# taz.de -- Regenbogenfamilien in Deutschland: Vater, Mutter, Mutter, Kinder | |
> Alternative Familienmodelle werden in Deutschland immer häufiger, aber | |
> haben bürokratische Hürden. Karo, Lisa und Sören haben gemeinsam zwei | |
> Kinder. | |
Bild: Nils, Sören, Karo und Lisa mit den beiden Söhnen, fotografiert am 17.09… | |
Wenn Karo und Lisa mit ihren Kinderwagen spazieren gehen, denken die | |
Passant:innen wahrscheinlich, zwei befreundete Mütter kreuzen ihren Weg, | |
kaum jemand, dass es sich um eine Familie handelt. Karo und Lisa sind | |
verheiratet und im vergangenen Jahr beide Mutter geworden. Im Abstand von | |
13 Tagen kamen Lukas und Anton zur Welt, vom selben Vater – einem | |
gemeinsamen Studienfreund, der selbst mit einem Mann zusammenlebt. | |
Zusammen bilden sie seit einem Jahr [1][eine sogenannte Regenbogenfamilie], | |
laut Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eine „Familie, in der | |
mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder | |
transgeschlechtlich lebt“. Geschätzt leben in Deutschland rund 12.000 | |
Regenbogenfamilien, konkrete Zahlen gibt es nicht. Erhebungen werden vor | |
allem dadurch erschwert, dass viele solcher queeren Familien das Sorgerecht | |
unter sich ausmachen. Offizielle Regelungen oder gar ein gemeinsames | |
Sorgerecht für mehr als zwei Elternteile gibt es in Deutschland nicht. | |
Karo, Lisa und Sören haben den offiziellen Adoptionsprozess durchgeführt. | |
Karo und Lisa sind die rechtlichen Eltern. Sören ist „der Papa“, wenn auch | |
nicht auf dem Papier. Die drei sprechen gerne über ihre Erfahrungen mit | |
ihrer Familienkonstellation, auch um sie mit Menschen zu teilen, die selbst | |
eine Regenbogenfamilie gründen möchten, und diese miteinander zu vernetzen. | |
„Wir sind zwei Frauen, die zusammenleben, wir wünschen uns Kinder, wir | |
müssen dazu einen Partner finden, der sich mit uns wohlfühlt“, erzählt Karo | |
von den Anfängen. Sören und Lisa kennen sich schon seit über acht Jahren | |
und auch das Thema Familie kam nicht unerwartet: „Es war immer wieder mal | |
ein Partythema“, erzählt Sören. „Wäre witzig, wenn wir Kinder hätten, h… | |
wir immer gemeint.“ Auf Lisas und Karos Hochzeit kamen von weiteren | |
Freunden Angebote, halb im Scherz, halb im Ernst. Ein halbes Jahr später | |
entschieden sich die beiden dann, auf Sören zuzugehen. | |
## Workshops für Regenbogenfamilien | |
Bei allen kam die Frage auf: „Was müssen wir denn so wissen?“ Um das zu | |
beantworten, nahmen sie zu dritt an einem Regenbogenfamilien-Workshop in | |
der Nähe von Göttingen teil – in der Akademie Waldschlößchen, einer queer… | |
Volksbildungsstätte. Dort trafen sie eine Familie mit zwei Frauen, einem | |
Mann und einem Kind und tauschten sich aus. Auch Bürokratisches, die | |
Adoption oder mögliche Reaktionen auf peinliche Fragen wurden besprochen, | |
aber auch, wie man selbst zu Religion, Taufe oder veganem Essen steht. | |
Themen eben, die es bei jeder Kinderplanung zu besprechen gibt. Das | |
Wochenende überzeugte die drei, ihre Idee in die Tat umzusetzen. | |
Sie entschieden sich für die sogenannte Bechermethode. „Bedeutet, wir | |
hatten keinen Sex miteinander, wir haben das Sperma überführt in eine | |
Spritze und damit dann weiter in die Vagina“, erklärt Karo. Ob sie nicht | |
über eine medizinisch unterstützte künstliche Befruchtung nachgedacht | |
hätten? „Wir sind alle drei Biologen und dachten uns, die Natur findet | |
ihren Weg. Wir haben uns entspannt, was getrunken und einen albernen Film | |
geguckt.“ Die aktiven Treffen, um Kinder zu zeugen, seien total merkwürdig | |
gewesen, meint Sören. Irgendwann habe man sich aber daran gewöhnt. Nach | |
etwa einem Jahr klappte es schließlich – sehr wahrscheinlich am selben Tag | |
bei beiden. | |
## Ärztliche Unterstützung nicht unbedingt nötig | |
„Regenbogenfamilien brauchen nicht unbedingt ärztliche Unterstützung“, sa… | |
Markus Ulrich, Pressesprecher des LSVD. Viele Frauen führen die | |
Insemination ohne ärztliche Hilfe durch. Für gleichgeschlechtliche Paare, | |
die Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden, ist eine medizinisch | |
unterstützte Befruchtung jedoch notwendig. Diese kostet pro Versuch bis zu | |
5.000 Euro und wird per Gesetz nicht von der Krankenkasse übernommen. | |
Oft sind Ärzt:innen nicht bereit, diese durchzuführen. [2][Zwar ist sie | |
für Paare gleichen Geschlechts nicht verboten], jedoch auch nicht | |
ausdrücklich erlaubt. Die meisten durchführenden Ärzt:innen orientieren | |
sich an den Richtlinien ihrer jeweiligen Ärztekammer. Momentan erlaubt nur | |
die Hamburger Ärztekammer diese für gleichgeschlechtliche Paare explizit. | |
Wer es sich leisten kann, gehe ins Ausland, wie zum Beispiel nach | |
Frankreich. | |
## Auch Vaterrolle besprochen | |
Bei der Familienplanung war wichtig, von vornherein auch Sörens Rolle als | |
Vater zu besprechen. Da er Medizin im Zweitstudium studiert und nebenher | |
arbeitet, wussten alle von Anfang an, dass er wenig Zeit haben würde. „Du | |
kannst da sein, wann immer du kannst und möchtest. Du hast aber keine | |
Verpflichtungen, weder finanzieller Natur noch beziehungstechnisch“, war | |
die Verabredung. Gegenüber den Kindern ist er „der Papa“ und sieht sich auf | |
jeden Fall auch als solcher: „Ich mag den Begriff Samenspender gar nicht. | |
Das klingt so steril und unromantisch. Ich fühle mich als Papa, wie jeder | |
frischgebackene Vater – verunsichert, sehr glücklich.“ | |
Wann immer er Zeit hat, fahre er aus Göttingen zu der Familie nach Hamburg. | |
Während der Schwangerschaft lernte Sören seinen Partner Nils kennen, der | |
nun auch von Anfang an Teil der Familie ist. | |
## Alle kümmern sich um alle | |
Im Alltag lautet bei den Müttern der Plan: Alle Erwachsenen kümmern sich um | |
alle Kinder. Ohne Unterschiede. Vor den Kindern selbst nennen sich beide | |
„Mama“. Sie wollen es ihnen selbst überlassen, sich irgendwann | |
unterschiedliche Namen zu überlegen. „Vielleicht habe ich irgendwann einen | |
Fleck im Gesicht und dann bin ich die mit dem Fleck im Gesicht“, lacht | |
Karo. Ein großer Vorteil ihrer Familie sei es, dass schon während der | |
Schwangerschaft absolutes Verständnis für die andere da war, da man | |
miteinander sowohl dieselben Probleme als auch dieselben Glücksmomente | |
teilen konnte. | |
Um rechtlich gesehen die Eltern beider Kinder zu sein, mussten Karo und | |
Lisa „quer adoptieren“, das heißt, jeweils das leibliche Kind ihrer Frau | |
adoptieren. Damit sind sie mittlerweile durch. Ein formaler Aufwand, finden | |
sie, der das Einverständnis des Vaters benötigte und dessen Kosten im | |
mittleren dreistelligen Bereich lagen. | |
## Viele haben Angst vor dem Adoptionsprozess | |
Karo erzählt, dass viele Regenbogenfamilien große Angst vor dem | |
Adoptionsprozess hätten. „Sie vermuten, dass die Leute vom Jugendamt ihnen | |
nicht gewogen sind“, erklärt sie. „Es gibt urbane Mythen darüber, dass man | |
den Vater besser gar nicht erst in die Geburtsurkunde einträgt.“ In ihrem | |
Fall sei der Prozess aber sehr einfach und gut verlaufen. Dafür sei es | |
wichtig, ein freundliches, offenes Miteinander zu wählen, findet Karo. | |
Laut Doris Achelwilm, die als Sprecherin der Fraktion Die Linke für | |
Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik im Bundestag sitzt, müsse die | |
Elternschaftsanerkennung für alle Elternpaare unabhängig vom Geschlecht des | |
zweiten Elternteils gelten. Zwei-Mütter-Familien würden in dieser Hinsicht | |
diskriminiert, da die Kinder in eine nachteilige, rechtsunsichere Situation | |
hineingeboren würden. | |
## Diskriminierende Formulare | |
„Schon, dass man nicht selbst angeben kann in diesem Formular im | |
Krankenhaus, wer denn jetzt die Eltern des Kindes sind, sondern dass es nur | |
die Varianten ‚Vater und Mutter‘ gibt, ist diskriminierend“, findet Karo. | |
„Wir haben uns dann trotzig, wie wir sind, mit Geburtsmutter und Co-Mutter | |
eingetragen. Das wurde dann aber von der Stadt nicht übernommen.“ In einer | |
für sie perfekten Welt würde auf den Formularen stehen: „Welche sind die | |
rechtlichen Eltern?“ | |
Die größte Benachteiligung, die Karo seit der Geburt ihres Kindes erlebt | |
hat, habe sich jedoch gar nicht auf ihre Familienkonstellation oder | |
sexuelle Orientierung bezogen. „Ich wurde bisher ausschließlich | |
benachteiligt, weil ich Mutter bin“, betont sie. Es erschwere die Suche und | |
das Halten einer Arbeit, wenn man sich nebenher noch um seine Kinder | |
kümmere und nicht direkt einen Vollzeitjob annehmen möchte. „Das heißt, | |
eine doppelte Benachteiligung, weil wir zwei Mütter sind. Aber das liegt | |
nicht an unserem Konzept, sondern an jeder einzelnen von uns.“ | |
## Eine Kopfentscheidung | |
Die Familie hofft, mit ihrem Modell ein Blaupausenbeispiel geben zu können: | |
„Ich wollte das an die Öffentlichkeit bringen, weil ich gemerkt habe, dass | |
es häufig Konflikte darüber gibt, wer denn jetzt das Kind bekommt. Warum | |
denn das Kind? Es können ja auch mehrere Kinder sein, indem man versucht, | |
gleichzeitig schwanger zu werden“, sagt Karo. | |
Vieles ist bei der jungen Familie wie in jeder Familie. Jedoch: „Vorteil | |
ist bei uns, dass wir alles bewusst entschieden haben. Uns konnte nicht | |
passieren, dass nach einer Party das Kondom geplatzt ist“, so Sören. Ihre | |
Familienentscheidung war vor allem eine Kopfentscheidung. | |
8 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Aufwachsen-in-Regenbogenfamilien/!5717262 | |
[2] https://www.lsvd.de/de/ct/1372-Ratgeber-Kuenstliche-Befruchtung-bei-gleichg… | |
## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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