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# taz.de -- Denkmaldebatte und das Hybrid Space Lab: „Denkmäler sind Bedeutu…
> Wie man aushandeln kann, was ein Denkmal erzählt, und wie man Kritik
> einbringt, damit beschäftigen sich Elizabeth Sikiaridi und Frans
> Vogelaar.
Bild: Das Franco-Mausoleum und die Benediktinerabtei im „Tal der Gefallenen�…
taz: Frau Sikiaridi und Herr Vogelaar, Sie betreiben Hybrid Space Lab,
Thinktank und Design Lab für Architektur, Design und digitale Kultur.
Zuletzt beschäftigten Sie sich aber mit historisch problematischen
Denkmälern. Wie kam es dazu?
Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar: In den letzten Jahren haben wir
mehrere Projekte zur Umdeutung und Umwandlung von belasteten und
kontroversen Denkmälern, Kulturstätten und Erinnerungsorten entwickelt: von
den [1][Projekten „Humboldt Dschungel“] und „Humboldt Vulkan“ zur
Transformation und Aneignung des Berliner Humboldt Forums bis zur
Erschließung der mehrschichtigen traumatischen Dimensionen der Landschaft
an der koreanischen Demilitarisierten Zone (DMZ). Im Kontext des
„DMZpace“-Projekts organisieren wir auch einen Austausch zwischen
koreanischen Naturschutz-, Kunst- und Kulturexpert*innen und den
Initiator*innen des Projekts „Europäisches Grünes Band“, das sich durch
ganz Europa entlang des gesamten ehemaligen „Eisernen Vorhangs“ durchzieht.
Mit unserer Arbeit zielen wir auf kulturelle Innovation, auf das Entwickeln
von Ideen, die zu positiven Veränderungen in Gesellschaft und Umwelt
beitragen. Unsere Arbeitsweise ist interdisziplinär. Dies erlaubt uns zu
unerwarteten künstlerischen Lösungen zu kommen, die es ermöglichen, Räume
völlig neu zu lesen und zu erschließen. Wir haben wiederholt erfahren, dass
in kontroversen Situationen Kreativität helfen kann, die Auseinandersetzung
mit Konfliktlandschaften zu fördern und den Verhandlungsstau zu
durchbrechen.
Sie plädieren also dafür, über Sinn und Unsinn von missliebigen Denkmälern
zu verhandeln, ohne dass es zu Zerstörungen kommt. Wie kann das geschehen?
Wir erleben zurzeit weltweit eine Flut von ikonoklastischen Aktionen gegen
Denkmäler und Symbole, die die kontroverse, ausbeuterische und ungelöste
Geschichte verherrlichen. Die Reaktionen dazu reichen von Befürchtungen,
dass die Beschädigung solcher Statuen eine Bedrohung für das kollektive
Gedächtnis selbst darstellt, bis zur Empörung, dass diese Handlungen zu
spät kommen, wenn man sich mit dem Ausmaß des Leidens konfrontiert, das
systemische Unterdrückung und Ausbeutung seit Jahrhunderten verursacht.
Daher ist es dringend, integrative Community-Werkzeuge und -Methoden für
die notwendige Aufklärungsarbeit zu entwickeln, um die ungelösten
historischen Wunden der Vergangenheit zu verarbeiten.
Warum sollen kontroverse Denkmäler eigentlich nicht abgerissen werden? Es
werden die Denkmäler doch, seit sie errichtet werden, auch gestürzt.
Denkmäler sind ein greifbares Zeugnis von Erinnerung und Vergangenheit in
ihrer kollektiven Dimension, auch wenn diese Vergangenheit belastet und
umstritten ist. Denkmäler sind somit Bedeutungsvehikel, die die öffentliche
Aushandlung von Narrativen beeinflussen. Es gibt viele Ansätze, ein Denkmal
in ein Mahnmal umzuwandeln, indem man es in einem neuen Kontext setzt, etwa
mithilfe von temporären Interventionen, die die Prozesse der Aufklärung und
Verarbeitung begleiten und unterstützen, und mithilfe von Gegendenkmälern.
Wir arbeiten daher an künstlerischen und innovativ-partizipativen Methoden,
die eine kollektive Erinnerungskonstruktion und -verarbeitung unterstützen,
ohne die betreffenden Denkmäler zu zerstören. Mit solchen Werkzeugen ist es
möglich, sich mit Denkmälern und Kulturstätten unterschiedlicher
Größenordnung und Art auseinanderzusetzen, auch im Maßstab der Stadt oder
der Landschaft.
Sie haben für Rotterdam und Amsterdam ein Projekt entwickelt, wie die
Erinnerung an die koloniale Vergangenheit heute aussehen sollte. Worum ging
es dabei?
Das „Voiced Space“-Projekt untersucht die postkolonialen Spuren von
Rotterdam und Amsterdam und wie diese in den heutigen alltäglichen Gebrauch
der Stadt integriert wurden. Dabei wird die Stadtlandschaft im Lichte ihrer
historischen Beziehungen zu früheren Kolonien analysiert: Welche
Verbindungen und Stimmen werden beim Lesen der Stadt priorisiert und welche
ausgeschlossen? In Architektur-, Städtebau- und Landschaftsstudien ist ein
solcher Diskurs nur sehr begrenzt vertreten.
Die Amsterdamer Grachtenhäuser und Kanäle werden selten als Ergebnis und
als notwendige Infrastruktur für das Aufrechterhalten von kolonialen
Beziehungen betrachtet. In der Architekturdiskussion fehlt bei der
Auseinandersetzung mit den westlichen Metropolen meistens die globalere
Perspektive, also das Lesen der Stadtlandschaft im Kontext von
internationalen Interaktionen, die (post-)koloniale Beziehungen beinhalten.
Ein anderes Beispiel ist die Ikone des niederländischen Modernismus und
Unesco-Weltkulturerbe, die Rotterdamer Van-Nelle-Fabrik zur Verarbeitung
der traditionellen Kolonialwaren Kaffee, Tee und Tabak. Mit der
Kolonialware Tabak als „Filter“ kann das koloniale und postkoloniale Erbe
der Stadt untersucht werden – und auch inwieweit dieses die gegenwärtigen
urbanen Segregationsbedingungen noch prägt.
Was verbuchen Sie als Erfolg ihres Workshops in Madrid, den Sie zum
sogenannten „Tal der Gefallenen“, einem nationalkatholischen Weiheort für
den Caudillo Franco, gemacht haben?
„Valle de los Caídos“, die große franquistische Gedenkstätte in der Nähe
von Madrid, umfasst eine ganze Landschaft. Die megalomane Anlage ist
Massengrab und beherbergt die sterblichen Überreste von über 33.000
Gefallenen beider verfeindeter Lager des spanischen Konflikts, die aus
Massengräbern überall im Land herbeigeschafft wurden. Erbaut wurde das „Tal
der Gefallenen“ zum Teil in Zwangsarbeit durch republikanische Häftlinge,
die aus dem Berggranit eine über 260 Meter lange unterirdische Basilika
schlagen mussten.
Es ist das umstrittenste aktive Denkmal der Welt, da die Benediktinermönche
täglich die Messe – und bis zu Francos Exhumierung letzten Oktober, an
seinem Grab und ihm zu Ehren – zelebrieren. Bis heute gibt es für die
Besucher des „Tals der Gefallenen“, das weiterhin als touristische
Destination fungiert, keinerlei Informationen zu seiner komplexen,
schwierigen Geschichte.
Im Jahr 2018 haben wir einen ersten interdisziplinären Workshop mit
internationalen und spanischen Teilnehmer*innen veranstaltet, mit
Künstler*innen, Architekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen,
Kurator*innen, Ethnolog*innen, (forensisch) Archäolog*innen,
Historiker*innen, Politolog*innen, Psychoanalytiker*innen,
Fachleuten für digitale Technologien und anderen Expert*innen.
Der Workshop schöpfte sein Potenzial aus der Außenperspektive, um eine neue
Sicht auf eine scheinbar unauflösbare Konfliktsituation zu bringen, wie sie
sich auch in anderen historischen Fällen als hilfreich erwiesen hat. Wir
haben dabei die umgebende Landschaft analysiert und Vorschläge für Wege und
Standpunkte, die den Ort in seinem ganzheitlichen historischen Kontext
erschließen, entwickelt. Gleichzeitig wurden auch Konzepte für die
Umwandlung der Anlage, zum Teil mithilfe temporärer Kunstprojekte, zum
Forschungszentrum und zum globalen Friedenszentrum, formuliert.
Glauben Sie, dass das „Tal der Gefallenen“ jemals ein Erinnerungsort im
Sinne Ihres Konzepts wird?
Das Projekt ist sowohl in Spanien als auch international sehr gut
aufgenommen worden, besonders die Strategie, das Monument zu
transformieren, ohne es erst einmal physisch zu verändern, überzeugte.
Zurzeit entwickeln wir einen Prototyp für eine [2][„Augmented
Reality“]-Anwendung, in der reale und virtuelle Welten verschmelzen, mit
der Besucher die verborgenen Schichten der komplexen, kontroversen
Geschichte des Monuments vor Ort erkunden können.
Dies würde helfen, das zu zeigen, was Franco hier verbergen wollte, um das
totalitäre Narrativ des Denkmals zu durchbrechen und es zu einem polyphonen
Mahnmal umzuwandeln. Würden die unsichtbaren Schichten des Ortes erlebbar
werden, könnte das einen Weg von der Anerkennung zur Aussöhnung ebnen.
Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde schriftlich geführt. Die
Interviewten antworteten gemeinsam.
24 Jul 2020
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## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Weltkulturerbe
Franco
Zerstörung
Kulturpolitik
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