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# taz.de -- Museumsdirektorin über Bashing von rechts: „Zwischen Skylla und …
> Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden reagieren auf die Debatten über
> Kolonialzeit und Raubkunst. Ein Gespräch mit der Generaldirektorin Marion
> Ackermann.
Bild: Marion Ackermann in der Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger
taz am wochenende: Frau Ackermann, auch der sächsische „Staatsschatz“, den
Sie hüten, ruht nicht unberührt in einer Truhe. Seine Rezeption unterliegt
Veränderungen. Und so haben Sie in aller Stille 2020 begonnen, als
besonders diskriminierend empfundene Objektbezeichnungen zu ändern. Folgen
Sie darin nur einem Trend, oder warum war das notwendig?
Marion Ackermann: Eine Überprüfung gehört seit jeher zur permanenten
Forschertätigkeit und passiert auch nicht im Stillen. Wir hatten zum
Beispiel einen Fall aus dem Kupferstich-Kabinett, Rembrandts „La négresse
couchée“. Da ist gar keine schwarze Frau abgebildet, sondern Rembrandts
Geliebte, die aber im Schatten liegt, und Rembrandt hat ziemlich viel
Druckerschwärze verwendet. Es handelte sich somit nicht um einen
Originaltitel, sondern nur um eine Erläuterung, die zudem noch auf einer
falschen Annahme beruhte. Der Titel wurde schon vor zehn Jahren geändert,
weil sich die Rembrandt-Community darauf verständigt hatte.
Die Überprüfung von Bezeichnungen anderer Objekte ist vielleicht
umstrittener?
Änderungen erfolgen mit einem besonderen Augenmerk auf Titel, die man heute
als abwertend empfinden würde. Und die keine Originaltitel sind. Ein
weiteres Beispiel: In den 1970er-Jahren hat ein Mitarbeiter des
Kupferstich-Kabinetts zu Otto Dix’ Kinderbild ins Inventar eingetragen:
„Negerkopf Susu“. Das ist wieder gestrichen worden. Die jetzige große
Resonanz hängt wohl damit zusammen, dass wir mehr Werke für die
Öffentlichkeit in unserer Online-Datenbank zugänglich machen. Wir haben
noch gar nicht alles inventarisiert.
Das „Daphne“-Provenienzforschungsprogramm befindet sich also noch im
Zwischenstadium?
Ja. Besonders bei unseren reichhaltigen ethnologischen Sammlungen, die oft
einen kolonialen Hintergrund haben. Wir haben diskutiert, was wir nach
einer digitalen Erfassung online stellen. Und ob es da Grenzen gibt.
Gilbert Lupfer, der jetzt Leiter des Zentrums für deutsche
Kulturgutverluste ist, leitete bis Sommer 2021 unsere Forschungsabteilung.
Da gibt es beispielsweise viele Aktdarstellungen. Und die betreffenden
Menschen sind damals nicht gefragt worden, ob man sie nackt fotografieren
darf. Wir erwähnen in diesen Fällen nur den Titel, zeigen aber das Bild
nicht. Die Schwelle der Online-Freischaltung ist eine entscheidende, da
verlassen wir Sachsen und sind weltweit präsent.
Damit reagieren Sie auch auf die internationalen Debatten über die
Kolonialzeit und Raubkunst?
Genau. Da soll nichts versteckt bleiben. Wir haben eine Liste von Begriffen
erstellt, über die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beraten haben. Was machen wir mit
überlieferten oder in bestimmten Kontexten problematischen Bezeichnungen
wie „Hottentotten“, „Halbblut“, „Viertelblut“, „Zigeuner“? Wir …
bei 95 Prozent unseres Bestandes von knapp 1,5 Millionen Objekten nicht von
Originalbezeichnungen sprechen. Sie können also auch nicht als sakrosankt
gelten. Wir haben nur in wenigen Fällen den „Asterisk“ eingesetzt, also
vier Sternchen, die den „Mohr“ im „Mohr mit der Smaragdstufe“ im Grünen
Gewölbe beispielsweise ersetzen. Ein Versuch, der zwei Möglichkeiten der
Lesart für unser sehr diverses Publikum erlaubt: die überkommene, tradierte
Bezeichnung oder die alternative.
Sie sind vor allen von rechts unter politischen Druck geraten, zuletzt auch
bei einer von der AfD beantragten Debatte im Sächsischen Landtag vom 18.
November? Um was ging es da, eigentlich genießen Sie doch Autonomie und
Kunstfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz?
Diese Freiheit haben wir. Und auf diese Freiheit wurde im Sächsischen
Landtag von fast allen Parteien auch leidenschaftlich verwiesen. Wir sind
formal ein nachgeordneter Staatsbetrieb. Das Kultur- und
Tourismusministerium hat die Dienstaufsicht, übt aber keine Fachaufsicht
aus.
Hatten Sie mit einem so heftigen Echo gerechnet, von rechts wird Ihnen ein
„sprachpolizeiliches“ Vorgehen in den Dresdner Sammlungen unterstellt?
Eher nicht. Doch auch bei Bizot, unserem internationalen Museumsverbund,
ist es seit fünf Jahren ein Hauptthema, wie wir uns als Museen auf solch
ein öffentliche Bashing von verschiedenen Seiten einstellen können. Nicht
von ungefähr ist im Gegenzug dazu der Begriff der „Wokeness“ entstanden.
Die #MeToo-Debatte fand ich ebenfalls sehr wichtig, auch wenn ich d[1][ie
teils damit verbundene Hysterie ablehne.]
Die rechte Kritik spricht von einer elitären kulturellen Blase?
Es geht häufig leider generell gegen jegliche Form von Intellektualität und
Expertise. Dagegen müssen wir verstärkt unsere Rolle in der Gesellschaft
erklären. Die Diskussion über unsere Überprüfungs- und Bezeichnungsdebatte
wurde jedoch stark von Fake Narrationen bestimmt. Auch große deutsche
Medien hatten sie teils übernommen, ohne bei uns nachzufragen.
Die sächsische AfD hat im Landtag beantragt, dass sie Ihre sprachlichen
Überarbeitungen in den Sammlungen zurücknehmen müssten. Ähnlich die Freien
Wähler. Beide waren nicht erfolgreich. Hätte man vielleicht insgesamt
unaufgeregter diskutieren können?
Vielleicht. Aber wir befinden uns insgesamt zwischen Skylla und Charybdis.
Einerseits ist da der Vorwurf, wir würden über unsere Museumsarbeit nicht
umfassend genug kommunizieren. Auf der anderen Seite sollen wir aber bloß
keine Reizthemen setzen und polarisieren. Gute Kunst und Kultur polarisiert
aber immer, Avantgarde meint Abstoßung des Vorhergehenden.
Die AfD attackiert die Großen wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
oder die öffentlichen Theater, aber auch angeblich „linksextreme“ kleinere
Kulturvereine. Gerne würde die Rechte in Dresden die gesamte kommunale
Kulturförderung kappen. [2][Erleben wir in Sachsen einen zugespitzten
Kulturkampf?]
Es scheint so. Aber was wir tun, tun wir im demokratischen Geist. Wir haben
in diesem Jahr zwei Parlamentarische Abende veranstaltet. Wir laden ständig
Abgeordnete ein, auch von der AfD. Wir stellen uns den Diskussionen. Ich
spreche persönlich intensiv mit Abgeordneten aller Fraktionen. Wir bemerken
aber auch, dass „demokratisch“ wie ein Triggerwort wirkt. Etwa bei dem
Versuch, uns durch Kleine Anfragen aus dem Parlament zu zermürben. Die
korrekte Beantwortung solch parlamentarischer Anfragen frisst viel Zeit.
Zuvor waren die Staatstheater mit Semperoper und Schauspiel „dran“.
Erstrecken sich die Angriffe auch auf laufende Ausstellungen?
Manches bleibt da auch unkommentiert. Wie etwa die Plakate „Geh zurück, wo
Du herkommst!“ des Künstlers Emeka Ogboh. Er stellt aktuell seine
Intervention zu der Debatte über die Benin-Skulpturen im Albertinum aus. Es
ist ein ironischer künstlerischer Kommentar: Bestimmte Menschen duldet man
hier nicht, aber Skulpturen aus Afrika möchte man lieber nicht zurückgeben.
Bekommen Sie Rückhalt für Ihre Arbeit durch das Ministerium von Barbara
Klepsch?
Ich schätze Barbara Klepsch als Ministerin. Die gegenwärtige Debatte hat zu
einem guten Klärungsprozess geführt, wo die Kompetenzen und die
Zuständigkeiten des Bundes, des Landes und der Staatlichen Kunstsammlungen
liegen. Ich gehe mit Zuversicht ins neue Jahr.
Zu einem anderen Streitthema: Spürt man noch Nachwirkungen des
„Bilderstreits“ von 2017, als es um die [3][Präsenz und Repräsentation von
DDR-Kunst] ging?
Diese Erfahrung hat sich gelohnt, meinen Hilke Wagner als Direktorin des
Albertinums und ich. Wir haben viel öffentlich geredet, die einstigen
Kontrahenten grüßen sich wieder. Dafür war die persönliche Präsenz im Raum
sehr wichtig. Wir hatten bis zu 500 Gäste bei den einzelnen Veranstaltungen
im Albertinum. Digital ist das derzeit schwierig fortzusetzen. Im neuen
Jahr planen wir weitere „Kontrapunkte“ zur deutsch-deutschen Geschichte.
Wir knüpfen an die Ausstellung „Deutsches Design“ an, also über Gestaltung
im geteilten Deutschland. Aber auch der Untergrund, die nicht
konformistische Kunst der DDR im Vergleich etwa zu der Polens rücken wir in
den Blick. Oder: Was bedeutete Luxus im Osten?
Der Einbruch ins Grüne Gewölbe vor zwei Jahren war spektakulär, welch
traumatische Spuren hat der Juwelendiebstahl hinterlassen?
Ich habe noch in keinem anderen Bundesland erlebt, dass sich Menschen so
mit „ihrer“ Kunst identifizieren. Ein Verlust steigert dieses Empfinden
noch, ebenso die geschichtliche Aufladung. Die zusätzlichen Investitionen
des Freistaates in neue Sicherungstechnologien sind wichtig und gut.
Stichwort angesägte Fenstergitter …?
Wir haben als geschädigte Partei immer noch keine Akteneinsicht. Die haben
wir beantragt. Erst dann kann ich wirklich beurteilen, was im Zusammenspiel
nicht funktioniert hat.
Noch ein Wort zur Pandemie: Wie funktioniert der digitale Ersatz nach der
angeordneten Schließung?
Erstaunlicherweise sind gerade ältere und bildungsbürgerliche Stammbesucher
auf die Onlineformate umgestiegen. Sie pflegen damit sozusagen den Kontakt
zu vertrauten Kunstwerken.
Und wie ist die Impfsituation bei Ihnen im Hause?
Persönlich hat mich doch schockiert, dass es auch im Bereich der Kultur
noch so viele ungeimpfte Menschen gibt. Inzwischen haben wir als SKD wieder
weitgehend auf Homeoffice umgestellt, das Ausstellungsprogramm ist ja quasi
eingefroren. Wir werben mit eigenen Impfaktionen oder Plakaten: „Impfen
schützt auch die Kultur“. Ich hoffe persönlich auf eine allgemeine
Impfpflicht, das sage ich ganz offen.
Und wie kommt die Kunst durch Corona?
Vielleicht so: Im Sommer werden im Japanischen Palais Stipendiaten der
Villa Massimo ausstellen. Sie haben quasi zwei Coronajahre
eingeschlossen in Rom gearbeitet. Wir werden sehen, was für eine großartige
Kunst auch in Abgeschiedenheit und Krise entstehen kann. Und unser
Jahresthema wird lauten: „Der Schlüssel zum Leben“. Bildlich anknüpfend an
die große Automatensammlung des Mathematisch-Physikalischen Salons.
25 Dec 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Bartsch
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