# taz.de -- Clubkommission über Krieg im Nahen Osten: „Dieser Konflikt zerre… | |
> Sascha Disselkamp von der Clubcommission Berlin sieht die Clubszene seit | |
> dem 7. Oktober stark polarisiert. Für ihn gibt es keinen Raum für | |
> Antisemitismus. | |
Bild: Haltung in der Clubszene: Sascha Disselkamp in seinem Sage Restaurant | |
wochentaz: Herr Disselkamp, seit dem 7. Oktober scheint die Clubszene in | |
Berlin polarisierter denn je zu sein. Es kommt zu Anfeindungen, | |
Boykottaufrufen, Shitstorms gegen Personen und Institutionen, die als | |
„proisraelisch“ gelten. Solidarität mit den Ermordeten und Entführten des | |
Supernova-Festivals hört man aber kaum. Woran liegt das? | |
Sascha Disselkamp: Also aus meiner Sicht ist der [1][Angriff auf das | |
Supernova-Festival] das Schlimmste, was der Clubszene passieren konnte. Es | |
ist ein Bruch mit der Zivilisation, ein absichtlicher Angriff auf friedlich | |
feiernde unschuldige Menschen, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Und | |
ich glaube, das sieht auch kaum jemand in unserer Szene anders. | |
Wirklich? Es gibt durchaus einige laute Stimmen in der Clubszene, die den | |
Terror der Hamas als antikolonialen Widerstand feiern. Wo bleibt aber der | |
Aufschrei, dass ein Festival angegriffen wurde? | |
Dass es nicht überall eine starke Ablehnung dieser Grausamkeit gibt – nicht | |
nur in der Berliner Clubszene, sondern auch weltweit, auf der Straße, an | |
den Universitäten –, finde ich sehr verwunderlich. Diese Einstellung macht | |
mir wirklich Sorgen. Aber die allermeisten in der Szene, wahrscheinlich die | |
schweigende Mehrheit, sind sehr bestürzt darüber. Ich will sie ermutigen, | |
endlich den Mund aufzumachen. | |
Die Berliner Clubcommission, in deren Vorstand Sie sind, hätte eine | |
Solidaritätskampagne für das Supernova machen können. Oder über | |
Antisemitismus in der Szene aufklären können, wie sie es mit der | |
Awareness-Akademie zum Thema Rassismus bereits seit einigen Jahren tut. | |
Stattdessen hat man das Gefühl, sie duckt sich vor einer Auseinandersetzung | |
mit dem Thema, um einen Konflikt zu vermeiden … | |
Tut sie das? Es ist gerade nicht leicht, sich zu diesem Thema zu äußern. | |
Ich kann nur sagen: Wir teilen innerhalb der Clubcommission die gleichen | |
Werte. Und der Angriff auf dieses Festival hat unser Herz zutiefst | |
gebrochen. Es kann auch keinen in unserer Organisation geben, der das für | |
legitim hält, nachvollziehen kann oder sogar befürwortet. Das kann es nicht | |
geben. | |
Ein Vorstandsmitglied der Clubcommission fiel aber mit privaten | |
Social-Media-Beiträgen auf, in denen ebendiese Gewalt als Widerstand | |
verharmlost wird. Dafür wurde die Person viel kritisiert. Wie gehen Sie | |
intern damit um? | |
Ich bin nicht der Sprecher der Clubcommission und kann nur für mich | |
sprechen. Aber wenn ich das Gefühl hätte, dass wir nicht alle die gleichen | |
Werte teilten, dann würde ich mit ihnen nicht mehr zusammenarbeiten. Wir | |
arbeiten gemeinsam seit Jahren aktiv daran, Diskriminierung in Berliner | |
Clubs abzubauen und dafür, dass sie „safe spaces“ sind und bleiben – auch | |
für Jüdinnen und Juden. Jemandem aus unserem Vorstand Antisemitismus | |
vorzuwerfen ist falsch. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es bei der | |
Clubcommission keinen Raum für Antisemitismus gibt. | |
Das [2][Statement der Clubcommission nach dem 7. Oktober] wurde von einigen | |
als zu vage und unkonkret empfunden. Begriffe wie „Hamas“, „Antisemitismu… | |
und „Juden“ kamen darin nicht mal vor. Können Sie die Kritik | |
nachvollziehen? | |
Ich war Teil dieses Prozesses und habe die Schwierigkeiten gesehen, eine | |
klare Sprache dafür zu finden. Wir haben dieses Statement sehr schnell nach | |
den Taten veröffentlicht und standen teils noch unter Schock. Stündlich | |
gelangten neue grausame Details an die Öffentlichkeit. Uns war es wichtig, | |
möglichst schnell die Taten zu verurteilen. Mit mehr Zeit hätten wir uns | |
mit Sicherheit konkreter äußern können. | |
Personen und Institutionen, die Mitleid mit den jüdischen Opfern äußern | |
oder Antisemitismus kritisieren, werden selbst zur Zielscheibe. Der von | |
Israelis in Berlin betriebene Online-Radiosender HÖR wird boykottiert, der | |
Club Berghain wird heftig kritisiert, weil er einen DJ auslud, der die | |
Vergewaltigungen von israelischen Frauen am 7. Oktober leugnete. Herrscht | |
ein Klima der Angst? | |
Ich habe noch nie so eine Zerrissenheit innerhalb der Szene und in der | |
Gesellschaft allgemein erlebt wie jetzt gerade. Und ich habe 1986 meinen | |
ersten Laden aufgemacht. Das will ich auch ganz deutlich kritisieren: Die | |
Szene, die Clubs werden momentan dazu benutzt, zu polarisieren. Sie werden | |
als Plattform verwendet, um Boykottaufrufe gegen Jüdinnen und Juden und | |
Hetze gegen Andersdenkende zu verbreiten. Und das schadet dem wirklichen | |
Anliegen der Clubkultur. | |
Nämlich? | |
Clubkultur steht für Menschlichkeit und Toleranz, für ein harmonisches | |
Miteinander unter Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und | |
Meinungen. Aber das muss auch heißen, dass Toleranz ihre Grenzen hat und | |
demzufolge einen Terroranschlag auf ein Festival klar zu verurteilen und | |
Antisemitismus zu kritisieren. Dieser Konflikt zerreißt die Szene aber | |
gerade, er reißt Gräben auf. | |
Das klingt nach einer utopischen Vorstellung von Clubkultur … | |
Ich kann mich daran erinnern, als in den Neunzigern das erste Mal | |
Besucher*innen aus Israel vor meiner Clubtür standen. Sie sagten, dass | |
Berlin die tollste Stadt sei, die sie sich vorstellen konnten. Ich hatte | |
Gänsehaut. Vor 80 Jahren war Berlin die Schreckenshauptstadt der Welt. | |
Dieser Wandel hat viel damit zu tun, wie wir damals gefeiert haben, was für | |
Werte wir in der Szene hatten. Clubs waren Orte, in denen Identität | |
überwunden werden konnte, in denen Menschen verschiedenster Hintergründe | |
zusammenkamen. Umso bestürzender finde ich es, wenn ich jetzt erlebe, dass | |
Jüdinnen und Juden in Berlin angegriffen werden, Häuser mit Davidsternen | |
besprüht werden. Das ist völlig inakzeptabel. Das tut mir so richtig in der | |
Seele weh. | |
Vor Kurzem haben Sie auf einer Veranstaltung zum ersten Geburtstag der | |
israelischen Geisel Kfir Bibas gesprochen. Das Baby wurde von der Hamas | |
nach Gaza verschleppt. Sie sprachen über Ihre Enttäuschung von Leuten, die | |
die Gewalt gegen das Supernova-Festival nicht verurteilen wollen. Haben Sie | |
Angst, mit solchen deutlichen Worten selbst ins Visier der Israelhasser und | |
Boykotteure zu geraten? | |
Entschuldigung, ich bin ja auch noch aus einer Generation, die mit ihren | |
Eltern und Großeltern darüber diskutiert hat, ob sie bei den Nazis | |
eigentlich geschwiegen haben. Ich finde, meine Position ist nicht | |
antipalästinensisch und sie ist auch nicht per se proisraelisch, sondern | |
sie benennt einfach, dass es zutiefst inhuman ist, was da passiert ist. Wir | |
müssen den Opfern beistehen. Das schließt Mitleid und Solidarität mit der | |
schrecklichen Situation der Palästinenser*innen im Gazastreifen und | |
den tausenden zivilen Opfern nicht aus. Gleichzeitig fühle ich mich | |
wirklich nicht berufen, etwas zum Nahostkonflikt zu sagen, dazu habe ich | |
gar nicht die Kompetenz. Aber ich finde es eben sehr problematisch, wenn | |
Leute keine klare Haltung zum Massaker auf das Supernova-Festival haben. | |
Haben Sie Kontakt zu der palästinensischen Clubszene? | |
Ich war vor einigen Jahren in der Westbank, habe dort auch ein | |
Flüchtlingscamp besucht. Ich war dort auch mit Clubbetreibern unterwegs, | |
wir haben uns einen illegalen Club angeguckt. Die Location musste geheim | |
gehalten werden. Und es gäbe sehr bedrohliche Szenarien, wenn sie erwischt | |
würden. Die Clubszene in den palästinensischen Gebieten ist von harter | |
Repression betroffen. Auch das müssten wir thematisieren – und Solidarität | |
zeigen. | |
Wie sieht Ihre wertegeleitete Clubkultur denn konkret aus? | |
In einer Welt, die immer weiter nach rechts rückt, müssen wir als | |
Clubkultur umso mehr für unsere Werte einstehen und uns als Teil einer | |
demokratischen Zivilgesellschaft engagieren. Ich bin richtig froh über die | |
Großdemos gegen die AfD. Die Clubszene muss sich ihnen anschließen. Wir | |
werden uns auch weiter gegen den Rechtsruck in Deutschland engagieren. | |
Der [3][Berliner KitKatClub, der im von Ihnen betriebenen Sage Club | |
residiert, stand neulich in der Kritik, weil Türsteher Verbindungen in die | |
rechtsextreme Kampfsportszene haben sollen]. Distanzierungen der | |
KitKat-Betreiberin klangen halbherzig und nicht besonders überzeugend … | |
Es wäre nicht hinnehmbar, wenn Rechtsextreme Türen unterwandern, aber viele | |
Türsteher arbeiten freiberuflich, da findet keine Gesinnungsprüfung vorher | |
statt. Ich habe großes Vertrauen zu den Leuten aus dem KitKat, dass sie mit | |
ihrem Personal reden und künftig genau wissen, wer da vor der Tür steht und | |
Leute kontrolliert. | |
Die alten Themen für die Clubkultur – die Spätfolgen von Corona, | |
Clubsterben, Gentrifizierung – scheinen seit dem 7. Oktober medial | |
unterzugehen. Macht Ihnen das Sorgen? | |
Definitiv. Es ist nicht nur der 7. Oktober, der die Clubszene vor große | |
Herausforderungen stellt. Wie geht es weiter nach der Pandemie? Wie können | |
wir die Verlängerung der Autobahn A 100 durch einen Kulturkiez in Berlin | |
verhindern? Wie sichern wir urbane Flächen für Kunst und Kultur? Aber das | |
sind alles Themen, die momentan überschattet werden. | |
11 Feb 2024 | |
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[1] /DJ-ueber-Antisemitismus-in-der-Clubszene/!5973442 | |
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## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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