Personen, die Erfahrung mit denkbaren rechtlichen Regelungen gesammelt | |
haben. Die Verteufelung der Leihmutterschaft sollte aufhören. Das ist auch | |
eine Frage der reproduktiven Gerechtigkeit, denn es geht unter anderem auch | |
um schwule Paare, die nur auf diese Art und Weise – biologische – | |
Elternschaft verwirklichen können. Diese Wünsche müssen wir ernst nehmen. | |
Stüwe: Diese Debatte ist doch stark von der Reproduktionsmedizin geprägt. | |
Immer wieder wird eine technische Lösung angeboten für ein soziales | |
Problem. Die zentrale Frage ist: Wie definieren und denken wir heute | |
Elternschaft und Familie? Und brauchen wir Leihmutterschaft für die | |
Erfüllung des Kinderwunsches? Geht das nicht auch mit Adoption, mit | |
Co-Parenting, mit sozialer Elternschaft? Mein Plädoyer wäre einfach ein | |
modernes Verständnis von Elternschaft und Familie, was auch eine Befreiung | |
vom Imperativ der biologischen oder genetischen Verwandtschaft sein kann. | |
Die Reproduktionsmedizin hat eine Lobby und ein ökonomisches Interesse | |
daran, die Eizellspende zu legalisieren. Bei der Leihmutterschaft verhält | |
es sich ähnlich. Kliniken verdienen damit Millionen. | |
Wiesemann: Es ist schön zu sehen, [5][dass neue Formen von Elternschaft] | |
ausprobiert werden. Ich wäre nur vorsichtig, in einer so fundamentalen | |
Hinsicht Urteile darüber zu fällen, was legitime Wünsche sind. Biologische | |
Elternschaft spielt für viele Menschen eine große Rolle. Wir leben in einer | |
Gesellschaft, in der uns keine übergeordnete Instanz sagen kann, was das | |
Ziel guten Lebens ist. So lange es verträglich ist für die Personen, die | |
davon betroffen sind – und hier muss man besonders an das Kind denken –, | |
hat der Staat kein Recht, sich mit Verboten in solche privaten | |
Lebensentwürfe einzumischen. | |
Wie realistisch ist es denn, dass wir in Deutschland eine andere rechtliche | |
Situation aufrechterhalten können, als es sie in den uns umgebenden Ländern | |
gibt? Eizellspende ist fast überall legal, Leihmutterschaft etwa in | |
Großbritannien, Tschechien und der Ukraine. | |
Stüwe: Nur weil etwas woanders erlaubt ist, muss es hier nicht auch erlaubt | |
werden. Einige Aspekte von Eizellspende und Leihmutterschaft sind ja auf | |
europarechtlicher Ebene geregelt. Eine Gewinnerzielung mit menschlichen | |
Körpern und Körperteilen ist verboten. Und wir im Gen-ethischen Netzwerk | |
sagen eben, dass auf dieser Ebene darauf hingewirkt werden muss, dass auch | |
in anderen Ländern finanzielle Notlagen nicht ausgenutzt werden. Bei der | |
Leihmutterschaft ist die zentrale Motivation definitiv das Geld. | |
Wiesemann: Ich stimme ja zu, dass man nicht alles erlauben muss, was im | |
Ausland zulässig ist. Aber es sollte uns doch nachdenklich stimmen, dass | |
nahezu jedes europäische Land die Eizellspende entweder gar nicht erst | |
verboten hat oder vor Kurzem legalisiert hat. Neben Deutschland sind es nur | |
noch Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein, die das Eizellspendeverbot | |
aufrechterhalten. Außerdem muss man bedenken: Weil wir es verbieten, gehen | |
Menschen, die es sich leisten können, ins Ausland. Und weil Tschechien | |
günstiger ist als England, wird Tschechien gewählt – doch in Tschechien ist | |
die Eizellspende anonym. Weshalb die Kinder dann nicht erfahren können, wer | |
ihre biologische Mutter ist, worauf sie eigentlich ein Anrecht hätten. | |
Stüwe: Die EU sieht neben einem Kommerzialisierungsverbot auch eine | |
Nachverfolgbarkeit von menschlichem Gewebe vor. Das heißt, das Recht so | |
gezeugter Kinder auf Kenntnis ihrer genetischen Abstammung müsste also | |
eigentlich europaweit sichergestellt werden. | |
Wie stehen Sie zu dem Ansatz, dass Eizellspende eine Form von reproduktiver | |
Selbstbestimmung ist? Meine Eizellen gehören mir – und wem ich sie noch | |
geben möchte. | |
Wiesemann: Das sind in der Tat Themen, die Frauen selbst für sich | |
entscheiden sollten, und der Staat und auch alle anderen gesellschaftlichen | |
Gruppierungen von der Katholischen Kirche bis zum Gen-ethischen Netzwerk | |
sollten sich bitte bei dieser Entscheidung nur dann einmischen, wenn es | |
nachweislich gravierende Probleme für Dritte gibt. Da sind alle, die Frauen | |
an dieser Selbstbestimmung hindern wollen, in der Begründungspflicht. Ich | |
finde es problematisch, dass ein Teil der feministischen Bewegung zu | |
hundert Prozent hinter dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch steht – | |
übrigens auch ein Eingriff, der Nebenwirkungen hat. Und dann haben | |
dieselben Personen unglaubliche Bauchschmerzen, wenn es darum geht, Frauen | |
zu helfen, Kinder zu bekommen. Als ob das kein angemessenes Ziel sei. | |
Stüwe: Reproduktive Selbstbestimmung ist in feministischer Tradition erst | |
einmal als ein Abwehrrecht gegen Fremdzugriffe zu verstehen, etwa das | |
Aufdrängen von Langzeitverhütungsmitteln oder Zwangssterilisation. Es geht | |
also schon auch in die Richtung eines Rechts, Kinder zu kriegen – nicht | |
nur, keine Kinder zu kriegen. Eizellengeber*innen oder Leihgebärende | |
haben selbst keinen gesundheitlichen Gewinn aus dem Eingriff, dadurch | |
ergibt sich meines Erachtens kein Anspruch, Eizellen spenden zu dürfen oder | |
Schwangerschaften für andere austragen zu dürfen. Zumal dieses | |
vermeintliche Recht die Ausnutzung von Menschen in finanziellen Notlagen | |
bedeutet. | |
Aber prinzipiell klingt das doch gut, oder? Eizellspende oder | |
Leihmutterschaft aus altruistischen Gründen, einfach, weil ich anderen | |
helfen will. | |
Stüwe: Reproduktive Selbstbestimmung kann es bei Eizellspenden oder auch | |
Leihmutterschaft geben, wenn der Eingriff freiwillig und ist und die | |
Betroffenen gut informiert sind. Ich finde aber, die Freiwilligkeit muss in | |
Frage gestellt werden, wenn die Entscheidung in einer sozioökonomisch | |
schwierigen Situation passiert. Aber auch wenn wir das in einem rein | |
altruistischen Szenario denken – das wie gesagt weit entfernt davon wäre, | |
den Bedarf des Reproduktionsmarktes zu decken. Dieses unverhohlene | |
Appellieren an den Altruismus von Menschen mit Eierstöcken und Uteri greift | |
sehr traditionelle Geschlechterklischees auf. Frauen oder weiblich | |
sozialisierte Menschen seien eben sehr hilfsbereit und nehmen gerne | |
körperliche Risiken auf sich, um die Kinderwünsche anderer zu erfüllen. | |
Daraus kann eine Erwartungshaltung entstehen. Damit habe ich ein Problem. | |
Wiesemann: In dieser Beschreibung finde ich die Menschen, die ich kenne, | |
nicht wieder. Es geht hier darum, ein Kind zu bekommen, eine Familie zu | |
gründen – ein für viele Menschen wertvolles Lebensziel. Es ist etwas, das | |
die allermeisten Menschen in dieser Gesellschaft als sinnstiftend erleben. | |
Sich daran zu beteiligen – was ist daran verdreht oder falsch oder | |
stereotyp? Ich finde es eher fatal, wie in den letzten Jahrzehnten mit | |
Samenspende umgegangen wurde. Verschämt, irgendwo in einer kleinen Kabine | |
sollte da ein Mann möglichst anonym Samen produzieren und nie wieder etwas | |
davon erfahren. Das ist doch bizarr gewesen! Erst 2017 wurde das | |
Samenspenderregistergesetz verabschiedet. Darin wurde klargestellt, dass | |
der Samenspender einen Beitrag zur Elternschaft leistet und in dieser | |
Funktion auch für das so gezeugte Kind ansprechbar sein sollte. Behandeln | |
wir Frauen in dieser Angelegenheit wie Männer und mischen uns in ihre | |
Belange nur dann ein, wenn es um gravierende Interessen Dritter geht. Das | |
ist für mich der Maßstab. Und wir messen in Deutschland mit zweierlei Maß, | |
wenn wir Samenspende erlauben, Eizellspende aber nicht. | |
Stüwe: Dieses unterschiedliche Maß begründet sich in der | |
Unterschiedlichkeit der beiden Keimzellspenden. Allein schon biologisch | |
gibt es den relevanten Unterschied, dass Spermien kontinuierlich | |
nachproduziert werden können. Ein Ejakulat – das bekanntermaßen ohne | |
risikobehaftete medizinische Eingriffe gewonnen werden kann – beinhalten | |
ca. 20 bis 150 Millionen Spermien. Eizellen sind von Geburt an angelegt und | |
zahlenmäßig begrenzt. Bei der Eizellentnahme handelt es sich um einen | |
längerfristigen, invasiven und potentiell gesundheitsgefährdenden Eingriff. | |
Die Reichweite und die Risiken einer Schwangerschaft für Dritte sind noch | |
erheblicher. | |
Wiesemann: Erstaunlich ist für mich, dass Teile der feministischen Bewegung | |
hier so paternalistisch argumentieren. Die Grundsatzfrage – hier geht es ja | |
auch um den Internationalen Frauentag – ist: Wie sehr wollen und dürfen wir | |
das Leben von Frauen reglementieren? Aus dieser Entscheidung sollte sich | |
der Staat heraushalten. Lassen wir Frauen diese Entscheidung selbst | |
treffen. | |
8 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
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