Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Restitution afrikanischer Kunst: Menschenfresser auf Teppich
> Die Schau „Invisible Inventories“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln
> wirft afrikanische Perspektiven auf Raubkunst in europäischen Museen.
Bild: Fotomontage des Projekts „Simba Mbili: Mögliche Geschichten der Mensch…
Es waren einmal zwei Löwen, die fraßen gerne Menschen, bevorzugt
afrikanische Arbeiter beim Bau der Eisenbahnstrecke von der kenianischen
Küste zum Viktoriasee 1898. Doch der Abtransport erbeuteter Rohstoffe
musste sichergestellt werden und so erschoss sie Ingenieur John Henry
Patterson schließlich, benutzte sie als Teppich und schrieb einen Roman
darüber. Seit 1925 sind die „Löwen von Tsavo“ ausgestopft im Field Museum
in Chicago ausgestellt – und bilden eins jener fünf [1][„Objects of
National Interest“], die Kenias Regierung zurückerhalten möchte.
In kenianischer Erzählung sind die „Simbambili“ etwas anderes: In ihnen
lebt die Kraft der Ahnen weiter, sie symbolisieren Widerstand gegen den
Kolonisator, zieren in Nairobi etwa Currygewürzdosen und Briefmarken. Im
Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum hat der Künstler Sam Hopkins Geschichten
der Löwen gesammelt, auf bezogenen Sesseln kann man sie in der Ausstellung
„Invisible Inventories“ anhören.
Sie ist Teil eines Projekts, das mit den Künstlerkollektiven „The Nest“
(Kenia) und „SHIFT“ (Deutschland), dem kenianischen Nationalmuseum und
deutschen Museen kenianische Kulturgüter in Museen des globalen Nordens
untersucht – und westliche Erzählungen über [2][Kolonialismus] ergänzen,
wenn nicht sogar umschreiben möchte. Zugleich sollen afrikanische
Perspektiven auf die Frage der [3][Restitution von kolonialem Raubgut]
geworfen werden.
## Rituelle Stäbe
Fünf „Objects of National Interest“ sind in großen Schwarzweißtafeln an …
Wand beschrieben, die Kenia mit Priorität zurückhaben will: etwa der in
London verschollene Kopf des Widerstandskämpfers Koitalel Arap Samoei,
ermordet in einem Hinterhalt des als sadistisch bekannten Kolonialbeamten
Richard Meinertzhagen. Als dessen Sohn 2006 rituelle Stäbe von Samoei
zurückgab, war er sich deren Wert nicht bewusst – während sie im
Stadtzentrum von Nandi von Tausenden Kenianern bejubelt wurden.
Der Aufenthaltsort der Ngadji-Trommel der Pokomo dagegen ist bekannt: Das
British Museum verweigert bis heute die Rückgabe – jene Trommel, die einen
Gott repräsentierte und einst Mittelpunkt des spirituellen Lebens war,
wurde von britischen Kolonialbeamten einkassiert und lagert in London im
Depot. Wie übrigens 90 Prozent aller kenianischen Objekte in deutschen
Museen. Und so ist das Verdienst von „Invisible Inventories“ vor allem,
dass angesprochen wird, wie sich Raubkunst als beständige Demütigung einer
kulturellen Identität auswirkt.
Die „Ausstellung thematisiert Abwesenheit, Verlust, traumatische
Erfahrung“, formuliert Museumsleiterin Nanette Snoep und Jim Chuchu von
„The Nest“ aus Nairobi ergänzt: „Der emotionale Wert der Gegenstände und
ihrer Geschichten hat mich während der Recherchen oft überwältigt.“
„Invisible Inventories“ will daher vor allem eine konzeptuelle Ausstellung
sein, die blinde Flecken und fehlende Diskurse aufzeigt.
## Wertsteigerung von Objekten
Etwa, indem an einer Wand die Wertsteigerung von Objekten nach ihrem Raub
demonstriert wird: Der Wert des zeremoniellen Nodoome, ein Tanzschild, hat
sich locker vertausendfacht. Wie auf Verbrecherplakaten sind die Bilder und
Lebensläufe der „Sammler“ ausgestellt: ein Archäologe, ein Arzt, ein
Ethnologen-Ehepaar und eben der brutale Söldner Meinertzhagen, beteiligt an
der Ausbeutung während der britischen Kolonialzeit (1895–1963).
Auch dem „Making-of“ der Schau wird Platz eingeräumt, zu sehen sind
Whats-App-Chats und E-Mail-Wechsel, etwa darüber, in welcher Form koloniale
Fotografien heute reproduziert werden dürfen. Während Kuratoren aus
Deutschland dagegen argumentieren, um den kolonialen Blick, die
Unterdrückungsrepräsentation, Gewalt und Demütigung nicht weiterzuführen,
spricht sich Juma Ondeng vom Nairobi National Museum klar dafür aus: „Es
sind die einzigen Bilder, die wir von Kenianern aus der Zeit haben – sie
sollten gezeigt werden.“
Der wichtigste Teil der Ausstellung ist der Start einer neuen Datenbank,
die erstmals das kenianische Beutekunstinventar international sichtbar
macht: 40 Museen des globalen Nordens wurden angeschrieben, 30 stellten
Bestandslisten zur Verfügung. 32.000 Objekte sind hier nun verzeichnet,
symbolisch umwindet ein 3,7 Kilometer langes Band aus Postaufklebern das
Rautenstrauch-Joest-Museum.
Es hat übrigens nur 83 kenianische Objekte, von denen 82 noch nie
ausgestellt wurden: Symbole einer Beutekunst, die momentan nicht nach Kenia
geschickt werden, aber nun immerhin öffentlich verzeichnet sind – erstmals
sei so ein realistischer Überblick über kenianische Objekte in Museen des
„Globalen Nordens“ möglich, so Snoep. Die Webseite
[4][inventoriesprogramme.org] ermögliche einen Paradigmenwechsel in der
Debatte über Restitution, so Jim Chuchu: „Wie soll man nach Dingen fragen,
wenn man nicht weiß, wie sie aussehen und wo sie sind? Das wird nun
fundamental anders“.
Was die Ngadji-Trommel betrifft, hat das British Museum den Kenianern nun
angeboten, zu „reden“. Es gebe keine ethischen und rechtlichen Argumente,
die die Rückgabe der Trommel verhindern, meint Jacky Kwonyike, Anwältin am
High Court of Kenya, im Ausstellungsmagazin.
2 Jun 2021
## LINKS
[1] /Aufarbeitung-des-deutschen-Kolonialismus/!5767433
[2] /Kolonialverbrechen-an-Herero-und-Nama/!5775474
[3] /Restitution-von-geraubten-Koerperteilen/!5583925
[4] https://www.inventoriesprogramme.org/
## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Kenia
Restitution
Kunst
Kolonialismus
Köln
Ausstellung
Palmyra
Australien
Restitution
zeitgenössische Kunst
Kunst
Senegal
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Schwerpunkt Rassismus
Restitution
## ARTIKEL ZUM THEMA
Syrien-Ausstellung in Köln: Reales Traumland
Eine Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt ein Syrien ohne Assad
und mit viel Geschichte. Der Alltag geht trotz Krieg für viele weiter.
Ausstellung von Indigenen aus Australien: Die Ahnen suchen
Im Berliner Humboldt Forum erzählen australische Indigene eine
Schöpfungsgeschichte. In starken Bildern – und mit überraschend positivem
Blick.
Aktivistin über koloniales Erbe: „Der Schmerz ist noch präsent“
Wahrscheinlich geraubt und jetzt im Berliner Humboldt Forum: Sylvie Vernyuy
Njobati kämpft um die Rückgabe einer Figur mit spiritueller Bedeutung.
Zeppelin-Museum in Friedrichshafen: Eine Welt jenseits der Staaten
Das Friedrichshafener Zeppelin-Museum versteht sich als Museum neuen Typs.
Seine jüngste Schau dreht sich um die Grenzen von Staatlichkeit.
Impfungen in der Kunst: Kampf gegen die Seuchen
Menschen mit Mund-Nasen-Schutz und leere Supermarktregale: Ikonische Bilder
von Pandemien gibt es nicht erst seit Corona.
Booker-Literaturpreis für David Diop: Ein begnadeter Erzähler
Der International Booker Prize 2021 geht an David Diop. Er schreibt von
„Senegalschützen“, die im Ersten Weltkrieg für Frankreich gekämpft haben.
Die Benin Dialogue Group: Ein postkolonialer Lernprozess
2010 wurde die Benin Dialogue Group gegründet, die der Rückgabe der
geraubten Kunst den Weg geebnet hat.
Autorin über „Gefangene Stimmen“: „Qualitäten des Unheimlichen“
Britta Lange hat ein Buch über Tonaufnahmen von Kriegsgefangenen des Ersten
Weltkriegs geschrieben. Die Audios hätten etwas Geisterhaftes, sagt die
Autorin.
Restitution von geraubten Körperteilen: Kein Objekt, kein Kunstwerk
In München wird der Leichnam eines Aborigines an sein Volk zurückgegeben.
Er lag fast hundert Jahre in einem Museumsdepot.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.