Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verkehrswende in Österreich: Vom Autofahrerland zur Klimaoase
> Weniger neue Straßen und der Bahnausbau sind das Herzstück der
> Verkehrswende in Österreich. In Wien ist ein großer Autotunnel gestoppt
> worden.
Bild: Österreichs Verkehrsministerin Leonore Gewessler
Wien taz | 73.588 E-Autos waren im November 2021 in Österreich zugelassen.
Im Vergleich zu 2019 bedeutet das eine Steigerung um mehr als 100 Prozent.
Insgesamt bleibt der Anteil an [1][Elektrofahrzeugen] mit 1,4 Prozent am
Pkw-Bestand aber bescheiden.
Der Umstieg vom fossilen zum elektrischen Antrieb im Individualverkehr ist
ein Kernstück der österreichischen Klimastrategie. Im vergangenen Sommer
stellte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) den
[2][Mobilitätsmasterplan] 2030 vor, der Österreich bis 2040 klimaneutral
machen soll. Die Verkehrswende ist in dieser Strategie das zentrale Stück,
da der Verkehr rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen verursacht. Mehr
als 95 Prozent davon macht der Personen- und Güterverkehr auf der Straße
aus.
„[3][Österreich ist ein Autofahrerland]“, konstatierte jüngst die Wiener
Zeitung: „60,9 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher legen
mehrmals pro Woche ihre Wege mit dem Pkw zurück. Zudem sind 7,1 Millionen
Fahrzeuge in Österreich zugelassen.“
Die geplanten Einschnitte in diesen Fuhrpark sind dementsprechend
drastisch. Gewessler wünscht sich spätestens 2030 ein Neuzulassungsverbot
für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Der Autofahrerklub ÖAMTC fürchtet
sogar ein Verbot für Bestandsfahrzeuge ab 2040. Im Interesse der Klimaziele
wäre das konsequent und für Christian Gratzer vom kritischen
[4][Verkehrsclub Österreich] (VCÖ) auch wünschenswert. Die Ministerin hat
die Rechnung aber ohne den Koalitionspartner gemacht. Der
ÖVP-Nationalratsabgeordnete Karlheinz Kopf, gleichzeitig Generalsekretär
der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), unterstellte ihr
„ideologiegetriebene Bestrafungsfantasien“, als sie andeutete, bei
Nichteinhaltung des Klimapfads könnte ein Automatismus zur Anhebung der
Steuern auf fossile Energieträger in Kraft treten.
Für einen raschen Umstieg auf E-Mobilität hinkt die Infrastruktur noch
hinterher. Gewessler hat aber die Autobahnen- und
Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) als Verbündete
gewonnen. „Wir werden die Infrastruktur bereitstellen“, betont deren
Vorstand Josef Fiala. Ziel seien 1.000 Ladepunkte für E-Autos entlang
Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen bis 2030. Derzeit gibt es 156
solche Ladepunkte.
Es geht aber nicht nur um Ökologisierung des Verkehrs, sondern auch um
Verkehrsvermeidung. „Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn im
Mobilitätssektor eine radikale Trendwende bei den Treibhausgasemissionen
erfolgt“, sagt Gewessler. Und Trendwende heißt nicht nur neue Antriebe.
Martin Fellendorf, Verkehrsplaner an der Technischen Universität Graz, hat
errechnet, dass der Straßenverkehr auf das Niveau von 1990 gedrosselt
werden müsse, wolle man die Klimaneutralität 2040 wirklich erreichen.
96 Prozent der Verkehrsflächen bestehen aus Straßen und Pkw-Stellplätzen.
„Der Ausbau des Straßennetzes führt zu mehr Zersiedelung, mehr Zersiedelung
führt zu mehr Straßen. Ein Teufelskreis“, so Gratzer vom VCÖ, der sich für
ökologisch sichere, verträgliche, wirtschaftlich sinnvolle und sozial
gerechte Mobilität einsetzt. Er beruft sich auf internationale Vorbilder,
„dass der Rückbau städtischer Highways zur Entsiegelung und die Umnutzung
von Straßenverkehrsflächen zu einem wichtigen Thema geworden ist“. Dass
Gewessler Anfang Dezember den umstrittenen Lobau-Tunnel unter einem
Schutzgebiet an der Donau in Wien und sechs weitere Straßenprojekte in
verschiedenen Bundesländern gestoppt hat, war aus dieser Logik konsequent,
sandte aber Schockwellen durch die Politik.
Unterstützung kam von den Umweltverbänden. VCÖ-Sprecher Christian Gratzer:
„Der Punkt ist, dass nicht alle Beteiligten den Ernst der Lage begreifen
und daher zuwider den Interessen ihrer Unterstützer handeln.“ Denn:
„Diejenigen, die auf Autos angewiesen sind, sind die größten Nutznießer,
wenn möglichst viel Personenverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel und
Fahrräder verlagert wird.“ Die von Autofahrerclubs vertretene Parole, alle
sollen möglichst viel Auto fahren können, gefährde viele Arbeitsplätze.
Gratzer hält auch die von der ÖVP propagierte Erzeugung von synthetischen
Treibstoffen für „Humbug“, weil „der Energieaufwand, um sie zu erzeugen,
gewaltig wäre“. Es gehe, wie im Masterplan vorgezeichnet, darum, Ortskerne
zu stärken, die Zersiedelung zu stoppen und dafür zu sorgen, dass die
Menschen nicht so viele Kilometer zurücklegen müssen.
Kernstück der Klimastrategie im Verkehr ist der Bahnausbau. „Wir
investieren in den nächsten sechs Jahren insgesamt 18,2 Milliarden Euro in
den Ausbau der Schieneninfrastruktur. Das ist das größte Bahnausbaupaket in
der Geschichte der Republik“, sagt Florian Berger, Sprecher des
Klimaministeriums. Das im vergangenen Oktober eingeführte Klimaticket, das
österreichweit die Nutzung aller Bahnen, Busse und kommunalen
Verkehrsmittel für einen Jahrespreis von 1.095 Euro erlaubt, wurde bis
Mitte Januar bereits fast 137.000-mal verkauft. Damit liege man deutlich
über dem Plan. Berger: „Es zeigt, die Menschen in Österreich wollen auf die
klimafreundlichen Öffis umsteigen.“
Weniger erfolgreich war Ministerin Gewessler bisher beim Zurückdrängen
klimaschädlicher Subventionen. Eine ab 1. Januar gültige Steuerreform
enthält ökosoziale Elemente wie die sanfte CO2-Bepreisung, rüttelt aber
nicht an Dieselprivileg und Pendlerpauschale. Da hakt es noch am
Koalitionspartner ÖVP, der seine Klientel schonen will. Florian Berger ist
dennoch optimistisch: „Selbstverständlich arbeiten wir an den im
Regierungsprogramm vorgesehenen Punkten – weitere Maßnahmen gegen den
Tanktourismus, Pendlerpauschale etc. – wie vorgesehen weiter.“ Ob nach dem
coronabedingten Emissionsrückgang 2020 vergangenes Jahr eine nachhaltige
Trendwende beim verkehrsbedingten CO2-Ausstoß erreicht wurde, steht noch
nicht fest. Zumindest die Schienen sind dafür gelegt.
12 Jan 2022
## LINKS
[1] /Elektromobilitaet/!t5033699
[2] https://www.bmk.gv.at/themen/mobilitaet/mobilitaetsmasterplan/mmp2030.html
[3] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/2130106-Zu-…
[4] https://www.vcoe.at/
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Mobilität
Österreich
Deutsche Bahn
Pendlerpauschale
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehrswende
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bahnausbau in Niedersachsen: Schwarzer Freitag für SPD-Chef
Fridays for Future demonstriert für Neubau der Bahnstrecke
Hamburg—Hannover. Damit wenden sie sich gegen Lars Klingbeil, aber auch
gegen den Nabu.
Energiekosten-Entlastungspaket: Soziale und ökologische Irrfahrt
Das Entlastungspaket der Ampelregierung geht in die falsche Richtung. Statt
einer Pendlerpauschale sind Programme zum Energiesparen erforderlich.
Protest gegen Rodung für Kalkwerk: Jeden Tag könnte geräumt werden
In Wuppertal halten Aktivist*innen Bäume besetzt, die für die
klimaschädliche Kalkbranche fallen sollen. Der Nabu hingegen hat „keine
Bedenken“.
Grüne Mobilität in Metropolen: In Paris wird es eng
Ambitioniert, aber bei der Umsetzung hakt es: In der französischen
Hauptstadt zeigt sich, wie kompliziert eine Verkehrswende ist.
Umweltaktivist über Verkehr in Madrid: „Autofreie Städte sind die Zukunft“
Madrid gehörte zu den ersten Städten, die Individualverkehr aus der City
verbannten. Doch das Verbot hielt nicht. Was ging schief?
Fahrradfahren in Rom: Radprämie reicht nicht
Im Zuge von Corona hat die Stadtregierung von Rom viele neue Radspuren
eingerichtet. Das Problem: Viele finden Radfahren uncool.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.