# taz.de -- Berlins neue Justizsenatorin über Knäste: Die Utopie als Leitfaden | |
> Lena Kreck kann sich eine Welt ohne Gefängnisse vorstellen. Was heißt das | |
> für ihre konkrete politische Arbeit? Ein Wochenkommentar. | |
Bild: Seit Dezember im Amt: Lena Kreck (Linkspartei), Berlins neue Justizsenato… | |
Ein Mitglied der Linkspartei als Justizminister*in? Das bringt selbst die | |
lahmsten Konservativen noch in Wallung. „Der Rechtsstaat und die Justiz | |
dürfen nicht zur Spielwiese linker Ideologen verkommen“, empörte sich | |
Berlins CDU-Chef Kai Wegner, als Berlins Linkspartei Lena Kreck [1][Mitte | |
Dezember als Senatorin nominierte]. | |
Und die in der Hauptstadt traditionell rechtslastige FDP fand im | |
Phrasenkästchen tatsächlich noch die Umschreibung „SED-Erbin“ für die | |
Linkspartei, die in Berlin von den vergangenen 20 Jahren immerhin 15 Jahre | |
mitregiert hat und nun drei Senator*innen, darunter auch erstmals die | |
Justizsenatorin, stellt. Auch bundesweit ist das – mit Ausnahme von | |
Brandenburg – eine Seltenheit. | |
Und Kreck enttäuscht die Konservativen nicht. „Ich persönlich finde es | |
attraktiv, wenn niemand mehr in Haft ist“, sagte sie diese Woche [2][im | |
Interview mit der taz,] und stellte damit die Existenz von Gefängnissen in | |
Frage. Zumindest theoretisch. Denn zugleich betonte sie: „In dieser | |
Gesellschaft haben wir uns darauf verständigt, dass es so etwas wie | |
Haftstrafen gibt. Ich werde nicht die Justizvollzugsanstalten aufschließen | |
und die Leute freilassen.“ Dass sie das vorhaben könnte, hätten aber auch | |
nicht mal die ideologisch verblendetsten CDUler erwartet. | |
Geht es Kreck mit ihrer Aussage nun darum, Erwartungen zu wecken oder, | |
angesichts der postwendenden Einschränkung, Erwartungen zu dämpfen? Ihre | |
weiteren Positionen im taz-Interview zeigen: Sie legt die Messlatte an sich | |
und ihre Arbeit hoch. Genauso hatten das die drei Linkspartei-Senator*innen | |
in der vergangenen Legislatur in den Bereichen Kultur, Soziales und | |
Stadtentwicklung getan. Und sie waren erfolgreich damit, wie das Berliner | |
Wahlergebnis im Vergleich zum Ergebnis bei der Bundestagswahl zeigt. | |
In Krecks Fall ist der artikulierte hohe Anspruch dennoch etwas Besonderes: | |
Mehr als in anderen Politikbereichen liegt die Gesetzgebungskompetenz beim | |
Bund. Und Bundesratsinitiativen haben oft nur kosmetischen Charakter, auch | |
das zeigte die vergangene Legislatur. Für die neue Justizsenatorin heißt | |
das: Sie muss an den kleinen, nachgelagerten Stellschrauben drehen, etwa | |
die Betreuung von Verurteilten während und nach Verbüßung der Strafe | |
verbessern. | |
Ihr Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne), den Kreck wie sich selbst zum | |
„progressiven Lager“ zählt, hat, was den Strafvollzug angeht, vor allem | |
Personal aufgebaut – und sich ansonsten [3][auf den Bereich der | |
Antidiskriminierung] konzentriert, in dem das Land viele | |
Veränderungsmöglichkeiten besitzt. Behrendt hat für diese Arbeit | |
parteiübergreifend Anerkennung erhalten. | |
Wenn seine Nachfolgerin nun den Strafvollzug wieder stärker in den Blick | |
nimmt, so ist das dringend notwendig. Eine utopisch anmutende Leitfrage, | |
welchen Sinn Gefängnisse machen und welche Folgen Haftstrafen für die | |
Betroffenen haben, kann helfen, beim Drehen der kleinen Stellschrauben den | |
Blick fürs Ganze zu schärfen. | |
Und vor allem: Diesen Blick fürs Ganze auch wieder stärker der Bevölkerung | |
zu vermitteln, die von Gefangenen oft nur etwas mitkriegt, wenn eine | |
Boulevardzeitung eine Ausbrecher*in wieder über ihre Seiten jagt. | |
Ansonsten ist der Repressionsalltag hinter den Gefängnismauern gut | |
weggeschlossen. Das zu ändern, zu vermitteln, wie ein Staat „im Namen des | |
Volkes“ bestraft, muss ein Ziel linker Justizpolitik sein. | |
21 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Linke-praesentiert-Justizsenatorin/!5821772 | |
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[3] /Queere-Politik-des-Landes-Berlin/!5608982 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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