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# taz.de -- Ausstellung von Indigenen aus Australien: Die Ahnen suchen
> Im Berliner Humboldt Forum erzählen australische Indigene eine
> Schöpfungsgeschichte. In starken Bildern – und mit überraschend positivem
> Blick.
Bild: In den Installationen zu den sieben Schwestern tauchen diese Figuren von …
Kunst und Kulturgüter der australischen Aborigines stehen in Deutschland
vor allem dann im Fokus des Interesses, [1][wenn sie unrechtmäßig
hierhergelangt sind], könnte man meinen. Im Berliner Humboldt Forum ist nun
jedoch mit „Songlines. Sieben Schwestern erschaffen Australien“ eine
Ausstellung aus dem National Museum of Australia in Canberra zu sehen,
deren Vorgeschichte sehr anders ist: Angehörige der Anangu suchten den
Kontakt zum National Museum und baten um Unterstützung beim Bewahren ihrer
Überlieferungen.
Die Beziehung zu ihrem „Country“ sei insbesondere unter den jüngeren
Aborigines nicht mehr eng genug, Traditionen und das Wissen über das
„Dreaming“, die indigenen Vorstellungen über die Entstehung der Welt,
drohten zu verschwinden.
In „Songlines“ steht nun eine wichtige Ahnenlegende der Aborigines im
Mittelpunkt. Demnach erschufen sieben Schwestern den australischen
Kontinent auf der Flucht vor einem Mann, je nach Region Yurla oder Wati
Nyiru genannt, der als Formwandler versucht, eine der Schwestern zu
entführen. Im Humboldt Forum wird sie nun in Bildern erzählt.
In der australischen Landschaft, die in Form von Fotografien Teil der
Ausstellung ist, meint man die „Songlines“, die Ahnengeschichten, in den
bräunlichen Boden eingraviert zu sehen. Rot grenzen sich lange Linien,
womöglich einstige Wasserläufe oder mineralische Besonderheiten, vom Umland
ab, zeichnen die vermeintlichen Spuren der sieben Schwestern in die Erde.
## Gemälde als Landkarten
Das Land ist auch in den ausgestellten Gemälden stets präsent, die von den
indigenen Künstler:innen mitunter in gemeinschaftlicher Arbeit
geschaffen wurden. Der Blick kommt so meist von oben, organische Formen
fügen sich zu landkartenartigen Gebilden zusammen, auf denen sieben
zusammenhängende Symbole meist in einigem Abstand zu einer achten Form, dem
Verfolger, zu erkennen sind.
Beeindruckend sind jedoch besonders die fast lebensgroßen Skulpturen aus
Gras, Sperrholz und Stroh, die die sieben Schwestern porträtieren. So zeigt
die Künstlerin Judy Trigger die Frauen rastend, während der Formwandler
Wati Nyiru, getarnt als Baum, ganz in der Nähe lauert. Die Funken des
Lagerfeuers meint man selbst in der sterilen Museumsumgebung dank des
geschickten Einbezugs der Schatten fliegen zu sehen.
Die Legende der Sieben Schwestern ist wie viele quasireligiöse Gleichnisse
gewöhnungsbedürftig: Ein Mann macht sieben ansonsten selbstständigen Frauen
das Leben schwer, ohne dass diese sich nachhaltig wehren (können). Doch der
Kampf ums Jagen und Gejagtwerden ist in der indigenen Vorstellung so alt
wie das Menschengeschlecht selbst und kann niemals enden, muss man Wati
Nyiru doch exemplarisch als für alle Männer stehend begreifen.
Er versucht die Frauen nicht nur zu fangen, sondern bedient sich
archaischer Verführungstaktiken; die Schlange hat ebenso ihren Auftritt wie
ein saftiger Feigenbaum. Im Gegensatz zur alttestamentlichen Eva, die sich
trotz Überflusses im Paradies zur verbotenen Handlung hinreißen lässt,
widerstehen die sieben Schwestern der Versuchung und der Frucht, obwohl sie
der Hunger plagt.
## Verbindung zur griechischen Mythologie
Überhaupt hat die eigenen Angaben zufolge über 60.000 Jahre alte
Schöpfungsgeschichte mit monotheistischen Erzählungen wenig gemein und
erinnert in ihrer Symbolik eher an griechische Mythologie: Dem Formwandler
steht der Verführer und Entführer Zeus gegenüber. Die weibliche
Schöpfungskraft, die einen ganzen Kontinent zum Entstehen bringt, findet
sich in Gaia, der Erde, wieder.
Die Geschichte der australischen Aborigines ist gewalt- und leidvoll. Die
Kolonisierung des Kontinents durch europäische Siedler, die brutalen
Massaker kommen in der Ausstellung nicht vor. Dabei dürften die über 200
Jahre unter britischer und australischer Herrschaft Mitschuld daran tragen,
dass die alte Kultur den Zugang zu ihren Wurzeln verliert.
Die australische Assimilationspolitik und die Praxis des zwangsweisen
Erziehens von indigenen Kindern in weißen Gastfamilien hat auch für das
Entstehen einer heute verloren genannten Generation gesorgt. [2][Viele
Aborigines leben in Armut], ihre Arbeitslosenquote ist dreimal, die
Kindersterblichkeit doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung
Australiens.
Man interessiere sich jedoch mehr für die Zukunft als für die
Vergangenheit, formuliert es die australische Kuratorin Margo Neale, selbst
indigener Abstammung, im Booklet zu der Ausstellung. „Songlines“ diene der
Bewahrung des kulturellen Erbes und kommt als solche tatsächlich auch ohne
die Nennung von Daten oder politische Einordnung gut aus. „Nothing about Us
without Us“, so die hier wohl eingehaltene Forderung indigener
Aktivist:innen. Sie darf gerne öfter Gehör finden.
23 Jun 2022
## LINKS
[1] /Restitutionspolitik/!5853683
[2] /Corona-bei-australischen-Aborigenes/!5800793
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Australien
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