# taz.de -- Schläge, Tritte, Morddrohungen: Angriff auf die „Zionistenpresse… | |
> Die Situation für Journalist*innen auf antiisraelischen Demos wird | |
> seit dem 7. Oktober immer gefährlicher. Manche ziehen sich deshalb | |
> zurück. | |
Bild: November 2023: Ordner einer propalästinensischen Demonstration versuchen… | |
Es ist eine neue Qualität der Pressefeindlichkeit im linken Spektrum: | |
[1][Iman Sefati soll am vorvergangen Freitag nach Hause verfolgt und mit | |
einem Messer bedroht worden sein]. Direkt davor hatte der Bild-Reporter | |
über den Berliner „Dyke* March“ berichtet. Was eine Demonstration für | |
lesbische Sichtbarkeit sein sollte, wurde von „Intifada“-Rufen übertönt �… | |
und endete mit einem Vorfall, der unter Journalistenverbänden für Entsetzen | |
sorgt. | |
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) berichtet | |
außerdem: Ein weiterer Journalist sei auf der Demo in den Bauch geschlagen | |
und eine Journalistin an den Haaren gezogen worden. | |
Seit einigen Jahren schon wächst die feindliche Stimmung gegen die Presse | |
auf linken Demos, die sich das Thema Palästina auf die Fahnen schreiben. | |
Schon vor dem Hamas-Angriff gegen Israel am 7. Oktober kam es immer wieder | |
zu Anfeindungen, Beleidigungen oder gar zu körperlicher Gewalt gegen | |
Medienvertreter*innen. | |
[2][Im Mai 2021 wurden etwa Journalist*innen auf einer Demo zum | |
„Nakba“-Tag auf der Berliner Sonnenallee bedroht], als „Lügenpresse“ | |
beschimpft und sogar zum Kampf aufgefordert. Im April 2022 wurden | |
Journalist*innen bei einer Demo von „Palästina Spricht“ auf dem | |
Berliner Hermannplatz [3][als „Drecksjude“ oder „Zionistenpresse“ | |
beschimpft und körperlich attackiert]. | |
Dieser Trend verstärkt sich seit dem 7. Oktober. Die taz sprach mit | |
mehreren Journalist*innen, die regelmäßig über unterschiedliche | |
Demonstrationen berichten – vom rechten Rand bis zum linken Spektrum. | |
Vor allem bei antiisraelischen Demos, auf denen antiimperialistische | |
Gruppierungen wie „Palästina Spricht“ oder „Migrantifa“ auf Hamas-Fans | |
treffen, erlebten sie eine zunehmend feindselige Atmosphäre, die ihre | |
Arbeit immer schwerer macht, sagen die Journalist*innen. Dabei gibt es ein | |
öffentliches Interesse, über solche Demos zu berichten: Immer wieder werden | |
terrorverherrlichende oder antisemitische Parolen skandiert. | |
36 Übergriffe alleine in Berlin | |
„Die Lage ist bedrohlich bis gefährlich“, sagt Jörg Reichel der taz. Er i… | |
Landesgeschäftsführer der dju in Berlin-Brandenburg und beobachtet die | |
Pressefreiheit auf Demos seit Jahren. Seit dem 7. Oktober hat die | |
Gewerkschaft alleine in Berlin 36 körperliche Übergriffe gegen | |
Journalist*innen erfasst, die von antiisraelischen | |
Demoteilnehmer*innen ausgingen – von Flaschenwürfen bis | |
Fahnenstangenschläge. | |
Die „bürgerliche Presse“ ist seit eh und je ein Feindbild in manchen | |
linksautonomen Kreisen. Gemeint sind damit alle Medien, deren Ausrichtung | |
von liberal bis konservativ reicht. 1968 kam es zu Blockaden gegen den | |
Springer-Verlag, „Kameramann-Arschloch“ war bis in die 1990er Jahre eine | |
beliebte Parole im schwarzen Block der Antifa. | |
„Von der Hausbesetzer- und Wagenplatzszene bis hin zu linksradikalen | |
Kleingruppen gibt es heute noch natürlich eine Verbalradikalität, aber es | |
gibt keine persönlichen Bedrohungen von Journalisten“, sagt Reichel. | |
Das sei nicht nur rechts außen anders, sondern auch auf antiisraelischen | |
Demos: „Wer von den Teilnehmer*innen nicht als Pressejournalist | |
anerkannt wird, wird in der Regel mindestens beleidigt, bedroht oder | |
körperlich angegriffen“, sagt Reichel. Es gebe lediglich eine Handvoll an | |
„Medienaktivist*innen“ der Szene oder bestimmte Journalist*innen, vor | |
allem von arabischen oder türkischen Sendern, die frei arbeiten könnten. | |
Die Medienhäuser, die inzwischen als „Feinde“ gelten, seien vielfältig: v… | |
der Bild über den Tagesspiegel bis zur taz. „Es werden auch dpa- und | |
RBB-Reporter angegangen“, sagt Reichel. | |
Ein Vorfall ereignete sich im Januar in Leipzig: Nach einer Demonstration | |
der antiisraelischen Gruppierung Handala wurde ein Videojournalist, der für | |
Sachsen Fernsehen berichtet, [4][mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf | |
und Rücken attackiert]. | |
Beim umstrittenen „Palästina-Kongress“ in Berlin im April, der kurz nach | |
Beginn von der Polizei aufgelöst wurde, wurden Reporter*innen [5][als | |
„zionistische Lügner“ und „Dreckspresse“ beschimpft]. Manche wurden | |
körperlich angegriffen. Die Veranstalter*innen [6][verwehrten zunächst | |
einigen den Zutritt], weil sie für Axel Springer, Stern oder dpa arbeiten | |
würden. | |
Die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch sprach von einer „beunruhigenden | |
Missachtung des grundlegenden demokratischen Prinzips der Pressefreiheit“. | |
Am Ende musste die Polizei diese durchsetzen. | |
Morddrohungen und Hamas-Symbole | |
[7][Der Tagesspiegel-Reporter Julius Geiler] kennt solche Anfeindungen aus | |
erster Hand, er wurde schon mehrfach bedroht. „Vor ein paar Jahren sprühte | |
jemand auf einer Litfaßsäule, dass ich Kreuzberg-Verbot habe, weil Leute | |
mit meiner Berichterstattung zu Nahost nicht einverstanden waren“, sagt er | |
der taz. „Die Pressefeindlichkeit auf propalästinensischen Demos hat aber | |
seit dem 7. Oktober extrem zugenommen – und das hat mit der Radikalisierung | |
der Szene zu tun.“ | |
Auch der Tagesspiegel selbst gerät immer mehr ins Visier der Szene. Im März | |
fand ein Protest vor der Redaktion statt. Der Vorwurf: „Verleumdung“ und | |
„Falschberichterstattung“ beim Thema Nahost. Später wurden rote Dreiecke �… | |
das Symbol der Hamas zur Feindmarkierung – auf die Fassade des Hauses | |
gesprüht. Und nach einem Kommentar des Tagesspiegel-Reporters Sebastian | |
Leber im Juli zu Terrorverherrlichung auf vermeintlich propalästinensischen | |
Demos [8][erhielt der Autor Morddrohungen]. | |
All das hat Folgen. Die bedrohliche Situation für Journalist*innen | |
führt zur „Selbstzensur“, sagt eine freie Fotojournalistin der taz, die | |
jahrelang von rechtsextremen Demos berichtet hat, aber aus | |
Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. Seit dem 7. Oktober hat sie auch | |
viele antiisraelische Demos dokumentiert. Doch seit anderthalb Monaten habe | |
sie sich zurückgezogen: „Es ist mir persönlich einfach zu gefährlich | |
geworden.“ Und sie ist nicht die Einzige. | |
Auch Grischa Stanjek, Mitgründer des Vereins Democ, der | |
demokratiefeindliche Bewegungen beobachtet, berichtet heute seltener vor | |
Ort. „Es wurde zu gefährlich“, sagt er der taz, „und das ist beunruhigen… | |
Ein Kollege sei auf einer Demo von einem Feuerwerkskörper verletzt worden, | |
es habe zudem Hinweise gegeben, dass manche Demoteilnehmer*innen | |
bewaffnet sein könnten. „Die Bedrohung ist viel größer geworden als in den | |
Jahren zuvor.“ | |
Die Videos von Democ wurden in den sozialen Medien bereits millionenfach | |
angeschaut. [9][Ein Video vom 15. Oktober] zeigt Hamas-Parolen und | |
Rangeleien zwischen Polizei und Protestlern auf dem Potsdamer Platz in | |
Berlin. „Die anhaltende Bedrohung hat Konsequenzen, nämlich, dass fast | |
niemand mehr über solche kleineren Versammlungen oder | |
Spontandemonstrationen berichtet“, beklagt Stanjek. | |
Eine „Grenzüberschreitung“ | |
Am Tag nach der Messerbedrohung vor Iman Sefatis Haustür nahm die Polizei | |
den mutmaßlichen Täter auf dem Internationalist Queer Pride in | |
Berlin-Neukölln fest, bei der es ebenfalls zu „Intifada“-Rufen und | |
antisemitischen Parolen kam. | |
Für dju-Geschäftsführer Jörg Reichel ist der Vorfall vor Sefatis Haustür | |
eine „Grenzüberschreitung“. Er vergleicht die zunehmende | |
Pressefeindlichkeit mit der Feindlichkeit zum Höhepunkt der Covidpandemie, | |
als Journalist*innen immer wieder beleidigt und attackiert wurden. | |
„Wir hatten aber während der Coronaphase keine Sachbeschädigung von | |
Pressehäusern und keine Bedrohung im privaten Bereich mit Messer“, so | |
Reichel. Auch wenn er selbst am Rande einer Querdenken-Demo im August 2021 | |
krankenhausreif verprügelt wurde. | |
3 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Angriff-nach-Demo-in-Berlin/!6023825 | |
[2] /Pro-Palaestina-Demos-weltweit/!5772473 | |
[3] https://democ.de/artikel/drecksjude-antisemitische-parolen-und-angriffe-auf… | |
[4] https://www.sachsen-fernsehen.de/brutalster-angriff-auf-pressevertreter-sei… | |
[5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/palaestina-kongress-in-berlin… | |
[6] https://dju.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++bd9b3a7e-fbed-11ee-8ed… | |
[7] /Ermittlungen-gegen-Journalisten/!5936306 | |
[8] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/demonstranten-der-pro-palastinense… | |
[9] https://x.com/democ_de/status/1713664778885816381 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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