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# taz.de -- Lisa Fitz bei „Spätschicht“: Schwurbelei in der ARD
> Die Kabarettistin sagt in ihrem Programm, es gebe 5.000 Impftote. Der
> Sender verteidigt diese Desinformationen mit der Meinungsfreiheit.
Bild: Die Kabarettistin Lisa Fitz bei einem Auftritt
Negativ aufgefallen ist die Kabarettistin Lisa Fitz nicht zum ersten Mal.
Aber in der Coronakrise gleitet ihre Empörung häufiger noch als früher ab
in Schwurbelei. So auch in der ARD-Sendung „Spätschicht“, einer
Koproduktion von 3sat und dem SWR, die von Freitag- auf Samstagnacht im
linearen Fernsehen läuft, aber aktuell schon in der Mediathek zum Streaming
bereitsteht. In ihrem TV-Auftritt prangert Fitz die Warnungen [1][vor der
Corona-Variante Omikron] als „Panikmache“ an und macht sich über Ängste d…
Menschen lustig. Zugleich behauptet sie, es gebe inzwischen EU-weit 5.000
Corona-Impftote. Desinformation und Verschwörungstheorien, und das im
öffentlich-rechtlichen Programm.
Der SWR gibt zu, der Text von Lisa Fitz in der neuen Ausgabe der
„Spätschicht“ sei „zugegebenermaßen insbesondere in seiner Wirkung
schwierig“ gewesen. Das Prinzip der Meinungsfreiheit sei dem Sender aber
wichtig. Fitz stützt sich bei ihrer Argumentation unter anderem auf eine
EU-Parlamentsinitiative der extrem rechten französischen EU-Abgeordneten
Virginie Joron vom Rassemblement National, einer Coronaleugnerin.
Kritik an Politiker:innen darf im politischen Kabarett zum guten Ton
gehören, eine gewisse Schärfe selbstverständlich auch. In ihrem neuen
Programm „Lisa Fitz vs. Jens Spahn“ aber werden die Regierenden zu
„Flaschen“ und „Panikmachern, die 99 Prozent Lemminge steuern“. „Die
poltern rum, du hör mal, da ist ja Trump ein Stofftier dagegen“, sagt Lisa
Fitz. „Warum? Ich habe die Vermutung: um ihr Versagen zu übertönen, ihre
Impfotenz.“ Sie zählt auf: „Fehler, Fehlaussagen, Wortbrüche,
Mistmanagement (sic!) bei der Impfstoffbestellung, Regelwirrwarr.“ Auf
Ungeimpfte werde eingeprügelt, „zum Halali auf den Sündenbock“ geblasen.
Die Impfpflicht sei der „feuchte Traum“ der Pharma-Konzerne. Und die
selbst? „Ganoven, dauernd in schwere Kriminalfälle verwickelt“, erläutert
Lisa Fitz.
Über Menschen, die sich Sorgen machen wegen der Ausbreitung von Omikron,
macht sie sich lustig: „Da wird geboostert und geroostert und geschustert,
nach Delta und Omikron kommt die Xanthippen- und die Zombie-Mutante aus
Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und
Dings-was-weiß-ich-Vergiss-es-dann. Hauptsache, die Panik bleibt frisch.“
Applaus im Fernsehstudio.
## Ob „durch“ oder „nach“ ist ein Unterschied
Besonders fatal wird es, wenn sich Lisa Fitz „weiter informiert“ haben will
– zum Beispiel über „schwerwiegende Nebenwirkungen von
Covid-19-Impfstoffen“. Die gibt es laut Europäischer Arzneimittelagentur
(EMA) tatsächlich, allerdings nur im Promillebereich der Impfungen, dennoch
gab es Forderungen an die EU, einen Hilfsfonds für Geschädigte auflegen.
Weil die Pharmaindustrie sich drücke, wie Lisa Fitz erklärt. Zudem komme er
„für 5.000 Menschen leider zu spät, da waren die Folgen durch die
Covid-19-Impfstoffe tödlich“. „Kann dazu bitte mal irgendjemand Stellung
nehmen?“, fragt sie provokant in ihrem TV-Auftritt. Und hat selbst offenbar
nicht gelesen, was zum Thema Impftote seit Monaten veröffentlicht wird.
Wie viele Menschen durch eine Impfung gestorben sind, ist nicht bekannt.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) spricht in seinem neuen Sicherheitsbericht
von 1.802 „Verdachtsmeldungen“ in Deutschland, in denen über einen
tödlichen Ausgang in unterschiedlichem Abstand zur Impfung berichtet wird –
die Zahlen sind auf dem Stand von Ende September. Keinesfalls ist klar,
dass die Personen an den Folgen Impfung selbst verstorben sind. Eine
Sprecherin des PEI schrieb schon vor Monaten [2][dem „Faktenfuchs“ des
Bayerischen Rundfunks]: „Ein Todesfall NACH Impfung bedeutet nicht
zwangsläufig einen Todesfall DURCH Impfung. Das wird in den Sozialen Medien
leider häufig gleichgesetzt.“
Auch ein Faktencheck der Nachrichtenagentur AFP vom März hebt hervor, dass
Facebook-Postings zu mehreren tausend Covid-19-Impftoten in Europa falsch
seien: „Die echte Zahl an Menschen, die in zeitlicher Nähe einer Impfung
gestorben sind, ist kleiner. Einen kausalen Zusammenhang dieser Todesfälle
mit einer Covid-Impfung stellen die Zahlen nach Angaben der EMA
ausdrücklich nicht dar.“ Damals war von 3.963 Todesverdachtsfällen nach
Impfungen die Rede. Geteilt aber werden solche irreführenden Behauptungen
dann oft von [3][Corona-Verharmloser:innen, „Querdenkern“] und
Politiker:innen der extremen Rechten – und Lisa Fitz reiht sich hier
nahtlos ein. Erst am Dienstag ist eine [4][51-Jährige wegen übler Nachrede
zu einer Geldstrafe von 2.400 Euro verurteilt worden.] Zuvor hatte sie bei
Facebook behauptet, im Uniklinikum Augsburg seien 70 Personen an den Folgen
einer Impfung gestorben.
## Nicht zum ersten Mal
Im September, als Lisa Fitz 70 wurde, ließ sie sich von der
Nachrichtenagentur dpa mit dem Satz zitieren: „Ich bin weder links noch
rechts – ich bin sauer!“ Schon im Frühjahr 2020 hatte sie sich mit einem
damals viel geteilten Video zur Wortführerin von Maßnahmen-Kritiker:innen
gemacht: „Verarschen lass ich mich nicht.“ Auch das wäre noch harmlos. Zur
Vorgeschichte des Abdriftens von Lisa Fitz aber gehört beispielsweise auch:
2016 ein Interview mit dem Kremlsender RT, in dem sie ihre
Kabarett-Kolleg:innen „systemimmanente Hofnarren“ nannte und über eine
„Weglasspresse“ schwadronierte. Oder ein Song von ihr mit antisemitischen
Narrativen, 2018. Damals kommentierte die Frankfurter Rundschau, Lisa Fitz
prangere eben nicht Missstände an, sondern spiele auf der Klaviatur der
Rechten. Und „wohl gezielt mit verschwörungstheoretischen Codes“.
Der SWR gerät durch den Beitrag von Lisa Fitz in eine extrem missliche
Situation. Eine Sprecherin sagte der taz, die Redaktion habe den „heiklen
Beitrag“ nicht ablehnen wollen: „In der Abwägung von einem möglichen und
erwartbaren Vorwurf der Zensur versus Meinungsfreiheit im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben wir uns bewusst dazu entschieden,
diesen Text zu senden, um die Pluralität der vorkommenden Meinungen in
der,Spätschicht' zu beweisen.“ Andere Künstler:innen würden die Themen
Fake News und Impfskepsis in der Sendung aus einer gegenteiligen
Perspektive besprechen. Florian Schroeder sagt demnach in seiner
Anmoderation, den Öffentlich-Rechtlichen werde vorgeworfen, es gebe „immer
die gleichen Meinungen, keine Vielfalt“. Die Meinung von Lisa Fitz teile er
persönlich absolut nicht, sie dürfe „trotzdem hier stattfinden“.
Die Zahl von rund 5.000 Impftoten in der EU hatte Lisa Fitz einem
Entschließungsantrag der rechtsextremen EU-Politikerin Joron vom September
entnommen. Joron wiederum stützte sich auf eine Internetseite, auf der
Privatleute vermeintliche Impffolgen melden, ohne dass eine
wissenschaftliche Prüfung erfolgt. Die Forderung der Französin nach einem
Entschädigungsfonds für „Opfer der Covid-19-Impfstoffe“ wurde nicht
umgesetzt. (Anm. der Red: Siehe dazu auch den [5][Faktencheck der
Nachrichtenagentur dpa]) Kleinlaut gibt der SWR zu: „Mittlerweile hat sich
herausgestellt, dass die in diesem Antrag benannten Zahlen der Impftoten
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht belastbar sind.“
Update: Ein ZDF-Sprecher teilte am Samstag mit: „3sat hat gestern auf die
Diskussion um die Sendung ‚Spätschicht‘ reagiert und das Programm weder
ausgestrahlt, noch in die 3sat Mediathek eingestellt. Bei der ‚Spätschicht‘
handelt es sich um eine vom SWR für das Dritte Programm redaktionell
verantwortete und produzierte Sendung, die regelmäßig in 3sat wiederholt
wird.“
17 Dec 2021
## LINKS
[1] /Mutationen-des-Coronavirus/!5818737
[2] https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-viele-falsche-berichte-ueb…
[3] /Analyse-der-Coronaproteste/!5822361
[4] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/prozess-in-augsburg-falschmel…
[5] https://dpa-factchecking.com/germany/211110-99-943100/
## AUTOREN
Matthias Meisner
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