# taz.de -- Debatte um Eizellspenden: Ausbeutung oder Emanzipation? | |
> Die moderne Reproduktionsmedizin macht Eizellspenden möglich. Doch sind | |
> sie auch ethisch? In Deutschland ist eine Debatte längst überfällig. | |
Bild: Eizellspenderinnen müssen sich Hormonspritzen verabreichen, um ihren Zyk… | |
Sechsmal hat Elia Eizellen gespendet. Sechsmal hat sie sich über mehrere | |
Tage selbst Hormonspritzen verabreicht, damit gleich mehrere Eizellen | |
heranreifen. Zum richtigen Zeitpunkt im künstlich verstärkten Zyklus wurden | |
ihr die Eizellen dann mittels eines chirurgischen Eingriffes unter | |
Vollnarkose entnommen. 800 bis 1.000 Euro Entschädigung bekam sie pro | |
Spende. | |
Elias reproduktive Geschichte ist mittlerweile Teil eines | |
Forschungsprojekts der Wissenschaftlerin Laura Perler, das in den | |
vergangenen Monaten auch als Ausstellung in den Räumen der | |
Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin gezeigt wurde. Darin setzt Perler sich aus | |
unterschiedlichen Perspektiven bei Eizellspenden auseinander: aus der | |
medizinischen, der von Geberinnen und der von Empfängerinnen. Und sie zeigt | |
die [1][medizinethische Debatte] rund um diese Form der reproduktiven | |
Medizin, in der die einen weibliche Selbstbestimmung, die anderen die | |
[2][Ausbeutung weiblicher Körper] sehen. | |
Der medizinische Ablauf selbst ist dabei noch relativ schnell erklärt: | |
Zunächst erfolgt die hormonelle Vorbereitung; dann die chirurgische | |
Entnahme und das Genscreening der entnommenen Eizellen, bevor diese mit dem | |
Sperma des Wunschvaters oder eines Samenspenders befruchtet werden. Dann | |
werden die befruchteten Eizellen eingefroren, bis der Zyklus der | |
Wunschmutter den passenden Zeitpunkt zum Einpflanzen erreicht hat. Dies | |
geschieht unter lokaler Betäubung. | |
Es folgt das Warten, ob eine Schwangerschaft zustande gekommen ist. Die | |
Erfolgschancen bei einer In-Vitro-Fertilisation (IVF), die | |
technisch-medizinische Methode, die der Spende zu Grunde liegt, variiert | |
und ist vor allem vom Alter der Patientinnen abhängig. In Europa liegt die | |
Schwangerschaftsrate bei einer IVF-Behandlung bei 36 Prozent pro | |
Behandlung. Von der gängigen, romantisch-verklärten Vorstellung, wie Kinder | |
gezeugt werden, scheint dieser Ablauf weit entfernt. | |
## Mehr als monatlicher Mindestlohn | |
Dennoch: Die moderne Reproduktionsmedizin und -technologie [3][erfüllt | |
viele Kinderwünsche], die sonst unbeantwortet blieben. Schätzungsweise | |
nehmen jährlich mehrere tausend Frauen aus Deutschland eine | |
[4][Eizellspende im Ausland] in Anspruch. Genaue Zahlen fehlen. Wohl auch | |
deshalb, weil es in Deutschland so gut wie keine öffentliche Debatte zu | |
Reproduktionspolitiken gibt – und somit auch wenig Forschungsinteresse. | |
Inbesondere queere Paare mit Kinderwunsch profitieren von den Möglichkeiten | |
der Reproduktionstechnologie. Ein lesbisches Paar kann zum Beispiel die | |
biologische Elternschaft und die austragende Rolle unter sich aufteilen, | |
was das Verbundenheitsgefühl zu dem gemeinsamen Kind stärken und | |
ausgleichen kann. Und natürlich können durch eine Eizellenspende | |
unfruchtbare Frauen jedweder sexuellen Orientierung schwanger werden. | |
Medizin und Technik sind vielleicht nicht idyllisch, aber effektiv. | |
Doch da sind eben nicht nur jene, die als Empfängerinnen von einer Spende | |
profitieren, sondern auch jene, die ihre Eizellen für den Kinderwunsch | |
anderer hergeben. Im Zuge ihrer Forschung hat Laura Perler Eizellgeberinnen | |
in Spanien interviewt und ihre Spendengeschichten umrissen. Eine von ihnen | |
ist Elia. Sie ist 32 Jahre alt und lebt in der Nähe von Valencia. Mit 23 | |
Jahren hat sie zum ersten Mal Eizellen gespendet. Ihre Mitbewohnerin hatte | |
Elia damals vom Eizellspenden erzählt und dass man damit Geld verdienen | |
kann. Ohne großes Zögern oder eigene Recherche zu den Risiken entschied | |
sich Elia für eine Spende. „Meine einzige Motivation war das Geld“, erzäh… | |
sie im Interview mit der taz. 1.000 Euro sind mehr als ein monatliches | |
Mindestlohngehalt in Spanien. | |
Seit 1988 ist das Eizellspenden in Spanien legal. Seit der Legalisierung | |
ist in Spanien ein boomender Markt entstanden. Private Kliniken haben sich | |
auf die Anwerbung und Betreuung von Geberinnen und die Entnahme sowie die | |
Einpflanzung von Eizellen spezialisiert und machen ein gutes Geschäft mit | |
der Anwendung der modernen Reproduktionstechnologien. | |
## „Ich war ein Uterus auf Füßen“ | |
Damit der altruistische Aspekt der Spende nicht verloren geht, dürfen | |
Spenderinnen in Spanien nicht mehr als eine Entschädigungssumme von 1.000 | |
Euro für ihre Spende erhalten. Pärchen mit einem Kinderwunsch, die sich | |
diesen mit Hilfe einer gespendeten Eizelle erfüllen wollen, zahlen in | |
Spanien rund 8.000 bis 35.000 Euro. Es entsteht eine beachtliche | |
Gewinnmarge für die Krankenhäuser. Ganz nach kapitalistischem | |
Profitmaximierungsbestreben stecken die Kliniken viel Geld in Werbung, die | |
sich sowohl an potenzielle Geberinnen als auch Empfängerinnen richtet, um | |
das Eizellengeschäft am Laufen zu halten. | |
Die Werbung für potenzielle Eizellgeberinnen richtet sich dabei | |
hauptsächlich an junge, finanziell prekäre Frauen, da diese sich, so die | |
Berechnung, am ehesten von der Entschädigungssumme überzeugen lassen. So | |
wie auch Elia. Sie beschreibt den kommerzialisierten Vorgang als | |
„Geldmacherei mit den Eizellen von vulnerablen Personen“. Elia erzählt, | |
dass es in den Kliniken verschiedene Eingänge für Geberinnen und | |
Empfängerinnen gebe. Außerdem sagt sie, dass sie in der Klinik nicht wie | |
eine Patientin, sondern wie ein Objekt behandelt worden sei: „Ich war ein | |
Uterus auf Füßen.“ | |
Diese Kommerzialisierung der weiblichen Reproduktionsorgane ist ein Grund | |
dafür, warum das Eizellenspenden in Deutschland verboten ist. Kritische | |
feministische Stimmen wehren sich gegen eine Legalisierung in Deutschland | |
mit dem Argument, den Ausverkauf und die Objektifizierung des weiblichen | |
Körpers verhindern zu wollen. Die Argumentation ist eine ähnliche wie in | |
der Debatte um die Legalisierung von Prostitution. Der weibliche Körper | |
solle nicht zum Verkauf stehen. Auch Elia empfindet das Eizellspenden im | |
Rückblick als eine kapitalistische Ausbeutung ihres Körpers. | |
Auf der anderen Seite der feministischen Debatte zum Thema Eizellspende | |
steht das Argument der Selbstbestimmung. Das freie Verfügen über die | |
eigenen Reproduktionsorgane gehöre zur feministischen Befreiung von Frauen | |
aus patriarchalen Unterdrückungs- und Enteignungsstrukturen. Männer dürfen | |
in Deutschland seit den 1970er Jahren Samen spenden und erhalten pro Spende | |
eine Entschädigung von bis zu 100 Euro. In einem Behandlungszimmer in | |
einigen Pornomagazinen zu blättern und in einen Becher zu ejakulieren, ist | |
sicherlich nicht genauso invasiv wie eine tagelange Hormontherapie und ein | |
chirurgischer Eingriff. | |
## Größtmögliche Autonomie | |
Dennoch solle man Frauen deswegen nicht die Entscheidungsmacht über ihre | |
Reproduktionsorgane absprechen, finden liberale Feminist:innen. Blut oder | |
Knochenmark spenden sei ja auch erlaubt, obwohl es ein Eingriff in die | |
körperliche Unversehrtheit der Spender:innen ist. Die Unterscheidung | |
zwischen verschiedenen körpereigenen Stoffen erscheint den | |
Befürworter:innen der Legalisierung von Eizellspenden nicht schlüssig. | |
Größtmögliche Autonomie erfordere auch die Möglichkeit des Verkaufs oder | |
der Spende der reproduktiven Organe. | |
Elia sieht das skeptisch. Sie hat sich durch die Eizellspende nicht | |
selbstbestimmt oder frei gefühlt, sondern ausgenutzt. „Gäbe es keine | |
Entschädigung für das Eizellspenden, dann wäre es eine andere Sache. Dann | |
wäre eine Spende wirklich altruistisch und ein Akt feministischer | |
Solidarität“, meint sie. Solange es eine finanzielle Komponente gäbe, sei | |
die Gefahr der Ausbeutung von prekarisierten Frauen zugunsten von reichen | |
Pärchen zu groß. Die Wissenschaft unterstützt Elias Befürchtungen. | |
Für jede einzelne der Frauen, die Laura Perler im Zuge ihrer Forschung | |
interviewt hat, war der finanzielle Aspekt zumindest ein Grund, sich für | |
die Eizellspende zu entscheiden. Oft war es der ausschlaggebende. Sei es | |
zur Unterstützung des Familienunternehmens, das während der | |
Wirtschaftskrise gelitten hat, zur Finanzierung einer Drogenentzugstherapie | |
oder einer Studienreise. Ohne die monetäre Entschädigung hätten die Frauen | |
ihre Eizellen nicht gespendet. | |
Nur wenn es kein Geld für die Eizellen gäbe, wäre eine Eizellenspende | |
wirklich selbstlos, meint Elia. Nur so könne man der Ausbeutung ärmerer | |
Frauen vorbeugen und Frauen tatsächliche Entscheidungsmacht über ihre | |
reproduktiven Organe verschaffen. Für Freund:innen oder | |
Familienmitglieder würde Elia auch wieder Eizellen spenden. Für Fremde und | |
für Geld nicht mehr. | |
29 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marita Fischer | |
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