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# taz.de -- Diskriminierung im öffentlichen Dienst: Wie der Staat Mutterschaft…
> Wer im öffentlichen Dienst arbeitet und Elternzeit nimmt, muss die Zeit
> nacharbeiten, um eine höhere Lohngruppe zu erreichen. Britta J. klagt
> dagegen.
Bild: Selbst vom Staat wird Care-Arbeit sanktioniert
Hamburg taz | Als Britta J. nach ihrer [1][Elternzeit] im Oktober 2021
zurück in ihren Job kehrt, erhält sie einen Brief, der sie sehr, sehr
wütend macht. Normalerweise wäre sie in wenigen Monaten in eine höhere
Entgeltstufe ihres Lohntarifs eingestuft worden. J. arbeitet bei der
Hamburger Sozialbehörde, sie wird nach dem Tarifvertrag des öffentlichen
Dienstes der Länder (TV-L) bezahlt. Nach sechs Jahren als Angestellte
müsste sie von Stufe drei auf Stufe vier befördert werden und 363 Euro mehr
im Monat verdienen.
Die Höherstufung verzögere sich um ein Jahr, teilt ihre Arbeitgeberin ihr
mit. Der Grund dafür sei ihre Elternzeit. Schließlich habe J. in dieser
Zeit ihren Erfahrungsschatz nicht vergrößern können und ihre Fähigkeiten
nicht weiterentwickelt, wie dies in der Arbeitszeit der Fall gewesen wäre.
J. fühlt sich als Frau und Mutter diskriminiert. „Es kann nicht sein, dass
wir Frauen dafür sanktioniert werden, dass wir einen Karriereknick in Kauf
nehmen und die unsichtbare Care-Arbeit machen, während wir in der
Elternzeit schon auf einen Teil unseres Gehalts verzichten!“
Noch immer nehmen in Deutschland weitaus mehr Frauen Elternzeit als Männer:
Im Jahr 2022 beantragten Mütter durchschnittlich 14,6 Monate Elternzeit,
Väter dagegen nur 3,6 Monate. Wer Elterngeld bezieht, bekommt statt der
vollen Summe des vorherigen Einkommens nur 65% Prozent davon. Ein Kind zu
bekommen, wirkt sich vor allem auf Mütter armutsgefährdend aus.
## Mütter nehmen mehr Elternzeit
Eine [2][Studie der Bertelsmann-Stiftung] von 2020 bemisst das Lohn-Gap:
Mütter erwirtschaften in ihrem Leben durchschnittlich 40 Prozent weniger
Einkommen als kinderlose Frauen. Bei drei oder mehr Kindern sind es fast 70
Prozent weniger. Diese Lohnlücke nennt man Motherhood Lifetime Penalty.
J. fragt bei ihrer Arbeitgeberin nach, ob verzögerte Höherstufung aufgrund
der Elternzeit wirklich so vorgesehen sei. Ja, so stehe es im Tarifvertrag,
antwortet man ihr. Auch der Personalrat muss feststellen: Da ist nichts zu
machen. J. möchte das nicht hinnehmen und reicht Klage gegen die Stadt ein.
„Es geht mir nicht primär [3][um mein Geld]“, sagt sie. Die 41-Jährige, d…
selbst Juristin ist, sehe sich in der moralischen Pflicht, gegen die
Diskriminierung vorzugehen. Zwar ist J. alleinerziehend mit zwei Kindern.
Aber sie habe einen sicheren Job, eine Rechtsschutzversicherung und ihre
Eltern, die hinter ihr stünden und sie finanziell mit der Klage
unterstützten. „Es gibt viele Frauen, die nicht die Ressourcen haben, sich
auf so einen Rechtsstreit einzulassen“, sagt sie. „Da ich es kann, muss ich
es tun, auch für andere Frauen.“
Im Januar dieses Jahres kommt es zu einem ersten Gütetermin vor dem
Arbeitsgericht, der ergebnislos endet. Das sei erwartbar gewesen, sagt J.s
Anwältin Friederike Boll. Hamburg könne nicht im Alleingang den
Tarifvertrag der Länder ändern. Würde J. Recht bekommen, hätte das nicht
nur Auswirkungen auf alle nach Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes in
Hamburg Angestellten, sondern auch auf die in anderen Bundesländern. Der
Tarifvertrag TV-L gilt für alle Bundesländer außer Hessen.
Am Donnerstag steht der Kammertermin vor dem Arbeitsgericht an. Obwohl ein
Urteil am gleichen Tag zu erwarten ist, wird das Thema damit nicht erledigt
sein. Für J. und ihre Anwältin ist klar, dass sie durch alle Instanzen
gehen wollen.
## Elternzeit erhöht Qualifikationen
Und auch die Gegenseite wird eine Niederlage nicht hinnehmen. Der Leiter
des Personalamts der Stadt, Volker Wiedemann, bestätigte gegenüber der taz,
dass Hamburg nicht eigenständig den Tarifvertrag anpassen könne. Die Idee
der Regelungen im Tarifvertrag sei zudem ausdrücklich ein
diskriminierungsfreies Eingruppierungsrecht. „Es soll nicht die reine Dauer
der Zugehörigkeit zu einer Dienststelle oder das Alter entscheidend sein,
sondern die Erfahrungen und Entwicklungen, die im aktiven Arbeitsverhältnis
erworben werden“, erklärt Wiedemann.
J.s Anwältin Friederike Boll hält diese Argumentation nicht nur unter
Aspekten der Gleichberechtigung für falsch, sondern auch inhaltlich. „Es
gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Personen in der Elternzeit
Qualifikationen erwerben, die ihnen im Job nützen“, sagt sie. So seien
Eltern oft besonders gut im Multitasking, im Zeitmanagement und im
Aufbringen von Geduld und Empathie.
Mittlerweile ist J. in die nächste Gruppe des Tarifs aufgestiegen – nur
eben mit einem Jahr Verspätung. Trotzdem – die Verzögerung wirkt sich auf
die Rente aus und würde auch im Falle einer Arbeitslosigkeit ein geringeres
Entgelt ergeben. J. sieht die Politik in der Pflicht, den Missstand zu
beheben. Sie könne verstehen, dass es für den Staat schwierig ist, [4][in
puncto Gender-Pay-Gap] auf die freie Wirtschaft einzuwirken. „Aber ich bin
im öffentlichen Dienst! Wenn der Staat da nicht tätig wird, ist das Gerede
von Gleichberechtigung heuchlerisch.“
24 Apr 2024
## LINKS
[1] /Elternzeit-fuer-Hannovers-OB/!5920296
[2] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/200616_Kurz…
[3] /Equal-Pay-Day/!5993651
[4] /Equal-Pay-Day/!5993651
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Geschlechterdiskriminierung
Gender Pay Gap
Mutterschaft
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Lesestück Recherche und Reportage
Kolumne Kinderspiel
Vatertag
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