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# taz.de -- Umweltaktivist über Verkehr in Madrid: „Autofreie Städte sind d…
> Madrid gehörte zu den ersten Städten, die Individualverkehr aus der City
> verbannten. Doch das Verbot hielt nicht. Was ging schief?
Bild: Wirklich autofrei ist die Madrider Innenstadt nicht geworden, Straßensze…
taz: Herr Segura, [1][Madrid führte 2018 die Niedrigemissionszone „Madrid
Central“] ein und sperrte 472 Hektar für den Verkehr. Die Luftverschmutzung
ging deutlich zurück. Wie ist zu erklären, dass eine solche europaweit
beachtete Maßnahme von einer neuen Stadtverwaltung rückgängig gemacht wird?
Paco Segura: Die neue, rechte Stadtverwaltung lässt sich von politischem
Fundamentalismus leiten: Was die Linke gemacht hat, ist schlecht, muss
gekippt werden. Dabei ging die Stickoxidbelastung bis zur Hälfte zurück.
Aber weil diese Maßnahme, die ganz objektiv gesehen gut ist für die
Bewohner der Stadt, von der Linken kam, musste sie rückgängig gemacht
werden.
Wie konnte die Verwaltung das durchsetzen?
Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida hatte den freien Autoverkehr in
seinem Wahlprogramm. Zwar gewann Más Madrid, die Partei der vorherigen
Bürgermeisterin Manuela Carmena, 2019 erneut die Wahlen, doch die drei
Rechtsparteien, Almeidas Partido Popular (PP), Ciudadanos und Vox haben
gemeinsam eine knappe Mehrheit.
Die Bürger machten das mit?
Mitten in einer Hitzewelle gingen Ende Juni 2019 über 30.000 Menschen für
den Erhalt von Madrid Central – und damit gegen den ungehinderten
Pkw-Verkehr – auf die Straße. Die Menschen hatten einfach gesehen, dass es
sich ohne Verkehr besser lebt. Wir klagten und erreichten eine einstweilige
Verfügung für den Erhalt, und aus Brüssel wurde ebenfalls Druck auf die
Stadtverwaltung ausgeübt.
Wie steht es heute um die Madrider Luft?
Nirgends in Europa sterben so viele Menschen an schlechter Luft wie in
Madrid. Dafür sind [2][vor allem die Stickoxide verantwortlich], und die
kommen hauptsächlich von Straßenverkehr. Deshalb wurde Madrid Central ja
eingeführt.
Seit Mitte Dezember ist jetzt die neue Niedrigemissionszone in Kraft. Sie
heißt „Madrid 360“. Was halten Sie davon?
Das ist so etwas wie Madrid Central light. Das Gebiet bleibt das gleiche,
die Regeln, für welche Umweltplakette wie gilt, bleiben gleich. Aber es
dürfen rund 40 Prozent mehr Fahrzeuge – 60.000 Pkws und Lieferwagen –
zusätzlich in die Innenstadt. Inhaber von Geschäften dürfen mit bis zu drei
Fahrzeugen einfahren, bisher gilt das nur für die Anwohner. Außerdem haben
sie das Recht, für bis zu 20 Fahrzeuge pro Monat eine einmalige
Einfahrerlaubnis zu beantragen. Hinzu kommt das Recht, Kinder mit dem Auto
in die Innenstadt zur Schule zu bringen. Und Motorräder dürfen abends eine
Stunde länger in die Innenstadt.
Bei Maßnahmen, die so stark in den Alltag eingreifen, ist es wichtig, die
Bürger mitzunehmen. Wie hat sich das politische Hin und Her in diesem Fall
ausgewirkt?
Viele Bürger wissen nicht mehr, was genau gilt. Die neue Stadtverwaltung
hat in den letzten zwei Jahren ein riesiges Durcheinander geschaffen, indem
sie Nachrichten und Statistiken erfanden. So erklärten sie zum Beispiel,
dass Madrid Central die Luftverschmutzung in den angrenzenden Bezirken
erhöht habe, obwohl die Messergebnisse das Gegenteil zeigten: Auch
außerhalb von Madrid Central ging die Luftverschmutzung um 10 Prozent
zurück, da einfach weniger Menschen mit dem Auto in die Stadt kamen. Dann
wurden die Kameras abgeschaltet, keine Bußgeldbescheide mehr ausgestellt.
Almeidas PP klagte gegen Madrid Central. All das schuf Verwirrung, und
viele fuhren einfach wieder mit dem Auto in die Stadt. Hinzu kommt die
Angst vor Covid-19 in den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Wie gut wird heute kontrolliert? Lassen sich die Beschränkungen umgehen?
Es gibt Schlupflöcher. Wer von außerhalb kommt, kann – wenn die
Umweltplakette stimmt – in ein Parkhaus und hat dadurch das Recht, in die
Innenstadt zu fahren. Zu Beginn von Madrid Central machte dies kaum jemand.
Ein Großteil der Bevölkerung sah die Vorteile der Verkehrsbeschränkung,
akzeptierte sie und hieß sie für gut. Jetzt nach zwei Jahren Hin und Her
ist es völlig normal.
Es ist nicht damit getan, Teile der Stadt für Autos zu sperren. Es braucht
echte Alternativen. Wie schneidet Madrid da ab?
In der Pandemie wurde der Fahrplan für Bus und U-Bahn ausgedünnt. Und
Fahrradwege gibt es wenige. Die Stadtverwaltung redet immer wieder von
vielen, vielen Kilometern. Aber der Großteil davon ist einem Radweg rund um
die Stadt geschuldet. Der ist schön für Ausflüge. Aber im Alltag bringt er
gar nichts.
Nach dem Lockdown benutzten viele Menschen das Fahrrad als Alternative zum
ÖPNV, aus Angst vor Infektion. Das ist nicht mehr so?
Madrid hat eine große Chance vertan. Damals gab es so viele Fahrräder wie
nie. Doch die Stadtverwaltung unterstützte diesen Trend nicht. Es gibt
keine neuen Radwege, einige wurden gar abgeschafft. Madrid setzt darauf,
bei mehrspurigen Straßen eine Spur auf 30 Stundenkilometer zu begrenzen und
sie von Autos und Fahrrädern gemeinsam nutzen zu lassen. Die Autofahrer
halten sich nicht daran. Radfahren ist einfach nicht sicher. Das ist das
Problem.
Beim Thema Auto geht es also um mehr als nur die Luftverschmutzung. Ist der
Umstieg auf E-Autos eine Lösung für Innenstädte?
Mit E-Autos entfällt ein Großteil der Luftverschmutzung und der
Lärmbelastung. Aber andere Probleme bleiben. [3][Auch E-Autos nehmen Platz
weg]. Auch E-Autos sind ein Sicherheitsrisiko für andere, schwächere
Verkehrsteilnehmer. Das führt dazu, dass zum Beispiel Kinder in der Stadt
nur wenige Freiräume haben.
Schlechte Nachrichten für all diejenigen, die glauben, dass in der Zukunft
die Städte Terrain für E-Autos sein werden?
Ja. Die Zukunft sind autofreie Städte.
1 Jan 2022
## LINKS
[1] /Verkehrspolitik-in-Spaniens-Hauptstadt/!5772128
[2] /Stickoxid-in-Europas-Metropolen/!5812535
[3] /Das-Ringen-um-den-Parkraum/!5807133
## AUTOREN
Reiner Wandler
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