| # taz.de -- Berliner Senatorin über linke Justizpolitik: „Der Knast ist nur … | |
| > In Berlin stellt jetzt die Linke die Justizsenatorin. Lena Kreck über | |
| > Repression, Ersatzstrafen für Schwarzfahrer_innen und die Öffnung aller | |
| > Knäste. | |
| Bild: „Natürlich war ich auch auf Demos“: Lena Kreck in einem Sitzungssaal… | |
| taz: Frau Kreck, Sie sind seit Dezember Berlins neue Justizsenatorin. Schon | |
| eingelebt? | |
| Lena Kreck: Ja. Das ging ganz schnell; es war ein warmer Empfang. | |
| Sie sind nicht die erste Justizsenatorin, aber tatsächlich waren die | |
| meisten Männer. | |
| Aber ich bin die erste linke Justizsenatorin! | |
| Waren Sie schon zum Antrittsbesuch im Gefängnis? | |
| Nein, das mache ich erst nach der Omikronwelle. Ich werde mit den Leitungen | |
| der Justizvollzugsangestellten allerdings schon vorher virtuell Kontakt | |
| aufnehmen. | |
| Und danach die Häftlinge? | |
| Ja. Mit denen werde ich auch reden. | |
| Die [1][Knastzeitung „Lichtblick“] hat Sie ja schon eingeladen. Die | |
| Insassen haben große Erwartungen an Sie. | |
| Das hoffe ich doch! In der Politik ist es immer so, dass man nicht alle | |
| Erwartungen erfüllen kann. Aber mein Anspruch ist, auch explizit die | |
| Perspektive von Gefangenen auf dem Radar zu haben. | |
| Was ist für Sie linke Justizpolitik? | |
| Knapp formuliert: Soziale Probleme nicht mit Repression zu beantworten. | |
| Linke Justizpolitik ist getragen von einer ganz klaren Orientierung auf die | |
| Grund- und Menschenrechte. | |
| Haben Sie ein Beispiel? | |
| Das Beispiel Mietschulden oder Zwangsräumungen, da müssen wir viel früher | |
| intervenieren. Denn bei einer Zwangsräumung verliert ein Mensch sein | |
| Zuhause – ein sehr schwerwiegender Einschnitt ins Leben. Wie können wir | |
| also intervenieren, bevor der Räumungstitel vollstreckt wird? Das sind | |
| Fragen, die linke Justizpolitik umtreiben. | |
| Welche Rolle spielen Sie als Justizsenatorin [2][bei der Entwicklung eines | |
| Enteignungsgesetzes], sprich bei der Umsetzung des Volksentscheides? | |
| Die Umsetzung des Volksentscheides liegt maßgeblich bei Herrn Geisel in der | |
| Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Allerdings wissen | |
| wir alle, dass uns dieses Projekt juristisch vor einige Herausforderungen | |
| stellt. Sehr wahrscheinlich wird es die Gerichte beschäftigen. Ich werde | |
| mit den Ressourcen, die mir in diesem Haus zur Verfügung stehen, alles | |
| daransetzen, dass wir am Ende ein Gesetz haben, das in Karlsruhe bestehen | |
| kann. | |
| Wie sind die Erfolgsaussichten eines solchen Gesetzes? | |
| Wir betreten hier juristisches Neuland. Mir liegen verschiedene | |
| Rechtseinschätzungen vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass Artikel 15 des | |
| Grundgesetzes sehr wohl zur Anwendung kommen kann – unter anderem aus der | |
| Innenverwaltung unter der damaligen Leitung von Herrn Geisel. | |
| Was bedeutet die Orientierung auf die Grund- und Menschenrechte konkret für | |
| Insassen der Haftanstalten? | |
| Die Idee der Resozialisierung steht an erster Stelle. Ein Schlüssel dafür | |
| ist, dass die Einschränkungen für Menschenrechte über die Haft auch | |
| wirklich angemessen sind. Mir ist aber auch die Opferperspektive wichtig: | |
| Wir müssen schauen, wie man Opfer besser begleiten kann. | |
| In Berlin läuft eine Debatte über Ersatzfreiheitsstrafen, von denen 1.000 | |
| Menschen betroffen sind. Die Hälfte sitzt im Knast, weil sie mehrfach ohne | |
| Ticket BVG gefahren ist. Das ist ein drängendes Problem. | |
| Die Regelungen zu den Ersatzfreiheitsstrafen sind Bundesrecht. Da komme ich | |
| nicht ohne Weiteres ran. Andererseits gibt es ein Signal von der | |
| Ampelregierung, dass dieser Straftatbestand gestrichen werden soll. Das | |
| finde ich komplett richtig. Aber als Justizsenatorin kann ich unmittelbar | |
| an der Frage der Vollstreckung ansetzen. | |
| Inwiefern? | |
| Der zentrale Gedanke, den man sich immer wieder vor Augen führen muss, ist, | |
| dass eine Person, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antritt, gar nicht zu | |
| einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Es war Tat und Schuld | |
| angemessen, eine Geldstrafe zu verhängen. Und von daher muss auch bei der | |
| Vollstreckung alles daran gesetzt werden, dass diese Menschen diese | |
| Geldstrafe ableisten können. Die Sozialen Dienste der Justiz … | |
| … also soziale Projekte wie „Arbeit statt Strafe“, mit denen Geldstrafen | |
| abgearbeitet werden können … | |
| … sind da vor allem gefragt. Da haben wir noch Luft nach oben. Ziel muss es | |
| sein, die Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen radikal zu reduzieren. | |
| Vor Kurzem hat [3][eine Initiative Menschen aus dem Gefängnis freigekauft], | |
| die wegen wiederholten Schwarzfahrens einsaßen. Eine gute Aktion? | |
| Als politische Aktion fand ich das genau richtig. | |
| Und als Justizsenatorin? | |
| Kann das nicht die Lösung sein. Ich will das strukturell angehen. | |
| Mal langfristig, vielleicht utopisch gedacht: Sind Knäste für Sie eine | |
| Ultima Ratio, die man braucht, die Sie aber gerne perspektivisch abschaffen | |
| würden? | |
| Es wird immer wieder Situationen geben, in denen sich Personen in einer Art | |
| und Weise verhalten, die gesellschaftlich nicht erwünscht ist – egal wie | |
| diese Gesellschaft aussieht. Eine Gesellschaft muss Antworten finden, wie | |
| sie mit diesem Verhalten umgeht. Ich persönlich verfolge erst mal die Idee, | |
| dass der Knast wirklich Ultima Ratio sein muss, und finde es attraktiv, | |
| wenn niemand mehr in Haft ist. | |
| Ihr Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne) war gerade kurz im Amt, da brachen | |
| mehrere Insassen aus Gefängnissen aus. Sofort hat er die | |
| Sicherheitsmaßnahmen in den JVA Tegel und Plötzensee verschärft. Hätten Sie | |
| das auch so gemacht? | |
| Ich zähle Dirk Behrendt und mich zum progressiven Lager. Doch in dieser | |
| Gesellschaft haben wir uns darauf verständigt, dass es so etwas wie | |
| Haftstrafen gibt. Und dann ist es natürlich Aufgabe der Justizsenatorin zu | |
| gewährleisten, dass diese gesellschaftliche Vereinbarung eingehalten wird. | |
| Das heißt, ich werde nicht die JVA aufschließen und die Leute freilassen. | |
| Ich müsste es wohl so ähnlich machen wie Dirk Behrendt, wenn es eine | |
| größere Anzahl von Entweichungen gäbe. | |
| Rot-Grün-Rot möchte die Zahl der Menschen erhöhen, die nach zwei Dritteln | |
| der Strafe freikommen. Wie soll das gehen? | |
| Erst mal entscheiden die Gerichte, Stichwort Gewaltenteilung. Aber auch | |
| hier stellt sich die Frage des Vollzugs. Die Haftanstalten könnten | |
| gezielter und schneller zuarbeiten, so dass die Inhaftierten zu einer | |
| positiven Prognose kommen. Wir sind hier bundesweit Schlusslicht. Das ist | |
| also kein abgefahrenes linksradikales Projekt, sondern die Angleichung an | |
| die bundesweiten Standards. | |
| Auch Ihr Vorgänger hatte das angekündigt, passiert ist wenig. Glauben Sie, | |
| Sie können da was bewegen? | |
| Wenn ich das nicht glauben würde, hätte ich mich für diesen Job nicht zur | |
| Verfügung gestellt. Auf vieles, was Dirk Behrendt in die Wege geleitet hat, | |
| kann ich zurückgreifen. Sicherlich werde ich an der einen oder anderen | |
| Stelle aber die Schraube auch ein Stück weiter nach links drehen. | |
| Haben Sie auch dafür ein konkretes Beispiel? | |
| Ich komme aus der Sozialen Arbeit. Sie kann unglaublich viel dafür leisten, | |
| dass eine Stadt friedlicher wird. Es gibt Felder, in denen Personen | |
| kriminell sind und man mit der Sozialen Arbeit nicht rankommt – da mache | |
| ich mir keine Illusionen. Aber ich glaube, dass durch eine andere und | |
| intensivere Begleitung viel erreicht werden kann. | |
| Wo sie gerade Ihre Biografie erwähnen: Viel ist darüber nicht bekannt. Was | |
| hat Sie als junger Mensch politisiert? | |
| Die Schüler_innenbewegung in Rheinland-Pfalz, wo ich herstamme. Ich war | |
| eine klassisch politische Jugendliche und ganz umtriebig, natürlich war ich | |
| auch auf Demos. Später stieß ich zu den Jungdemokraten/Junge Linke, die der | |
| Selbstbeschreibung nach radikaldemokratisch sind. Ich würde dieses Label | |
| nach wie vor für mich verwenden. Seit 21 Jahren bin ich nun in Berlin. | |
| Zuletzt haben Sie an der Evangelischen Hochschule Berlin in Zehlendorf | |
| gelehrt. Was war Ihr Schwerpunkt? | |
| Ich war Hochschullehrerin mit Herzblut und habe Soziale Arbeit mit einem | |
| politischen Einschlag gelehrt: Wie geht eine Gesellschaft mit | |
| marginalisierten Personen um? Wie können Personen ihre Rechte durchsetzen? | |
| Wie bekommen sie einen Zugang zum Recht? Solche Fragen interessieren mich. | |
| Rückblickend war mein Weg in die Politik nicht gerade, im Gegensatz zu | |
| anderen Personen. Deshalb bin ich vielleicht auch gar nicht so eine ganz | |
| klassische Politikerin. Aber wenn man sich anguckt, was ich inhaltlich | |
| gemacht habe, ist es folgerichtig, dass ich mich als Senatorin zur | |
| Verfügung gestellt habe. | |
| Sind Sie eher der harmonische Typ oder eher jemand, die in Konflikte geht? | |
| Ich bin sehr klar in meinen Positionen. Von daher gibt es sicherlich den | |
| einen oder anderen Konflikt, aber ich bin nicht engstirnig. | |
| Ihnen untersteht auch der Bereich Antidiskriminierung. Ihr Vorgänger hat | |
| sich da stark profiliert, viele Initiativen vorangetrieben, queere | |
| Jugendzentren gestartet. Wo wollen Sie noch Akzente setzen? | |
| Was in der Antidiskriminierungspolitik in den letzten Jahren gelaufen ist, | |
| ist absolut beachtlich. Allerdings will ich mehr Aufmerksamkeit für | |
| strukturelle Diskriminierung wecken: Wir müssen noch stärker erkennen, wie | |
| gesellschaftliche Mechanismen der Ausgrenzung wirken. Da geht es nicht mehr | |
| um den Einzelfall, sondern um institutionelle Defizite. Queere | |
| Jugendzentren muss es natürlich weiter geben, denen will ich keine Absage | |
| erteilen. | |
| Es gibt wenig Bereiche, die so von Boulevardmedien ausgeschlachtet werden, | |
| wie die Justiz. Wie haben Sie Sich darauf vorbereitet? | |
| (lacht) Ich kann mich von bestimmten Sachen ganz wunderbar freimachen. | |
| Nachdem [4][meine Nominierung als Senatorin durch die Linke draußen war] | |
| und natürlich alles hochkochte – von wegen nicht gewählte | |
| Verfassungsrichterin und so –, habe ich einfach ein Wochenende lang die | |
| Presse nicht gelesen. | |
| Sie spielen auf [5][Ihre gescheiterte Kandidatur zur Berliner | |
| Verfassungsrichterin 2019] an. Die CDU hat hintertrieben, dass Sie gewählt | |
| wurden. Es kam zum Eklat. Ist die Ernennung zur Justizsenatorin eine späte | |
| Genugtuung? | |
| Dieses Gefühl habe ich nicht. Ich habe die Ablehnung damals überhaupt nicht | |
| mit meiner Person in Verbindung gebracht. | |
| Das glauben wir nicht. Die ganze Argumentation lief doch gegen Sie als | |
| Person. | |
| Die CDU brauchte ja ein Argument. Dass einer Frau unter 40 Jahren die | |
| Kompetenz abgesprochen wird, ist immer ein ganz leichtes Spiel. Das war | |
| eigentlich ein Kettenrasseln. Die Union konnte nicht sagen: Da wollten wir | |
| denen eins auswischen. In der politischen Kommunikation muss es rational | |
| begründbar sein. | |
| Haben Sie bedauert, dass Sie nicht zur Verfassungsrichterin gewählt worden | |
| sind? | |
| Ich hätte diese Aufgabe gerne ausgefüllt. Aber es ist nichts, von dem ich | |
| sage, das fehlt mir jetzt aber in meiner Vita. | |
| 20 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.lichtblick-zeitung.org | |
| [2] /Volksbegehren-Enteignen-in-Berlin/!5813790 | |
| [3] /Freiheitsfonds-kauft-Schwarzfahrer-frei/!5818831 | |
| [4] /Linke-praesentiert-Justizsenatorin/!5821772 | |
| [5] /Eklat-im-Abgeordnetenhaus/!5635020 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
| Bert Schulz | |
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