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# taz.de -- Familien mit mehr als zwei Eltern: Alles andere als kompliziert
> Statt lesbische Mütter gleichzustellen, wird ihnen eine Beratung
> aufgedrückt. Besser wäre es, endlich Mehrelternschaft anzuerkennen.
Bild: Zwei Frauen. Eine ist nach deutschen Recht die Mutter, die andere nicht
Es wäre ein familienpolitischer Rückschritt sondergleichen: Lesbischen
Paaren soll ab 1. Oktober eine Zwangsberatung vorgeschrieben werden, wenn
sie beide rechtlich die Mütter ihrer in der Ehe oder Lebenspartnerschaft
geborenen Kinder sein wollen. So hat das der Bundestag [1][Ende Mai im
sogenannten Adoptionshilfegesetz beschlossen]. Durchgedrückt hat diese
Familienverhinderungspolitik die CDU/CSU, die sich gern als Familienpartei
geriert.
Zwar hat der Bundesrat, in dem die Große Koalition anders als im Bundestag
keine Mehrheit hat, die Reform Anfang Juli erst mal gestoppt. Doch vom
Tisch ist der Unsinn noch lange nicht. Familienminsiterin Franziska Giffey
(SPD) hat bereits einen neurn Anlauf angekündigt.
Dabei werden homosexuellen Paaren schon jetzt unnötige Hürden in den Weg
gelegt. Zwar wurden sie 2017 durch die Ehe für alle mit Heterosexuellen
gleichgestellt. Anders als diese werden sie [2][dennoch nicht automatisch
beide als Eltern registriert,] wenn eine von ihnen ein Kind bekommt. Dafür
ist immer noch eine langwierige Stiefkindadoption notwendig. Sie muss vor
Gericht durchgefochten werden. Ohne Zustimmung des Jugendamts geht gar
nichts.
Und jetzt soll auch noch die Zwangsberatung durch eine
Adoptionsvermittlungstelle obendrauf kommen. Als ob hier noch irgendwer
irgendwem vermittelt werden müsste.
Familienministerin Giffey hatte im Bundesrat mit dem irren Argument um
Zustimmung gebeten, dass die Adoption bei lesbischen Paaren künftig
wegfallen soll. Dafür hatte tatsächlich schon vor über einem Jahr die
damalige Justizministerin Katarina Barley (SPD) einen Gesetzentwurf zur
Diskussion gestellt, laut dem künftig bei lesbischen Ehepaaren automatisch
beide Mütter werden. Eine super Sache. Doch der Entwurf steckt nicht nur
wegen der Widerstände aus der Union fest. Er zeigt auch, wie schwer sich
selbst fortschrittlich Denkende tun, wenn es um die Akzeptanz von
Regenbogenfamilien geht.
## Das unantastbare Zwei-Eltern-Prinzip
Das Problem zeigt sich in einem zentralen Satz aus dem Justizministerium:
Am sogenannten Zwei-Eltern-Prinzip, heißt es dort, solle festgehalten
werden. Zwar wird zur Kenntnis genommen, dass durch Samen- oder
Eizellenspende oder gar durch die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft
offensichtlich mindestens eine dritte Person an der Werdung des Kindes
beteiligt war. Eine rechtliche Beteiligung von Dritten an der Elternschaft
aber wird definitiv ausgeschlossen. Einzige Begründung dafür: Solche
Konstellationen würden zu kompliziert.
Nur wem wird es hier eigentlich zu kompliziert? Den Beteiligten, die sich
ja in der Regel deutlich bewusster für dieses komplexe Familiengebilde
entscheiden müssen, als es bei Heteros je nötig ist? Oder doch nur den
konservativen FamilienpolitikerInnen, denen der Vorstellungswille fehlt?
Das Festhalten am Zwei-Eltern-Prinzip führt zu unübersehbaren
Widersprüchen. Während bei Lesben dank der Liberalisierung der biologische
Vater ohne Weiteres aus der Verantwortung gekickt werden könnte, bliebe
gleichberechtigte Vaterschaft bei Schwulen weiterhin ausgeschlossen. Denn
die Gebärende soll ohne Wenn und Aber auch rechtlich Mutter bleiben. Für
zwei gleichgestellte Väter bleibt somit gar kein Platz.
## Verzichtbarer Vater, heilige Mutter
Es ist geradezu erschütternd, wie die konservativen Gesellschaftsbilder vom
abwesenden, ja offenbar gar verzichtbaren Vater hier und der heiligen,
unabdingbaren Mutter dort in modernem Familienrecht zementiert werden
sollen.
Dabei gibt es längst unzählige Familien mit zwei, drei, vielen Eltern. Doch
der Staat stellt sich ihnen mit seiner Regelungswut in den Weg, anstatt die
gelebten Realitäten anzuerkennen – und Mehr-Eltern-Familien zuzulassen.
Aber würde andererseits eine solche Öffnung nicht die Rechte lesbischer
Paare wieder schmälern, weil sie den Vater beteiligen müssten? Müsste der
Staat sich nicht noch mehr einmischen, weil er in jedem Einzelfall über das
Recht auf Mitelternschaft entscheiden müsste? Und überhaupt: Würde es nicht
tatsächlich alles sehr kompliziert?
Nein, nein und nein. Im Gegenteil könnte alles sehr einfach sein – wenn man
die Definition der jeweiligen Familie genau denen überließe, die daran
beteiligt sind. Die wissen selbst am besten Bescheid, wie sie es gern
hätten.
Bei heterosexuellen Paaren ist das längst gängige Praxis. Sie definieren
sich entweder durch Heirat als Familie und damit auch als Eltern der später
geborenen Kinder. Oder sie erklären sich selbst zu rechtlichen Eltern durch
die Vaterschaftsanerkennung beim Jugendamt. In beiden Fällen reichen ein
„Ja, ich will“ – und eine Unterschrift. Die biologische Verwandtschaft mit
dem Kind hingegen spielt keine Rolle. Sie wird weder abgefragt noch
nachgeprüft. Zum Glück.
## Eine überfällige Gleichstellung
Übertragen auf homosexuelle Paare hieße das: Wenn zwei miteinander
verheiratete Menschen ein Kind bekommen, sind beide rechtliche Eltern.
Punkt. Und wenn noch ein Dritter – oder eine Vierte, wie es bei der
Koelternschaft von lesbischen und schwulen Paaren nicht unüblich ist –
hinzukommen will, dann erklärt man die erweiterte Elternschaft vor dem
Jugendamt. Fertig. Das wäre die überfällige Gleichstellung sämtlicher
Familienformen.
Was das in der Praxis bedeutet? Welche Rolle die rechtlichen Väter und
Mütter für die Kinder genau spielen? Wer wann für wen da ist? Das müssen
die Eltern selbst herausfinden. Ganz so, wie heterosexuelle Eltern auch.
Staatlicher Regelungsbedarf darüber hinaus ist nur in einem Punkt
vorstellbar: bei der Ermöglichung einer abgestuften oder stellvertretenden
Elternschaft.
Von dem sogenannten „kleinen Sorgerecht“, [3][wie es jüngst wieder die
Grünen forderten], würden nicht nur Regenbogen-, sondern auch die
Patchworkfamilien profitieren, etwa wenn Beteiligte die Möglichkeit
bekämen, im Notfall als Elternteil nachzurücken. Weil es dann tatsächlich
etwas zu entscheiden gäbe, könnte sogar ein Beratungsprogramm Sinn ergeben.
Aber natürlich als Angebot und nicht als Zwang, wie es jetzt für lesbische
Mütter geplant ist.
17 Jul 2020
## LINKS
[1] /Adoptionen-in-Regenbogenfamilien/!5686809
[2] /Wenn-zwei-Lesben-ein-Kind-erwarten/!5656867
[3] /Streit-ueber-Sorgerecht-im-Bundestag/!5700447
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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