| # taz.de -- Strafvollzug in Berlin: Kein guter Ort für Gefangene | |
| > Der Berliner Vollzugsbeirat appelliert an neue Justizsenatorin, die | |
| > Teilanstalt II in der JVA Tegel zu schließen. Die Bedingungen dort seien | |
| > unwürdig. | |
| Bild: Noch wie im 19 Jahrhundert: Fenster zum Hof in der JVA Tegel | |
| taz: Herr Heischel, es gibt wohl wenig Menschen, die den Berliner | |
| Strafvollzug so gut kennen wie Sie. Wie lange sind Sie schon im Berliner | |
| Vollzugsbeirat aktiv? | |
| Olaf Heischel: Ich sitze seit 1989 im Vollzugsbeirat, das ist die | |
| Dachorganisation der acht Berliner Haftanstalten. Seit 1999 bin ich | |
| Vorsitzender. Ich kenne nicht jeden Knast so genau wie einzelne | |
| Anstaltsbeiräte, aber durch die Informationen, die ich erhalte, habe ich | |
| einen guten Überblick – auch was die geschichtliche Entwicklung betrifft. | |
| Wir setzen uns für die Fortentwicklung des Strafvollzuges ein und äußern | |
| bei Missständen auch öffentlich Kritik. | |
| In der vergangenen Legislaturperiode hatte Berlin einen grünen | |
| Justizsenator. [1][Jetzt haben wir erstmals eine linke Justizsenatorin.] | |
| Was erwarten Sie von Lena Kreck für den Strafvollzug? | |
| Grüne und Linke sind sich in ihren Vorstellungen relativ nahe, ich hatte | |
| mit beiden Parteien schon viel zu tun. Was Frau Kreck als Justizsenatorin | |
| bislang öffentlich geäußert hat, ist ein hervorragender Ansatz: dass sie | |
| sich dafür einsetzen will, dass darauf hingearbeitet wird, dass der | |
| Strafvollzug, das Strafen, tatsächlich Ultima Ratio sein soll. | |
| Diesen Ansatz hatte der grüne Justizsenator Dirk Behrendt auch vertreten, | |
| ausgewirkt hat sich das nicht. | |
| Meine Hoffnung ist, dass sich Frau Kreck im Strafvollzug für die offenen | |
| „Baustellen“ einsetzen wird, die wir mit Herrn Behrendt nicht regeln | |
| konnten und die er auch nicht so gesehen hat. | |
| Sie hatten Dirk Behrendt hart wegen der Zustände im Männerknast Tegel | |
| kritisiert und ihm vorgeworfen, aus [2][ideologischen Gründen (siehe | |
| Beitext) eine Fehlentscheidung] getroffen zu haben. Was war der | |
| Hintergrund? | |
| Ich meinte damit und das meine ich immer noch, dass die Teilanstalt II in | |
| der JVA Tegel kein Ort ist, an dem man verurteilte Gefangene verwahren | |
| sollte. Ein vernünftiger Umgang der Gefangenen miteinander ist dort ebenso | |
| wenig möglich wie dass sich Bedienstete vernünftig um sie kümmern können. | |
| Nach meinem Empfinden sind die Bedingungen in dem Haus auf ein | |
| ungesetzliches Niveau heruntergeschraubt. Der Resozialisierungsauftrag des | |
| Strafvollzuges wird dadurch sträflich vernachlässigt. | |
| Was ist Ihr Appell an Justizsenatorin Kreck? | |
| Sie möge sich dafür einsetzen, dass die Teilanstalt II geschlossen wird. | |
| Als Alternative sollte ein angemessener Bau gefunden oder ein neues Haus | |
| gebaut werden. | |
| Das sagt sich so leicht. In der TA II sitzen immerhin 300 Männer ein. | |
| Die Problematik ist schlicht und einfach, dass es dort so viele schwierige | |
| Gefangenen gibt. Deutlich Schwierigere als in den anderen Teilanstalten. | |
| Die baulichen Verhältnisse befördern die unerträglichen Zustände. | |
| Die im sogenannten panoptischen System in offener Galeriebauweise | |
| errichtete TA II stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Der Lärm ist | |
| unerträglich, die Zellen sind dunkel, die Sanitäranlagen veraltet. | |
| Aufgrund der Bauweise ist das Haus im Inneren relativ durchlässig. Das | |
| bedeutet, dass die schwierigen Gefangenen das Heft in der Hand haben und es | |
| viel Subkultur und Gewalt unter den Insassen in jeglicher Hinsicht gibt. | |
| Wie muss man sich das vorstellen? | |
| Die Stärkeren üben Druck auf die anderen aus, um ungestört ihre Geschäfte | |
| abwickeln zu können. Dabei geht es um Dinge, die im Knast begehrt sind. Im | |
| Zweifelsfall ist das der Handel mit Rauschmitteln und Handys. Die Starken | |
| halten sich ihre Helfer, bedrohen die anderen oder bestechen sie. Bedrohung | |
| wirkt im Regelfall nur, wenn man ab und zu auch jemanden körperlich fertig | |
| macht. So läuft das Geschäft. | |
| Wie konnte das so lange toleriert werden? | |
| Da bin ich ratlos. Meine These ist, das ist so wie früher. Auch da gab es | |
| immer einen besonders schlechten Teil des Vollzugs, um den Gefangenen als | |
| abschreckendes Beispiel vor Augen zu halten: Guckt mal, das blüht euch, | |
| wenn ihr nicht brav seid. Dass sie von einem angenehmen oder mittelmäßigen | |
| Bereich in einen hundsmiserablen abgeschoben werden können. Früher war das | |
| die Teilanstalt III … | |
| … das inzwischen stillgelegte Langstrafer-Haus, einst auch das Zuchthaus. | |
| Und jetzt ist es eben die Teilanstalt II. Die Stilllegung dieses Hauses | |
| verbunden mit der Schaffung von zivilisationsangemessenen | |
| Gefängnisverhältnissen hat für mich absolute Priorität. Was das angeht, | |
| gibt es in Tegel allerdings noch eine weitere „Baustelle“: die Teilanstalt | |
| IV. | |
| Sie meinen die sozialtherapeutische Anstalt, kurz SothA genannt? | |
| Ja. Der Bau stammt zwar aus den 70er Jahren und ist somit wesentlich neuer. | |
| Aber die räumlichen Bedingungen sind inzwischen überhaupt nicht mehr | |
| geeignet für therapeutische Gruppen- und Einzelarbeit. Wenn die räumlichen | |
| Verhältnisse so heruntergekommen sind, braucht es nicht mehr viele andere | |
| negative Einwirkungen. | |
| Worauf wollen Sie hinaus? | |
| Jeder Mensch, der in halbwegs vernünftigen Verhältnissen untergebracht ist, | |
| empfindet ein Grundmaß an Achtung vor sich selbst. Wenn jemand von | |
| vornherein missachtet wird, hat er überhaupt nicht die Idee, warum soll ich | |
| mich ändern? Das ist in der SothA mittlerweile ähnlich wie in der | |
| Teilanstalt II. Diese Dinge muss man angehen. | |
| 3 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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