# taz.de -- Bildsprache des „Islamischen Staats“: Bilder zerstören, Bilder… | |
> Der „Islamische Staat“ hat antike Stätten zerstört und Videos davon | |
> gepostet. Diese mediale Inszenierung untersucht ein Nahostforscher. | |
Bild: Die Ruinen in Palmyra nach der Rückeroberung des „Islamischen Staats�… | |
Seien es die Buddhastatuen in Afghanistan 2001, sei es die [1][antike Stadt | |
Palmyra vor vier Jahren]: Man reagiert stets geschockt auf die Zerstörung | |
von jahrtausendealten Kulturdenkmälern. Die Welt vom Götzendienst zu | |
befreien, sei dabei das Ziel, hieß es zuletzt vonseiten des sogenannten | |
Islamischen Staats (IS). | |
Dass hinter den gut dokumentierten Zerstörungsaktionen weniger religiöser | |
Eifer als eine mediale Machtdemonstration steckt, sagt Aaron Tugendhaft. | |
Der US-amerikanische Geisteswissenschaftler und Nahostexperte hat über die | |
Bildsprache des IS ein Buch geschrieben und am Dienstagabend online zum | |
Thema im Potsdamer Einstein Forum referiert. | |
Der IS ist seit 2019 größtenteils besiegt, nur hin und wieder reklamiert | |
die Terrororganisation Anschläge für sich. Dass die Schreckensbilder immer | |
noch präsent sind, liegt auch an der Onlinepräsenz, die der IS mit seinen | |
inszenierten Enthauptungen und Propagandavideos ausfüllte. „Der IS ist gut | |
darin, Bilder zu produzieren“, sagt Tugendhaft. | |
Ihn erinnern die Aufnahmen aus dem Mosul Museum, in dem IS-Kämpfer Statuen | |
zu Boden werfen, an antike Abbildungen von Ikonoklasmus, also der | |
Zerstörung von (Heiligen-)bildern. Dabei müsse man doch überlegen, was es | |
bedeute, Bilder zerstören zu wollen, aber diesen Akt wiederum in Bildern | |
festzuhalten. Und so womöglich neue Objekte zur Bilderverehrung zu | |
schaffen. | |
## Das goldene Kalb zerstören | |
Tugendhaft hält keinen historischen Vortrag, er geht das Thema eher | |
philosophisch an. Das Paradox, sich von Bildern nicht befreien zu können, | |
verdeutlicht er anhand der Geschichte von Moses und Aron. Als Ersterer das | |
goldene Kalb zerstört, das das Volk während seiner Abwesenheit angebetet | |
hat, weist Aron Moses genau auf dieses Paradox hin. Diese Zerstörung | |
schaffe genauso Bilder wie das Lamm eines war, sagt er, zumindest nach | |
Arnold Schönberg, der der Szene eine Oper gewidmet hat. Auch die | |
Gesetzestafeln, die Moses von seinem Berg mitgebracht hat, seien Bilder von | |
Gedanken, woraufhin Moses diese Tafeln zertrümmert. | |
Anders als dem christlichen Propheten gehe es dem IS jedoch sehr wohl | |
darum, neue Bilder zu schaffen. Tugendhaft zeigt drei Fotos nebeneinander: | |
Das erste zeigt antike Wandbilder, an denen Bomben befestigt sind, das | |
zweite zeigt die Explosion, das dritte zeigt seinen Facebook-Feed, auf dem | |
das Foto dieser Explosion erscheint. Diese Bilder tauchen überall auf | |
Social Media auf, sagt Tugendhaft. Der IS baue sich so einen riesigen | |
virtuellen Palast, der überall und nirgendwo ist. | |
Spricht man von den Zerstörungsvideos, muss man jedoch auch von dem Verkauf | |
von antiken Kunstwerken auf dem Schwarzmarkt sprechen, die dem IS viel Geld | |
eingebracht haben. | |
## Einnahmen des IS | |
Es mag heuchlerisch erscheinen, antike Objekte, die die Terrororganisation | |
eigentlich zerstören wollte, stattdessen zu verkaufen, allerdings dürften | |
die Verkäufe einen großen Teil der Einnahmen des IS ausgemacht haben. Zudem | |
haben die Terrorist:innen auch in Kauf genommen, dass die Verbreitung | |
ihrer Fotos und Videos Geld für die Social-Media-Plattformen generiert hat, | |
auf denen sie auftauchten. Diese Bilder der Zerstörung sollen vor allem | |
Angst und Wut verbreiten, denn nur mit dem Hammer lassen sich Götzen nicht | |
zerstören, sagt Tugendhaft, auf Friedrich Nietzsche verweisend. | |
Moderner Ikonoklasmus ist uns im letzten Jahr vermehrt begegnet, als | |
weltweit im Rahmen der [2][Black-Lives-Matter-Demonstrationen Denkmäler vom | |
Sockel] gestoßen wurden. War diese Zerstörung also nur symbolisch? Selbst | |
wenn die Berliner Mohrenstraße nun bald Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen | |
wird, sind in vielen Köpfen rassistische Denkmuster längst noch nicht | |
überholt. Eine Diskussion hat die Aktion aber allemal angestoßen. Womöglich | |
steckt dieses Potenzial auch in den vom IS produzierten Bildern. Trotz | |
seiner Brutalität können die Videos dabei helfen, Terrororganisationen als | |
mediale Akteure besser zu verstehen. | |
Auch lässt sich diskutieren, wie viel Raum wir Propagandavideos bieten | |
wollen; eine Frage, die zuletzt etwa bei dem [3][Attentäter von | |
Christchurch] aufkam, der seinen Amoklauf live im Internet streamte. Oder | |
man denkt ganz generell über den Wert nach, den Objekte für uns besitzen, | |
und fragt sich, warum uns die Zerstörung antiker Stätten eigentlich mehr | |
verstört, als es Geiselnahmen und Giftgasanschläge tun. | |
22 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Oasenstadt-Palmyra-in-Syrien/!5225928 | |
[2] /Black-Lives-Matter-Protest-in-Belgien/!5688000 | |
[3] /Nach-Christchurch-Attentat/!5604198 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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