| # taz.de -- Archäologe über syrisches Weltkulturerbe: „Multikulti-Zentrum d… | |
| > Die Terrortruppe IS droht, in der syrischen Wüste die antike Stadt | |
| > Palmyra zu zerstören. Der Archäologe Andreas Schmidt-Colinet hat dort 30 | |
| > Jahre lang gegraben. | |
| Bild: Perle in der Wüste: Das Archivbild zeigt Ruinen in Palmyra. Wie es dort … | |
| taz: Herr Schmidt-Colinet, die Miliz des Islamischen Staats ist am | |
| Donnerstag in die antike Stätte Palmyra in der syrischen Wüste eingerückt, | |
| deren Blüte im ersten bis dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung | |
| stattfand. Bereits im Vorfeld hat die Unesco vor möglichen Zerstörungen | |
| durch die Extremisten gewarnt. Warum ist Palmyra eigentlich so wichtig für | |
| die Menschheitsgeschichte? | |
| Andreas Schmidt-Colinet: Palmyra ist die einzige Stadt im Vorderen Orient, | |
| die zwischen Ost und West, genau zwischen dem Mittelmeer und dem Euphrat | |
| liegt, mitten in der Wüste. Bis vor Kurzem war sie auch noch die einzige | |
| Stelle zwischen Damaskus und dem Euphrat, wo man tanken konnte. | |
| Was war das Besondere, das diese antike Stadt einmal auszeichnete? | |
| Schon in der Antike hat Palmyra den Welthandel zwischen den Römern und | |
| China kontrolliert und ist damit enorm reich geworden. Wir würden heute von | |
| globalisiertem Handel sprechen. Wir haben Seiden aus China gefunden, die | |
| bis nach Rom gehandelt wurden, und Kollegen in China haben Gläser aus Köln | |
| gefunden, die über Palmyra bis dorthin gebracht wurden. Daran können Sie | |
| erkennen, wie der Kulturaustausch und damit der Waren- und Ideenaustausch | |
| zwischen Ost und West seine Schnittstelle in Palmyra hatte. | |
| Also ein antiker Treffpunkt der Kulturen. Drückt sich das in den antiken | |
| Ruinen aus? | |
| Angesichts des Multikulturalismus in der heutigen Zeit ist es für uns sehr | |
| wichtig, zu untersuchen, wie sich in Palmyra völlig unterschiedliche | |
| Kulturen – die griechisch-römische, die Mittelmeerkultur einerseits und die | |
| altorientalischen und asiatischen Kulturen andererseits – getroffen haben | |
| und was daraus entstanden ist. Deshalb sind auch die archäologischen | |
| Denkmäler einmalig, weil man zum Beispiel in der Architektur, aber auch an | |
| den Skulpturen diese Mischung ablesen kann. Die Statuen oder die | |
| Architektur sind nicht einfach nur halb griechisch-römisch, halb | |
| mesopotamisch, sondern daraus ist etwas ganz Neues entstanden, eine Mixtur, | |
| die eine völlig neue Architektur und Skulptur hervorgebracht hat. Das ist | |
| für uns wahnsinnig spannend und ein wichtiger Teil unseres gemeinsamen | |
| kulturellen Gedächtnisses. | |
| Apropos Multikulti: In welchen Sprachen sind denn die Inschriften verfasst? | |
| Palmyra ist die einzige Stadt in der gesamten Antike, in der die | |
| Amtssprache bis in die Spätantike, also bis ins dritte, vierte Jahrhundert, | |
| Aramäisch war. Daneben hat das Griechische bestanden. Die Inschriften sind | |
| entweder nur Aramäisch oder Aramäisch und Griechisch. Die Gebildeten | |
| sprachen wohl griechisch. Lateinische Inschriften gab es nur ganz wenige. | |
| Dabei geht es immer um Militärs, also um Offiziere oder Soldaten. Auch die | |
| Schrift auf den Meilensteinen – wie unsere Kilometersteine – für die | |
| Entfernung zum nächsten Ort sind in Latein verfasst. | |
| Das heißt also, dass sich die Römer auf das Militärische beschränkten und | |
| die Wirtschaft den Geschäftsleuten überlassen haben? | |
| Richtig. | |
| Wer hat denn in dieser Zeit in Palmyra gelebt, abgesehen von Römern? | |
| Ich weiß nicht genau, wer vor 2.000 Jahren in Palmyra gelebt hat. Primär | |
| Aramäer, also palmyrenische Einheimische, außerdem Griechen und Römer. Wir | |
| haben eindeutige Darstellungen von Römern in der römischen Tracht oder | |
| Toga, also der Amtstracht – quasi der schwarze Anzug und für die Damen das | |
| festliche Abendkleid. Das waren die Menschen mit römischem Bürgerrecht. Es | |
| gab dort damals aber sicher auch Griechen und vermutlich auch Ägypter. | |
| Und woran haben die Menschen damals geglaubt? | |
| Sie hatten ihre eigenen Götter. Anders als bei den Griechen und Römern gab | |
| es keine Hierarchie, sondern eine Vielzahl von Göttern, meist eine Triade, | |
| wie Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das ist uns ja auch nicht fremd. Es | |
| treten also ein Hauptgott und zwei andere Aspekte derselben Gottheit auf. | |
| Diese einheimischen Götter haben sich im Laufe der Zeit mit den | |
| griechisch-römischen Göttern vermischt. Wir haben aber auch Nachweise von | |
| jüdischen Gemeinden in Palmyra in der römischen Kaiserzeit, und es gab | |
| Christen. Spätestens seit dem zweiten Jahrhundert gab es christliche | |
| Gemeinden und ab dem vierten, fünften Jahrhundert sogar sehr viele. Es gab | |
| eine ganze Reihe christliche Basiliken, und wir wissen, dass Justinian, der | |
| Kaiser, der die Hagia Sophia in Konstantinopel bauen ließ, eine große | |
| Kathedrale errichtet hat. Polnische Archäologen waren damit beschäftigt, | |
| diese Kathedrale auszugraben. Bis ins achte Jahrhundert hinein gab es | |
| christliche Bischöfe aus Palmyra. | |
| Sie haben gerade Ausgrabungen an einer Kathedrale erwähnt. Heißt das, dass | |
| in Palmyra unter der Erde noch weitere Schätze verborgen sind? | |
| Wir kennen von Palmyra bisher ungefähr die vier Prozent, die ausgegraben | |
| worden sind. | |
| Ist das Gelände damit jetzt nicht offen für Plünderungen? | |
| Natürlich, massenweise. Ich stehe deswegen auch mit dem Bundeskriminalamt | |
| und mit der Unesco in Kontakt. Bei Google kann man unter bestimmten Namen | |
| beispielsweise palmyrenische Stuckköpfchen ansehen, die noch vor fünf | |
| Jahren überhaupt nicht bekannt waren. Wenn jetzt solche Dinge in großer | |
| Zahl im Kunsthandel auftauchen, ist das eine unglaubliche Dreistigkeit. Das | |
| wird dann als alter bayerischer oder französischer Familienbesitz | |
| ausgegeben. | |
| 21 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Seel | |
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