# taz.de -- Mutationen des Coronavirus: Jenseits von Omikron | |
> Die neue Coronavariante zeigt: Die Evolution des Virus als | |
> Pandemie-Erreger ist noch nicht am Ende. Was kommt da noch auf die Welt | |
> zu? | |
Bild: Angst vor einer noch gefährlicheren Mutante gab es von Anfang an | |
Wissenschaftler spekulieren nicht gern, aber im Fall der neuen | |
Coronavariante Omikron blieb ihnen bis vor wenigen Tagen wenig anderes | |
übrig. Die [1][zuerst in Südafrika entdeckte Mutante] warf und wirft | |
einfach zu viele Fragen auf. Ist sie ansteckender, helfen die Impfungen | |
noch, verbreitet sie sich überhaupt stark genug, um Delta zu verdrängen? | |
Erst seit der vergangenen Woche sehen Virologen und Epidemiologen ein wenig | |
klarer. | |
Erste Daten aus Europa und Südafrika sowie mehrere Laborexperimente mit | |
Virusproben, darunter auch eine Arbeit aus Deutschland, bestätigen die | |
Befürchtung, dass eine doppelte Impfung vor einer Infektion mit der neuen | |
Variante kaum noch schützt – und dass sich Omikron im Moment rasant | |
verbreitet, mit einem für Ungeimpfte nach derzeitigem Erkenntnisstand | |
unverändert hohen Risiko für schwere Verläufe. Nach der zuerst als B.1.1.7 | |
bekannten Variante Alpha, dem eher auf der Südhalbkugel aktiven Coronavirus | |
Beta und der für die derzeitige Eskalation der Inzidenzen verantwortlichen | |
Mutante Delta scheint Omikron die Pandemie nahtlos weiter voranzutreiben. | |
Wie schlimm das wird, ist nach wie vor offen und hängt nicht zuletzt davon | |
ab, wie schnell die [2][durchaus schützende Boosterimpfung] möglich ist – | |
und wann neue Impfstoffe verfügbar sind, die an Omikron angepasst wurden. | |
Aber längst stellt sich auch die Frage, ob das eigentlich immer so | |
weitergehen wird: neue Welle, neue Variante, nächste Welle, nächste | |
Variante. Folgt auf Omikron mit seinen mehr als 50 Mutationen und | |
zahlreichen „immune escapes“, die viele neue und erneute Ansteckungen | |
erlauben, womöglich sogar eine Mutante, die selbst den Schutz der Impfungen | |
vor schwerer Erkrankung aushebelt? | |
Zu bedenken ist dabei, dass es erst mal nicht im Interesse des Virus ist, | |
sich zu verändern – zumindest so lange nicht, wie es sich ungestört | |
verbreiten kann. Ungestört bedeutet: Das Virus trifft auf eine Bevölkerung | |
mit Menschen, deren Immunsystem noch keinen Kontakt mit dem Erreger hatte | |
und findet deshalb reichlich neue Wirte. Das war zu Beginn der ersten Welle | |
der Fall, als Sars-CoV-2 sich von Wuhan aus auf seine Reise um die Welt | |
machte, als es Millionen Menschen erstmals infizierte und als neuer Erreger | |
zunächst erforscht werden musste, um überhaupt zu erkennen, was gegen das | |
neue Virus auszurichten wäre. Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln waren | |
Coronas einzige Gegner, überwacht wurde das Virus durch Testungen, die aber | |
auch nur die beachtliche Verbreitungsfähigkeit des neuen Erregers bezeugen | |
konnten. | |
## Angst vor Mutanten | |
Die Angst vor einer noch gefährlicheren Mutante gab es von Anfang an, Viren | |
verändern sich schließlich, sie erzeugen Mutationen, und zwar umso mehr | |
davon, je stärker sie sich vermehren können. Im September 2020 waren | |
weltweit bereits mehr als 30 Millionen Ansteckungen bestätigt, die Zahl der | |
unbestätigten Infektionen dürfte damals schon um ein Vielfaches höher | |
gelegen haben. Und mit der Masse der Genesenen, deren Immunsysteme das neue | |
Virus nun kannten, stieg auch der Druck auf den Erreger, sich besser an die | |
neuen Gegebenheiten anzupassen – sprich: für neue Varianten zu selektieren, | |
die sich wieder ungestörter verbreiten können. | |
Es gibt zwei Mechanismen, die dem Coronavirus neue Vorteile verschaffen | |
können. Zum einen gewinnt es durch Mutationen hinzu, die eine Infektion | |
direkt erleichtern. Ein Kontakt von Infizierten mit Gesunden bringt dann | |
mehr neue Ansteckungen hervor. Eine solche bessere Übertragbarkeit ist fast | |
immer von Vorteil, auch in einer Bevölkerung, die noch keinen Kontakt mit | |
dem Virus hatte. Die ersten Varianten, die sichtbar werden, fallen deshalb | |
in der Regel in diese Kategorie. Zum anderen können Mutationen aber dazu | |
führen, dass das Virus auch von einem erfahrenen Immunsystem nicht mehr gut | |
erkannt wird, sodass sogar Genesene sich wieder anstecken – oder auch | |
Geimpfte. Das sind die gefürchteten immune escapes. | |
Da Sars-CoV-2 für seinen Kontakt zu den Zellen der Schleimhäute wie alle | |
Coronaviren sein Stachelprotein nutzt, ein auch unter Mikroskopen | |
sichtbares Eiweiß auf der Virusoberfläche, findet die Mehrheit der | |
Anpassungen an dieser wichtigen Struktur statt. Forscher analysieren seit | |
Beginn der Pandemie, welche Positionen im genetischen Code des Stachels | |
entscheidend sein könnten für Anpassungen, die sowohl die Übertragbarkeit, | |
vor allem aber die Zahl der immune escapes erhöhen. Sie sind entscheidend | |
dafür, dass die Impfungen vor Ansteckungen schützen. | |
Und es ist längst klar, dass es Mutanten geben könnte, die einen solchen | |
Schutz vor Infektion unterlaufen. So berichtete ein Forscherteam der | |
Rockefeller University bereits im Sommer von einer Zusammenstellung 20 | |
ausgewählter Mutationen, die, gezielt eingebaut im Stachel eines | |
Pseudovirus, die komplette erste Abwehrlinie, die sogenannten | |
neutralisierenden Antikörper, von Geimpften und Genesenen gegen das Virus | |
unterwandern. | |
## Omikrons neue evolutionäre Landschaft | |
Eine Handvoll dieser Mutationen hat auch Omikron, deshalb ist zu erwarten, | |
dass sich die neue Variante erst einmal recht ungehemmt ausbreitet. Es ist | |
der Effekt einer neuen evolutionären Landschaft, in der sich das Virus | |
bewegt – und durch die es sich dank seiner Anpassungen den Weg bahnt. In | |
diesem Fall durch Geimpfte und Genesene hindurch. Genetisch ist das | |
Potenzial von Sars-CoV-2 aber noch nicht ausgeschöpft. Selbst Omikron | |
fehlen noch bekannte heikle Mutationen, weitere könnten noch entdeckt | |
werden und für Überraschungen sorgen. | |
Zwei Dinge allerdings spielen in die Hände der potenziellen Opfer. Zum | |
einen, dass zurückliegende Impfungen zwar vor neuen Varianten nicht mehr so | |
gut schützen. Aber jede Begegnung mit Virusvarianten oder einem Impfstoff | |
führt zu einer vielfältigeren Immunantwort, die irgendwann eben nicht mehr | |
so einfach zu unterlaufen ist. „Das Virus kann sich dann immer noch | |
verändern“, sagt der Virologe Florian Klein vom Universitätsklinikum in | |
Köln. „Allerdings zahlt es dafür möglicherweise einen Preis. Zum Beispiel, | |
dass es zwar einem Antikörper entkommt, aber dafür schlechter an Zielzellen | |
bindet.“ | |
Ob und wann es so weit sein könnte, dass sich das Virus mit seinen | |
Varianten ausoptimiert hat und nur noch unter Verlusten neue Mutanten | |
hervorbringt, die sich zwar verbreiten können, aber kaum noch schaden, hält | |
Klein für rein spekulativ. Es hänge viel von den Impfungen ab, die | |
möglichst viele Menschen erreichen müssten – nicht nur in Deutschland, | |
sondern weltweit. | |
„Ich halte es für total entscheidend, dass wir diese Pandemie als das | |
bekämpfen, was sie ist: ein globales Problem“, sagt Klein. Auch Omikron, | |
das sich in einer wenig geimpften Bevölkerung etablieren konnte und von | |
dort nun andere Länder erreicht, unterstreicht die Notwendigkeit, Impfungen | |
nicht nur zu Hause, sondern weltweit zu ermöglichen. | |
## Wird das Virus gefährlicher? | |
Bleibt schließlich noch die Frage, ob das Virus statt ansteckender zu | |
werden nicht auch noch gefährlicher für Erkrankte werden könnte. Klein hält | |
das nicht für ausgeschlossen, sagt aber einschränkend: „Ein schwerer | |
Verlauf bietet für Sars-CoV-2 keinen Selektionsvorteil“. Der Erreger habe | |
aktuell schon den Vorteil, sich stark verbreiten zu können, noch bevor die | |
ersten Krankheitssymptome auftreten. „Das ist für ein Virus ideal“, sagt | |
der Virologe. | |
Wenn eine hohe Übertragbarkeit erst mit Symptomen einhergehe, wie zum | |
Beispiel bei Ebola, würde es schwer für das Coronavirus, sich weiter zu | |
verbreiten. „Schwerkranke sind bettlägerig oder kommen ins Krankenhaus, | |
anstatt sich mit vielen Kontakten in der Öffentlichkeit zu bewegen“, sagt | |
Klein. | |
Die Fähigkeit, schon in der asymptomatischen Phase auf weitere Wirte zu | |
springen, schmälert allerdings auch die Selektion gegen schwere Verläufe in | |
Ungeimpften: Das Virus muss nicht weniger krank machen, um sich weiter | |
verbreiten zu können. Für die freiwillig und unfreiwillig Ungeimpften | |
bleibt es deshalb, was es immer war: [3][eine tödliche Gefahr]. | |
11 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Suedafrika-und-Omikron/!5816051 | |
[2] /Studien-zur-Omikron-Variante/!5820485 | |
[3] /Uebersterblichkeit-in-Deutschland/!5817051 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Zinkant | |
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