| # taz.de -- Syrien-Ausstellung in Köln: Reales Traumland | |
| > Eine Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt ein Syrien ohne | |
| > Assad und mit viel Geschichte. Der Alltag geht trotz Krieg für viele | |
| > weiter. | |
| Bild: Zumindest in der Miniatur erhalten: der Baaltempel von Palmyra, größten… | |
| Unter diesem Blickwinkel ist Syrien wohl lange nicht gesehen worden: Stolz | |
| zeigt Jabbar Abdullah, Kurator der Ausstellung „Syrien – Gegen das | |
| Vergessen“, eine Miniaturkopie der „Großen thronenden Göttin“, 3.000 Ja… | |
| alt (das nach Kriegszerstörung zusammengeklebte Original steht heute im | |
| Pergamonmuseum in Berlin) sowie Faustkeile aus der Steinzeit. Sie markieren | |
| den Beginn einer gewaltigen syrischen Zeitachse, die bis in die Gegenwart | |
| reicht, trotzig Kontinuität behauptet – und sowohl Assad-Diktatur als auch | |
| IS-Intermezzo bewusst ausspart. | |
| „Diese Ausstellung widersetzt sich der Zerstörung der Erinnerung durch | |
| Diktatur und Krieg – das ist für mich ein politischer Akt“, sagt Abdullah. | |
| Er will ein Syrien zeigen, das in westlichen Medien nicht mehr vorkommt, | |
| ein Land mit jahrtausendealter Geschichte, lebendigen Städten, | |
| zeitgenössischer Kunst. Wir sehen Teppiche, Kleidung, Kaffeemühlen, | |
| Spieltische. Wir erfahren in Videos, von syrischen Künstlern vor Ort | |
| gedreht, wie das Sakla-Kinderspiel der fünf Steine funktioniert. Wie | |
| köstlich syrisches Frühstück ist, der Alltag mit Tieren auf dem Dorf | |
| verläuft, dass das wunderschöne Cafe al-Quisla im ehemaligen jüdischen | |
| Viertel von Damaskus heute noch vor Leben vibriert. | |
| „In den letzten zehn Jahren gab es immer nur Katastrophenberichte aus | |
| Syrien. Zwar gibt es da immer noch Krieg – aber es heißt nicht, dass die | |
| Menschen nicht dort leben und keinen schönen Alltag haben. Syrer sind nicht | |
| täglich unter Bombardierung, die Kinder gehen zur Schule, sie essen, | |
| spielen, feiern. Die Ausstellung zeigt eine Zeitachse, die nicht | |
| unterbrochen ist, Wurzeln, die tiefer reichen als das Regime“, sagt er. | |
| 2015 ist der Kurator Jabbar Abdullah in Köln angekommen, ohne ihn wäre das | |
| Kulturleben in der Stadt ärmer. In Raqqa war er Archäologe, hat in Syrien | |
| Ausgrabungen geleitet. Fünf Jahre lang arbeitete er im Kölner | |
| Römisch-Germanischen Museum als Museumspädagoge, nebenbei organisierte er | |
| regelmäßig Ausstellungen zu syrischen Themen: Literatur aus syrischen | |
| Gefängnissen. Gegenwartskunst. Eine verstörende Aneinanderreihung diverser | |
| Assad-Porträts, Sohn und Vater, die in Syrien in den Amtsstuben hängen. | |
| ## Die legendäre Oasenstadt Palmyra | |
| Doch erst die Syrien-Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum bringt alles | |
| zusammen: Sehnsucht und Wissen, Politik und Erinnerung. „Für mich ist es | |
| Politik, über Syrien in Form von Kunst und Alltag zu sprechen und nicht als | |
| von Krieg, Diktatur und IS zerstörtem Land“. Deutlich wird das vor allem | |
| daran, wie die legendäre antike Oasenstadt Palmyra dargestellt wird: in | |
| intakten Modellen und alten Fotos, mithilfe einer App kann man in Details | |
| des Areals hineinzoomen. | |
| Nur auf einem einzigen Bild wird das Ausmaß [1][der Zerstörung durch den IS | |
| zwischen 2015 und 2017] gezeigt. Abdullah ist davon überzeugt: „Das | |
| Assad-Regime und Russland haben zugelassen, dass der IS Palmyra zerstört, | |
| damit das Regime sich als Retter und Aufbauer inszenieren kann. Das ist ein | |
| perfides Spiel“, sagt er. „Es wäre ein Leichtes gewesen, Palmyra zu | |
| schützen, aber der IS wurde einfach durchgelassen.“ | |
| Es ärgert ihn, dass in den meisten westlichen Museen und Medien nur über | |
| die Zerstörungen des IS berichtet wird, nie aber über die durch Assad | |
| erfolgten Bombardierungen etwa der Altstadt von Aleppo: „Das syrische | |
| Regime hat es erfolgreich geschafft, die eigenen Verbrechen in | |
| Vergessenheit geraten zu lassen.“ | |
| ## Alle Weltreligionen friedlich zusammen | |
| Jahrelang trug Abdullah die Idee des Ausstellungskonzepts, das Alltag, | |
| Geschichte, Gegenwartskunst, Religion und Interaktivität vereint, mit sich | |
| herum. Bis ihm die Leiterin des Rautenstrauch-Joest-Museums Nanette Snoep | |
| einen Ort dafür anbot – [2][denn ohnehin denkt das RJM das Konzept des | |
| ethnologischen Museums von Grund auf neu, mit Ausstellungen über Schwarzen | |
| Widerstand und umfangreichen Raubkunst-Rückgaben.] Auch die verkleinerte | |
| Kopie der „Thronenden Göttin“, einst nach Deutschland gebracht durch den | |
| Kölner Bankierssohn Max von Oppenheim, verweist darauf, dass es zu Syrien | |
| eigentlich ebenfalls eine deutsche Raubkunstdebatte geben müsste. | |
| Doch das ist nur ein Seitenverweis der Ausstellung. Vor allem will sie die | |
| lebendige Gegenwart Syriens zeigen – und die Lücken ihrer Darstellbarkeit. | |
| Schön gelingt das etwa in der handgezeichneten, stark vergrößerten und im | |
| Internet gefundenen Karte des jüdischen Viertels von Damaskus des | |
| unbekannten Bürgers Joseph Elia, mutmaßlich syrischer, exilierter Jude. Sie | |
| bringt die Schärfe und Unschärfe, den ganzen fragmenthaften | |
| Ewigkeitsanspruch von Erinnerung auf den Punkt. | |
| In krakeligen Schwarzweißlinien sind da alle früheren jüdischen Orte | |
| eingezeichnet; in eingebetteten Video-Spaziergängen der Dokumentarfilmerin | |
| Rania Kataf erzählen die wenigen noch in Damaskus lebenden Juden vom | |
| vergangenen Zeitalter, als in Damaskus noch alle Weltreligionen friedlich | |
| zusammenlebten – sie haben sich in die Stadt eingeschrieben. | |
| 27 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dorothea Marcus | |
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