| # taz.de -- Familie und Koalitionsvertrag: Vier Eltern und ein Knirps | |
| > Die Ampel definiert in ihrem Koalitionsvertrag Geschlecht und Familie | |
| > neu. Frauen und Queers soll der Respekt gezollt werden, der allen | |
| > zusteht. | |
| Bild: Aufwachsen mit neuen familienpolitischen Idealen | |
| Ganze 16 Jahre lang klammerte sich die bundesdeutsche Frauen- und | |
| Familienpolitik an vergangene Ideale. Politisch bevorzugtes Geschlecht war | |
| der heterosexuelle Mann, Familienideal Vater-Mutter-Kind. Dass es überhaupt | |
| zwei große Erfolge gab, wurde aus der Opposition heraus und gegen | |
| Widerstand beziehungsweise Desinteresse der Regierung mühsam erkämpft: Die | |
| Ehe für alle und im Sexualstrafrecht „[1][Nein heißt Nein]“. | |
| Ansonsten gewährte zuletzt die Groko ein wenig mehr Gewaltschutz, ein klein | |
| wenig Rückkehrrecht Teilzeit auf Vollzeit und ein bisschen Quote. Bei all | |
| dem entstand der Eindruck, es seien Zugeständnisse an eine dauernervende | |
| Klientel, und die sollte sich dann bitte auch mal zufrieden geben. Nimmt | |
| die Ampel ernst, was sie verspricht, dürfte sich nun das Selbstverständnis | |
| grundlegend ändern, mit dem alle Geschlechter adressiert werden. | |
| Trans und inter Personen sprechen die neuen Koalitionär:innen im | |
| Vertrag an – auf der Ebene der Rechte und Bedarfe. Dass auch Frauen mit | |
| Behinderung und Geflüchtete ein Recht auf Gewaltschutz haben, war politisch | |
| bisher keineswegs selbstverständlich. Und dass das | |
| [2][Transsexuellengesetz] fällt, ist unter menschenrechtlichen | |
| Gesichtspunkten eine Erleichterung sondergleichen. Das progressive | |
| Verständnis von Geschlecht und Familie ist auch ein Erfolg von Bewegung und | |
| Zivilgesellschaft. | |
| Da brach sich bereits einiges Bahn, was die Groko zu unterdrücken versuchte | |
| – und zumindest die Grünen waren für außerparlamentarisches | |
| Expert:innentum offen. Gegen den [3][Paragrafen 219a] gingen Tausende | |
| auf die Straße, nun soll er abgeschafft werden. Mütter fanden sich in | |
| Initiativen für gewaltfreie Geburten zusammen, Hebammen streikten, weil sie | |
| zu viele Frauen gleichzeitig betreuen mussten und um deren Gesundheit und | |
| Leben fürchteten. | |
| Nun soll „Gesundheit rund um die Geburt“ Wirklichkeit werden. [4][Das | |
| Bündnis Istanbul-Konvention], in dem sich rund 20 | |
| Frauenrechtsorganisationen zusammenschlossen, prangerte die mangelhafte | |
| Umsetzung der Gewaltschutzkonvention an und forderte Strategie und | |
| Koordination – beides soll kommen. Und lesbische Paare stritten vor Gericht | |
| dafür, sich keine Fragen mehr nach ihrem Sexualleben stellen lassen zu | |
| müssen, um [5][Mutter des eigenen Kindes] werden zu dürfen. | |
| Bei verheirateten Paaren soll das künftig automatisch der Fall sein, | |
| weitere Betreuende sollen das kleine Sorgerecht bekommen können. In Bezug | |
| auf reproduktive Rechte könnte diese Legislatur der behutsame Beginn eines | |
| gesundheitspolitischen Paradigmenwechsels werden, in dem das Recht auf den | |
| eigenen Körper im Mittelpunkt steht. | |
| Zwar bleibt der Paragraf 218 – doch die Absicht, Abbrüche in der ärztlichen | |
| Ausbildung zu verankern und sie kostenfrei anzubieten, ist auf dem Weg zu | |
| einer Enttabuisierung nicht zu unterschätzen. Und ein volles Verbot von | |
| Konversionsbehandlungen zur „Heilung“ von Homosexualität zu prüfen und | |
| hebammengeleitete Kreißsäle zu unterstützen, sind zumindest Signale, dass | |
| Frauen und Queers langfristig die respekt- und würdevolle Behandlung | |
| bekommen könnten, die allen Menschen zusteht. | |
| Längst nicht alles wurde geschafft: Das [6][Ehegattensplitting] etwa | |
| bleibt, auch wenn die Steuerlast bei Paaren gerechter verteilt werden soll. | |
| Einiges bleibt vage: wie die Lohnlücke geschlossen werden soll zum | |
| Beispiel. Doch bei vielen angepeilten Veränderungen wird es nicht lange | |
| dauern, bis sie gesellschaftliche Selbstverständlichkeit geworden sind. | |
| Vorausgesetzt, es wird umgesetzt, was angekündigt wird. | |
| Manches kann schnell gehen und kostet wenig: Den Paragrafen 219a zu | |
| streichen, wird vergleichsweise einfach. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt | |
| zu entwickeln schon schwerer. Andere Projekte sind als geradezu hehre Ziele | |
| formuliert. Die Istanbulkonvention soll „vorbehaltlos und wirksam“ | |
| umgesetzt werden. Und Gleichstellung, so der Anspruch, müsse „in diesem | |
| Jahrzehnt“ erreicht werden. Besser hehre Ziele als zu wenige, doch die | |
| finanzpolitische Leerstelle klafft. | |
| Den Bund an der Finanzierung von Frauenhäusern zu beteiligen, präventive | |
| Täterarbeit im Gewaltschutz auszubauen, Gesetze einem Gleichstellungscheck | |
| zu unterziehen und sie im Zweifel anzupassen, eine 1:1-Betreuung durch | |
| Hebammen während der Geburt zu garantieren, eine Steuergutschrift für | |
| Alleinerziehende einzuführen und die [7][Kindergrundsicherung]: All das | |
| wird bislang nicht beziffert. All das wird teuer. Er kündigt eine | |
| Zeitenwende an. Endlich besteht die Chance, dass Politik und Wirklichkeit | |
| gemeinsame Sache machen. | |
| 3 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nein-heisst-nein-im-Sexualstrafrecht/!5342784 | |
| [2] /Verschiebung-des-Transsexuellengesetzes/!5770060 | |
| [3] /Schwerpunkt-Paragraf-219a/!t5480560 | |
| [4] https://www.buendnis-istanbul-konvention.de/ | |
| [5] /Adoptionsrecht-fuer-lesbische-Paare/!5739956 | |
| [6] /Adoptionsrecht-fuer-lesbische-Paare/!5739956 | |
| [7] /Ampel-Plaene-fuer-Hartz-IV-Reform/!5805525 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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