# taz.de -- Soziologin über Co-Parenting: „Alle Familien sind richtig“ | |
> Kindererziehung kann auch ohne romantische Liebe auskommen, sagt | |
> Soziologin Christine Wimbauer. Sie hat ein Buch über Co-Elternschaft | |
> geschrieben. | |
Bild: Entscheidend ist nicht wie viele Eltern ein Kind hat, sondern dass es gel… | |
taz: Frau Wimbauer, Sie forschen zu Co-Parenting. So nennt man eine | |
Familie, in der die Elternteile keine romantische Liebesbeziehung | |
miteinander führen. Bisher fehlen Zahlen, aber es ist anzunehmen, dass | |
Co-Elternschaft häufiger wird. Unter queeren Menschen, aber durchaus auch | |
bei Heteros. Kommt man bei der Kindererziehung auch ohne romantische Liebe | |
aus? | |
Christine Wimbauer: Im Prinzip ja. Für die Kinderziehung ist ja zunächst | |
die Liebe zu den Kindern wichtig. Selbst bei traditionellen Elternpaaren | |
wissen Sie ja nicht, ob sich die beiden nun unbedingt lieben oder nicht. | |
Trotzdem können sie selbstverständlich gemeinsam Kinder erziehen – und | |
sicherlich auch gut erziehen. | |
Liebe zum Kind hat also mit romantischer Liebe erst einmal gar nichts zu | |
tun? | |
Es muss nicht, aber in unserer Gesellschaft erscheint es oft so und ist | |
auch kulturell, sozialstaatlich und rechtlich so gerahmt. Mit dem Aufkommen | |
des Bürgertums sind diese beiden Dinge miteinander verknüpft worden. | |
Nämlich im Konstrukt der modernen Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter | |
und – am besten – den leiblichen, also biologischen Kindern. Die Eltern, so | |
das Ideal, sind durch ihre Liebe zueinander verbunden. So gilt das teils | |
bis heute, obwohl dieses Ideal viel verschleiert. Etwa, dass das Lieben in | |
wesentlich höherem Maße der Frau zugeschrieben wird – und dass die Frau | |
zumeist noch wirtschaftlich abhängig vom Ehemann ist. | |
In Ihrem Buch schreiben Sie, die Vorstellung, die Co-Eltern von Familie | |
haben, unterscheide sich trotzdem kaum vom Ideal der bürgerlichen | |
Kleinfamilie. Wie kommt’ s? | |
Allen Fällen, die mir bekannt sind, ob direkt durch Befragungen oder | |
indirekt durch Forschung, die ich gelesen habe, ist eins gemein: „Familie“ | |
wird von den Beteiligten mit einer großen Glückserwartung, mit einem | |
Glücksversprechen verbunden. Der Unterschied zur traditionellen Familie ist | |
einzig, dass diese Glückserwartung nicht noch zusätzlich an die Beziehung | |
der Eltern miteinander gerichtet wird. Aber in der Vorstellung, dass in | |
Kindern großes Glück liegt, unterscheidet sich die Co-Elternschaft nicht | |
vom bürgerlichen Modell. | |
Sie schreiben, beim Kinderwunsch stellten sich die künftigen Eltern Familie | |
als „Ankommen“ vor, als „Entschleunigung“. | |
Dass die Familie und das Heim eine Art Gegenwelt seien – zum oft auch | |
beschwerlichen, mit Unbill verbundenen Erwerbsarbeitsleben. | |
Dabei ist Elternschaft doch alles andere als entspannt und ruhig. | |
Das ist ja auch wieder eine Idealisierung, die sich nicht zwingend einlösen | |
muss. Natürlich ist Elternschaft auch mühevoll. Es werden dabei ja zum | |
Beispiel zunehmend Aushandlungen notwendig. Man muss sich mit anderen | |
Menschen darüber abstimmen, wie man sein Leben führen möchte. Dass ist | |
selbstverständlich ebenfalls mühsam. Bei dem „Zur-Ruhe-Kommen“, von dem | |
immer die Rede ist, geht es eher um Geborgenheit, ums | |
Sich-Verlassen-Können. Dauerhaftigkeit. Werte eben, die viele im | |
spätmodernen Arbeitsleben vermissen. Arbeit bedeutet heute oft | |
Kurzfristigkeit, man ist austauschbar. Dagegen steht die Idee von einer | |
Familie, in der man eben nicht zu ersetzen ist, und auch in schlechten | |
Zeiten füreinander einsteht. | |
Häufiger noch als die romantische Familiengründung ist Co-Elternschaft | |
vorab geplant und gut durchdacht. Macht sie das rationaler? | |
Auf keinen Fall ist Co-Parenting weniger emotional als die traditionelle | |
Kernfamilie. Was Sie sicher meinen, ist die queere, die Regenbogenfamilie. | |
Die ist in aller Regel gut überlegt und geplant, weil sie selten aus | |
Versehen passiert. Die Familien, mit denen ich mich beschäftigt habe, | |
hatten alle intensiv und lange diskutiert, es gab keine | |
Ad-hoc-Entscheidungen, eben weil auch die Umsetzung oft eher langwierig | |
ist. Allerdings ist meine Forschung explorativ, es fehlen bisher groß | |
angelegte Studien. Das Feld bleibt unterforscht. | |
In meinem Bekanntenkreis werden häufig moralische Grundfragen diskutiert, | |
die die Familiengründung betreffen. Sollte man als queere Familie dem Ideal | |
der Kernfamilie nacheifern, es so gut wie möglich „nachbauen“? Darf man | |
biologische Eltern aus dem Familienverbund heraushalten? Sind Ihnen in | |
Ihrer Forschung ähnliche Diskussionen begegnet? | |
An diesen Punkt kommen viele. Mit Ausnahme natürlich von Co-Elternpaaren, | |
wo eine cis Frau und ein cis Mann zusammen ein Kind haben – diese | |
Konstellation sieht ja von außen aus wie eine bürgerliche Familie, auch | |
dann, wenn die beiden kein Paar sind. Aber wenn wir von zwei Eltern | |
sprechen, die nicht gegensätzlichen Geschlechts sind, oder von drei oder | |
mehr Eltern: Da stellen sich viele diese Fragen. Man muss dazusagen, dass | |
Familiengründung immer ein kontroverses Thema ist, egal welche | |
Konstellation. Es sind einfach so viele moralische, gesellschaftliche, | |
persönliche Ansprüche damit verbunden. Was ich beobachte, ist ein gewisses | |
Normalisierungsstreben bei den queeren Familien, eine Orientierung in | |
Richtung bürgerliches Ideal. Das hat natürlich mit gesellschaftlichen | |
Erwartungen zu tun, dass also die Familie mit zwei gegengeschlechtlichen | |
Eltern die Norm ist. Alles andere muss sich rechtfertigen. Oder wird | |
diskriminiert, vielleicht ausgegrenzt. Dabei ist nicht die Art der Familie | |
das Problem, sondern die Erwartung, dass es nur genau eine richtige Form | |
gibt. | |
Der Zwang zur Rechtfertigung ist meist diskriminierend, allerdings gibt es | |
mit der sogenannten „Leihmutterschaft“ eine Konstellation, die in der Lage | |
ist, Ausbeutungsverhältnisse zu erzeugen. In Deutschland ist das Vermitteln | |
von solchen Austräger*innen bislang nicht erlaubt, in anderen Ländern, | |
wie im Vereinigten Königreich, hingegen schon. Manche moralische Fragen | |
lassen sich bei der Familiengründung also nicht mit dem Verweis auf | |
Gleichberechtigung allein beantworten. | |
Das ist richtig. Fälle von Leihmutterschaft sind in meinen Fallstudien | |
allerdings nicht vorgekommen. Es gibt auch hier noch wenig Forschung, es | |
sind allerdings Studien in Arbeit. Ich stimme Ihnen jedenfalls zu, dass es | |
hier ein moralisches Spannungsverhältnis gibt. | |
Erkennen Sie einen Trend, der biologischen Elternschaft weniger Bedeutung | |
beizumessen? Also als Eltern ausschließlich zu definieren, wer | |
Verantwortung übernimmt, sich kümmert und sorgt? | |
Ja und nein. Es gibt nicht die Co-Elternschaft, das Feld ist wahnsinnig | |
heterogen. Es gibt Familien, die großen Wert auf „Vaterschaft“ und | |
„Mutterschaft“ im traditionellen Sinne legen – entsprechend eben auch im | |
biologischen. Und es gibt andere, denen zum Beispiel wichtig ist, dass der | |
Samenspender nichts mit der Familie zu tun hat. Oder dass das Kind mit 18 | |
selbst entscheiden soll, ob es sich über seine genetische Abstammung | |
informieren möchte. Sowie denkbar viele Fälle dazwischen – zum Beispiel, | |
dass der Samenspender zwar Teil der Familie ist, aber eher die Rolle eines | |
„Oheims“ einnimmt als die eines „Vaters“. | |
Ist es sinnvoller, solche Überlegungen von den eigenen Bedürfnissen her zu | |
denken – oder von denen des Kindes, das es ja noch gar nicht gibt? | |
Es ist eine Gratwanderung. Eltern versuchen selbstverständlich, die | |
Bedürfnisse des Kindes vorherzusehen. Was aber natürlich nicht möglich ist. | |
Was man kann, ist, nach dem eigenen besten Wissen und Gewissen zu handeln. | |
Was ich bei allen Familien gesehen habe: die Anstrengung, das Wohl des | |
Kindes unbedingt in den Mittelpunkt stellen zu wollen. | |
Was können traditionelle, romantische Eltern von Co-Eltern lernen? | |
Auch traditionelle Heterofamilien sind sehr unterschiedlich, sehr divers | |
und mitunter äußerst modern. Und vor allem: Alle Familien sind richtig. | |
Grundsätzlich habe ich beobachtet, dass es Familien besser geht, wenn sie | |
nicht zu hohe Ansprüche an die Liebe zwischen den Eltern haben. Also wenn | |
sie nicht ihr ganzes Glück im Liebespartner verorten. Das ist gefährlich. | |
Co-Eltern haben bisweilen so einen gewissen Liebes-Realismus. Sie erwarten | |
nicht überzogen viel von den anderen Eltern. Sie vergewissern sich, worum | |
es im Kern geht: Zuverlässigkeit, Dauerhaftigkeit, Füreinander-Dasein. Sie | |
sind manchmal einfach ein bisschen unaufgeregter. | |
9 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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