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# taz.de -- Ungerechtigkeit in der Elternschaft: Vatertag ist Protesttag
> Was Kindersorge angeht, beteiligen sich Väter immer noch weniger als
> Mütter. Der Vatertag könnte ein Anlass für Proteste sein.
Bild: Väter sollten am Vatertag demonstrieren, statt mit Bier in Polonaisen du…
Am Donnerstag ist der Tag des Bollerwagens, auch bekannt als Herren- oder
Vatertag. Ein „Brauchtum zu Ehren der Väter“, heißt es auf Wikipedia.
Leider gibt es da 2024 weder viel zu ehren noch zu feiern. Denn die
Mehrheit der Väter beteiligt sich auch heute nicht gleichberechtigt an der
Kindersorge. Das mag einerseits oft am mangelnden Willen einiger Männer
liegen. Andererseits scheitern diejenigen, die gerne würden, häufig an
finanziellen und strukturellen Hürden. Für eine gleichberechtigte
Elternschaft braucht es daher dringend politische Veränderungen – und
Väter, die diese fordern.
18 Prozent aller Familien in Deutschland sind derzeit alleinerziehend. In 9
von 10 Fällen ist das, [1][dem Bundesfamilienministerium zufolge], die
Mutter – das macht 1,33 Millionen alleinerziehende Frauen im letzten Jahr.
Der [2][Mikrozensus] belegt, dass Alleinerziehende unter allen
Haushaltstypen mit Abstand am häufigsten von Armut bedroht. Studien zeigen
zudem, dass sie einer besonders [3][hohen gesundheitlichen und psychischen
Belastung] ausgesetzt und anfälliger für Krankheit sind.
In Partnerschaften sieht es nicht viel besser aus: Im Väterreport, in dem
das Familienministerium jährlich die Lebenslagen und Einstellungen von
Vätern in Deutschland untersucht, hieß es 2023 irritierenderweise in
lobendem Ton, dass mittlerweile jeder zweite Vater gern die Hälfte der
Betreuung übernehmen würde. Doch wo das Ministerium den Willen lobt, fehlt
scheinbar der Weg: Denn tatsächlich umsetzen tut das, so der Bericht
weiter, nur jeder fünfte Mann. Noch immer übernehmen Mütter demnach einen
Großteil der Sorgearbeit, gehen deutlich länger in Elternzeit und arbeiten
häufiger in Teilzeit.
Die Folgen lassen sich in Zahlen messen: [4][Einer Studie der Bertelsmann
Stiftung] von 2020 zufolge, verdienen Mütter im Schnitt 40 Prozent weniger
als kinderlose Frauen und sind damit, gepaart mit der generellen
Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern, von einer doppelten
Ungleichheit betroffen. Männer hingegen verzeichnen keinen signifikanten
Einkommensverlust, wenn sie Väter werden. Im Vergleich zeigt sich das
drastisch: Erst im April belegte eine [5][Studie des Netzwerks EconPol
Europe], dass 30-jährige Mütter im Schnitt 70 bis 80 Prozent weniger
verdienen als gleichaltrige Väter.
## Zutiefst ungerecht
Heterosexuelle Elternschaft ist 2024 noch immer zutiefst ungerecht und
führt viele Frauen in die finanzielle Abhängigkeit von ihren Partnern. Was
das bedeutet, liegt auf der Hand: Sie können gewalttätige Beziehungen
schwieriger verlassen, Lebensentscheidungen weniger frei treffen, kassieren
am Ende weniger Rente. Dem [6][Statistischen Bundesamt zufolge] liegt die
Gender Pension Gap, also der Unterschied zwischen der durchschnittlichen
Rente eines Mannes und der einer Frau, derzeit bei rund 40 Prozent.
All das sind Zahlen, die längst anders sein könnten. Denn Familienpolitik
könnte diesen gravierenden Ungleichheiten entgegenwirken. Leider gibt es
hier einiges Nachholbedarf. Denn auch wenn Maßnahmen wie das Elterngeld dem
Familienministerium zufolge explizit keine „klassische Sozialleistung“,
sonder[7][„Familienleistung und Gleichstellungsinstrument“] sind, fördern
sie derzeit eher eine traditionelle Arbeitsteilung.
Eine der zentralen staatlichen Leistungen für junge Eltern ist das
Elterngeld. Es soll Verdienstausfälle in der Zeit nach der Geburt
kompensieren und wird am vorherigen Einkommen der Eltern gemessen. Das
Konzept wird häufig kritisiert, da es die Versorgungslage der Kinder an das
Einkommen der Eltern koppelt, anstatt eine faire Grundsicherung zu
schaffen.
Vor allem aber hat sich die Höhe der Zahlung seit der Einführung vor 17
Jahren nicht verändert. Der Mindestsatz liegt unverändert bei 300, der
Höchstsatz bei 1.800 Euro. Eine Summe, die insbesondere heute, mit
Inflation und Kaufkraftverlust, nicht reicht, um Windeln, Babynahrung,
Kleidung und Ausstattung, eben all die zusätzlichen Kosten eines Kindes zu
decken.
## Eine Frage des Willens
Für viele Familien bedeutet der Wertverlust, dass die Person mit dem
höheren Einkommen ihren Job nicht mehr pausieren kann. Schlicht, weil das
Geld sonst nicht reicht. In einer Hetero-Partnerschaft ist nach wie vor
meist der Vater der Mehrverdiener. Rein finanziell sind also viele
Familien, gerade jene, die wenig Elterngeld beziehen, darauf angewiesen,
dass der Vater weiter arbeiten geht.
Gutverdienende Familien haben in der Regel durchaus die Kapazität, für die
Elternschaft zu sparen oder den Lebensstandard zu senken und sich so durch
die Zeit bis zum Kitaplatz zu finanzieren. Bei diesen Haushalten ist die
gleichberechtigte Elternzeit längst eine Frage des Willens. Auf der einen
Seite gibt es also zu wenig väterliche Bereitschaft, auf der anderen Seite
zu wenig Geld oder zu wenig von beidem.
Ein weiteres Problem liegt in der Elternzeit. Eltern eines Neugeborenen
können sich gemeinsam maximal 14 Monate nehmen, in denen sie Elterngeld
beziehen und Kündigungsschutz haben, davon jedoch nur einen Monat
gleichzeitig. Die restlichen müssen sie unter sich aufteilen. Wenn die
Mutter also nach sieben Monaten nicht wieder arbeiten gehen will oder nicht
kann, etwa weil sie noch stillt, kann der Vater im Anschluss gar nicht mehr
die gleiche Elternzeit anhängen.
## Jedes fünfte Kind von Armut betroffen
Wer mehr Zeit will, muss sie selbst finanzieren. Und so nahmen Frauen, dem
Väterreport zufolge, 2022 durchschnittlich 14,6 Monate Elternzeit, Männer
nur 3,6 Monate – von den [8][44 Prozent], die sie überhaupt in Anspruch
nahmen.
Elterngeld und Elternzeit sind wichtige Hebel. Um eine tatsächliche
Gleichberechtigung von Eltern zu erreichen, bräuchte es aber eine ganze
Reihe politischer Maßnahmen: Berufe mit hohem Frauenanteil dürfen nicht
mehr systematisch abgewertet werden.
Es braucht eine bessere Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit, etwa
Löhne, die auch in Teilzeit zum Leben und für die Altersvorsorge reichen,
zudem mehr Kitaplätze, mehr bezahlbaren Wohnraum und eine gut umgesetzte
Kindergrundsicherung. Und es gilt, die Vermögens- und Einkommensschere zu
hinterfragen, die dafür sorgt, dass [9][jedes fünfte Kind von Armut
betroffen] ist.
Es gibt konkrete Maßnahmen, die etappenweise Verbesserungen schaffen. Diese
Änderungen kommen jedoch nicht von allein – sie müssen gefordert werden.
Besonders all jene Männer, die gern mehr Vater wären, als sie es sind, sind
hier in der Pflicht. Für politische Änderungen muss man laut werden. Der
Vatertag wäre dafür doch mal ein guter Anlass.
8 May 2024
## LINKS
[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/chancen-und-teilhabe-fuer-famil…
[2] https://www.rnd.de/politik/armutsrisiko-fuer-kinder-und-alleinerziehende-el…
[3] https://link.springer.com/article/10.1007/s00127-022-02371-2
[4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/200616_Kurz…
[5] https://www.econpol.eu/publications/forum-2024-2-institutions-across-the-wo…
[6] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Gleichstellungsindikatoren/ge…
[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/neuregelunge…
[8] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/vaeterreport-2023-230376
[9] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/150280/Jedes-fuenfte-Kind-von-Armut-…
## AUTOREN
Livia Sarai Lergenmüller
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