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# taz.de -- Lisa Fitz und die „5.000 Impftoten“: Fake News mit EU-Siegel
> Die Falschaussagen der Kabarettistin entstammen einem offiziellen Papier
> aus dem EU-Parlament. Anträge dieser Art dienen als Basis für
> Desinformation.
Bild: Lisa Fitz hatte kürzlich auf der Bühne behauptet, es gebe 5.000 Corona-…
Berlin taz | Wer hätte gedacht, dass die Kabarettistin Lisa Fitz mit 70
Jahren noch eine Geschäftsordnungsdebatte im Europäischen Parlament
anstößt? Aber genau so ist es: Bei ihrer Comedy in der für SWR und 3sat
produzierten Sendung „Spätschicht“ hatte sie einen europäischen Fonds zur
Entschädigung der Corona-Impfungen angekündigt und behauptet, für 5.000
Menschen seien „die Folgen durch die Covid-19-Impfstoffe tödlich“ gewesen.
Quelle war ein Papier aus dem EU-Parlament. Dort wird nun diskutiert, wie
mit solchen Desinformationen künftig umzugehen ist.
Ihre Fake News hatte Fitz aus dem Entschließungsantrag B9-0475/2021, am 23.
September eingebracht von der rechtsextremen französischen EU-Abgeordneten
Virginie Joron vom Rassemblement National, mit offiziellem Logo des
Parlaments und gekennzeichnet als „Plenarsitzungsdokument“. Es ist nach wie
vor abrufbar in der Datenbank des Parlaments. Die Drucksache enthält die
Passage: „…in der Erwägung, dass nach Angaben der Europäischen
Arzneimittel-Agentur die Verabreichung von Covid-19-Impfstoffen für rund
5000 Personen in der Europäischen Union tödliche Folgen hatte…“
Der [1][SWR hatte am vergangenen Freitag auf taz-Anfrage] berichtet: „Lisa
Fitz hat uns vor der Sendung diesen Entschließungsantrag vorgelegt. In der
Sendung sagt sie deshalb,beantragt', nicht,beschlossen'.“ Mittlerweile habe
sich herausgestellt, „dass die in diesem Antrag benannte Zahl der Impftoten
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht belastbar ist“. Zwei Tage später wurde
die [2][Sendung in allen ARD-Mediatheken gelöscht]. Die
„Meinungsäußerungsfreiheit“, hieß es nun vom SWR, „endet auch in einer
Comedy- oder Satiresendung bei falschen Tatsachenbehauptungen“.
Keine Frage: Bei dem ARD-Sender haben die Sicherungsketten nicht
funktioniert, als der Beitrag „Lisa Fitz vs. Jens Spahn“ abgenommen wurde.
Fitz hatte die französische Rechtsextremistin Joron gar nicht erwähnt,
sondern bloß gesagt: „Das Europäische Parlament (…) hat einen Fonds für …
Opfer der Covid-19-Impfstoffe beantragt.“ Übersehen hatte der für die
Sendung verantwortliche SWR auch mehrere Faktenchecks zu der
parlamentarischen Initiative, [3][unter anderem von der Nachrichtenagentur
dpa].
## Abläufe im EU-Parlament machen es den Rechten leicht
Auf der Seite Mimikama, die sich ebenfalls [4][regelmäßig mit
Desinformation im Netz] befasst, hieß es, der Antrag zeige, dass sich in
Frankreich ebenso wie hierzulande rechte Parteien „als strikte Impfgegner
offenbaren, die sich nicht davor scheuen, falsche und irreführende
Behauptungen aufzustellen, um ihre Position zu untermauern“.
Ein Problem dabei: Die Abläufe im Europäischen Parlament machen es – in
diesem Fall: den Rechten – ziemlich leicht. Anträge nach Artikel 143 der
Geschäftsordnung kann jeder Abgeordnete stellen, maximal pro Monat einmal.
In der Regel versanden sie in der Parlamentsbürokratie, in den vergangenen
Jahren wurde von insgesamt mehr als 200 kein einziger gebilligt.
So geschah es auch mit Jorons Initiative: Die Koordinator:innen des
Ausschusses für öffentliche Gesundheit beschlossen am 27. Oktober, den
Entschließungsantrag nicht weiter zu verfolgen, das wurde am 18. November
noch einmal vom gesamten Ausschuss bestätigt. Erfuhr bloß keiner, und steht
auch nicht im Internet.
## Bekanntes Problem
Trotzdem könnte die Sache erledigt sein. Ist sie aber nicht. In den
sozialen Netzwerken, rechten Blogs und von Joron selbst wird der Antrag
weiter herumgereicht – als angeblicher Beweis für die Gefährlichkeit der
Impfungen. Der Corona-Verharmloser Stefan Homburg, Professor aus Hannover,
twitterte nach der Debatte um die aus seiner Sicht „patente und kluge Lisa
Fitz“ einen Screenshot des Antrags, dazu den Kommentar: „hier der Beleg,
dass die von Lisa Fitz genannte Zahl 5.000 nicht aus der Luft gegriffen
war“. Die Passage mit den „tödlichen Folgen“ für „rund 5.000 Menschen…
unterlegte er farbig, den Namen der Antragstellerin Virginie Joron schnitt
er weg.
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Henrik Domansky kommentierte:
„Entschließungsanträge als Quelle… Entweder komplette Ahnungslosigkeit od…
boshafte Desinformation.“ Um die Absurdität der „Quelle“ von Lisa Fitz
darzulegen, fügte er hinzu: „Theoretisch könnte ein Europaabgeordneter
morgen einen Entschließungsantrag stellen, in dem steht,in Erwägung, dass
Schweine fliegen können und der Mond aus Käse besteht'.“
Ein Sprecher des Europaparlaments gibt zu: „Das Problem, dass solche
Anträge als Grundlage für Desinformation genutzt werden können, ist uns
bekannt.“ Auf Twitter versucht sich das Parlament unter Bezug auf den Fall
Fitz/SWR inzwischen in Aufklärung: „Anträge einzelner Europaabgeordneter
sind keine Positionen des Europäischen Parlaments“, wird dort nun betont.
## Vizepräsidentin Barley sieht Verbesserungsbedarf
Auch mehrere Europaabgeordnete fordern Konsequenzen. Die Grünen-Politikerin
Anna Cavazzini beobachtet eine Masche von rechtsextremen Abgeordneten:
„Auch wenn es keiner dieser Anträge schafft, überhaupt behandelt zu werden,
können diese auf der Website des Europaparlaments eingesehen werden, und
das verleiht ihnen einen offiziellen Charakter.“ Das Parlament müsse
dringend Abhilfe schaffen „und die schon im Vorstadium abgeschmetterten
Anträge klar kennzeichnen“.
Der Linken-Abgeordnete Martin Schirdewan fordert eine Änderung der
Geschäftsordnung. Europäische Demokratie brauche umfassende Transparenz,
sagt er: „Bürger:innen müssen auf den ersten Blick zwischen ernsthaften
Anliegen und gefährlichem Unsinn unterscheiden können.“
Auch die Sozialdemokratin Katarina Barley, Vizepräsidentin des
Europaparlaments, gibt „Verbesserungsbedarf“ zu. Sie sagt der taz: „Wenn …
der Suchmaschine des Parlaments ein Antrag abgefragt wird, muss auf den
ersten Blick zu sehen sein, was mit dem Dokument passiert ist.“ Mit Blick
auf Lisa Fitz und die SWR-„Spätschicht“ erklärt sie: „Dafür braucht es…
manchmal solche Vorfälle.“
Womöglich muss man der Kabarettistin also noch dankbar sein.
22 Dec 2021
## LINKS
[1] /Lisa-Fitz-bei-Spaetschicht/!5822849
[2] /Sender-reagiert-auf-taz-Recherche/!5822945
[3] https://dpa-factchecking.com/germany/211110-99-943100/
[4] https://www.mimikama.at/aktuelles/eu-entschliessungsantrag-impfnebenwirkung…
## AUTOREN
Matthias Meisner
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