| # taz.de -- Kanadischer Comedian zum 7. Oktober: „Der Backlash spornt mich nu… | |
| > Der Comedian Daniel-Ryan Spaulding engagiert sich für die von der Hamas | |
| > entführten israelischen Geiseln. Nicht alle seine Fans finden das gut. | |
| Bild: Daniel-Ryan Spaulding unter der Berliner Hochbahn. Glücklich ist er nich… | |
| Daniel-Ryan Spaulding ist gerade mit dem Nachtflug aus New York wieder in | |
| Berlin gelandet. Fünf Monate war er im „Big Apple“, er hat dort vor | |
| ausverkauften Sälen performt, war bei der UNO zu Gast, machte mit seinem | |
| Aktivismus unermüdlich auf das Schicksal der Hamas-Geiseln aufmerksam – | |
| auch beim Sundance Film Festival. Spaulding trägt eine militärische | |
| Hundemarke um den Hals, „Bring them home!“ steht darauf. Auf dem Weg zu | |
| einem Café in Kreuzberg winkt ihm ein Spätibetreiber zu und fragt ihn, wie | |
| es ihm geht. An der nächsten Straßenecke fragt ein Bäcker, wo er denn die | |
| vergangenen Monate gewesen ist. | |
| taz: Herr Spaulding, willkommen zurück. Haben Sie Berlin vermisst? | |
| Daniel-Ryan Spaulding: Ehrlich gesagt, nein. | |
| Warum nicht? | |
| Ich habe 112 Kilo abgenommen, bin jetzt trocken. Ich fühle mich, als könnte | |
| jetzt endlich mein authentisches Selbst sein und das Leben führen, das ich | |
| schon immer führen wollte. Und New York ist für mich ein Neuanfang. | |
| Mit Berlin sind Sie also durch? | |
| Die ersten zwei Jahre in Berlin waren aufregend, aber nach der Pandemie | |
| ging es mir mental nicht gut und mir machte die Stadt keinen Spaß mehr. | |
| Meine Freund*innen und ich haben uns auseinandergelebt, vor allem die aus | |
| der Partyszene, weil ich nüchtern bin. Und dann kam der 7. Oktober, [1][der | |
| mein soziales Leben hier kaputt gemacht hat.] Manche wollen mit mir nichts | |
| mehr zu tun haben. | |
| Seit dem Angriff der Hamas auf Israel haben Sie sich aktiv und lautstark | |
| für die [2][israelischen Geiseln] eingesetzt – und gegen Antisemitismus. | |
| Warum ist Ihnen das wichtig? | |
| Ich wusste eigentlich ziemlich wenig über Israel, bis ich 2019 zum ersten | |
| Mal dort war. Meine Vorstellungen vom Konflikt waren teilweise komplett | |
| falsch. Ich wusste etwa nicht, dass der islamistische Dschihad überhaupt | |
| eine große Rolle spielt. Ich fragte mich, ob es überhaupt ethisch ist, dort | |
| zu performen – aufgrund der Boykottbewegung BDS. Das einzige Bild, das ich | |
| im Kopf hatte, war das von [3][radikalen israelischen Siedler*innen in | |
| der Westbank.] | |
| Woher das Umdenken? | |
| Ich lernte immer mehr Juden und Israelis kennen. Das will BDS durch Boykott | |
| nämlich verhindern: dass man im Austausch bleibt, einander kennenlernt. | |
| Nach dem 7. Oktober habe ich aber begriffen, wie sehr viele Menschen Juden | |
| und Israel hassen. Freund*innen haben den Terror der [4][Hamas zu einer | |
| Widerstandsbewegung] erklärt. Ich postete ein Video auf Instagram, in dem | |
| ich ganz klar sagte: [5][Wer das Abschlachten von Kindern oder | |
| Vergewaltigungen von israelischen Frauen gerechtfertigt findet,] soll mir | |
| entfolgen. | |
| Gab es einen Backlash? Haben Sie Freund*innen, Fans, Follower verloren? | |
| Seitdem habe ich 20.000 Follower auf Instagram verloren, dafür aber 120.000 | |
| neue dazugewonnen. Damit kann ich gut leben. Ich engagiere mich für die | |
| Geiseln und gegen Terrorismus nicht für Fame, sondern weil es richtig ist. | |
| Und dafür werde ich angefeindet. Nach diesem ersten Video wurde mir klar, | |
| wie tief der Hass sitzt – und dass Antisemitismus ein wesentlicher Motor | |
| davon ist. Der Backlash spornt mich aber nur weiter an. | |
| Was sagen Sie Ihren Kritiker*innen, die bemängeln, dass Sie zu einseitig | |
| proisraelisch seien? | |
| Ich bin auch propalästinensisch, weil ich pro Menschen bin. Ich will, dass | |
| die Palästinenser*innen in Sicherheit leben können. Und natürlich | |
| will ich keinen Krieg – das wünschen sich nur böse Menschen. Mein Problem | |
| ist mit Hamas, einem radikalen Todeskult. Der Konflikt ist kein | |
| Fußballspiel, wo man sich für ein Team entscheidet. Ich fühle mich aber mit | |
| Israel verbunden, weil ich dort viel Zeit verbracht habe und dort viele | |
| Menschen kenne. Es ist die einzige Demokratie in Nahost, ein Land, wo | |
| Schwule, Lesben, Frauen und andere marginalisierte Gruppen viele Rechte | |
| haben. | |
| Teile der queeren Community werfen [6][Israel „Pinkwashing“] vor – | |
| LGBTQ*-Rechte seien also lediglich eine Ablenkung vom Leid der | |
| Palästinenser*innen. | |
| Israel hat LGBTQ*-Rechte, weil Menschen dafür gekämpft haben. Der | |
| Pinkwashing-Vorwurf ist nicht mehr als Propaganda, um die Szene dort zu | |
| diskreditieren. Er ist eine Verschwörungserzählung. Und er erweist Schwulen | |
| und Lesben in Israel, die eine lebendige Community aufgebaut haben, einen | |
| Bärendienst. Ich finde den Begriff daher antisemitisch und homofeindlich. | |
| Fühlen Sie sich mit Ihrer Haltung nach dem 7. Oktober noch willkommen in | |
| der Berliner queeren Community? | |
| In der schwulen Szene schon. Aber in der queeren Community weniger. Da sehe | |
| ich immer mehr Virtue Signalling, also eine bewusste Zurschaustellung | |
| vermeintlicher Tugenden, um zu signalisieren, dass man zu „den Guten“ | |
| gehört. Es ist eine Form von moralischem Narzissmus. Ich vermisse bei | |
| vielen den ernsthaften Willen, ein differenziertes, tiefgehendes Gespräch | |
| zu führen. Stattdessen werden soziale Anliegen stark vereinfacht und zur | |
| Waffe gemacht: Man versucht, mit Theorieversatzstücken etwa Terror gegen | |
| Zivilist*innen zu rechtfertigen. | |
| Warum finden Sie es wichtig, gerade als schwuler Mann gegen Antisemitismus | |
| zu kämpfen? | |
| Weil Antisemitismus zu Extremismus führt. Und Judenhass auch zu | |
| Homofeindlichkeit. Als schwuler Mann erlebe ich Hass und Ablehnung leider | |
| von rechts und links. Bei Antisemitismus ist das nicht anders. In vielen | |
| Gesellschaften werden Schwule und Jüdinnen*Juden als allererste zur | |
| Zielscheibe. In den Konzentrationslagern der Nazis wurden Homosexuelle mit | |
| dem Rosa Winkel markiert. Deshalb müssen wir diese Kämpfe auch | |
| zusammendenken. | |
| In manchen Videos tragen Sie eine Halskette mit Davidstern. Man könnte | |
| sagen: Sie eignen sich als Nichtjude ein jüdisches Symbol für eine | |
| Performance an. | |
| Das war ein Geschenk von einem jüdischen Fan aus Toronto, die | |
| Schmuckdesignerin ist. Der Davidstern ist übrigens mit schönen | |
| Swarovski-Kristallen versehen. Meine jüdischen Freund*innen haben gerade | |
| Angst, den Davidstern überhaupt in der Öffentlichkeit zu tragen. Ich will | |
| damit zeigen, dass es okay ist. Ich will Mut machen. Und wer ein Problem | |
| mit einem Davidstern hat, ist antisemitisch. Ich finde übrigens die Idee | |
| lustig, dass Menschen, die sich gerne mit Kufiya verkleiden, ein Problem | |
| mit meinem Davidstern haben könnten, als sei das nicht auch schon | |
| kulturelle Aneignung. | |
| Antisemitismus, die Geiseln, die Hamas – nicht gerade lustige Themen. Ist | |
| Comedy hier überhaupt angemessen? | |
| Eine der besten Möglichkeiten, die Wahrheit ans Licht zu bringen, ist durch | |
| Humor. Ich lache nicht über Tragödien oder menschliches Leid. Ich zeige auf | |
| die toxische Heuchelei, durch die manche die Welt framen wollen. Dafür ist | |
| Comedy perfekt. | |
| Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Aktivismus und Comedy? | |
| Ich bin noch dabei, das herauszufinden. Aber ich möchte nicht in eine | |
| bestimmte Schublade gesteckt werden. Mein Aktivismus ist eine der | |
| bereicherndsten Sachen, die ich in meinem Leben gemacht habe. | |
| Sie setzen sich inzwischen insbesondere auch für das Thema psychische | |
| Gesundheit ein. | |
| Ich bin Spokesmodel einer Kampagne des Designers Kenneth Cole und des | |
| Modelabels Lingua Franca. Mit den Sprüchen „almost normal“ und „I have | |
| issues“ wollen wir auf das Thema aufmerksam machen. Weil es uns alle | |
| betrifft. Aber darüber zu sprechen, ist leider oft noch ein Tabu. Einer der | |
| Gründe, warum ich so viel getrunken habe, war, dass ich unglücklich war. | |
| Und das wiederum hat meine psychische Gesundheit verschlechtert. Und | |
| dadurch habe ich noch weiter zugenommen. Es war eine Abwärtsspirale. | |
| Nervt es Sie, dass viele immer noch über Ihren Körper reden wollen? | |
| Mir ist jetzt egal, was Leute über mich oder mein Aussehen denken. Ich mag | |
| meinen Körper. Aber ich habe das Gefühl, dass manche, sogar Freunde, mich | |
| zuvor lieber mochten. Vielleicht weil sie sich überlegener fühlen konnten. | |
| Jetzt fühlen sich manche Machtdynamiken anders an. Für mich persönlich war | |
| auch diese „Body positivity“-Mentalität, dass ich mich also einfach nur | |
| lieben und akzeptieren soll, nur toxisch. Es war nur eine zusätzliche Ebene | |
| des Scheiterns, denn ich war stark übergewichtig und zutiefst unglücklich. | |
| Ich konnte mich nicht lieben. Ich brauchte medizinische Hilfe. | |
| Was hätten Sie sich stattdessen gewünscht? | |
| Wir brauchen mehr Mitgefühl. Und Menschen, die unter starkem Übergewicht | |
| leiden, müssen wir vorsichtig und einfühlsam helfen, statt ihnen zu sagen, | |
| dass sie sich selbst einfach nur lieben und akzeptieren sollen, egal wie es | |
| mit ihrer Gesundheit aussieht. Ich habe wahrscheinlich zwei bis drei Jahre | |
| meines Lebens damit verschwendet, unglücklich zu sein. Wenn wir mehr | |
| darüber reden, können wir die Welt vielleicht zu einem besseren Ort machen. | |
| 22 Mar 2024 | |
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