# taz.de -- Comedy der Neuen Rechten: Alles nur ein Witz | |
> In den USA entsteht seit Jahren eine Comedykultur mit Nähe zu | |
> Rechtsradikalen. Eine Entwicklung, die sich nun in Deutschland zu | |
> wiederholen droht. | |
Bild: Nur ein geschmackloser Witz? Oder steckt doch mehr dahinter? | |
Impfen = Freiheit“, diese Worte wurden auf den Düsseldorfer Fernsehturm | |
projiziiert. Es ist eine Kunstinstallation, über die der Berliner | |
Stand-up-Comedian Nikolai Binner im Mai in einem Youtube-Video spricht. | |
Binner sagt: „Künstler haben sich auch überlegt, was man über die Eingänge | |
der neuen Impfzentren schreiben könnte, und das Ergebnis lässt sich sehen.“ | |
Es erscheint ein Foto aus dem ehemaligen Konzentrationslager | |
Theresienstadt. Das Bild ist bearbeitet: Anstelle des Schriftzugs „Arbeit | |
macht frei“ sind die Worte „Impfen macht frei“ eingefügt. | |
Nur ein geschmackloser Witz? So einfach ist es nicht. In seinen Videos | |
behauptet Binner wiederholt, in Deutschland würden Kritiker der | |
Coronapolitik mundtot gemacht, ein Impfzwang eingeführt und Grundrechte | |
untergraben. Vor der Pandemie war er ein Comedian aus der Berliner | |
Stand-up-Szene, den man auf alternativen Bühnen treffen konnte. Ende 2020 | |
begann er, auf Youtube und anderen Portalen politische Kommentare zu | |
veröffentlichen. Optisch erinnern diese an US-Late-Night-Shows mit mehr | |
DIY-Anmutung. Inhaltlich arbeitet er damit, ob gewollt oder nicht, der | |
[1][Neuen Rechten] zu, einer heterogenen, politisch rechtsextremen | |
Strömung. | |
In Deutschland ist er damit noch einzigartig. Zwar gibt es [2][thematische | |
Überschneidungen mit konservativeren Kabarettisten oder Comedians] wie | |
Dieter Nuhr. Auch Nuhr kritisiert Medien und Coronapolitik oder wittert | |
schon mal Rassismus gegen Weiße, und auch für ihn scheinen „Linke“ ein | |
rotes Tuch zu sein. Im Gegensatz zu Binner arbeitet Nuhr aber faktisch | |
sauber, seine sporadischen Provokationen wirken fast milde. Mehr verbindet | |
Binner [3][mit dem Kabarettisten Uwe Steimle]. Der fiel in der | |
Vergangenheit mit Thesen zum gelenkten öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder | |
zur USA als Besatzungsmacht Deutschlands auf, die sich so auch bei Pegida | |
oder Reichsbürgern finden. Aber Steimle pflegt lange keinen so aggressiven | |
und vulgären Stil wie Binner. Witze wie bei Binner findet man in | |
Deutschland sonst nur auf Meme-Accounts der Identitären auf Instagram. | |
Und während Steimle aus der deutschen Kabarettkultur kommt, orientiert sich | |
Binner an der Stand-up-Comedy amerikanischen Zuschnitts, beziehungsweise | |
einer einflussreichen Untergruppierung davon: In den USA kann man seit | |
einigen Jahren beobachten, wie Vertreter einer Comedy-Gegenkultur Brücken | |
zur rechtsradikalen Alt-Right bauen. Eine Entwicklung, die sich in | |
Deutschland zu wiederholen droht. | |
## Bekannte Strategie der radikalen Rechten | |
US-Comedians wie Joe Rogan, Tim Dillon, Andrew Schulz oder Dave Smith | |
unterhalten ein Netzwerk an Podcasts und bedienen mit teils faktisch | |
falschen, teils fragwürdigen Inhalten riesige Fangemeinden. Einige | |
Beispiele von vielen: Dillon brachte viel Verständnis für den Attentäter | |
von Kenosha, der bei Protesten gegen Polizeigewalt zwei Menschen erschoss, | |
und den [4][Sturm auf das Kapitol in Washington] auf. Schulz nannte in | |
seiner Netflix-Sendung das Coronavirus „the Asian parasite“ (wozu sich | |
Netflix bis heute nicht geäußert hat). Und Rogan gab in seinem Podcast | |
Personen wie Milo Yiannopoulos, Galionsfigur der rechtsradikalen | |
Alt-Right-Bewegung, oder [5][Gavin McInness, den Gründer der | |
rechtsradikalen „Proud Boys“], eine Plattform. Gehen sie zu weit und werden | |
kritisiert, berufen sie sich darauf, dass alles nur ein Witz war. | |
Eine bekannte Strategie von radikalen Rechten. Die Jenaer | |
Politikwissenschaftler Maik Fielitz und Reem Ahmed schreiben dazu in einer | |
aktuellen Untersuchung über die Nutzung von Humor bei Rechtsextremen: | |
„Abwertende Äußerungen bekommen einen humoristischen Anstrich, um sie für | |
den politischen Mainstream anschlussfähiger zu gestalten. Gleichzeitig | |
verschiebt das die Toleranzgrenze weiter nach rechts.“ | |
Ähnlich agiert in Deutschland nun Binner: Weil alles immer auch lustig | |
gemeint sein kann, kann er Dinge äußern, die als fragwürdig gelten, wie den | |
Holocaust-Witz. Er kann frauen-, trans- oder behindertenfeindliche Witze | |
machen. Er kann falsche Informationen verbreiten. Ob nun allerdings ernst | |
gemeint oder nicht: In der Welt sind die Dinge ja dann trotzdem. | |
Vierzehn politische Comedyvideos hat Binner bisher veröffentlicht. Diese | |
tragen Titel wie Die Zerstörung der Medien oder Wie Antirassismus immer | |
rassistischer wird. Die Resonanz ist erst einmal mau, bis im März der | |
Journalist und rechte Blogger Boris Reitschuster in einem seiner Videos auf | |
Binner aufmerksam macht. Reitschuster hat sich zum Beispiel mit stark gegen | |
Einwanderung oder Coronamaßnahmen polemisierender Berichterstattung eine | |
breite Followerschaft aufgebaut. | |
## Plattformen reagieren nur sporadisch | |
Heute liegt Binners Kanal bei etwa 42.000 Abos. Auf Telegram hat der | |
Comedian knapp über 8.000 Abonent:innen. Außerdem vernetzt er sich in | |
der Szene der sogenannten Querdenker: Im Mai veröffentlichte er eine | |
T-Shirt-Kollektion mit dem Titel „Querleugner“ in einem Shop, der auch | |
Merchandise von KenFM, dem Querfront-Magazin Rubicon und der Zeitung | |
Demokratischer Widerstand verkauft. | |
Die meinungsstark vorgetragenen Monologe Binners beruhen oft auf | |
fehlerhaften Recherchen. In einem Video behauptet er, dass die Maßnahmen | |
gegen Corona tödlicher seien als das Virus selbst. Die Maßnahmen drängten | |
weltweit bis zu 132 Millionen Menschen an den Rand des Verhungerns. Als | |
Beleg nennt Binner „Bestandsaufnahmen von UN und internationalen | |
Forschungsinstituten“. Tatsächlich stammt diese Zahl aus dem | |
Welternährungsbericht der Vereinten Nationen von 2020. Allerdings nennt der | |
Bericht nicht die Maßnahmen als verantwortlich, sondern die Pandemie | |
selbst. | |
Plattformen reagieren bislang nur sporadisch auf Binners Desinformationen: | |
So hat zum Beispiel Facebook im Zuge des Fact-checking-Programms eines | |
seiner Videos mit dem Hinweis „Fehlinformation“ versehen, wegen einer | |
falschen Behauptung über das „Herbeitesten“ von „gewünschten Inzidenzen… | |
Youtube verweist bei einem Video, das „Corona“ im Titel trägt, | |
standardmäßig auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die | |
meisten Videos mit falschen Informationen stehen unverändert online. | |
Häufig widmet sich Binner auch der Kritik der Medien, denen er vorwirft, | |
Themen totzuschweigen: „Die Medien sind heute wie ich auf ’nem Date“, sagt | |
er. „Du kriegst nicht die volle Wahrheit zu hören.“ Als Grund suggeriert er | |
die Aufwiegelung des Volkes: „Medien und Politik haben’s geschafft: Das | |
Volk geht aufeinander los“, sagt er in einem anderen Video. Belege für | |
diese Behauptungen liefert Binner nicht. Dabei wurde in den vergangenen | |
Jahren in Deutschland wohl wenig so intensiv debattiert wie der Umgang mit | |
Covid-19. In Medien quer durch das politische Spektrum war Raum für | |
Berichterstattung über Kritiker:innen und Kritik selbst, von | |
Maskendeals bis zur potenziellen Impfpflicht. Binner dagegen sagt: Die | |
Medien wollen „dich ficken“. | |
## Mit Falschinformationen und Verzerrungen | |
Ob intendiert oder nicht macht sich Binner hier mit der Agenda der Neuen | |
Rechten gemein. Der Report „Recht gegen Rechts“ nennt als Merkmale der | |
Neuen Rechten: Glorifizierung von Volk und Vaterland, Fetischisierung der | |
Nation, Sehnen nach ethnischer Homogenität. Im Grunde seien das dieselben | |
Inhalte wie die der „alten Rechten“. Doch sei die Verpackung eine andere: | |
„Der rechte Sound ist ein Remix. Während klassische Neonazis von ‚Rassen‘ | |
sprechen, proklamieren Vertreter*innen der Neuen Rechten nun die | |
Reinheit der ‚Kulturen‘ und einen ‚Ethnopluralismus‘.“ | |
Unterschiedlich ist auch die Strategie, diese Inhalte umzusetzen. Die Neue | |
Rechte zielt nicht auf direkte Aktionen (wie etwa Neonazis), sondern auf | |
eine Beeinflussung des Diskurses. „Denkmuster und Beurteilungskriterien von | |
gesellschaftlichen Themen wie zum Beispiel Migration sollen verändert und | |
das, was sagbar ist, systematisch ausgeweitet werden“, beschrieb der | |
[6][Historiker Volker Weiß im Fluter] die Ziele. Genau das betreibt auch | |
Binner, wenn er das Vertrauen in demokratische Institutionen unterminiert | |
und Politik und Medien eine geheime Agenda unterstellt. | |
Mit Falschinformationen und Verzerrungen unter dem Deckmantel Comedy macht | |
sich Binner zu einem fast prototypischen Comedian der Neuen Rechten. Es ist | |
eine besondere Ironie, dass er sich dabei als aufrechter Streiter | |
inszeniert, der Gefahr läuft, vom Establishment kaltgestellt zu werden. In | |
Wirklichkeit trägt er selbst mit seinen Videos dazu bei, den Status quo zu | |
festigen: Er spielt Polizeigewalt herunter, solange sie nicht auf | |
Querdenker-Demos stattfindet, er setzt Rechts- und Linksextremismus gleich, | |
er nennt den CDU-Politiker Friedrich Merz einen „Ehrenmann“, weil der das | |
Gendern verbieten will, und er erzählt, dass er noch nie in seinem Leben | |
gewählt habe. Ein Blick in die Kommentarspalten unter Binners Videos zeigt: | |
Es gibt sehr viele Menschen, die das, was er sagt, nicht nur für lustig | |
halten, sondern auch für wahr. | |
Einmal arbeitet sich Binner an einem Witz der NDR-Satiresendung „extra3“ | |
ab: Comedian Sebastian Puffpaff empfiehlt darin, einen Impfgegner in der | |
eigenen Verwandtschaft in den Arm zu nehmen und ihm dann die Impfung in den | |
Arm zu rammen. Man kann diesen Witz für geschmacklos halten, Binner hält | |
ihn nicht mal für einen Witz: Eine Satiresendung dient ihm als Beispiel für | |
pauschale Impfpropaganda „der Medien“. „Alles nur ein Witz“ ist ein | |
Argument, das alles rechtfertigt. Solange es nicht die Falschen benutzen. | |
12 Sep 2021 | |
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[5] /US-Praesident-Trump-und-die-Proud-Boys/!5713246 | |
[6] https://www.fluter.de/wer-sind-die-neue-rechte | |
## AUTOREN | |
Bernhard Hiergeist | |
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