# taz.de -- Stickoxid in Europas Metropolen: Madrids Luft ist am tödlichsten | |
> In keinem europäischen Ballungsraum sterben mehr Menschen wegen | |
> Stickoxiden als in der spanischen Hauptstadt. Das zeigt eine neue Studie. | |
Bild: Oh, wie romantisch ist Madrid: Ein Paar vor der luftverschmutzten Skyline… | |
MADRID taz | Madrid ist „Europameister“ und lässt Antwerpen, Turin und | |
Paris deutlich hinter sich: In keinem Ballungsraum in Europa sterben so | |
viele Menschen frühzeitig wegen der Luftverschmutzung durch Stickoxide | |
(NO2) wie in der spanischen Hauptstadt. Zu diesem Ergebnis kommt eine | |
Studie des ISGlobal, eines Forschungszentrums in Barcelona, die in der | |
prestigeträchtigen Wissenschaftszeitschrift [1][The Lancet] veröffentlicht | |
wurde. | |
Die NO2-Belastung der Atemluft, die jährlich über 2.000 Menschen das Leben | |
kostet, geht hauptsächlich auf den Straßenverkehr zurück. Und der nimmt in | |
der Madrider Innenstadt zu, seit der konservative Bürgermeister José Luis | |
Martínez-Almeida im Frühsommer 2019 ins Rathaus einzog. Er hob die | |
Umweltzone „[2][Madrid Central]“ in der Innenstadt auf, die die | |
linksalternative Vorgängerverwaltung ins Leben gerufen hatte. Nachdem | |
„Madrid Central“ am 30. November 2018 in Kraft getreten war, ging die | |
Stickoxidbelastung um 38 Prozent zurück. | |
Doch nun wurden 478.909 Strafzettel für illegales Einfahren annulliert, die | |
neue Umweltzone mit dem Namen „Madrid 360“ wird derzeit eingeführt. Im | |
Vergleich zur alten Regelung dürfen 50.000 Fahrzeuge pro Tag mehr in die | |
Innenstadt, darunter auch ältere Lieferwägen mit Dieselmotoren. | |
Die Verkehrsbelastung der Hauptstadt ist höher als vor der Coronapandemie. | |
Zig Kilometer lange Staus auf den Zufahrtsstraßen sind alltägliche | |
Normalität. | |
Statt neuer Umweltmaßnahmen soll nun eine Werbekampagne Abhilfe schaffen. | |
„Protze mit Madrid“, steht auf den Plakaten in der U-Bahn, aus öffentlichen | |
Plätzen sowie im Netz. Protzen mit was? Ganz einfach, Madrid sei nach der | |
australischen Hauptstadt Canberra „die zweitnachhaltigste Stadt weltweit“, | |
heißt es auf den von der Farbe Grün bestimmten Plakaten, auf denen ein | |
Fahrradfahrer zu sehen ist, mit Kind im Kindersitz. Dass die „Madrid 360“ | |
den Eltern erlaubt, mit dem Auto in die Umweltzone zu kommen, um die | |
Sprösslinge an der Schule abzuliefern, stört die Marketing-Experten genauso | |
wenig wie die Klagen der Nutzer des Leihfahrraddienstes BiciMad über | |
ständig kaputte Elektro-Drahtesel. | |
Die Quelle für die Nachhaltigkeit der stickoxidbelasteten spanischen | |
Metropole ist [3][uswitch.com], eine britische Seite, die eigentlich dazu | |
ins Leben gerufen wurde, Telefon-, Internet- und Stromanbieter zu | |
vergleichen. Der Artikel stützt sich auf Nomad Data, einen Internetdienst, | |
der Daten für Unternehmen verwaltet, sowie auf Numbeo, eine Datenbank über | |
urbane Lebensqualität, die sich nicht auf anerkannte Studien beruft, | |
sondern darauf, was die User eingeben. Die Internetgemeinde nennt dies | |
„Schwarmintelligenz“. | |
Die spanische Tageszeitung El País nahm die Kampagne Almeidas genauer unter | |
die Lupe und stieß auf dem weitverzweigten städtischen Internetauftritt | |
[4][madrid.es] auf eine Broschüre mit dem Titel „Madrid en el mundo“ | |
(Madrid im Weltvergleich), in der unzählige Statistiken ausgewertet werden. | |
Dort findet sich auch ein Nachhaltigkeitsranking. Die spanische Hauptstadt | |
ist allerdings nicht Nummer 2, sondern Nummer 21. Angeführt wird [5][die | |
Liste] von Stockholm und London. Wien liegt auf Platz 5, Berlin auf Platz | |
18. | |
Die „Protze mit Madrid“-Kampagne zur Nachhaltigkeit kostet die Madrilenen | |
100.000 Euro an Steuergeldern. Genauso teuer ist die jüngste Initiative | |
Almeidas. Er ließ in der 700 Kilometer entfernten katalanischen Provinz | |
Girona eine 18 Meter hohe Tanne fällen und per Tieflader nach Madrid | |
schaffen. Dort wird sie als Weihnachtsbaum die nach jahrelangen | |
Umbauarbeiten wieder für das Publikum offene Plaza de España zieren. Danach | |
kommt der Baum auf den Müll. Seit mehr als einem Jahrzehnt gab es in der | |
spanischen Hauptstadt keine echten Weihnachtsbäume mehr. Sie wurden der | |
Umwelt zuliebe einst – ebenfalls von einer konservativen Stadtverwaltung – | |
durch konische Metallgestelle mit Kugeln und Lichtern ersetzt. | |
17 Nov 2021 | |
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[1] https://www.thelancet.com/action/showFullTableHTML?isHtml=true&tableId=… | |
[2] /Verkehrspolitik-in-Spaniens-Hauptstadt/!5772128 | |
[3] http://uswitch.com/ | |
[4] http://madrid.es/ | |
[5] https://www.madrid.es/UnidadWeb/NxC/MarcaMadrid/Documentos/MadridEnLosRanki… | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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