| # taz.de -- Comedienne Helene Bockhorst: Gesunder Mutterhass | |
| > Mangelnder Selbstwert und schlechter Sex bestimmen das Stand-Up-Programm | |
| > von Helene Bockhorst. | |
| Bild: Die Comedienne Helene Bockhorst lacht gern über sich selbst | |
| Helene Bockhorst ist hat lange in Journalismus gemacht, sie hat das sogar | |
| studiert, jetzt aber ist sie seit ungefähr zweieinhalb Jahren | |
| vollberufliche Stand-up-Comedienne, also ungefähr das, was früher einmal | |
| lapidar Kabarettistin genannt wurde. Sie kommt, ähnlich wie Hazel Brugger, | |
| vom Poetry Slam, bedient aber auch das typische Rollenmuster des | |
| Kabaretts, schlüpft also in eine Art Kunstfigur, mit der sie allein und nur | |
| mit einem Mikro bewaffnet auf einer Bühne steht und meist auf eigene Kosten | |
| anzügliche Witze erzählt. | |
| Am Freitag und am Samstag hat sie das schon wieder getan mit ihrem Programm | |
| „Die fabelhafte Welt der Therapie“ im Meringhof-Theater. Und obwohl sie | |
| eine zähe, schleimige Sommererkältung noch nicht vollständig auskuriert | |
| hat, hat sie Programm und Publikum von Anfang an im Griff. | |
| Was gar nicht so einfach ist. Denn wenn man die einschlägigen | |
| Fernsehsendungen verfolgt, von denen es eher zu viele als zu wenige gibt, | |
| und dann noch, ist man einmal angefixt, ihre Nummern und Auftritte auf | |
| YouTube verfolgt, kennt man mindestens zwei Drittel des Programms. | |
| Das führt zu dem Phänomen, dass Teile des Publikums entweder die Pointen | |
| mitsprechen oder nur an den Lieblingsstellen lachen. | |
| Helene Bockhorst, gebürtige Hamburgerin, ist noch jung, aber schon Profi. | |
| Sie kokettiert mit ihrer Unsicherheit: Ihre Figur basiert auf einer jungen | |
| Frau mit schwankendem Selbstwertgefühl, viele ihrer Nummern gehen dem nach. | |
| Sie trippelt zum Mikro, schaut eher über das Publikum hinweg statt hinein, | |
| aber ihr Timing ist gut, das Tempo ist hoch, und ihr Programm ist so | |
| gebaut, dass sie am Anfang und am Ende flexibel auf Ort und Stimmung | |
| reagieren kann. | |
| Sie ist dabei noch eine Newcomerin, die auch davon profitiert, dass | |
| Publikum und Sendeplatzvergabe inzwischen nach mehr Frauen verlangen und es | |
| gleichzeitig noch nicht so viele Comediennes im Betrieb gibt – und sie hat | |
| [1][diesen Poetry-Slam-Hintergrund], der sie und ihre Figur von vielen | |
| anderen abhebt, auch weil ihr Humor derber, direkter und nicht so | |
| verdruckst daherkommt wie die der älteren Konkurrenz. | |
| Zum Beispiel wird sie im Laufe des Abends öfter das Wort „Sex“ in den Mund | |
| genommen haben, als dass der Durchschnittstyp im Publikum – sagen wir, er | |
| heißt René und arbeitet irgendwie für die Zeitung – denselben hatte in, | |
| sagen wir, einem Kalenderjahr. Helene, wie sie alle Welt einfach nennen | |
| darf, lutscht einmal am Abend lasziv an einer Bier- oder Colaflasche, um | |
| das Balzverhalten verlorener junger Frauen in der Großstadt zu | |
| persiflieren, sie spricht also, wie Zeit Campus einmal formulierte, „über | |
| Selbsthass und schlechten Sex“. Das ist lustig und anziehend zugleich und | |
| zu allerlei Identifikation einladend, und vielleicht streckt sie inzwischen | |
| auch deswegen ihre rechte Hand hoch, um ihren Ehering zu zeigen: ein | |
| weiterer Schutzmechanismus. | |
| ## Witz-Wiederholungen und Selbstverwertung | |
| Die Figur Helene Bockhorst ist nämlich nicht weit von der echten Helene | |
| entfernt. Eine schüchterne junge Frau mit Selbstwertproblemen und einem | |
| gesunden Mutterhass. Sie könnte tatsächlich für ein völlig neues Kabarett | |
| stehen, aber noch bleibt sie im Rahmen, den der immer auch zum Spießigen | |
| neigende deutsche Comedy-Betrieb voraussetzt. [2][Das Anarchistische, das | |
| die Schweizerin Hazel Brugger zum Beispiel ausmacht], ist bei Helene noch | |
| dezent, von amerikanischen Stand-up-Königen wie Louis CK ist sie auch | |
| deswegen noch weit entfernt, weil ihre Selbstverwertungsmaschine noch nicht | |
| so perfekt eingetunt ist. | |
| [3][Louis CK (ja, #MeToo, ich weiß)] fand es nämlich irgendwann öde, ein | |
| Programm hundertmal zu spielen, also dieselben Witze immer und immer wieder | |
| zu erzählen (ungefähr so, wie Bryan Adams immer und immer wieder „Summer of | |
| 69“ spielen muss), und hat angefangen, aus dem Stegreif neue Sachen zu | |
| erzählen. Da ist Helene noch nicht. Noch ist sie Opfer ihres Programms. Und | |
| derzeit schreibt sie einen Roman, bei dem sich noch herausstellen muss, ob | |
| er mehr sein wird als der x-te Aufguss ihres Bühnenprogramms. | |
| ## Monogamie ist ein Fremdwort | |
| Ein Witz, den Helene Bockhorst immer und immer wieder erzählt, geht so: | |
| „Monogamie ist heutzutage ein Fremdwort. Ich glaube, das liegt daran, dass | |
| es ein Fremdwort ist (Lacher). Das Wort Monogamie kommt aus dem | |
| Altgriechischen und heißt übersetzt auf Deutsch ‚Kommt drauf an, wer | |
| fragt‘. (Lacher)“ Dabei steht sie in einer neongrünen Latexhose in Sandalen | |
| auf der Bühne, auf dem Rücken ein Tattoo. | |
| Helene Bockhorst, das brillentragende Fräulein mit niedlicher Stimme, das | |
| gern an ihrer Brille herumrückt und Witze über sich selbst erzählt. [4][Im | |
| Mehringhof-Theater] spult sie ihr Programm ab, ohne Schwächen zu zeigen | |
| oder langweilig zu sein, im März gastiert sie übrigens erneut für zwei | |
| Abende. Und man sitzt im Publikum und schmunzelt und denkt: Wenn sich | |
| Helene jetzt noch in die Gesellschaft hinein öffnet, und von der ewigen | |
| Wiederholung ablässt, wird sie nicht mehr zu halten sein. | |
| 2 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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