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# taz.de -- Eltern in Coronazeiten: Wer Kinder hat, ist selber schuld
> Der Kitaverband verteilt Bastelanleitungen. Im Homeoffice mit Kind geht
> es aber nicht um Freizeitgestaltung, sondern um Arbeitszeitorganisation.
Bild: Keine Idylle: Homeoffice mit Kind
Kinder sind die Ratten dieser Pandemie. Sie sind schuld, deswegen werden
sie weggesperrt. Das muss irgendwie wissenschaftlich bewiesen worden sein,
sonst wären Schul- und Kitaschließungen nicht das einzig wirksame Mittel,
das den Entscheidungsträgern einfällt.
Ach nee, stimmt ja. Sind nicht geschlossen. Eigenverantwortung. Wenn ich
das Wort nur lese, kriege ich Lust, jemandem Dinge an den Kopf zu tackern.
Nein.
Schon recht.
Man muss das verstehen.
Kinder erwirtschaften keinen ökonomischen Mehrwert, deswegen haben sie
keine Rechte und keine Lobby. So ist das nun mal. Wer Kinder hat, ist
selber schuld (Kondome!).
Beim ersten Lockdown im Frühjahr war ich mit meinem Sohn im Park. Er hatte
einen Wutanfall. Ein mittelaltes Pärchen ging vorüber und ich hörte, wie
der eine zum anderen sagte: „Jetzt wo sie mal allein mit ihnen
zurechtkommen müssen, merken sie plötzlich, dass ihre Wunschkinder doch gar
nicht so entzückend sind, wie sie dachten.“
Ich war sehr betroffen. Damals hab ich solchen Schwachsinn noch geglaubt.
Mittlerweile habe ich mich in das Thema eingelesen. Meine Mutter hat
nämlich Mitte der Neunziger ein Se-minar an der Humboldt-Uni dazu gegeben.
Literaturwissenschaft. Thema: Mütter. Ich hab den Handapparat hier.
Die französische Philosophin Elisabeth Badinter zum Beispiel schreibt: „Die
Mutterliebe ist so häufig als etwas Instinkthaftes bezeichnet worden, dass
wir gern glauben, ein solches Verhalten sei unabhängig von Raum und Zeit in
der Natur der Frau verankert. Wir meinen, dass jede Frau, wenn sie Mutter
wird, die Antworten auf alle Fragen, die ihr neuer Zustand aufwirft, in
sich selbst findet.“
Tatsächlich ist Mutterliebe (wie das Konstrukt Kindheit und die sie
umgebende bürgerliche Familie) eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts.
Vorher haben die meisten Frauen ihre Kinder entbunden und in die Obhut
Dritter gegeben, denen nicht gerade ohne Narkose ein menschlicher Kopf den
Unterleib aufgerissen hatte.
2015 schreibt Anke Stelling in „Bodentiefe Fenster“ über familiäre
Verantwortung: „Tom macht es so, dass er Isa nicht hilft. Niemals. Bei
nichts. ‚Du wolltest die Kinder‘, sagt er.“
Die deutsche Politik macht es wie Tom: Ihr wolltet Kinder, also kümmert
euch um sie. Frau Scheeres wedelt schon wieder mit Systemrelevanzzetteln,
wenn wir nicht aufhören, die Notfallbetreuung in Anspruch zu nehmen. Weil
es ja nicht angehen kann, dass man von Homeoffice und Kinderbetreuung
überfordert ist.
Es wird euch vielleicht überraschen, aber ich schreibe meine Texte nicht,
während ich auf dem Klo sitze.
## Danke für die Basteltipps …
Im Elternbrief des Kitaverbandes stehen Bastelanleitungen, um sich die Zeit
mit dem Kind schön zu machen. (Wo ist mein Tacker!?) Es geht hier nicht um
Freizeitgestaltung, es geht um Arbeitszeitorganisation!
Die Vorschläge der Politik enthüllen zudem die eklatante Geringschätzung
pädagogischer Arbeit. Wie anders kann von Menschen, die einer Beschäftigung
nachgehen, die täglich mindestens acht Stunden ihrer Zeit in Anspruch
nimmt, verlangt werden, dass sie gleichzeitig die Arbeit der Pädagogen
leisten, die ebenfalls ein vollwertiger Ausbildungsberuf ist?
Es ist kein Zeichen von Herzlosigkeit, wenn man Aggressionen gegen seine
Kinder entwickelt, es ist ein Zeichen von Überforderung. Die Hilflosigkeit
der Eltern ist weder eingebildet, noch lässt sie sich wegdiskutieren. Sie
ist politisch gewollt, weil billigend in Kauf genommen – ohne Lohnausgleich
und ohne Alternative.
Vielleicht könnte man statt der Wege zur Kinderbetreuung endlich die
Fahrten zu externen Arbeitsplätzen unterbinden, Büros und Fabriken
schließen, Dienstreisen verbieten. Die meisten Schulen und Kitas sind zu
Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar.
Damit würde die allgemeine Mobilität weit deutlicher eingeschränkt als mit
einem Bannkreis von 15 Kilometern um Berlins Landesgrenze. (Auweia, ich
darf nicht mehr nach Strausberg!)
Man könnte einfach das Kindeswohl zur Priorität erklären und Konzepte
ausarbeiten, die wirklich zur Pandemiebekämpfung beitragen – ohne dass
große Teile der unter 18-Jährigen einfach sich selbst und der Willkür ihrer
Eltern überlassen bleiben.
17 Jan 2021
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Kolumne Immer bereit
Homeoffice
Homeschooling
Mutterschaft
Eltern
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Kitas
Schwerpunkt Coronavirus
Lockdown
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