# taz.de -- Comedienne Helene Bockhorst: Gesunder Mutterhass | |
> Mangelnder Selbstwert und schlechter Sex bestimmen das Stand-Up-Programm | |
> von Helene Bockhorst. | |
Bild: Die Comedienne Helene Bockhorst lacht gern über sich selbst | |
Helene Bockhorst ist 31 Jahre alt und verheiratet. Sie hat lange in | |
Journalismus gemacht, sie hat das sogar studiert, jetzt aber ist sie seit | |
ungefähr zweieinhalb Jahren vollberufliche Stand-up-Comedienne, also | |
ungefähr das, was früher einmal lapidar Kabarettistin genannt wurde. Sie | |
kommt, ähnlich wie Hazel Brugger, vom Poetry Slam, bedient aber auch das | |
typische Rollenmuster des Kabaretts, schlüpft also in eine Art Kunstfigur, | |
mit der sie allein und nur mit einem Mikro bewaffnet auf einer Bühne steht | |
und meist auf eigene Kosten anzügliche Witze erzählt. | |
Am Freitag und am Samstag hat sie das schon wieder getan mit ihrem Programm | |
„Die fabelhafte Welt der Therapie“ im Meringhof-Theater. Und obwohl sie | |
eine zähe, schleimige Sommererkältung noch nicht vollständig auskuriert | |
hat, hat sie Programm und Publikum von Anfang an im Griff. | |
Was gar nicht so einfach ist. Denn wenn man die einschlägigen | |
Fernsehsendungen verfolgt, von denen es eher zu viele als zu wenige gibt, | |
und dann noch, ist man einmal angefixt, ihre Nummern und Auftritte auf | |
YouTube verfolgt, kennt man mindestens zwei Drittel des Programms. | |
Das führt zu dem Phänomen, dass Teile des Publikums entweder die Pointen | |
mitsprechen oder nur an den Lieblingsstellen lachen. | |
Helene Bockhorst, gebürtige Hamburgerin, ist noch jung, aber schon Profi. | |
Sie kokettiert mit ihrer Unsicherheit: Ihre Figur basiert auf einer jungen | |
Frau mit schwankendem Selbstwertgefühl, viele ihrer Nummern gehen dem nach. | |
Sie trippelt zum Mikro, schaut eher über das Publikum hinweg statt hinein, | |
aber ihr Timing ist gut, das Tempo ist hoch, und ihr Programm ist so | |
gebaut, dass sie am Anfang und am Ende flexibel auf Ort und Stimmung | |
reagieren kann. | |
Sie ist dabei noch eine Newcomerin, die auch davon profitiert, dass | |
Publikum und Sendeplatzvergabe inzwischen nach mehr Frauen verlangen und es | |
gleichzeitig noch nicht so viele Comediennes im Betrieb gibt – und sie hat | |
[1][diesen Poetry-Slam-Hintergrund], der sie und ihre Figur von vielen | |
anderen abhebt, auch weil ihr Humor derber, direkter und nicht so | |
verdruckst daherkommt wie die der älteren Konkurrenz. | |
Zum Beispiel wird sie im Laufe des Abends öfter das Wort „Sex“ in den Mund | |
genommen haben, als dass der Durchschnittstyp im Publikum – sagen wir, er | |
heißt René und arbeitet irgendwie für die Zeitung – denselben hatte in, | |
sagen wir, einem Kalenderjahr. Helene, wie sie alle Welt einfach nennen | |
darf, lutscht einmal am Abend lasziv an einer Bier- oder Colaflasche, um | |
das Balzverhalten verlorener junger Frauen in der Großstadt zu | |
persiflieren, sie spricht also, wie Zeit Campus einmal formulierte, „über | |
Selbsthass und schlechten Sex“. Das ist lustig und anziehend zugleich und | |
zu allerlei Identifikation einladend, und vielleicht streckt sie inzwischen | |
auch deswegen ihre rechte Hand hoch, um ihren Ehering zu zeigen: ein | |
weiterer Schutzmechanismus. | |
## Witz-Wiederholungen und Selbstverwertung | |
Die Figur Helene Bockhorst ist nämlich nicht weit von der echten Helene | |
entfernt. Eine schüchterne junge Frau mit Selbstwertproblemen und einem | |
gesunden Mutterhass. Sie könnte tatsächlich für ein völlig neues Kabarett | |
stehen, aber noch bleibt sie im Rahmen, den der immer auch zum Spießigen | |
neigende deutsche Comedy-Betrieb voraussetzt. [2][Das Anarchistische, das | |
die Schweizerin Hazel Brugger zum Beispiel ausmacht], ist bei Helene noch | |
dezent, von amerikanischen Stand-up-Königen wie Louis CK ist sie auch | |
deswegen noch weit entfernt, weil ihre Selbstverwertungsmaschine noch nicht | |
so perfekt eingetunt ist. | |
[3][Louis CK (ja, #MeToo, ich weiß)] fand es nämlich irgendwann öde, ein | |
Programm hundertmal zu spielen, also dieselben Witze immer und immer wieder | |
zu erzählen (ungefähr so, wie Bryan Adams immer und immer wieder „Summer of | |
69“ spielen muss), und hat angefangen, aus dem Stegreif neue Sachen zu | |
erzählen. Da ist Helene noch nicht. Noch ist sie Opfer ihres Programms. Und | |
derzeit schreibt sie einen Roman, bei dem sich noch herausstellen muss, ob | |
er mehr sein wird als der x-te Aufguss ihres Bühnenprogramms. | |
## Monogamie ist ein Fremdwort | |
Ein Witz, den Helene Bockhorst immer und immer wieder erzählt, geht so: | |
„Monogamie ist heutzutage ein Fremdwort. Ich glaube, das liegt daran, dass | |
es ein Fremdwort ist (Lacher). Das Wort Monogamie kommt aus dem | |
Altgriechischen und heißt übersetzt auf Deutsch ‚Kommt drauf an, wer | |
fragt‘. (Lacher)“ Dabei steht sie in einer neongrünen Latexhose in Sandalen | |
auf der Bühne, auf dem Rücken ein Tattoo. | |
Helene Bockhorst, das brillentragende Fräulein mit niedlicher Stimme, das | |
gern an ihrer Brille herumrückt und Witze über sich selbst erzählt. [4][Im | |
Mehringhof-Theater] spult sie ihr Programm ab, ohne Schwächen zu zeigen | |
oder langweilig zu sein, im März gastiert sie übrigens erneut für zwei | |
Abende. Und man sitzt im Publikum und schmunzelt und denkt: Wenn sich | |
Helene jetzt noch in die Gesellschaft hinein öffnet, und von der ewigen | |
Wiederholung ablässt, wird sie nicht mehr zu halten sein. | |
2 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
René Hamann | |
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